Sittenbild aus der alten Bundesrepublik: Eine Begegnung mit dem ehemaligen Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch/ Von Werner BlochFast zwei Meter groß und zwei Zentner schwer: Eberhard von Brauchitsch ist immer noch eine wuchtige Erscheinung. Ein ehemaliger Amateurboxer, der einstecken und austeilen kann - und dem das Austeilen von Spenden aus unversteuerten Mitteln Anfang der achtziger Jahre zum Verhängnis wurde. Seitdem hat sein Name einen beinahe dämonischen Klang: als Bösewicht in der so genannten Flick-Affäre, als Mephisto der Bonner Republik - als Synonym für das hässliche Schlagwort von der "gekauften Republik".
Und doch gibt der Mann, wenn man ihm begegnet, keineswegs den Finsterling. Ein Aristokrat mit geschliffenen Manieren, mit Charme und mit schnoddriger Berliner Schnauze. Ein Bauchmensch, kein Verwalter der Macht, die er nach seinem jähen Sturz verloren und deren Insignien er, bis auf einen Siegelring an der linken Hand, längst abgegeben hat. Eine altmodische, taubenblaue Freizeithose im Geschmack der siebziger Jahre, eine Strickweste im Norweger-Stil und ein allzu eng anliegender Parka - so präsentiert er sich dem Besucher in seinem Ferienhaus in Sylt. Der Mann legt wenig Wert auf äußeren Schnickschnack, beherrscht die Etikette aber perfekt. |
Eine altmodische, taubenblaue Freizeithose im Geschmack der siebziger Jahre, eine Strickweste im Norweger-Stil und ein allzu eng anliegender Parka - so präsentiert er sich dem Besucher in seinem Ferienhaus in Sylt. Der Mann legt wenig Wert auf äußeren Schnickschnack, beherrscht die Etikette aber perfekt. "Nehmen Sie es nicht als Unhöflichkeit", sagt er, "wenn ich mich weit zurücklehnen muss. Aber ein eingeklemmter Rückennerv macht mir zu schaffen." Ab und zu legt er sich eine orthopädische Halskrause um. Das Haus ist einfach eingerichtet, stammt aus dem Besitz der Familie der Ehefrau. Es ist das letzte Haus vor den Dünen - und das höchst gelegene: von hier hat man den Blick auf das Meer, den ruhigen Oststrand von Sylt, über die Rundsiedlung mit ihren niedrigen Rieddecken hinweg, kleine Ferienparadiese, Refugien gestresster Unternehmer. "Man grüßt sich, aber man redet kaum miteinander. Die Leute sind ja im Urlaub."
Terrorgefahr in den 70ern
Mit seiner Frau, einer ehemaligen Sportärztin, ist Brauchitsch durch dick und dünn gegangen. "Sie glauben gar nicht, wie meine Kinder unter der Situation gelitten haben", sagt er. "In den siebziger Jahren konnten die auf keinen Kindergeburtstag mehr gehen, ohne dass vorher bewaffnete BKA-Männer die Wohnungen ihrer Gastgeber durchsucht hätten." Terroristengefahr - mit dem ermordeten Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer war Brauchitsch, der einmal sein Nachfolger werden sollte, eng befreundet. Dann kam die Flick-Affäre - und die jüngste Tochter wurde in der Schule gehänselt. "Dein Vater gehört ins Gefängnis", riefen ihr Mitschüler nach. Da ging sie freiwillig auf ein Internat in die Schweiz. Brauchitsch und seine Frau leben heute in Zürich; Deutschland haben sie den Rücken gekehrt, bis auf die paar Wochen Ferien auf Sylt. "Es war keine leichte Entscheidung, die Heimat aufzugeben", sagt Eberhard von Brauchitsch. "Wenn wir unsere Kinder sehen wollen, müssen wir 600 Kilometer weit fahren. " Er habe aber ein Zeichen setzen wollen. "So, wie man mit uns umgesprungen ist, kann man mit angesehenen Bürgern unseres Landes nicht umgehen." Schließlich habe er mehrfach das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Brauchitsch sieht sich nicht als Täter. |
" Er habe aber ein Zeichen setzen wollen. "So, wie man mit uns umgesprungen ist, kann man mit angesehenen Bürgern unseres Landes nicht umgehen." Schließlich habe er mehrfach das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Brauchitsch sieht sich nicht als Täter. Der Mann, der einmal zu den mächtigsten Persönlichkeiten der alten Bundesrepublik zählte, hat lange die Strippen gezogen und ist am Ende selbst über eine gestolpert. Doch Brauchitsch versteht sich als eine Art Sühneopfer des Zeitgeistes: "Wir wollen mal nicht so tun, als ob die Achtundsechziger eine harmlose Rasselbande waren. Die APO - nennen Sie es, wie Sie wollen - da passten wir nicht hinein. Die Art, wie man in Nordrhein-Westfalen Klassenjustiz mit uns betrieben hat, war ungeheuerlich." Es ist der einzige Moment an diesem ganzen Nachmittag, dass die Verbitterung aus Eberhard von Brauchitsch herausplatzt; sonst gibt er sich höflich resigniert, abgeklärt, aufmerksam und freundlich. Ein herzlicher Gastgeber.
