6. Merkmale der Santería

6.1 Olodumare und die orishas

Wie in der Ursprungsreligion der Yoruba steht in der Santería Olodumare im Zentrum der Religion als allmächtiger Gott und allumfassender Schöpfer. Er wiederum teilt sich in drei Aspekte auf: Olodumare, Olorun und Olofi. Olodumare ist die Basis allen Seins, Olorun ist der Schöpfer des Universums und Olofi die Schöpfung selbst.160 Die santeros sehen Olodumare als das Zentrum und die regierende Macht des Universums, sie wenden sich allerdings nicht direkt an ihn, sondern an Olofi (mit Jesus Christus synkretisiert), der durch die orishas, die als seine Schöpfung eine Boten- und Vermittlerfunktion haben, agiert. Olodumare kommen keine Opfergaben zu, auch weihen sich ihm keine Priester. In einem patakí wird berichtet, dass er die Welt verlassen habe, weil er die Gier der orishas nicht ertragen konnte, die mit ihrer von ihm erhaltenen Macht nicht zufrieden waren, und weil er sich mit der Erde so sehr verbunden fühlte, dass ihn jegliches Sterben der Natur schmerzte. Er schuf deswegen eine Grenze zwischen Himmel und Erde und ließ seine orishas zurück, die ihre Aufgabe als Botschafter zwischen ihm und den Menschen erfüllen sollten. Diese orishas nun sind Olodumares Schöpfung und somit seine Kinder. González-Wippler definiert die Santería deswegen als monotheistische und nicht als polytheistische Religion, denn die orishas werden nicht als Gottheiten, sondern vielmehr als Schutzengel verehrt.

Im yorubischen Pantheon gibt es laut Schätzungen bis zu 600 orishas, dagegen werden in der Santería lediglich etwa zwei Dutzend von ihnen verehrt, von denen wiederum nur etwa die Hälfte als besonders wichtig gilt. Es gibt sieben Gottheiten, die während der Inititiation eines Neulings zum santero oder zur santera, d h. Priester, von der betreffenden Person Besitz ergreifen können, sich quasi in die Köpfe der Initiierten hineinpflanzen". Ein häufig gebrauchtes Bild dafür ist das Besteigen von Pferden, wobei in diesem Fall die santeros als Pferde von den orishas bestiegen" werden und der Reiter" den Gläubigen dominiert. Diese orishas werden als Siete Potencias Africanas bezeichnet. Während der Besessenheit sprechen sie durch die Menschen, ihre Kinder", in der Initiationszeremonie geben sie beispielsweise preis, welcher orisha Anspruch auf den Neuling erhebt, und überträgt ihm somit das notwendige ashé, d. h. die Fähigkeit, bestimmte Dinge zu verrichten, die sie sonst nicht durchführen könnten, z. B. das Kaurimuschel-Orakel als Wahrsagesystem zu benutzen. Diese orishas, denen zudem eine besondere Verehrung zukommt, heißen: Obatalá, Elegguá, Yemayá, Oshún, Changó, Ogún und Oyá. Ein weiterer äußerst wichtiger orisha heißt Orunmila, in der Santería auch Orula oder Ifá genannt. Die Namen einiger weiterer bedeutsamer orishas lauten Babalú-Ayé, Olokún, Aggayú, Yewá, Obbá, Dadá und Orishaoko, die sich mit Ausnahme von Aggayú und Babalú-Ayé aus verschiedenen Gründen nicht durch Besessenheit manifestieren, denen zu Ehren aber gesungen und getanzt wird. Ein Grund, weswegen sie in Ritualen nicht mehr in Erscheinung treten, könnte sein, dass das Wissen, wie die Besessenheit dieser orishas hervorgerufen wird, auf dem Weg nach Kuba verloren gegangen ist.

Die Anzahl der orishas in Kuba ist zwar stark reduziert, doch werden die meisten von ihnen in mehrere Aspekte, in sogenannte caminos, aufgeteilt, innerhalb derer sie unterschiedliche Charakterzüge aufweisen und in denen sie entsprechend ihres Verhaltens und der äußeren Merkmale mit unterschiedlichen katholischen Heiligen synkretisiert werden. Barnet erklärt die Unterteilung in caminos u. a. als ein Resultat der bereits in Afrika stattgefundenen Veränderungen innerhalb des Pantheons aus sozialen und politischen Gründen, z. B. durch Invasionen. Diese Veränderungen haben bewirkt, dass einige orishas an Wert verloren, zu niederen Wesen wurden, während andere an Bedeutung gewannen. Am Beispiel des weiblichen orishas Yemayá und der Unterordnung des einst selbst mächtigen und verehrten orishas Olokún als einen ihrer Aspekte wird der Verlust der Bedeutung dieser Gottheit deutlich.

Die in Kuba hauptsächlich verehrten orishas, die Siete Potencias Africanas, haben folgende Merkmale:

Elegguá (Elegba, Eschu, Echu)

Er ist der Herr der Straßen, Straßenkreuzungen und Türen. Seine emblematischen Farben sind Rot und Schwarz, seine Pflanzen u. a. Basilikum und Brennesseln. Zu seinen Lieblingsspeisen zählen geräucherter Fisch, Yamswurzeln und Zuckerrohr. Zudem trinkt er gern aguardiente, d. h. Branntwein.

Nach Belieben schenkt er uns Frieden oder Krieg, Glück oder Unglück. Sein Wesen kann man folglich als ambivalent beschreiben. Seine Hauptfunktionen sind die Vermittlung von Botschaften der Menschen an die orishas und den Allmächtigen. Er muss bei allen Ritualen als erster begrüßt werden und auch als erster seine Opfergaben erhalten. Diese Sonderstellung räumt man ihm ein, weil man ihn nicht verärgern will. Denn ohne Eshus Einwilligung kann und wird nichts geschehen.

Jeder santero besitzt eine persönliche Elegba-Figur am Hauseingang. Er wird in der Santería meistens mit Antonius von Padua synkretisiert, aber in einigen Teilen des Landes auch mit Niņo de Atocha, Benito von Palermo und als Schutzpatron der armen Seelen aus dem Fegefeuer. Im Christentum hat man ihn mit dem Teufel verglichen, doch ist diese Auslegung sicherlich nicht zutreffend, denn er steht vielmehr jenseits von Gut und Böse und stellt die Gegensätzlichkeiten der Dinge dar. In der Santería soll er bis zu 21 caminos haben, in denen er jeweils in unterschiedlicher Art und Weise auftritt. In einigen von ihnen wird er als alter Mann dargestellt, in anderen als junge und dynamische Person.

Ogún (Oggún)

Ogún ist der Herr des Eisens, Gott der Mineralien, Wälder, Schlüssel, Gefängnisse und der Werkzeuge und stellt somit den Patron der Mechaniker, Ingenieure und Soldaten dar. Seine Farben sind Grün und Schwarz. Seine Pflanzen sind u. a. Eukalyptus, Eichenblätter und Paprika, seine Lieblingsspeisen sind geräucherter Fisch, Opossum und in Blut getränkte Yamswurzel. Auch er trinkt gern aguardiente und ist ebenfalls eine ambivalente Figur, die einerseits den Beschützer in der Wildnis darstellt, andererseits aber auch wild und unberechenbar sein kann. In der Santería hat er insgesamt sieben caminos. Zwei von diesen werden einerseits mit dem heiligen Petrus, als Herr der Schlüssel des Himmels, und andererseits mit dem Erzengel Michael dargestellt, in dessen Gestalt er Kriege und Zerstörung provoziert. Seinen Schützlingen bietet er Hilfe bei der Suche nach Arbeit an, und er beschützt seine Kinder" vor körperlichen Überfällen. Andererseits hat er bei schlimmen Unfällen mit gravierenden Verletzungen seine Hand im Spiel. In Ritualen trinken seine Anhänger große Mengen Rum und tanzen während der Besessenheit einen kriegerischen Tanz, in dem sie ihre Macheten schwingen. Er gehört mit Elegguá und Ochosi zu den orishas, die in der Initiation der guerreros empfangen werden.

Obatalá

Obatalá stellt die pure in Weiß gekleidete Gottheit dar, und auch seine Anhänger sind in Weiß gekleidet. Er gilt als die Personifikation höchster ethischer Gesinnung. Seine Pflanzen sind u. a. Baumwolle, Mandeln und Minze, seine Lieblingsspeisen weiße Hühner, Ziegen und Yamswurzel. Er verabscheut Alkohol jeglicher Art. Da er die Reinheit verkörpert, dürfen vor seinem Altar weder die Körper entblößt noch geflucht werden. Er ist der Herr des Kopfes, der Träume und Gedanken, Herr der Barmherzigkeit und des Friedens und das Symbol der männlichen Potenz, welche die Frauen fruchtbar macht. Sein Symbol des Friedens ist die weiße Taube. Von Olodumare ausgesandt, um die Menschen zu erschaffen, formte er sie aus Erde, und Olodumare blies ihnen den Lebensatem ein. Innerhalb der Synkretisierung wird er mit der Virgen de las Mercedes dargestellt, sein Feiertag findet im September statt. Seine Aspekte zählen insgesamt 24 caminos, in manchen von ihnen wird er als weiblich dargestellt. Diese Eigenart stammt wahrscheinlich von den Yoruba, die Obatalá häufig als androgynes Wesen dargestellt haben.

