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© imjuli.de
21.August 2000
 

Film im Gespräch

Fatih Akin über seinen Film "Im Juli", seine beiden Heimatstädte Hamburg und Istanbul, und seine Kinovision von türkischen Gefängnissen.

von Hartwig Tegeler

"M" it seinem Kinodebüt "Kurz und Schmerzlos" (am 1. September im ZDF zu sehen) gelang dem in Hamburg geborenen und dort lebenden deutsch-türkischen Filmemacher Fatih Akin ein ungewöhnlicher Erfolg bei Publikum und Kritik.

In seiner düsteren Großstadtballade, die sich in die Tradition von Scorseses frühen New-York-Filmen stellte, zeigte der Filmemacher Akin ein bewundernswertes Gespür für Rhythmus und Dramatik beim (Kino-)Erzählen.

Der Erfolg bescherte Fatih Akin für seinen nächsten Film ein höheres Budget und erstmals zwei Stars (Moritz Bleibtreu und Christiane Paul). Der Film "Im Juli" hat allerdings nichts von der Düsternis des Akinschen Debüts, sondern ist eine helle und lichte Liebesgeschichte, ein Roadmovie, das davon erzählt, wie ein Hamburger Referendar auf der Suche nach seiner großen Liebe sich auf den Weg nach Istanbul macht, begleitet von eine Schmuckverkäuferin, die ihn will, die ihn aber – zumindest bis kurz vor Schluss des Films – ganz und gar nicht entzündet.

Im Interview gibt Fatih Akin Auskunft über seinen Wunsch, sich in seiner künstlerischen Arbeit nicht an ein Genre zu klammern, immer Neues auszuprobieren. Außerdem berichtet er über seine Identität als politischer deutsch- türkischer Filmemacher.

Fatih Akin, Sie sind ein türkischer Hamburger oder ein Hamburger Türke, wie immer man das auch nennen will oder darf oder soll. Könnte man sagen, dass ´Festlegung´ wohl das Letzte ist, was Ihnen liegt? Könnte man sagen, dass Ihr Leben als Filmemacher qua definitionem ein crossover von Kulturen, Einflüssen und Genres ist? Dass Sie früher eine Großstadtballade machten und jetzt einen Liebesfilm als Roadmovie konzipieren? Wie macht man den ersten und dann den zweiten Film?


Ich muss sagen, dass "Kurz und Schmerzlos" und "Im Juli" aus derselben Zeit kommen. Ich habe beide Filme ungefähr in einer Zeitspanne von einem Jahr geschrieben und "Kurz und Schmerzlos" zuerst gedreht, weil er billiger zu realisieren war.

Nach dem Erfolg hab´ ich mich gefragt: Und jetzt? Mit dem zweiten Film macht man´s meistens falsch. Was machst du? Machst du "Kurz und Schmerzlos, Teil II"? Bleibst du dem Milieu treu? Machst du wieder so einen Milieu-Film?

Und bist dann natürlich in dieser Schublade. Und dieses Schublade-Betroffenheitskino, Nischenkino, "türkischer Filmemacher ´macht Realität´ " - hat sich nach "Kurz und Schmerzlos" auch schon angedeutet.

Und dann ist dann alles irgendwann nicht mehr so schmeichelhaft für meine Arbeit. Ich dachte, wenn ich im nächsten Film das Genre wechsle, dann hab´ ich zwar einen Film, wo die Leute, die sagen,"Kurz und Schmerzlos" gefällt mir besser, oder "Im Juli" gefällt mir besser, aber du kannst die Filme nicht mehr so gut miteinander vergleichen, weil´s zwei ganz verschiedene Genres sind.

Der erste Film, das Debüt, ist ein Ausdruck! Was Debüts immer sind, so: zack, hier bin ich! Dann ist der zweite Film mehr so die Aussage, so: das kann ich!

Was wollten Sie denn zeigen in diesem zweiten Film?

Wenn "Kurz und Schmerzlos" ein Film ist, der sehr viel mit Realität zu tun hat – die Einflüsse sind der Neorealismus aus dem italienischen Kino -, wollte ich einen Film machen, der sehr verspielt ist, der sehr naiv ist, der mit sehr viel Phantasie arbeitet, ein Märchen ist. Das ist "Im Juli".

Wie wichtig ist Ihnen Erfolg beim Publikum? Oder anders: Wollen Sie kommerziell sein?

Ich versuche, ein kommerzieller Filmemacher zu sein. Ich definiere das so: soviel Menschen wie möglich in meine Filme zu bekommen. Ich glaube, man kann kommerziell sein und gleichzeitig seiner Idee, seiner Vorstellung treu bleiben. Das geht wunderbar.

Aber was muss man beachten, wenn man kommerziell und sich treu bleiben will?