Es nieselt. Gleich hinter dem Haus kann man eine Düne erklimmen, von der aus man den Blick bis zum Meer hat - den wilderen Weststrand von Sylt. "Genau an dieser Stelle, der schmalsten der Insel, ist Sylt vor ein paar Jahren durch eine Überschwemmung in zwei Teile auseinander gerissen worden", erklärt Brauchitsch unter seinem Regenschirm. Heute hängen graue Wolken über dem Meer. "Nein, ich habe Kohl nicht gemacht", sagt er. "Natürlich habe ich ihm geholfen, als er aus Rheinland-Pfalz wegging und auf der Bundesebene seine Schwierigkeiten hatte." Kohl sei damals ein in der Wirtschaft unbeschriebenes Blatt gewesen. "Da habe ich ihn - und da war mein Tun in der Tat wesentlich - in die Wirtschaftskreise eingeführt." Bei Kohl habe er eine einzigartige Mischung von politisch bedingter wirtschaftlicher Ignoranz und einem unglaublichen, kaum nachvollziehbaren, unterschwelligen Gefühl für das, was politisch nutzt, angetroffen. "Diese Mischung aus Ignoranz und Genialität war einzigartig." Kohl, das wurde von Brauchitsch schnell klar, war der Kandidat der Industrie und der Favorit des Kapitals: "Ich habe gesagt, innerhalb der Kandidaten der CDU wäre der wohl der Richtige. Es ist ja doch wichtig, wer das Schicksal eines Landes bestimmt, wenn auch die Wirtschaft letztlich funktionieren soll. Und das hat ja dann auch funktioniert."
Von seinem Freund und Förderer Eberhard von Brauchitsch holte sich der CDU-Vorsitzende gerne selbst Zuwendungen für die Partei ab - persönlich übergeben im Kuvert. "Das war ganz einfach", erzählt von Brauchitsch heute, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. "Der Kohl rief an und sagte: Du, pass auf, ich habe da ein Projekt, könnt ihr mir da helfen. Ich stelle mir so 50.000 oder 60.000 oder 70.000 Mark vor . . . Dann war das okay und ich habe mir bei uns im Hause an der Stelle, wo ich mich absichere (denn wir hatten natürlich wie jedes Wirtschaftsunternehmen ein 4-Augen-Prinzip) das Geld beschafft. Das lief bei uns als Entnahme, also nicht über die steuerliche Rechnung, sondern wurde versteuert als Entnahme."
Wenn Kohl keine Zeit hatte, schickte er seine langjährige Vertraute Juliane Weber vorbei. Wusste sie, dass sie als Geldbotin unterwegs war? "Natürlich", sagt Brauchitsch, "sie wusste es von mir." Eine Aussage, die Juliane Weber noch in Schwierigkeiten bringen kann. Denn vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages behauptete sie jüngst, völlig ahnungslos über ihre Mission gewesen zu sein. Das möchten die Parlamentarier gern unter Eid hören. Und auch für Kohl könnte es nun eng werden. Denn stets hatte der Ex-Kanzler seine Rolle verharmlost - bis hin zum finalen "Blackout", mit dem er sich vor dem Zugriff der Staatsanwälte zeitweilig schützen konnte.