Yemayá

Sie gilt als eine der wichtigsten orishas in Kuba. Sie ist die Herrin des Salzwassers, weswegen die für sie bestimmte Opfergaben ins Meer geworfen werden, und zugleich Mutter der gesamten Menschheit. Sie wird mit der Virgen de Regla, der Patronin der Seeleute, dargestellt, ihre Farben sind Kristallfarben und Blau. Ihre Pflanzen sind u. a. grüner Paprika und anamu, eine Knoblauchpflanze auf Kuba, ihre Speisen sind Lämmer, Enten und Wassermelonen. Nach den Legenden war sie mit mehreren orishas verheiratet und hatte eine Reihe von Affären mit anderen. Sie ist in sieben caminos unterteilt, die jeweils ihr eigenes Reich besitzen. Beispielsweise lebt Malewo in den Seen, Olokún in der Tiefe des Ozeans. In dem Aspekt Okutti zeigt sie ihr gewaltsamstes Gesicht, Asesu scheint sehr schwerfällig, wenn es um die Antwort auf Gebete geht.

Oshún (Ochún)

Sie symbolisiert die Schönheit und die körperliche Liebe. Während Yemayá die Herrin des Salzwasser darstellt, ist sie die Hüterin des Süßwassers. In der Regla de Ocha wird sie als Virgen de la Caridad de Cobre dargestellt. Ihre Ritualfarbe ist Gelb, ihr Attribut das Gold. Ihre Pflanzen sind u. a. Rosen, Sonnenblumen und Orangenblätter, ihre Lieblingsspeisen Ziegen, Schafe und Kürbisse. Sie trinkt mit Vorliebe Kamillentee, wobei das Wasser aus Flüssen stammen muss. Sie tritt stets in Begleitung von Yemayá auf und ist im besonderen eine Hilfe für die Schwangeren und Gebärenden. Als die orisha der körperlichen Liebe hat sie natürlich viele Liebesaffären mit männlichen orishas gehabt, von denen Changó ihre große Liebe darstellt. Ihre Geheimwaffe, die orishas zu bezaubern, ist eine Flasche mit Honig, die sie immer bei sich trägt. Benetzt sie die Lippen der Begehrten, können diese ihrem Zauber nicht widerstehen und verfallen ihrem Charme und ihrer Schönheit. Sie hat fünf caminos, u. a. Yeye Cari, Yeye Moru und Yeye Miwa.

Changó (Shangó)

Er ist der Gott des Donners und des Blitzes, der Krieger, der Musik und des Tanzes. Er symbolisiert zudem die männliche Schönheit. Seine Tugenden sind Fleiß und Mut. Seine Schwächen dagegen sind Eitelkeit und die Spielsucht. Er gilt als Herzensbrecher und Frauenheld und deckt mit diesen Eigenschaften viele Facetten des menschlichen Charakters ab. Sein Festtag fällt auf den der Heiligen Barbara im Dezember. Seine Farben sind Rot und Weiß, sein Symbol ist die Doppelaxt. Seine Pflanzen sind u. a. Weinranken, Bananenstauden und Apfelbäume, er ißt mit Vorliebe Schwein, Ziege oder Wild. Da Apfelbäume und Bananenstauden zu seinen Pflanzen zählen, gehören Äpfel und Bananen zu seinen bevorzugten Früchten, und er trinkt Rotwein in großen Mengen. Historisch gesehen ist er der vierte König des Stadtkönigreiches Oyo in Nigeria. Ein patakí erzählt, dass seine Herrschaft nur sieben Jahre lang andauerte, denn er war besessen von Magie und Zauber. Eines Tages beschwor er ein großes Gewitter herauf, bei dem viele seiner Frauen und Kinder umkamen. Voller Trauer ging er in den Wald und erhängte sich. Changó hat insgesamt 12 Aspekte, bei den Yoruba hat er drei Frauen: Obá, Oshún und Oyá. In der Santería ist er mit Oyá verheiratet, die beiden anderen orishas sind hier seine Konkubinen.

Oya

Sie ist die orisha der Winde, Stürme und des Flußes Niger. Als die Frau Changós besitzt sie beinahe ebenso große Kräfte wie der orisha des Blitzes selbst. Sie gilt als aggressiv und kämpferisch. Im Falle eines Ehestreites ist sie ihrem Mann ebenbürtig, und so fällt das Ergebnis meistens unentschieden aus. Ursprünglich Herrscherin über die Meere, ist sie nun die Herrin des Friedhofs, den sie von Yemayá übernahm, da das Grundstück ihr aufgrund der Größe gefiel. Ohne es zu betreten, tauschte sie es gegen ihre Meere ein. Als sie jedoch sah, was sie da übernommen hatte, war sie sehr wütend, konnte den Vertrag jedoch nicht rückgängig machen. Seitdem sind die beiden orishas Feindinnen und gehen sich aus dem Weg. Ihre Farbe ist Weinrot, sie mag Papaya, Hühner und Ziegen und wird mit der Virgen de La Candelaria oder Sankt Teresa synkretisiert.

6.2 Orakelsysteme

In der Santería gibt es insgesamt drei Orakelsysteme: tablero de ifá, diloggún und obi (Biagué). Das ifá-Orakel, bei dem Samen oder Nüsse in Kombination mit einem Holzbrett benutzt werden, ist das komplexeste und wird nur von den babalaos durchgeführt. Das diloggún, ein System mit Kaurimuscheln wird dagegen nur von den santeros befragt, während obi von beiden als das am häufigsten angewandte System in beinahe jedem Ritual zu Rate gezogen wird.

Das tablero de ifá ist ein Orakel, dessen Befragung, wie bereits erwähnt, nur durch die babalaos vollzogen werden kann, die durch die Weihung des orishas Orula und durch jahrelange Studien die Orakelgeheimnisse kennen. Orula wird in Kuba auch Ifá genannt, was allerdings auf harte Kritik bei den Yoruba stößt, denn er ist ihrer Meinung nach zwar stark mit dem Orakel verbunden, ist aber nicht eins mit ihm, sondern lediglich der Botschafter. Nach der Legende war der orisha bei der Schöpfung der Erde anwesend und kennt deswegen das Leben eines jeden Menschen. Die Gläubigen der Santería glauben an ein von Gott vorherbestimmtes Schicksal, das jedoch durch bestimmte Handlungen beeinflusst werden kann. Dabei ist nun Orula behilflich, der als Vermittler zwischen den orishas und den Menschen durch das tablero de ifá spricht. Zudem weiß er um die Vorlieben der orishas, wodurch er den Menschen raten kann, wie sie sich ihnen gegenüber am besten verhalten sollten, und seine Tätigkeit macht die Kommunikation mit den anderen orishas erst möglich. Seine Entsprechung im Katholizismus ist Franz von Assisi, seine emblematischen Farben sind Grün und Gelb. Er manifestiert sich niemals in Form von körperlicher Besessenheit, seine Zeichensetzungen sind rein intellektueller Natur.

Der Erwerb der Kunst, das ifá-Orakel zu lesen, ist ein langjähriger Prozeß, in dem eine Vielzahl an Legenden und Geschichten auswendig gelernt werden muss.

Während einer Zeremonie nimmt der babalao 16 Samenkerne oder Nüsse in die eine Hand und lässt sie in die andere gleiten. Je nachdem, wie viele Samen in der Hand verbleiben, notiert er einen Strich oder eine Null. Durch die achtmalige Durchführung dieses Prozesses entsteht eine Strichkonstellation, die auf die letras oder oddus, eine Art Kapitel der Yoruba-Mythen, hinweist. Insgesamt gibt es 4096 mögliche Kombinationen, die nur durch die besonderen Fähigkeiten und langjährigen Erfahrungen der babalaos interpretiert werden können, denn diese oddus sind zumeist nicht eindeutig. In der Santería spricht man auch in diesem Fall von ashé, der spirituellen Kraft des babalaos, auf die er vertrauen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Deswegen werden in Nigeria die babalaos meistens bereits seit ihrer Kindheit auf ihre Aufgabe vorbereitet, da das Auswendiglernen der Legenden und das Erlernen der Interpretationen viel Zeit und Erfahrung erfordert, und trotz intensiver Studien werden sie das System aufgrund seiner Komplexität niemals vollständig beherrschen können. In Kuba besitzen die babalaos ein Buch, in dem die zur Analyse der oddus notwendige Mythologie geschrieben steht.

Während das ifá-Orakel bei den Yoruba in allen erdenklichen Situationen befragt wird und obwohl es zudem generell als das zuverlässigste gilt, stehen in der Santería die anderen beiden Orakelsysteme im Vordergrund.

