it seinem Kinodebüt "Kurz und Schmerzlos" (am 1.
September im ZDF zu sehen) gelang dem in Hamburg geborenen und dort
lebenden deutsch-türkischen Filmemacher Fatih Akin ein ungewöhnlicher
Erfolg bei Publikum und Kritik.
In seiner düsteren
Großstadtballade, die sich in die Tradition von Scorseses
frühen New-York-Filmen stellte, zeigte der Filmemacher Akin
ein bewundernswertes Gespür für Rhythmus und Dramatik
beim (Kino-)Erzählen.
Der Erfolg
bescherte Fatih Akin für seinen nächsten Film ein höheres
Budget und erstmals zwei Stars (Moritz Bleibtreu und Christiane
Paul). Der Film "Im Juli" hat allerdings nichts von der
Düsternis des Akinschen Debüts, sondern ist eine helle
und lichte Liebesgeschichte, ein Roadmovie, das davon erzählt,
wie ein Hamburger Referendar auf der Suche nach seiner großen
Liebe sich auf den Weg nach Istanbul macht, begleitet von eine Schmuckverkäuferin,
die ihn will, die ihn aber zumindest bis kurz vor Schluss
des Films ganz und gar nicht entzündet.
Im Interview
gibt Fatih Akin Auskunft über seinen Wunsch, sich in seiner
künstlerischen Arbeit nicht an ein Genre zu klammern, immer
Neues auszuprobieren. Außerdem berichtet er über seine
Identität als politischer deutsch- türkischer Filmemacher.
Fatih
Akin, Sie sind ein türkischer Hamburger oder ein Hamburger
Türke, wie immer man das auch nennen will oder darf oder soll.
Könnte man sagen, dass ´Festlegung´ wohl das Letzte
ist, was Ihnen liegt? Könnte man sagen, dass Ihr Leben als
Filmemacher qua definitionem ein crossover von Kulturen, Einflüssen
und Genres ist? Dass Sie früher eine Großstadtballade
machten und jetzt einen Liebesfilm als Roadmovie konzipieren? Wie
macht man den ersten und dann den zweiten Film?
Ich muss
sagen, dass "Kurz und Schmerzlos" und "Im Juli"
aus derselben Zeit kommen. Ich habe beide Filme ungefähr in
einer Zeitspanne von einem Jahr geschrieben und "Kurz und Schmerzlos"
zuerst gedreht, weil er billiger zu realisieren war.
Nach dem Erfolg
hab´ ich mich gefragt: Und jetzt? Mit dem zweiten Film macht
man´s meistens falsch. Was machst du? Machst du "Kurz
und Schmerzlos, Teil II"? Bleibst du dem Milieu treu? Machst
du wieder so einen Milieu-Film?
Und bist dann
natürlich in dieser Schublade.
Und dieses Schublade-Betroffenheitskino, Nischenkino, "türkischer
Filmemacher ´macht Realität´ " - hat sich
nach "Kurz und Schmerzlos" auch schon angedeutet.
Und dann ist
dann alles irgendwann nicht mehr so schmeichelhaft für meine
Arbeit. Ich dachte, wenn ich im nächsten Film das Genre wechsle,
dann hab´ ich zwar einen Film, wo die Leute, die sagen,"Kurz
und Schmerzlos" gefällt mir besser, oder "Im Juli"
gefällt mir besser, aber du kannst die Filme nicht mehr so
gut miteinander vergleichen, weil´s zwei ganz verschiedene
Genres sind.
Der erste Film,
das Debüt, ist ein Ausdruck! Was Debüts immer sind, so:
zack, hier bin ich! Dann ist der zweite Film mehr so die Aussage,
so: das kann ich!
Was
wollten Sie denn zeigen in diesem zweiten Film?
Wenn
"Kurz und Schmerzlos" ein Film ist, der sehr viel mit
Realität zu tun hat die Einflüsse sind der Neorealismus
aus dem italienischen Kino -, wollte ich einen Film machen, der
sehr verspielt ist, der sehr naiv ist, der mit sehr viel Phantasie
arbeitet, ein Märchen ist. Das ist "Im Juli".
Wie
wichtig ist Ihnen Erfolg beim Publikum? Oder anders: Wollen Sie
kommerziell sein?
Ich
versuche, ein kommerzieller Filmemacher zu sein. Ich definiere das
so: soviel Menschen wie möglich in meine Filme zu bekommen.
Ich glaube, man kann kommerziell sein und gleichzeitig seiner Idee,
seiner Vorstellung treu bleiben. Das geht wunderbar.
Aber
was muss man beachten, wenn man kommerziell und sich treu bleiben
will?