Verharmlosung scheint überhaupt die Strategie der Stunde - nicht für Brauchitsch, wohl aber für andere wie den Ex-CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep. Der will ja so gar nichts gewusst haben vom Systen der schwarzen Konten. Brauchitsch wird ungehalten: "Ich bitte Sie! Ich halte das für einen solchen Unfug aus dem Mund meines Duz-Freundes Kiep, das ist eine Lachnummer, dafür müsste man eigentlich Vergnügungssteuer bezahlen." Brauchitsch kennt Kiep seit den fünfziger Jahren, noch aus seiner Zeit als Leiter der Versicherungsabteilung der Lufthansa. "Da hat er als Versicherungsagent einen so hervorragenden Job gemacht, höchste Akuratesse, höchste Sauberkeit. Mir können doch Leute, durch deren Hände zig-Millionen gegangen sind, nicht erzählen, sie wüssten nicht, wo das Geld hingegangen ist."
"Der Preis des Schweigens"
Wir kehren ins Haus zurück. Einfache Einrichtung, weißer Teppichboden, Ledercouch. Ein altmodisches Telefon- und Faxgerät, das erst umgeschaltet werden muss, wenn jemand anruft. Der Verleger von Brauchitschs Autobiographie meldet sich. Ob denn noch genügend Exemplare gedruckt seien, fragt Brauchitsch. Und ob man nicht eine Annonce im "Adelsblatt" schalten könne, da gebe es sicherlich Interessenten. Der Verleger beruhigt ihn. Nach den Enthüllungen im Parteispendenskandal sind die Verkaufszahlen sprunghaft angestiegen - niemand konnte das vorhersehen, als die Autobiographie letztes Jahr im Juni erschien. "Der Preis des Schweigens" (Propyläen-Verlag) - so der etwas düstere Titel - wirft ein neues Licht auf die alte Spendenaffäre, und da die Protagonisten der Flick-Zeit teilweise die selben sind wie jetzt, die Herren Kohl und Schäuble eine wichtige Rolle spielen, interessiert man sich plötzlich wieder für Ereignisse, die schon zwei Jahrzehnte zurück liegen.
Pflichtlektüre für den Untersuchungsausschuss, in dem Brauchitsch vor einigen Wochen einen sensationellen Auftritt hinlegte - weil der Mann offenbar nichts zu verbergen hat. Als einer der ganz wenigen sagte er umfassend und wahrheitsgemäß aus, verhalf dem viel geschmähten Ausschuss zu einem seiner wenigen Glanzlichter - und gewann selbst an Statur. Sieht so einer aus, in dem manche die "Fratze des Kapitalismus" sahen, den Scheckbuch-Demokraten und Obermafioso aus Düsseldorf?
Wie konnte das Verhältnis von Mentor und späterem Kanzler derartig entgleisen, wo sich die Duz-Freunde doch über viele Gespräche sehr nahe gekommen waren und auch die guten Weine in der Staatskanzlei in Mainz getrunken hatten? "Ich hatte geglaubt, das sei eine echte Freundschaft", sagt Brauchitsch. "Das ist es erkennbar von seiner Seite nicht gewesen." Die Politik scheint ihm heute im übrigen kein geeignetes Spiefeld für verlässliche Männerfreundschaften zu sein: "Ich hätte mir eine Menge Ärger erspart, wenn ich zwischen Freundschaft und politischer Freundschaft unterschieden hätte." Als Brauchitsch wegen Steuerhinterziehung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, ließ ihn der einstige Schützling fallen. Nicht einmal ins Büro des Bundeskanzlers wurde Brauchitsch durchgestellt. Als dann die Mauer fiel, suchte der ehemalige Flick-Manager noch einmal seine Chance. "Wenn du für mich Verwendung hast und jemanden brauchst mit Erfahrung für den Aufbau der Industrie im Osten, dann kannst du jederzeit auf mich zählen", teilte er Kohl mit. Doch es dauerte bis 1993, als Birgit Breuel, damals Treuhand-Chefin, bei Brauchitsch anrief mit den Worten: "Ich habe gehört, Sie vertragen sich wieder." Brauchitsch wurde Aufsichtsratsvorsitzender der mitteldeutschen Buna-Werke in Schkopau, wo einstmals Plaste und Elaste hergestellt wurde; nun gehört die Firma dem amerikanischen Chemiegiganten Dow Chemical. Brauchitsch hat den Betrieb flott gemacht und dafür gesorgt, dass eine Pipeline bis Rostock gebaut wurde - "damit wir nicht von russischen Energielieferungen abhängig sind. - Am Anfang wollte mich da keiner. Keinen Wessi, und den schon gar nicht." Da sei er morgens um sechs da gewesen, habe mit den Arbeitern gesprochen und getrunken. "Nach einem Jahr hat sich keiner mehr beschwert."