Die Kaurimuscheln, diloggún, gelten als die Münder" der orishas. Dieses System ist wesentlich einfacher als ifá, denn es wird mit lediglich 16 oddus gearbeitet, die durch 16 Kaurimuscheln festgelegt werden. Bei einem Wurf hängt es davon ab, auf welche Seite diese fallen, d. h. mit der Öffnung entweder nach oben oder unten. Auf diese Weise kommen die letras für die konsultierende Person zustande.

Das am häufigsten angewandte System, das allerdings nicht im Sinne eines registros, d. h. als Wahrsagesystem benutzt wird, sondern vielmehr in Ritualen und Zeremonien befragt wird, um die Meinung der orishas einzuholen, ist das obi oder Biagué. Hier werden vier Stücke einer getrockneten Kokosnuss benutzt. Es werden Fragen gestellt, die man mit ja oder nein beantworten kann. Mögliche Fragen an die orishas wären, wohin die Opfer gebracht werden sollen, damit sie von ihnen abgeholt" werden können, oder ob diese mit der Zeremonie und den Opfergaben zufrieden sind. Um eine Antwort zu erhalten, werden die Stücke auf den Boden gewürfelt, und je nachdem, ob sie auf die weiße oder braune Seite fallen, lauten die Antworten entsprechend unterschiedlich. Hierbei gibt es fünf mögliche Kombinationen: Wenn alle Stücke mit der weißen Seite nach oben fallen, lautet die Antwortet Ja". In der Kombination dreimal weiß und einmal braun, lautet das Ergebnis Vielleicht", und die Stücke müssen noch einmal gewürfelt werden. Zweimal weiß und zweimal braun stellen die beste Antwort, ein definitives Ja", dar, während die Antwort einmal weiß, dreimal braun ein Nein" bedeutet. In diesem Fall müssen die Würfe wiederholt werden, um die Probleme näher zu bestimmen. Am negativsten fällt das Ergebnis aus, wenn alle vier braune Stücke auf die Oberseite fallen. Dies bedeutet ein definitives Nein" und sagt ein Unglück oder einen eventuell bevorstehenden Tod voraus. Die Stücke werden auch hier erneut gewürfelt, um ein Mittel zu finden, das Unglück eventuell abzuwenden.

Obwohl dieses System sehr einfach erscheint, sollte man es nach Meinung der Gläubigen nicht unterschätzen. Ein Laie sollte es niemals anwenden, denn fällt die Antwort negativ aus und der Betreffende weiß nicht, wie er das Ergebnis neutralisieren kann, wendet sich das Unglück möglicherweise gegen ihn.

Die Kokosnussbefragung ist erst in Kuba entstanden. Ursprünglich haben die Yoruba die Früchte des Kolabaumes, Kolanüsse, für dieses System benutzt, da in Kuba jedoch keine wuchsen, hat man sie durch Kokosnüsse ersetzt. Der erste Mensch, der diese als Orakelsystem benutzte, war ein gewisser Biagué, weswegen das Orakel auch oráculo de Biagué genannt wird. Den Begriff obi, der Kolanuß in Yoruba bedeutet, haben die Kubaner für die Kokosnuß übernommen.

Die Geschichte, weshalb die Kokosnuss außen braun und innen weiß ist und weswegen sie zum Orakellesen benutzt wird, lautet wie folgt: Obi, ein Sohn Obatalás, war einmal ein Prinz, der ein wundervolles Schloss hoch oben in den Palmenbäumen bewohnte. Er trug stets weiße, sehr noble Kleidung, denn Obatalá hatte ihn zum Haupt-orisha einer fruchtbaren Gegend ernannt. Da ihn viele Könige aufsuchten, um ihm ihren Respekt auszusprechen, wurde er mit der Zeit arrogant und eingebildet. Sein Bruder Elegguá bemerkte, dass Obi nur die reichen und respektierten Bürger seines Reiches empfing, die armen jedoch vernachlässigte, und entschloss sich, als Bettler verkleidet, zu einem der festlichen Empfänge zu gehen. Natürlich wurde ihm kein Einlass gewährt, da niemand ihn erkannte und ein Bettler nicht willkommen war. Also ging Elegguá zu Obatalá und erzählte ihm den Vorfall. Obatalá verkleidete sich nun selbst als Bettler, und zusammen gingen sie zum Schloss. Natürlich wollte Obi sie nicht einlassen, sondern befahl, die beiden in den Kerker zu werfen. Doch Obatalá gab sich zu erkennen, woraufhin Obi vor ihm auf die Knie fiel und ihn um Verzeihung bat. Doch sein Vater verfluchte ihn mit den Worten: Von nun an wirst du deine weiße Kleidung in dir tragen. Außen wirst du schäbige braune Lumpen tragen müssen, du wirst immer wieder vom Baum herab fallen, Kinder werden dich treten, deine Geschwister und die Menschen werden dich in Stücke schneiden und dich als das einfachste Orakel benutzen, und niemand soll dich je wieder verehren." Und so entstanden die Kokosnuss und das obi-Orakel.

 

6.3 Initiationen

Das gesamte Religionssystem basiert im eigentlichen auf den Initiationszeremonien. Mit den stufenweise vollzogenen Ritualen steigt der Mensch in der Hierarchie innerhalb der Religion auf, da auch sein Wissen mit jeder weiteren Stufe wächst und sein Glaube sich entsprechend intensiviert. Das Lernen des Neulings erfolgt durch die direkte Anleitung eines Lehrers oder durch das Beobachten des Verhaltens der santeros während der vielen Rituale und Zeremonien, an denen er teilnimmt. Jeder Aspirant benötigt für die verschiedenen Initiationen einen padrino, Paten, oder eine madrina, Patin, die selbst anerkannte und bewährte santeros bzw. santeras sein müssen. Diese kümmern sich um die Vorbereitungen und den gesamten Verlauf der Zeremonien, wofür sie entsprechend bezahlt werden. Viele santeros haben so die Möglichkeit, die zum Teil sehr hohen Kosten ihrer eigenen Initiationen wieder einzuholen. Mit Ausnahme der Initiation der guerreros, Krieger, benötigt der Neuling außerdem einen Assistenten für den Paten. Es gibt folgende Initiationen innerhalb der Santería: elekes (Perlenketten), guerreros (Krieger), santeros (Priester) und babalaos (Hohepriester).

In der elekes-Initiation, die als erste Stufe gilt, werden fünf geweihte Glasperlenketten der orishas Elegguá, Obatalá, Changó, Yemayá und Oshún vergeben. Diese bestehen aus den Farben der jeweiligen orishas, beispielsweise besteht die Kette des Obatalá aus weißen Perlen, da seine emblematische Farbe Weiß ist. Jede dieser Ketten repräsentiert einen orisha, und so beschützt jeder dieser fünf den Initiierten in seinem jeweiligen Machtbereich.

Hat man erst diese fünf Ketten erhalten, können nach Belieben weitere folgen. Die nächsten sehr beliebten orishas heißen Oyá, Babalú-Ayé, Aganyú und Ogún. Allerdings kann es vorkommen, dass die Hohepriester, die gewöhnlich diese geweihten Ketten vergeben, einigen Menschen davon abraten, bestimmte elekes zu tragen oder es als nicht notwendig erachten. In manchen Fällen scheint nur eine einzige Kette auszureichen, um den Menschen zu schützen.

Bevor der Aspirant sich der elekes-Zeremonie unterzieht, muss er bestimmte Regeln befolgen, von denen eine die sexuelle Enthaltsamkeit mindestens 24 Stunden vor Beginn lautet. Das Ritual besteht zunächst aus einem Bad in einer Kräutermischung, omiero. Danach wird der Gläubige in weiße Kleidung gehüllt, der Pate oder der Assistent spricht ein Gebet und befragt das Kokosnussorakel, ob die Zeremonie zur Zufriedenheit des persönlichen orishas des Aspiranten erfolgt ist. Erst jetzt erhält dieser seine Ketten.

Die guerreros unter den orishas heißen Elegguá, Ogún und Ochosi, göttlicher Jäger und somit ebenfalls Patron der Jäger, die er beschützt und denen er hilft, Beute aufzuspüren. Weiterhin soll er Macht über neue Häuser und Städte haben. Deswegen wenden sich Menschen, die in ein neues Haus ziehen, an ihn. Ebenfalls wichtig sind seine Fähigkeiten im administrativen und rechtlichen Bereich. Gerät jemand mit dem Gesetz in Konflikt, fragt er Ochosi um Rat. Synkretisiert wird er in Kuba mit Sankt Norbert. Seine Farben sind Blau und Grün. Der mindere orisha Osún ist zwar kein guerrero, wird aber ebenfalls in dieser Initiation empfangen. Seine Aufgabe ist es, das Haus zu hüten und die Gläubigen vor Gefahren zu warnen.