Das weiß ich nicht. Ich habe kein Rezept dafür. Ich habe auch schon mit "Kurz und Schmerzlos" versucht, ein kommerzieller Filmemacher zu sein. Und ich habe mich orientiert am kommerziellen Kino: die Filme von Scorsese, die Filme von Coppola. Die sind ja an der Kasse auch gut gelaufen. Genrekino.

Wenn Sie bei ihrem Debüt "Kurz und Schmerzlos" von dem Einfluss des US-Kinos – Scorsese, Coppola – sprechen, fällt bei "Im Juli" auf, dass Ihr Film – komischerweise immer mehr, je weiter wir uns in der Erzählung aus Hamburg weg bewegen – immer phantastischere Elemente bekommt.

Man fühlt sich an die Filme von Emir Kusturica erinnert, wobei mit Branka Katic auch eine Schauspielerin aus dem letzten Film von Kusturica auftaucht. Emir Kusturicas Filme – Filme aus dem Osten Europa – arbeiten mit einem phantastischen Realismus, Sie tun das jetzt auch. Ist "Im Juli" mehr europäischer Film als "Kurz und Schmerzlos"? Von der Tradition, von der Absicht, von dem Erzählrhythmus, von seinem Realismusbegriff her?

Auf jeden Fall. Ich wollte einen europäischen Film machen und wollte zeigen, was mir näher liegt. Wenn wir heute über europäische Filme reden, meinen wir meist Italien, Frankreich, Spanien, England.

Wir reden weniger über Griechenland oder Türkei, oder wir reden weniger über Jugoslawien oder Bulgarien und Rumänien. Und es kommen wunderbare Filme aus diesen Ländern. Und das ist ein Europa, was ein bisschen unentdeckter ist. Und es ist ein Europa, was ich besser kenne, aus meinem Freundeskreis.

Die Geschichte von "Im Juli" beginnt in Hamburg, geht in Richtung Osten und endet in Istanbul. Eine Reise von West nach Ost, eben auch eine emotionale Reise von West nach Ost.

Ist die Reise nach Istanbul, Fatih Akin, für Sie als Drehbuchautor und Regisseur, eine Reise von zu Hause in die Fremde oder ist das von zu Hause nach zu Hause?

Von zu Hause nach zu Hause. Es ist von Heimat A nach Heimat B. Und alles, was dazwischen liegt, liegt dazwischen.

Die Brücke in Istanbul, die von Europa nach Asien führt, ist keine Exotik, sie ist Heimat?

Das ist Heimat. Istanbul ist – vielleicht neben Hamburg und Berlin – eine der Städte auf der Welt, in der ich leben möchte. Die Stadt!

Ich bin sehr gerne da, sie hat zwar immer noch eine Exotik für mich, weil ich ja in Hamburg geboren wurde, aber auch etwas Vertrautes. Ich spreche sehr gerne die Sprache, wenn ich da drüben bin, ich höre sehr gern türkische Musik.

Das Land gibt einem sehr viel Kraft, die Stadt gibt einem Kraft. Ich komme aus der Stadt wieder, und ich habe tausend Ideen für tausend Filme.

Alan Parker hat den Film "Midnight Express" gedreht, in dem ein Amerikaner in einem türkischen Knast gefoltert, misshandelt, vergewaltigt wird. Türkische Gefängnisse – ich rede nicht von der Realität, sondern hier von einem Kino-Bild, das selbstverständliches, nicht hinterfragtes Zeichen in unserer kulturellen Sicht auf die Welt ist -, diese Gefängnisse in der Türkei sind die Hölle!

In Ihrem Film "Im Juli" kommen ihre Hauptfiguren in ein türkisches Gefängnis, und sie werden mit Respekt und Anstand behandelt und am Ende der Szene von den Gefängniswärtern als "unsere türkischen" Helden bejubelt, weil sie einen toten Türken mit dem Auto von Hamburg nach Istanbul gebracht haben.

Ist so ein Bild in Ihrem Film eine direktes Gegen-Bild zu dem Standard, für den "Midnight Express" steht?

Ja, absolut. Ich habe auch Elemente von"Midnight Express" bedient. Ich wollte diese Elemente auch ein bisschen durch den Kakao ziehen. Da steckt sehr viel Ironie in dieser ganzen Knastsituation. Aber natürlich genauso die andere Seite, der Nationalstolz der türkischen Knastwärter. Auch das wollte ich ein bisschen durch den Kakao ziehen. Das sind fast die Szenen, die mir am meisten Spaß gemacht haben.

Drückt sich in diesem Durchbrechen von kulturellen (Kino-)Klischess - in welche Richtung auch immer – das politische Bewusstsein des Filmemachers Fatih Akin aus?

Auf jeden Fall!

(Das Interview mit Fatih Akin führte Hartwig Tegeler in Hamburg, Ende Juli.)

 


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