Vorbestraft ist Eberhard von Brauchitsch nicht mehr, seitdem die Strafe aus dem Register gestrichen wurde, wegen Verjährung. Und von dem Vorwurf der Bestechung wurde er, darauf legt er großen Wert, mit einem "Freispruch erster Klasse" nach vielen Prozessmonaten entlassen. Hat er Fehler gemacht? "Ja, ich war zu offen, ich habe doppelte Kontrollen unterlassen. Vor allem war ich zu vertrauensselig." Vertrauen in den deutschen Bundestag, der seit 1953 jedes Jahr aufs Neue beschloss, dass die Zahlungen an politische Parteien, wenn sie über Institutionen wie die Staatsbürgerliche Vereinigung gehen, steuerlich abzugsfähig sind. "Ich war zu blauäugig", sagt Brauchitsch, "ich hätte mir Sachverständigengutachten anfertigen lassen müssen, die die Richtigkeit meines Handelns in jedem Einzelfall bestätigten."
Geber und Nehmer
Ob er aber nicht doch Politiker gekauft, Abhängigkeiten geschaffen habe nach dem Motto: Keine Leistung ohne Gegenleistung? Für einen Augenblick verliert Brauchitsch seinen lässigen Ton, seine Stimme wird scharf und hart. "Ich habe nur ein einziges Mal bei Graf Lambsdorff als Wirtschaftsminister in einer Wettbewerbssache eine Ermessensentscheidung beantragt. Und da hat der Lambsdorff schlicht mit seiner grünen Farbe 'Nein´ drauf geschrieben. Dabei war es keine drei Monate her, dass er bei uns im Hause war und Geld für die FDP eingetrieben hatte."
Die Entscheidung, ob durch eine Freigiebigkeit Abhängigkeiten geschaffen werden, liege niemals beim Geber, nur beim Nehmer, meint er - eine etwas bizarre These. Ihm sei es immer nur um einen "vertrauensvollen Kontakt zwischen Wirtschaft und Politik gegangen" - eine Idee, die heute selbstverständlich geworden sei. Brauchitsch prägte das Wort von der "Pflege der politischen Landschaft".
Was unterscheidet ihn dann noch von einem Lobbyisten wie Karlheinz Schreiber? Brauchitsch sitzt jetzt, trotzt seines eingeklemmtem Nerves, kerzengerade. "Ich würde Herrn Schreiber nicht mal die Hand geben. Der sucht sich offenbar Empfänger von Zahlungen aus, um Abhängigkeiten zu schaffen, um Entscheidungen herbeizuführen. Das hat es in meiner ganzen Erfahrung von Parteispenden - und das sind viele Millionen gewesen und 600 oder 700 Einzelfälle - nicht ein einziges Mal gegeben, dass ich mir einen Empfänger ausgesucht habe unter dem Gesichtswinkel: den brauche ich."
Eberhard von Brauchitsch hat die Hebel der Macht bedient. Aber das haben andere auch. Warum hielt er dicht, obwohl er doch in seinem Strafverfahren und auch vor dem Flick-Untersuchungsausschuss eine ganze Generation von Industriellen und Politikern hätte hochgehen lassen können? "Wissen Sie, da bin ich anders", sagt Brauchitsch. "Nennen Sie es Erziehung oder Moral oder wie Sie wollen." Denunziert wird nicht - da gilt der adelige Ehrenkodex. "Ich hätte vielen schaden können, aber wem hätte das genutzt?" Hätte er eher gesprochen - es säßen vielleicht nicht mehr genau dieselben in Amt und Würden, die sich schon in den achtziger Jahren höchst fragwürdig verhalten haben. Und Kohl hätte vielleicht schon damals zurücktreten müssen.
Erschienen am: 29.09.2000
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