Während dieser Zeremonie werden Elegguá als Zementfigur, Ogún als ein Arbeitswerkzeug aus Metall, Ochosi als Armbrust und Osún als Hahn auf einer Tasse mit kleinen Glöckchen symbolisch vergeben. Diese dienen als Schutz vor Gefahr, Feinden, Unfällen und Überfällen. Sie helfen dem Gläubigen ebenfalls, materiellen Wohlstand zu erlangen. Das Empfangen der guerreros ist mit Verpflichtungen verbunden. Um sich ihrer Hilfe sicher zu sein, muss man ihnen besonders montags Zeit widmen und ihnen Opfergaben bringen. Bittet man sie um ihre Hilfe, muss man ihnen als Dank etwas schenken. Außerdem dürfen die Initiierten in dem Raum, in dem sie die Symbole aufstellen, keinen Sex haben und sich dort vor ihren Augen" nicht nackt zeigen. Eine Frau darf die Symbole während ihrer monatlichen Blutung nicht berühren.

21 Tage nach der Initiation findet eine Abschlusszeremonie als Bestätigung für den Einzug" der orishas in das neue Haus statt, bei der das Orakel befragt wird, ob sie zufrieden sind.

Mit diesen zwei Initiationen hat man bereits die Hälfte des ganzen Prozesses als werdender santero durchlaufen. Sie werden daher als halbes asiento, d. h. die Initiation als Priester der Santería, anerkannt, denn in den USA werden die meisten Menschen, die diese zwei Initiationen vollzogen haben, schließlich santeros. In Kuba ist dies jedoch traditionell nicht der Fall, dort sind nur einige wenige dazu berufen, dieses Amt auszuüben. Während dieses äußerst kostspieligen asientos, das in den USA bis zu $ 10.000, abhängig von dem jeweiligen orisha, kosten kann, erhebt der persönliche orisha des Aspiranten Anspruch auf den Kopf seines Kindes, omo, der in der Santería das Zentrum des Menschen darstellt. Die Vorbereitungszeit in Kuba dauert bis zu drei Jahre, in den USA kann die Zeit auf drei Monate verkürzt werden. Das eigentliche asiento dauert anschließend drei Tage, dessen Zeremonien geheim sind und in denen der Aspirant, aleyo, seiner Gemeinde vorgestellt wird. Er stirbt einen symbolischen Tod und wird als santero neu geboren. Auch erlebt er zum ersten Mal die Besessenheit seines Körpers durch seinen orisha. Nach dem asiento bleibt der Gläubige ein Jahr lang Novize, iyawó. Er unterliegt in dieser Zeit einigen Tabus, andere muß er zum Teil sein ganzes Leben lang einhalten. Eine Regel, die nur während dieses Jahres gilt, ist das Tragen von weißer Kleidung und das Bedecken des während des asientos kahlgeschorenen Hauptes, bis das Kopfhaar wieder nachgewachsen ist. Der Schüler wird in dieser Zeit in die Religion eingeführt, er wird mit sämtlichen Regeln und Ritualen vertraut gemacht und lernt sogar ein wenig Yoruba, um bei bestimmten Zeremonien Gebete in dieser afrikanischen Sprache sprechen zu können. Insgesamt kann man den Prozess als eine Art Säuberung beschreiben, das Neugeborene" lernt ein neues Leben zu leben, bis es nach dem Jahr den Status eines Erwachsenen erreicht. [...] como si fuera un niņo que está aprendiendo a vivir su nueva vida; hasta alcanzar un aņo después la Mayoría de Edad."

Als das höchste Amt in der Religion, das allein den Männern vorbehalten ist, gilt das des babalaos. Innerhalb der Initiationshierarchie der Santería sind in Kuba die meisten Männer, die sich als Hohepriester weihen lassen, vorher santeros gewesen.

Diese Initiation kann nur unter strengster Geheimhaltung stattfinden, und der Aspirant muß einen Schwur leisten, den Vorgang der Zeremonie niemals an Außenstehende weiterzugeben. Mittlerweile sind jedoch einige Informationen nach außen gedrungen. Augenscheinlich dauert die Initiation eine Woche, während der der Neuling in völliger Abgeschiedenheit lebt und nur zu anderen babalaos Kontakt hat, die ihn in dieses Amt einführen. Schwere körperliche Züchtigung scheint dabei einen Teil der Initiation darzustellen. Das Ziel dieser Einweisung ist der Verzicht auf sein bisheriges Leben und die vollständige Akzeptanz seiner neuen Rolle als babalao. Im Laufe der Woche schließt er weiterhin einen Pakt mit dem Tod, der nun keinerlei Ansprüche mehr auf ihn erheben kann, ohne den orisha Orula, dem der zukünftige Hohepriester von nun an geweiht ist, zu fragen. Diese in der Hierarchie an höchster Stelle stehende Initiation ist gleichzeitig die, die am tiefsten in der afrikanischen Religion verwurzelt ist. Deswegen werden alle während der Initiation stattfindenden Konversationen fast ausschließlich in Yoruba geführt. Nicht alle Männer sind dazu berufen, den Titel babalao zu führen, denn sie müssen als moralisch besonders rein und gut gelten und dürfen nicht homosexuell und nicht als spirituelle Medien tätig sein.

 

6.4 Die Bedeutung von Pflanzen und Kräutern in der Religion

Pflanzen und Kräuter stellen einen wichtigen Bestandteil innerhalb der Religion dar. Alle santeros sind Heilpflanzenkundler und verfügen über große Kenntnisse hinsichtlich der medizinischen Wirkung der Pflanzen. Das Praktizieren einer alternativen Heilmethode bedeutet jedoch nicht, dass die Santería dem wissenschaftlichen Fortschritt ablehnend gegenübersteht. Sie setzt vielmehr ihre eigenen Behandlungsweisen ein, wenn anerkannte moderne Methoden versagen.

Weiterhin sind Pflanzen und Kräuter für praktisch jedes Ritual notwendig. Diese werden von einem babalao geholt, der sie wiederum von einem osainista, einem dem orisha Osain geweihten Priester erhält. Die Kräuter müssen frisch sein und dürfen eigentlich nicht mit Geld erworben werden. In Kuba geht allein der osainista in die Wälder, um die notwendigen Pflanzen zu sammeln. Die Naturverbundenheit der Religion ist hier noch deutlich zu erkennen: Everything comes from the forest, from the fertile womb of the earth, say the santeros." In den USA ist diese Weiterführung der Tradition allein schon aufgrund des Klimas nicht mehr möglich. Deswegen entstanden besonders in New York sogenannte botánicas, spezielle Geschäfte, die allerlei Zubehör für die Durchführung von Zeremonien führen. Die Eigentümer dieser Läden importieren die Pflanzen aus Puerto Rico oder der Dominikanischen Republik. Aber auch in Miami hat man mittlerweile begonnen, einige Kräuter anzupflanzen, die dort aufgrund des subtropischen Klimas wachsen können.

Die Gläubigen sind von den magischen Kräften der Pflanzen überzeugt, diese können allerdings nur von Hexern oder Priestern freigesetzt werden. Beispielsweise existiert ein Ritual, genannt despojos, in dem bestimmte, durch das Orakel festgelegte Kräuter benutzt werden, um böse Geister aus dem Leib zu entfernen. Der Körper wird dazu mit den Pflanzen eingerieben, die das Böse eliminieren. Auch gibt es bestimmte Kräuterbäder, die dazu dienen, einem Menschen in schwierigen Situationen zu helfen. Auf diese Weise kann man z. B. eine geliebte Person für sich gewinnen oder einen guten Arbeitsplatz finden.

Die wichtigste Kräutermischung ist das omiero, das für fast alle Rituale, vor allem für ein asiento, in der Santería unentbehrlich ist. Es besteht aus mindestens 21 verschiedenen frischen Kräutern, die in Regenwasser zerstampft werden, wodurch ein Heiltrank entsteht, den die Gläubigen auch als Mittel gegen Beschwerden, besonders in der Magengegend, trinken. Es wird weiterhin zur Weihung der Glasperlenketten der orishas und der Kaurimuscheln als Orakelsystem verwendet. Während eines asientos werden alle zubereiteten Speisen mit omiero gewürzt.

Jede Pflanze ist einem oder mehreren orishas zugeordnet. Jedoch ist der uneingeschränkte Herrscher des Waldes und König über alle Pflanzen und Bäume der orisha Osain. Dargestellt wird er als einzelgängerischer Krüppel, mit nur einem Bein, Arm und Auge. Er hat ein sehr großes Ohr, auf dem er taub ist und ein sehr kleines, mit dem er sogar das Fallen von Blättern auf die Erde hören kann. Seinen großen Kopf hält er meistens unter einer Strohmaske bedeckt. Trotz seiner fehlenden Glieder gilt er als Meisterbogenschütze. Der Grund, weshalb er ein Krüppel ist, wird mit dem folgenden patakí erklärt: Er verliebte sich einst in die orisha Oyá und versuchte sich ihr zu nähern. Da sie jedoch die Konkubine des Changó ist, des orishas des Blitzes und Donners, wurde dieser eifersüchtig und warf einen Blitzstrahl auf Osain herab, der dadurch seine Glieder verlor und seitdem als Krüppel mit einem Stock durch die Wälder hinkt.