Das
weiß ich nicht. Ich habe kein Rezept dafür. Ich habe
auch schon mit "Kurz und Schmerzlos" versucht, ein kommerzieller
Filmemacher zu sein. Und ich habe mich orientiert am kommerziellen
Kino: die Filme von Scorsese, die Filme von Coppola. Die sind ja
an der Kasse auch gut gelaufen. Genrekino.
Wenn
Sie bei ihrem Debüt "Kurz und Schmerzlos" von dem
Einfluss des US-Kinos Scorsese, Coppola sprechen,
fällt bei "Im Juli" auf, dass Ihr Film komischerweise
immer mehr, je weiter wir uns in der Erzählung aus Hamburg
weg bewegen immer phantastischere Elemente bekommt.
Man fühlt
sich an die Filme von Emir Kusturica erinnert, wobei mit Branka
Katic auch eine Schauspielerin aus dem letzten Film von Kusturica
auftaucht. Emir Kusturicas Filme Filme aus dem Osten Europa
arbeiten mit einem phantastischen Realismus, Sie tun das
jetzt auch. Ist "Im Juli" mehr europäischer Film
als "Kurz und Schmerzlos"? Von der Tradition, von der
Absicht, von dem Erzählrhythmus, von seinem Realismusbegriff
her?
Auf
jeden Fall. Ich wollte einen europäischen Film machen und wollte
zeigen, was mir näher liegt. Wenn wir heute über europäische
Filme reden, meinen wir meist Italien, Frankreich, Spanien, England.
Wir reden weniger
über Griechenland oder Türkei, oder wir reden weniger
über Jugoslawien oder Bulgarien und Rumänien. Und es kommen
wunderbare Filme aus diesen Ländern. Und das ist ein Europa,
was ein bisschen unentdeckter ist. Und es ist ein Europa, was ich
besser kenne, aus meinem Freundeskreis.
Die Geschichte
von "Im Juli" beginnt in Hamburg, geht in Richtung Osten
und endet in Istanbul. Eine Reise von West nach Ost, eben auch eine
emotionale Reise von West nach Ost.
Ist
die Reise nach Istanbul, Fatih Akin, für Sie als Drehbuchautor
und Regisseur, eine Reise von zu Hause in die Fremde oder ist das
von zu Hause nach zu Hause?
Von
zu Hause nach zu Hause. Es ist von Heimat A nach Heimat B. Und alles,
was dazwischen liegt, liegt dazwischen.
Die
Brücke in Istanbul, die von Europa nach Asien führt, ist
keine Exotik, sie ist Heimat?
Das
ist Heimat. Istanbul ist vielleicht neben Hamburg und Berlin
eine der Städte auf der Welt, in der ich leben möchte.
Die Stadt!
Ich bin sehr
gerne da, sie hat zwar immer noch eine Exotik für mich, weil
ich ja in Hamburg geboren wurde, aber auch etwas Vertrautes. Ich
spreche sehr gerne die Sprache, wenn ich da drüben bin, ich
höre sehr gern türkische Musik.
Das Land gibt
einem sehr viel Kraft, die Stadt gibt einem Kraft. Ich komme aus
der Stadt wieder, und ich habe tausend Ideen für tausend Filme.
Alan
Parker hat den Film "Midnight Express" gedreht, in dem
ein Amerikaner in einem türkischen Knast gefoltert, misshandelt,
vergewaltigt wird. Türkische Gefängnisse ich rede
nicht von der Realität, sondern hier von einem Kino-Bild, das
selbstverständliches, nicht hinterfragtes Zeichen in unserer
kulturellen Sicht auf die Welt ist -, diese Gefängnisse in
der Türkei sind die Hölle!
In Ihrem
Film "Im Juli" kommen ihre Hauptfiguren in ein türkisches
Gefängnis, und sie werden mit Respekt und Anstand behandelt
und am Ende der Szene von den Gefängniswärtern als "unsere
türkischen" Helden bejubelt, weil sie einen toten Türken
mit dem Auto von Hamburg nach Istanbul gebracht haben.
Ist so ein
Bild in Ihrem Film eine direktes Gegen-Bild zu dem Standard, für
den "Midnight Express" steht?
Ja,
absolut. Ich habe auch Elemente von"Midnight Express"
bedient. Ich wollte diese Elemente auch ein bisschen durch den Kakao
ziehen. Da steckt sehr viel Ironie in dieser ganzen Knastsituation.
Aber natürlich genauso die andere Seite, der Nationalstolz
der türkischen Knastwärter. Auch das wollte ich ein bisschen
durch den Kakao ziehen. Das sind fast die Szenen, die mir am meisten
Spaß gemacht haben.
Drückt
sich in diesem Durchbrechen von kulturellen (Kino-)Klischess - in
welche Richtung auch immer das politische Bewusstsein des
Filmemachers Fatih Akin aus?
Auf
jeden Fall!
(Das Interview
mit Fatih Akin führte Hartwig Tegeler in Hamburg, Ende Juli.)
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