Von Bernhard Kathan/ Die Aufnahme entstand während des Zweiten Weltkrieges. Menschen haben sich auf freiem Feld versammelt. Es sind Fuhrwerke mit Pferden zu erkennen. Auf dem Boden stehen viele Töpfe. Es lässt sich nicht sagen, weshalb sich diese Männer und Frauen zusammengefunden haben. Es liegt etwas Unbestimmtes in der Luft. Obwohl nichts Dramatisches geschieht, löst diese Abbildung doch ein unangenehmes Gefühl aus. Die Menschen wirken ortlos, gefangen in einem indifferierten Raum, es scheint, als würden sie nicht wissen, was auf sie zukommt.
Ich habe diese Fotografie kürzlich auf einem Flohmarkt gekauft. Das sie in der Zeit des Zweiten Weltkrieges entstand, weiß ich, da ich sie mit vielen anderen Fotos kaufte, die alle Szenen aus der Kriegszeit am Balkan zeigen. Auf einigen Abbildungen sind zerstörte Städte, Häuserruinen und vor allem Fabriksanlagen zu sehen, die in Schutt und Asche liegen. Einzig ein Schlot ragt unversehrt aus den Trümmern.
Lastwagen der Wehrmacht bewegen sich auf engen Straßen durch kahle Gebirgslandschaften. |
Auf einigen Abbildungen sind zerstörte Städte, Häuserruinen und vor allem Fabriksanlagen zu sehen, die in Schutt und Asche liegen. Einzig ein Schlot ragt unversehrt aus den Trümmern.
Lastwagen der Wehrmacht bewegen sich auf engen Straßen durch kahle Gebirgslandschaften. Es sind beeindruckende Landschaftsaufnahmen. Soldaten versuchen einen hängengebliebenen Lastwagen wieder in Gang zu bringen. Während sich zwei unter der aufgeklappten Motorhaube zu schaffen machen, stehen die anderen wartend herum. Einige der Bilder sind durch die Windschutzscheibe eines Geländefahrzeuges aufgenommen, deren Sprünge den Einschlag eines Projektils festgehalten haben. Kriegsgefangene sind ebenso zu sehen wie eine Frau, die sich mit ihren Kindern lächelnd vor dem Eingang eines einfachen Hauses ablichten lässt. Auf einer der Aufnahmen ist jene Brücke in Novi Sad zu erkennen, die durch einen NATO-Angriff zerstört wurde. Die beiden Bilder beginnen sich zu überlagern. Der fest im Wasser stehende Pfeiler und die Kamerafahrt auf diesen Pfeiler zu, die dann in der Bildstörung endet. Nein, das stimmt nicht ganz. In den Fernsehbildern bewegt sich nicht die Kamera auf den Brückenpfeiler zu, sondern der Brückenpfeiler nähert sich jenem Objekt, welches ihn zerstören wird, so als sei das seine eigentliche Bestimmung.
Eine der Aufnahmen zeigt einen schlafenden deutschen Offizier in einem Zugabteil. In eine Decke gehüllt, seinen Kopf in den Mantel vergraben, der an einem Haken des Abteils hängt, döst er vor sich hin. Aber er hat sich nicht vollkommen dem Schlaf übergeben. Weder hat er seine Brille abgenommen, noch hat er sich seiner Uniformjacke entledigt oder sich wirklich hingelegt.
Es scheint, als könnte er jederzeit vom Schlaf in eine Handlung übergehen, als könnte jederzeit etwas geschehen, als müsste er sich bereithalten für dieses Ungewisse. Am Fenster klebt ein Zettel mit großen Druckbuchstaben: "Fenster bei Beleuchtung geschlossen halten!" Bewegt sich der Schlafende auf die Front zu oder bewegt er sich von ihr weg? Auch hier liegt etwas Unbestimmtes in der Luft. Kein Zweifel, die Fahrt geht durch feindliches Land. Der lange Zug, der auf einem hoch aufgeschütteten Damm auf eine Brücke zufährt, wirkt wie ein Fremdkörper in dieser Landschaft. Dem schlafenden Soldaten muss wohl die Landschaft mit ihren Häusern und Menschen fremd erscheinen.
Eine serbische Krankenschwester, die während der Bombenangriffe in Belgrad war, erzählte, sie habe nur noch in ihren Kleidern geschlafen. |
Der lange Zug, der auf einem hoch aufgeschütteten Damm auf eine Brücke zufährt, wirkt wie ein Fremdkörper in dieser Landschaft. Dem schlafenden Soldaten muss wohl die Landschaft mit ihren Häusern und Menschen fremd erscheinen.
Eine serbische Krankenschwester, die während der Bombenangriffe in Belgrad war, erzählte, sie habe nur noch in ihren Kleidern geschlafen. Die von ihr erlebte Ungewissheit und Angst verbindet sie nicht nur mit den Menschen in Belgrad, sondern auch mit sehr vielen Kosovoalbanern, für die sie wenig Verständnis hat, aber auch mit dem schlafenden Offizier. Sie erzählte auch von ihren Durchfällen. Überhaupt hätte ihre ganze Familie an Durchfällen gelitten. Kriege führen zu Verdauungsstörungen. Ein Französischer Soziologe dachte sich die Kamera in enger Verbindung mit dem Anus als eine Art Schließmuskel. Es ist zweifelhaft, ob ein Fotoapparat die richtige Medizin gegen Störungen des Magendarmtraktes sein kann. Gegen den Krieg vermag ein Fotoapparat wenig auszurichten. Wohl aber können Fotos eine wichtige Hilfe beim später notwendigen Erinnern sein. Diesseits und jenseits aller Grenzziehungen. Die Psychoanalyse hat uns gelehrt, dass Verdrängung eine Art Verstopfung, Erinnern eine Form meist schmerzhafter Verdauung sein kann.
Erschienen am: 14.04.2000
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