Die Gläubigen lassen sich häufig den beliebten Osain-Talisman durch einen babalao oder santero anfertigen. Der zuletzt genannte füllt dabei geheime Ingredienzen in eine Flasche, die an der Decke des Hauses aufgehängt werden sollte. Der babalao dagegen legt ebenfalls geheime Ingredienzen in ein Tierfell, das der Gläubige immer bei sich tragen muss. Dieser Glücksbringer hilft beim Geldverdienen und ist vor allem für beruflich selbständig tätige Menschen nützlich.

 

6.5 Opfergaben in der Santería

Opfer für die orishas zu bringen, stellt einen weiteren wichtigen Aspekt innerhalb der Religion dar. Opfergaben sind jedoch nicht nur Merkmal dieser Religion, sondern es hat sie in vielen Kulturen, wie z. B. dem Judentum, gegeben, und in Indien werden sie auch heute noch dargebracht.

Im Alten Testament forderte Gott von den Menschen häufiger ein Opfer, wie es beispielsweise bei Abraham der Fall war, von dem Gott verlangte, seinen Sohn Isaak zu opfern, um seine Treue und Liebe zu Gott unter Beweis zu stellen. Nur durch das letzte große Opfer, bei dem Gott sich selbst durch das Leid und die Kreuzigung von Jesus Christus darbringt, sind im Christentum keine weiteren Opfer notwendig.

In der Santería hängt die Art der Opfer erstens von dem jeweiligen orisha ab, der eine Vorliebe für bestimmte Sachen hat, andere dafür verweigert, zweitens wird immer das Orakel befragt, was diese Gottheiten von ihren omos in verschiedenen Situationen, z. B. im Fall einer begangenen Sünde, fordern. Die Orakelbefragung hängt also eng mit der Darbringung von Opfern zusammen. Dabei kann das erwartete Opfer nur aus einer Kerze bestehen oder ein Tieropfer bedeuten, das als größtes aller Opfer gilt. Es muß nur stets darauf geachtet werden, dass die Gaben immer dem Willen der orishas entsprechen, da ein von ihnen nicht gewolltes Opfer als extreme Beleidigung gilt.

In der Santería kann man das Darbringen von Opfern in fünf Kategorien einteilen: Opfergabe als Dank für den Schutz der orishas, als Buße für eine begangene Sünde, als Vorbeugung, um sich den Schutz der orishas zu sichern, in der Initiationszeremonie, in der durch das Blut der Opfertiere dem Neuling die Kraft der orishas (ashé) gegeben wird und ihn von seinen Sünden in der Vergangenheit befreit, und ein Tieropfer als Ersatz für das Leben eines Menschen, das in Gefahr schwebt.

Wie bereits erwähnt, werden nicht immer Tiere als Opfer gefordert. Gleichermaßen entscheiden die orishas, was mit ihren Opfertieren geschehen wird, in bestimmten Ritualen wird das Tier von der Gemeinschaft verzehrt, in anderen Fällen jedoch wird es an bestimmte Stellen gelegt, damit der jeweilige orisha es selbst verspeisen" kann. Beispielsweise legen die Gläubigen ihre Opfer für Elegguá an Straßenkreuzungen hin, und die für Yemayá werfen sie ins Meer. Im allgemeinen, bis auf wenige Ausnahmen, werden die geopferten Tiere nur während einer Initiationszeremonie und bei Danksagungsfesten von der Gemeinschaft verzehrt.

In den USA haben die Opferpraktiken der dort inzwischen weit verbreiteten Santería zu einigen Konflikten geführt. Tierschutzvereine haben sich gegen diese Opfer gewandt, und auch einige santeros tendieren mittlerweile dahin, Tieropfer gänzlich zu vermeiden. Obwohl man dies im Sinne des Tierschutzes als eine eigentlich positive Entwicklung betrachten kann, ist ohne Tieropfer die Ausübung der traditionellen Religion nicht möglich. Anfang der 90er Jahre klagte die Stadt Hialeah, Florida, gegen die rituelle Tötung von Tieren in der Santería. 1993 entschied das U.S. Supreme Court jedoch zugunsten der Religion und der beklagten Partei, der Church of the Lukumí Babalú-Ayé, mit der Begründung, dass Tieropfer ein Bestandteil der Religion darstellen und somit in einem Land mit Religionsfreiheit zu genehmigen seien.

 

6.6 Die Santería und der Spiritismus

Der Glaube an die magischen Kräfte der verstorbenen Ahnen ist von den Yoruba durch den Sklavenhandel in die Neue Welt gebracht worden. Ihr Glaube wird bestimmt durch die Möglichkeit der Materialisierung der Geister ihrer Vorfahren mittels eines Mediums, in Yoruba egungún genannt, durch das sie, besonders bei Beerdigungsritualen, mit den hinterbliebenen Familienmitgliedern sprechen können. Einmal im Jahr, im Juni, feiern die Yoruba zu Ehren ihrer Vorfahren ein großes Fest, das wahrscheinlich farbigste und unterhaltsamste aller Festivitäten ihrer Kultur.

In Kuba stellte sich alsbald das Problem, dass es nicht genügend egungúns gab, die diese Tradition weiterführen konnten, und nur wenige Nachfahren der ersten Yoruba lernten diese Praktiken. Erschwerend kam hinzu, dass die yorubische Tradition besagt, ein falsch ausgeführtes Ritual der egungúns führe zum sofortigen Tod. Natürlich waren nicht viele Menschen dazu bereit, dieses Risiko einzugehen. Deswegen galt der Kult Mitte des 19. Jahrhunderts als beinahe ausgestorben. In dieser Zeit jedoch verbreitete sich trotz Kritik seitens der Katholischen Kirche der Kardecismus in Kuba und anderen lateinamerikanischen Ländern, insbesondere in der Oberschicht der Gesellschaft. Die Sklaven und Bediensteten konnten ihre Herren und deren Frauen bei diesen Praktiken beobachten und bemerkten, dass diese Sitzungen in keiner Weise das Leben dieser Medien bedrohten. Aufgrund der bereits erwähnten Adaptionsfähigkeit der Yoruba konnten sie ihre alten egungún-Traditionen durch diese neue Bewegung ersetzen.

Gründer des Kardecismus war der Franzose Hippolyte Léon Denizard Rivail (1804-1869), der sich nach einem gallischen Druiden, der, wie Rivail glaubte, eine seiner früheren Inkarnationen war, Allan Kardec nannte. Seit 1850 beschäftigte sich Kardec mit dem Spiritismus, wobei er die ursprüngliche, 1848 in Amerika entstandene Form, d. h. die Beschwörung von Geistern, die sich durch ein Medium im Trancezustand mitteilen, mit dem Christentum verband. Er glaubte, dass Kommunikation mit den Geistern nur möglich sei, weil der Mensch eine Reihe von Reinkarnationen durchlaufe: To be born, to live, to die, to be born again and always move forward. That is the law."

Er vertrat weiterhin die Theorie, jeder Mensch bekäme von Gott einen oder mehrere Geister als Schutzengel zugewiesen, mit denen man kommunizieren sollte, um sich auf diese Weise Hilfe zu holen. Deswegen entwickelte er Gebete und Übungen, mit dem Ziel, die Kontaktaufnahme mit diesen Schutzengeln zu erleichtern. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, u. a. in Spanisch und Portugiesisch, und besonders in den Ländern Argentinien, Brasilien, Kuba und Puerto Rico waren seine Werke erfolgreich. In Kuba sollen bis zu 90 % der Bevölkerung an den Kardecismus glauben.

Innerhalb der Santería ist Kardecismus zu einem unabdinglichen Bestandteil geworden, da er den Verlust einer alten Tradition ersetzt hat. Jeder santero ist gleichzeitig ein Spiritist, umgekehrt muss jedoch ein Spiritist keinesfalls ein santero sein. Das heißt, dass Spiritismus, als unabhängige Bewegung, durchaus in seiner reinen Form praktiziert wird, die Santería ist dagegen von Kardecs Ideen beeinflusst worden, wobei allerdings die philosophischen Aspekte fast vollständig außer acht gelassen werden, wichtig ist im eigentlichen die Besessenheit bzw. die Trancezustände der Medien. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass bei Todesfällen neun Tage nach der Beerdigungszeremonie eine katholische Messe zu Ehren des Toten stattfindet, an deren Anschluss zusätzlich eine kardecistischespirituelle Messe zelebriert wird, in der Kardecs Gebete gelesen werden und Kontakt mit dem Toten aufgenommen wird. In der Religion der Santería steht die Verehrung der verstorbenen Vorfahren und die Kontaktaufnahme mit diesen an erster Stelle, den orishas räumt man einen Platz erst an zweiter Stelle ein. Verehrt werden nicht nur die Geister der eigenen Vorfahren, sondern auch die Verstorbenen der Glaubensgemeinschaften, die für die santeros durchaus die Bedeutung einer geistlichen Familie haben. Die Verbindung zu dieser Familie" ist sehr stark ausgeprägt und jedes Mitglied ist verpflichtet, sich gegenüber seinen geistlichen Schwestern und Brüdern entsprechend zu verhalten. Jeder Gläubige hat zudem in seinem eigenen Haus eine Art Altar, bóveda, d. h. einen Tisch mit weißer Tischdecke, auf dem er Wasserkelche stehen hat. Jeder dieser Kelche ist einem oder mehreren Vorfahren gewidmet. Im Zentrum des Tisches steht ein etwas größerer Kelch, der dem hauptsächlich verehrten Geist geweiht ist. Hauptgeister sind dabei häufig afrikanischer Abstammung. Einer der bekanntesten ist El Negrito José, der vielen santeros Schutz bietet, wobei jeder Gläubige seine eigene Darstellung von ihm hat, z. B. kann er mit einem alten afrikanischen Sklaven identifiziert werden. Dementsprechend gibt es ihn in verschiedenen Ausfertigungen in Form von Statuen. Eine Variante wäre El Negrito José in rotweißer Kleidung als Zeichen dafür, dass er mit dem orisha Changó, dessen emblematische Farben Rot und Weiß sind, eng zusammenarbeitet. Der Hauptgeist trägt ein kleines Säckchen über der Schulter, in dem sich die Kräuter befinden, die er für die Ausübung seiner magischen Kräfte benötigt.

Auf der bóveda befinden sich weiterhin Zigarren, Rum, eine Flasche aromatisierter Alkohol, Bonbons und manchmal ein zubereitetes Gericht für die Geister. Andere Gaben wie eine rote Rose oder ein Kruzifix sind möglich. Während einer Séance sitzen die Teilnehmer an einem Tisch und halten sich an den Händen. Eine bóveda wird aufgestellt, um die sich die Medien und der santero plazieren. Vor Beginn muss sich jeder Teilnehmer mit einer Flüssigkeit reinigen, die aus Wasser, dem Eau de Toilette Florida Water, und Blüten besteht. Dann zünden sie sich auf Wunsch eine Zigarre an, deren Rauch die Geister, vor allem die afrikanischen anziehen soll. Dann beginnt der santero Kardecs Gebete zu lesen. Nach einer Weile findet eine Verwandlung der Medien statt. Sie gehen unter dem Einfluss der Geister mit weit geöffneten Augen im Raum umher, und sprechen mit den Anwesenden. Ist der Geist afrikanischen Ursprungs, spricht er ein gebrochenes Spanisch mit afrikanischen Elementen, sein Verhalten ist meist das eines afrikanischen Sklaven gegenüber seinem Eigentümer.

Während dieser Zeremonie wird ebenfalls das obi-System befragt, um sicherzustellen, dass die Geister und orishas zufrieden sind. Dabei kann es vorkommen, dass sie ein Opfer verlangen. Manchmal ist die Opferung eines Hahnes vonnöten, z. B. wenn die Geister und orishas aussagen, dass ein Menschenleben in Gefahr ist.

Auch in der Santería gedenken die santeros ihrer Vorfahren an einem bestimmten Tag. Dieser fällt jedoch nicht mit dem Tag des Festes der Yoruba zusammen, sondern wurde durch die damalige Situation der Sklaven auf den Tag des katholischen Feiertages Allerseelen am 2. November gelegt.

 

6.7 Musik und Besessenheit

In der Santería spielt die Musik eine besondere Rolle, es wird erzählt, dass die orishas in den Liedern und Rhythmen der Yoruba die Möglichkeit hatten, den Atlantik zu überqueren. Die Sklavenhalter konnten den Sklaven fast alles nehmen, nur ihre Lieder, der Schlüssel zu ihrer Religion, waren unantastbar. Man sagt, dass die Trommler und Sänger in der Lage sind, durch Klänge und Rhythmen eine Brücke zwischen Gott und der Menschheit zu bauen. Die Musik ist die Quelle ihrer Kultur, durch sie konnten die alten Weisheiten der Yoruba an ihre kubanischen Nachfahren weitergegeben werden.

Eine besondere Bedeutung tragen die batá-Trommeln. Sie bestehen aus einem Mahagoniholzrumpf in Form eines Kegels mit zwei unterschiedlich großen Trommelflächen. Diese werden mit Ziegenfell bespannt, das mit Lederbändern befestigt wird. Ein Set batá-Trommeln besteht aus drei Teilen: iyá, die größte und leitende Trommel, itótele und okónele, die mit iyá während des Spiels kommunizieren. Sie werden bei speziellen Ritualen gespielt, die tambor oder bembé genannt werden und die immer zu Ehren eines orishas stattfinden.

Weiterhin gibt es zwei unterschiedliche Sets batá-Trommeln: die ungeweihten aberínkula, und die geweihten ilú, in Kuba auch fundamento de santo genannt. Beide Sets sind den santeros heilig, doch die ilú werden für die wichtigsten Rituale in der Santería benutzt. Während es in Kuba an den ilú nicht zu mangeln scheint, gibt es in den Vereinigten Staaten lediglich zwei Sets von geweihten batá-Trommeln, weswegen sie im ganzen Land herumgereicht werden, um bestimmte Rituale durchführen zu können. Das kann bedeuten, dass ein Aspirant, der sein batá-Ritual als den krönenden Abschluß für seine Initiation haben möchte, in dem er vor den batá tanzt und somit ihre Bedeutung in der Religion anerkennt, unter Umständen jahrelang darauf warten muß. In Kuba ist dieses Ritual ein unabdingbarer Bestandteil der Initiationszeremonie, denn erst ab diesem Zeitpunkt erkennt die Gemeinschaft den Neuling vollständig an, und es wird von ihm erwartet, dass er in den Zustand der Besessenheit fällt, als Zeichen dafür, dass er tatsächlich von seinem persönlichen orisha als dessen omo akzeptiert wird.

Im Gegensatz zu den geweihten batá dürfen die ungeweihten auch außerhalb der religiösen Zeremonien gespielt werden, allerdings nur in begrenztem Maße, da sich die orishas nach dem Glauben der santeros ansonsten beleidigt fühlen oder sogar herabsteigen könnten.

In einem Ritual hat jeder Rhythmus seine eigene Bedeutung, und jeder orisha besitzt seinen eigenen Klang. Wenn die santeros durch die Trommeln die orishas anrufen zu kommen, können sie dies durch bestimmte Töne und Rhythmen erreichen. Eine Methode dafür ist die Provokation und Beleidigung eines orishas. Nennt man beispielsweise Changó einen Narren, der lieber Röcke als Hosen trägt, wird er kommen, um seine Männlichkeit zu beweisen. Sobald er Besitz von seinem Schützling ergriffen hat, werden die Rhythmen verändert, nun wird er mit den Klängen verehrt, da das Ziel, ihn zum Kommen zu bewegen, erreicht ist.

Die Besessenheit kann nur erfolgen, wenn ihr bestimmte rituelle Vorbereitungen vorausgehen und während der Zeremonie deutliche Zeichen gegeben werden, und sie endet gleichermaßen am Ende einer Zeremonie. Goodman bezeichnet diese Voraussetzungen als Schlüssel, ohne den die Tür sich nicht öffnen kann. Bei den Trommelklängen in der Santería muß deswegen stets auf die exakte traditionelle Spielweise und auf korrekte Aussprache bei den Gesängen geachtet werden, sonst wird eine Anrufung der orishas niemals den erwarteten Erfolg haben.

Die Besessenheit durch die orishas zeigt, wie nahe sie den Menschen stehen, zudem demonstrieren sie durch das Schlüpfen in eine sterbliche Hülle ihre Herrschaft über die Menschen.

Betrachtet man die Besessenheit aus analytischer Sicht, wird man mit verschiedenartigen Theorien konfrontiert. Beispielsweise könnte der orisha den unbewussten Teil der Persönlichkeit eines Menschen darstellen, der den sonst in ihm schlummernden Part durch die Besessenheit offen auslebt. Während ein Außenstehender diesen Teil als die unterdrückte Seite eines Menschen sehen mag, empfindet der santero diesen als die eigentliche heilige Quelle seiner Persönlichkeit, die somit mit dem allergrößten Respekt betrachtet werden sollte. Im Grunde betrachten die Gläubigen die orishas als Wesen, die einerseits als Kräfte außerhalb der menschlichen Seele existieren, da sie zu Menschen in den Ritualen herabsteigen und sie besteigen", andererseits jedoch stellen sie das Bewußtsein selbst dar, weswegen sie aus dem menschlichen Körper, den sie als materielle Hülle benutzen, heraus agieren. Während der Besessenheit wird ihre Kraft lediglich freigesetzt, und kann dann ungehindert den Körper des Menschen durchfließen. Während also der Begriff Besessenheit durch z. B. Dämonen in den europäisch geprägten Ländern eine negative Konnotation besitzt, bedeutet er in anderen Gesellschaften, wie der afro-kubanischen, die Besessenheit durch die afrikanischen Gottheiten, die als positiv und heilig betrachtet wird.

Während der santero in einem Ritual vor den batá tanzt, vollzieht sich eine Veränderung in ihm, die González-Wippler als allmählich beschreibt, so dass man den Zeitpunkt nicht nachvollziehen kann, zu dem das Individuum von dem orisha bestiegen" worden ist. Die Bewegungen des Besessenen beginnen sich zu verändern, er rollt mit den Augen und fängt an zu zittern, sein gesamter Körper wirkt verkrampft. Aber immer harmoniert er mit dem Rhythmus der Musik. Nacheinander ergreifen verschiedene orishas Besitz von ihren omos. Es kommt dabei vor, dass ein orisha auf mehrere Gläubige herabsteigt, da nach Meinung der santeros der Körper eines Menschen zu schwach sei, um die ganze Energie des orishas aufzunehmen. Der Trommler und Sänger des Rituals, dessen Aufgabe die Anrufung der orishas ist, geht von einem zum anderen der in Trance Verfallenen und spricht zu ihnen in Yoruba. Auch er bleibt dabei im Rhythmus der batá. Die orishas grüßen sich, gehen im Raum umher und tanzen zu der Musik. Dabei vollziehen sie Handlungen, die ein santero niemals tun würde, z. B. das Trinken von Blut. Innerhalb der Santería ist der Glaube verbreitet, dass Blut allein Gott vorbehalten sei, sie würden niemals Blut trinken, um den Zorn der orishas zu vermeiden. Ist der Gläubige allerdings besessen, gilt das Tabu für ihn nicht, da er nicht er selbst ist, sondern der orisha in ihm wirkt. Weiterhin konsultieren die Anwesenden die materialisierten orishas, die mit ihnen sprechen, sie beraten oder segnen.

In der modernen Psychotherapie finden Trommelklänge als eine Methode langsam einen Platz, die Meinung verbreitet sich, dass Musik und Trommeln helfen, Körper und Seele miteinander in Einklang zu bringen.

Geht man von der Theorie aus, die Besessenheit diene zur Auslebung des unterdrückten Ich, dann werden diese im Menschen verborgenen Gefühle freigesetzt und ausgelebt. In diesem Zusammenhang stellt sie ein Ventil für angestaute Emotionen dar und kann infolgedessen die Funktion einer psychotherapeutischen Maßnahme übernehmen. "El baile y el trance son posibilidades de expresarse a sí mismo, se trata de una válvula emocional para dehacerse de represiones sicolólgicas estancadas. De esta manera tienen valor sicológico y sicoterapéutico."

 

6.8 Die Santería und Magie

Die Magie ist neben der Besessenheit wahrscheinlich eine der umstrittensten Aktivitäten innerhalb der Santería. Bewirkt durch verschiedene Hollywood-Filme, die zumeist über die Zauberformeln des haitianischen Voodoos berichten, haben auch die in der Santería verwandten amarres und resguardos einen schlechten Ruf. Sie gehören nicht wirklich zur Doktrin der Religion, auch wenn sie von den santeros verwendet werden. Doch sind diese Zaubereien sehr alt und wurden von den santeros seit jeher praktiziert, und im Grunde gibt es für alles eine Zauberformel: für die Liebe, das Glück, die Gesundheit und für den Gelderwerb.

Natürlich sind auch in diesem Bereich die orishas die bestimmenden Wesen. Sie legen fest, welche Zauberformeln benutzt werden müssen, um bei dem menschlichen Problem für Abhilfe zu sorgen. Der santero, der diese Formeln umsetzt, muss allerdings mit den verschiedenen amarres und ihren Möglichkeiten äußerst vertraut sein, um die gewünschte Wirkung hervorzurufen.

Im allgemeinen ist es der santero, der magische Kräfte umsetzen kann. Es gibt aber auch Zauberformeln, die allgemein zugänglich sind und von allen Menschen angewendet werden können, wie z. B. die für die Vertreibung von Pech in der Liebe: Am 5. eines Monats geht man zu einem mit Wasser gefüllten Brunnen. Barfüßig geht man wieder und wieder um den Brunnen herum mit den Worten:

Cinco pasos, cinco vidas,
cinco estigmas, cinco heridas,
cindo estrellas repetidas,
líbrame de ti, amor ingrato
y huye de mi vista en forma de gato.

In der Welt der Magie spielt der Kürbis, Oshúns Frucht, eine wichtige Rolle und wird für die unterschiedlichsten Situationen eingesetzt. Beispielsweise kann man mit seiner Hilfe einen geliebten Menschen zurückgewinnen. Dazu höhlt der santero den Kürbis aus, legt fünf Hahnkrallen, ein Ei, Pfeffer, Majoran, das Eau de Toilette Florida Water, etwas Persönliches des begehrten Menschen und seinen auf einem Stück Papier aufgeschriebenen Namen hinein. Dann spuckt der santero dreimal in den Kürbis und stellt ihn vor dem Bildnis Oshúns auf, wo er zehn Tage lang stehen bleibt. Anschließend wird er in den Fluß geworfen.

Mit dem Kürbis kann man allerdings auch Schaden anrichten. Dazu werden drei verschiedene Arten Asche zusammen mit etwas Persönlichem und dem Namen der Person, der man Schaden zufügen will, in ein Kürbisblatt gelegt. Dann bittet der santero Oshún, das Leben der verhassten Person in Asche zu verwandeln. Kurz darauf wird dem Glauben der santeros zufolge das Opfer entweder sterben, oder ihm wird ein schweres Unglück zustoßen.

Weiterhin hilft Oshún den Menschen bei Geldangelegenheiten. Dazu wird ein kleines Brötchen in Milch und Honig gelegt. Dieses wird vor Oshún aufgestellt und mehrere Tage stehen gelassen, bis das Brötchen die gesamte Flüssigkeit aufgesaugt hat. Der santero macht nun ein kleines Loch in die Mitte dieses Brötchens, steckt eine gelbe Kerze hinein, zündet sie in Oshúns Namen an und bittet um die gewünschte Summe.

Magneteisensteine gelten in der Santería als magische Steine und sind äußerst beliebt als Glücksbringer oder als Hilfsmittel für den Gelderwerb. Santeros bewahren sie immer paarweise auf, wobei der eine die weibliche, der andere die männliche Seite symbolisiert. Gewöhnlich werden sie in ein Glas oder Tongefäß gelegt. Dann füllt der santero das Gefäß mit Eisenspänen und Silber- und Goldstaub. Zusätzlich sollten einige beliebige Nadeln in einer Weise in dieses Behältnis gelegt werden, dass sie die Steine berühren. An jedem Freitag werden die Steine in Wein gewaschen. Wenn der santero die Sympathie oder Liebe eines Menschen gewinnen möchte, legt er eine von diesen Nadeln auf ein Kleidungsstück dieser Person, denn die Nadeln sollen die magnetische Kraft der Steine aufgesogen haben und somit deren Zauberkräfte besitzen.

Ferner gibt es eine Vielfalt an magischen Pulvern, von denen das so genannte precipitado rojo als das wirkungsvollste gilt. Sie werden zu allen möglichen Anlässen benutzt, z. B. als Schutz vor Feinden oder für die Liebe. Gewöhnlich werden die Kleidungsstücke, besonders aber die Schuhe der betreffenden Menschen, mit diesem Pulver bestreut.

Kräuter und Pflanzen sind für die magischen Rituale der santeros von äußester Wichtigkeit. Beispielsweise dienen die sogenannte despojos sowohl für die Entfernung von bösen Geistern als auch für das Erlangen positiver Kräfte. Auf diese Weise wird dem Hilfesuchenden die notwendige Kraft gegeben, damit er eine Lösung seines Problems finden kann.

González-Wippler respektiert den Glauben an die Magie der santeros, denn sie glaubt an das Unterbewusste im Menschen, das in den verschiedenen Situationen die Kräfte der orishas beansprucht. Der feste Glaube und ein starker Wille kann diese Kraft mit einem Schlüsselwort freisetzen, nämlich mit der Anrufung eines orishas. Die Zauberformeln und Rituale spielen ihre Ansicht nach lediglich eine Nebenrolle als zusätzliche Kraft für den santero, der ohnehin von der Macht und Hilfe seiner orishas überzeugt ist.

zurück   weiter

  1. Die Yoruba kennen die Unterteilung in Aspekte ebenfalls, hier lauten sie: Olodumare (Gott, der Allmächtige), Olorun (der Schöpfer des Universums) und Eledáa (die Wurzel allen Seins) (vgl. González-Wippler, S. 24f). [zurück]
  2. Vgl. González-Wippler, S. 25. [zurück]
  3. Vgl. Canizares, S. 63. [zurück]
  4. Vgl. González-Wippler, S. 12f. [zurück]
  5. Vgl. Kapitel 5.1. [zurück]
  6. Vgl. Eberhard, S. 242. [zurück]
  7. Ashé = ein komplexer Begriff mit unterschiedlichen Bedeutungen, z. B. Charisma, Glück, spirituelle Kraft und Schicksal (vgl. Canizares, S. 143). [zurück]
  8. Vgl. Kapitel 6.2. [zurück]
  9. Canizares, S. 48f. Auf der Webseite http://www.tiac.net/users/bpantry/voodoo/seven.htm wird anstelle von Oyá der orisha Orula genannt. Da dieser sich aber niemals, auch nicht während einer Initiation zum babalao, körperlich manifestiert, kann man ihn im eigentlichen Sinne nicht als einen der Siete Potencias Africanas bezeichnen (vgl. Canizares, S. 50). [zurück]
  10. Vgl. Kapitel 6.2. [zurück]
  11. Vgl. Canizares, S. 49f. González-Wippler beschreibt ein Besessenheitsritual, in dem die Gläubigen von dem orisha Babalú-Ayé heimgesucht wurden (vgl. González-Wippler, S. 201). [zurück]
  12. Vgl. Pollak-Eltz, Trommel, S. 69 u. González-Wippler, S. 30. [zurück]
  13. Vgl. Barnet, S. 64f. [zurück]
  14. Vgl. Nuņez, Kapitel 5, http://www.iac.net/~moonweb/santeria/title.html. [zurück]
  15. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 500. [zurück]
  16. Vgl. González-Wippler, S. 28. [zurück]
  17. Vgl. Pollak-Eltz, Trommel, S. 72. [zurück]
  18. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 504. [zurück]
  19. Vgl. Nuņez, Kapitel 7, http://www.iac.net/~moonweb/santeria/title.html. [zurück]
  20. Vgl. González-Wippler, S. 47. [zurück]
  21. Vgl. Pollak-Eltz, Trommel, S. 71. [zurück]
  22. Vgl. Kapitel 6.3. [zurück]
  23. Vgl. Nuņez, Kapitel 4, http://www.iac.net/~moonweb/santeria/title.html. [zurück]
  24. Vgl. Pollak-Eltz, Trommel, S. 70. [zurück]
  25. Vgl. Bonin, S. 239. [zurück]
  26. Vgl. González-Wippler, S. 37. [zurück]
  27. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 509. [zurück]
  28. Vgl. Nuņez, Kapitel 6, http://www.iac.net/~moonweb/santeria/title.html. [zurück]
  29. Jungfrau der christlichen Nächstenliebe zu Cobre (Pollak-Eltz, S. 71). [zurück]
  30. Vgl. Nuņez, Kapitel 5, http://www. iac.net/~moonweb/santeria/title.html. [zurück]
  31. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 512. [zurück]
  32. Vgl. González-Wippler, S. 60. [zurück]
  33. Vgl. García Cortez, S. 152. [zurück]
  34. Vgl. Nuņez, Kapitel 5, http://www.iac.net/~moonweb/santeria/title.html. [zurück]
  35. Vgl. González-Wippler, S. 40. [zurück]
  36. Vgl. ebd., S. 41f. [zurück]
  37. Vgl. ebd., S. 61f. [zurück]
  38. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 180. [zurück]
  39. Vgl. Kapitel 6.3. [zurück]
  40. Vgl. González-Wippler, S. 35. [zurück]
  41. Vgl. ebd., S. 34f. [zurück]
  42. Vgl. Pollak-Eltz, Trommel, S. 68. [zurück]
  43. Vgl. Canizares, S. 66 u. vgl. Kapitel 6.1. [zurück]
  44. Vgl. García Cortez, S. 77. [zurück]
  45. Vgl. ebd., S. 76 u. Canizares, S. 66. [zurück]
  46. Vgl. González-Wippler, S. 122. [zurück]
  47. Vgl. Pérez Medina, S. 84. [zurück]
  48. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 185. [zurück]
  49. Vgl. González-Wippler, S. 124. [zurück]
  50. Vgl. Canizares, S. 64f. [zurück]
  51. Vgl. González-Wippler, S. 164. [zurück]
  52. Vgl. Pollak-Eltz, Trommel, S. 77. [zurück]
  53. Vgl. González-Wippler, S. 165. u. vgl. Kapitel 6.1. [zurück]
  54. Vgl. Kapitel 6.4. [zurück]
  55. Vgl. González-Wippler, S. 165ff. [zurück]
  56. Vgl. ebd., S. 48f. In Nigeria ist sein Kult so gut wie nicht mehr zu finden, da das Reich Ketu, wo man ihn hauptsächlich verehrte, im 19. Jahrhundert vom Königreich Dahomey vollkommen zerstört wurde, die Einwohner sandte man als Sklaven nach Amerika (vgl. ebd.). [zurück]
  57. Vgl. ebd. [zurück]
  58. Vgl. Canizares, S. 33. [zurück]
  59. In Lucumí auch kariocha genannt (vgl. ebd., S. 33). [zurück]
  60. Pérez Medina, S. 37. [zurück]
  61. In Yoruba babalawo, das bedeutet "Father of the Mystery" (vgl. Canizares, S. 35). [zurück]
  62. Vgl. Canizares, S. 35. [zurück]
  63. Vgl. ebd., S. 35f. [zurück]
  64. Vgl. Canizares, S. 99. [zurück]
  65. Vgl. Pérez Medina, S. 378. [zurück]
  66. González-Wippler, S. 54. [zurück]
  67. Vgl. ebd., S. 55. [zurück]
  68. Wörtlich: Beraubung, Überbleibsel (vgl. Langenscheidts Handwörterbuch, S. 230). [zurück]
  69. Vgl. Canizares, S. 103. [zurück]
  70. Vgl. Pérez Medina, S. 378f, González-Wippler, S. 23 u. Kapitel 6.8. [zurück]
  71. Vgl. Kapitel 6.1. [zurück]
  72. Vgl. Canizares, S. 101. [zurück]
  73. Vgl. González-Wippler, S. 55. [zurück]
  74. Vgl. ebd., S. 57. [zurück]
  75. Vgl. ebd., S. 162. [zurück]
  76. Vgl. 1. Moses 22, 1-14. [zurück]
  77. Vgl. Wisnewski, S. 12-19. [zurück]
  78. Vgl. González-Wippler, S. 159f. [zurück]
  79. Vgl. Canizares, S. 87f. [zurück]
  80. Vgl. ebd., S. 87. [zurück]
  81. Vgl. ebd., S. 85f. [zurück]
  82. Vgl. Kapitel 8. [zurück]
  83. Vgl. González-Wippler, S. XV. [zurück]
  84. Vgl. ebd., S. 82f, Onyeke, S. 57 u. Sadiku, S. 143. [zurück]
  85. Vgl. Canizares, S. 77. [zurück]
  86. Vgl. Brockhaus Multimedial 2000. [zurück]
  87. Vgl. Kardec, http://www.geocities.com/athens/cyprus/15/9.htm. [zurück]
  88. Vgl. González-Wippler S. 275f. [zurück]
  89. Vgl. Canizares, S. 77. [zurück]
  90. Bei den Yoruba wird neun Tage nach der Beerdigungszeremonie ein Ritual vollzogen, bei dem der Tote von dem egungún Besitz ergreift, seine Familie segnet und schließlich in das Land der Toten zurückkehrt (vgl. Onyeke, S. 54f). [zurück]
  91. Vgl. González-Wippler, S. 76. [zurück]
  92. Vgl. Kapitel 6.1. [zurück]
  93. Vgl. González-Wippler, S. 77. [zurück]
  94. Vgl. ebd., S. 78. [zurück]
  95. Vgl. González-Wippler, S. 79. [zurück]
  96. Vgl. ebd., S. 83 u. Kapitel 5.3. [zurück]
  97. Vgl. Canizares, S. 68f. [zurück]
  98. Vgl. Canizares, S. 70. [zurück]
  99. Vgl. González-Wippler, S. 190. In Afrika werden sie Iyá Ilú, Omele und Kudi genannt (vgl. Canizares, S. 70). [zurück]
  100. Vgl. Barnet, S. 36 u. González-Wippler, S. 191. [zurück]
  101. Vgl. ebd., S. 37. [zurück]
  102. Vgl. González-Wippler, S. 192. [zurück]
  103. Vgl. González-Wippler, S, 191. [zurück]
  104. Vgl. Goodman, S. 29, S. 46 u. S. 51. [zurück]
  105. Vgl. Canizares, S. 69. [zurück]
  106. Vgl. Barnet, S. 41. [zurück]
  107. Vgl. Murphy, S. 139f. [zurück]
  108. Vgl. Canizares, S. X. [zurück]
  109. Vgl. González-Wippler, S. 201. [zurück]
  110. Vgl. ebd., S. 196ff. [zurück]
  111. Vgl. Canizares, S. 72. [zurück]
  112. Pollak-Eltz, Cultos, S. 21. [zurück]
  113. Vgl. Orozco/Bolívar S. 172f. [zurück]
  114. Vgl. González-Wippler, S. 208. [zurück]
  115. Vgl. Orozco/Bolívar, S. 173. [zurück]
  116. Vgl. Kapitel 6.6. [zurück]
  117. Vgl. González-Wippler, S. 212. [zurück]
  118. Vgl. ebd., S. 213. [zurück]
  119. Vgl. ebd., S. 213. [zurück]
  120. Vgl. ebd., S. 218. [zurück]
  121. Vgl. Kapitel 6.4. [zurück]
  122. Vgl. González-Wippler, S. 219. [zurück]
  123. Vgl. ebd., S. 213f. [zurück]