EIN SPÄTMITTELALTERLICHES MEDIZINISCHES HANDSCHRIFTENFRAGMENT*
Prof. Dr. Emil Schultheisz
 
    In der mittelalterlichen medizinischen Literatur spielen die verschiedenen Gesundheitsregeln, Regimina sanitatis, eine bedeutende Rolle. Die diätetisch-hygienischen Vorschriften dieser Regimina verbreiteten sich nicht nur als selbständige Bücher, sondern wurden auch zu Kapiteln anderer medizinischer Werke des Mittelalters. So enthält das am meisten verbreitete medizinische Buch des 13.-14. Jahrhunderts, die Practica Bartholomaei /1/ ebenso ein Regimen Sanitatis wie das Arzneibuch Ortolfs von Baierland, welches die Practica bald verdrängte und später auch im Drucke erschien. Bei letzterem wies Keil nach, daß jenes Kapitel, welches die diätetischen Regeln enthält, keinen organischen Teil des Werkes bildet. /2/
    Sämtliche Regimina des Spätmittelalters sind ultima analysi auf die Schola Salernitana zurückzuführen. In ihrer Erscheinungsform weichen sie jedoch von einander in vielem ab, stellenweise sind sie auch im Inhalt verschieden. In der Blütezeit des scholastischen Geistes entfernen sich diese Variationen immer mehr von der nüchternen Einfachheit des Originals. Diese Verschiedenheit und textliche Umwandlung der einzelnen Regimina ist einerseits die Folge der im Laufe der Zeit sich vermehrenden Kenntnisse, anderseits spiegelt sich im Geiste der Regimina die ärztliche Persönlichkeit und das Wissen der Autoren bzw. Kommentatoren, die gleichzeitig auch die Form und den Inhalt verändern.
So wie das frühmittelalterliche Regimen Salernitanum für den König von England geschrieben wurde, so wurden auch die spätmittelalterlichen Gesundheitsregeln meistens für einen Herrscher verfertigt. Ihr Verfasser oder Kommentator war meistens der Arzt des Königs.
    Unter den Hofärzten des 14.-15. Jahrhunderts ragt an Wissen Sigismundus Albicus, der Arzt des böhmischen Königs Wenzel, später des Kaisers und ungarischen Königs Sigismund, weit hervor. Geboren im böhmischen Mährisch-Neustadt um 1360, starb er am 23. Juli 1427. /3/ Seine Baccalaureatsprüfun legte er an der Prager Universität 1382 ab. Entsprechend dem Brauche jener Zeit hielt er bereits frühzeitig Vorlesungen and der Universität in Prag. 1407 finden wir ihn in Italien, wo die Matrikel der Universität Padua seinen Namen verzeichnet. Hier wurde er zum Doktor beider Rechte promoviert. Die wissenschaftlichen Grade der Medizin erwarb er an der Prager Universität. Zum zweiten Male hielt er sich erst 1452/53 wieder in Italien auf. /4/
    Bald vird er der Leibarzt des Königs Wenzel. Dessen Vertrauen zu Albicus warr so groß, daß er sich in der schweren, von den Husitenbewegungen verursachten und auch seinen Thron gefährdenden politischen Lage auf Albicus zu stützen wünschte. Als der Prager erzhischöfliche Sitz vakant wurde, bewog der König das Kapitel, Doctor Albicus zum Erzbischof von Prag zu wählen. Diese Würde hatte er jedoch nur für eine kurze Zeit inne. Nach seiner Abdankung wurde er Propst von Visegrad, gleichzeitig abermals Arzt und Kanzler des Königs. Als dann nach dem Tode Wenzels die Husitenkämpfe sich noch verstärkten und auch die Propstei des Albich verheert wurde, flüchtete er zuerst nach Olmütz, dann nach Ofen in Ungarn. /5/ So geriet er an den Hof des deutsch-römischen Kaisers und ungarischen Königs Sigismund.
    Meiner Meinung nach muß Albicus auch schon vor seiner Flucht aus Böhmen bzw. Ansiedlung in Ungarn (also vor 1419) bereits in Ofen gewesen sein. Nur so wird nämlich sein in der Prager Universitätsbibliothek verwahrtes und vom Jahre 1416 in Ofen datiertes Manuskript verständlich: Medicina contra paralysim, quam dom. Albicus ante agonem mortis suae domino regi   a.d. 1416 in civitate Buda, Strigon. Diocesis fecit /6/ Das konnteer nur für König Wenzel geschrieben haben. Demgegenüber wurden nicht alle König Sigismund gewidmeten oder ihn erwähnenden Handschriften während Albichs Ofener Aufenthaltes verfaßt. Um Albichs ärztliche und schriftstellerische Persönlichkeit kennen zu lernen, das im folgenden zu besprechende Manuskript aus dem I5. Jahrhundert besser zu verstehen und dieses mit den Albicus-Werken vergleichen zu können, müssen wir uns erst über Albichs bedeutendere Werke auslassen. Vollständigkeit wird hier natürlich nicht erstrebt. Als Grundlage dienten die mir von den Leipziger, Münchener und Prager Bibliotheken zugesandten Mikrofilme der unten genannten Handschriften. /7/
    Die Bedeutung und Verbreitung seiner Werke zeigt der Umstand, daß drei von ihnen unter den ersten mitteleuropäischen ärztlichen Wiegendrucken zu finden sind: 1. Praxis medendi, 2. Regimen pestilentiae, und das wichtigste 3. das Regimen hominis seu Vetularius. Alle drei erschienen in Leipzig 1484 im Verlag von Marcus Brandt.
Handschriftlich sind folgende Schriften von ihm erhalten geblieben:

1. Regimen contra reumata, quod misit ante obitum suum Sigismundo Romanorurn, Bohemiae ac Ungariae regi; /8/
2. Medicina contra paralysim; /9/
3. Tractatus de rectificatione aerei magistri Albici; /10/
4. Regimen corporis, consilium ad Sigisrnrmdum (Fragment); /11/
5. Tractatus de crisi; /12/
6. Questio solemnis...; /13/
7. Puch der erezney von maister albico; /14/
8. Pestregimen Albici archiepiscopi (deutschsprachig); /15/
9. Regimen ternpore pestilentiae Albici medici; /16/
10. Reportata ex lectionibus magistri Albici; /17/
11. Collectorium rnaius und 
12. Collectorium minus stammen nur zum Teil von Albícus selbst, enstanden aber sicher unter seinem Einfluß. /18/

    Von den angeführten Werken trachte ich auf Grund des Vetularius, der Practica und des Tractatatus, sowie des Puch der erczrtey einige Momente zu beleuchten, die für die Mentalität und für die ärztliche Anschauung des Albicus charakteristisch sind.
    Albicus erscheint in den erwähnten Schriften als eine vom streng dogmatischen Geiste der Scholastik ziemlich unabhängige Persönlichkeit. Seine Feststellungen ruhen größtenteils auf eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Dies betont er auch an mehreren Stellen. Das bedeutet natürlich nicht, daß er Autoritäten nicht zitiert hätte. Er beruft sich auf die Klassiker, von Hippokrates bis Avicenna. Doch zitiert er diese, sozusagen, nur mehr zur Rechtfertigung der aufgestellten Thesen, aber er geht nicht von ihnen aus. Besonders charakteristisch ist es, daß er die angesehenen Namen, in vollem Gegensatz zu damals üblichen Gepflogenheiten, meist ohne jedes lobende Attribut nennt. Es fehlen die im Superlativ geschriebene lobpreisenden Sätze. Nur eine Ausnahme gibt es: Arnaldus de Villanova, den er anscheinend besonders hochschätzte. Ihn apostrophiert er mit dem Attribut "der erfahrenste Arzt". Der vielgereiste, mit fremden Völkern öfters in Berührung gekommene Arzt erkennt die Bedeutung der geographischen Eigenheiten, der nationalen Sitten bei der Entstehung, dem Verlauf und der Heilung der Krankheiten, und das betont er auch ausdrücklich an mehreren Stellen. Er schreibt unter anderem, daß in Anbetracht der geographischen Verschiedenheiten, die die Krankheiten verändern, sowie der Verschiedenheit der Diäten der Arzt, der in Italien studierte, in Böhmen nicht so erfolgreich sein kann wie auf Italiens Boden. Und in einer der Schirften über die Pest stellt er die Gepflogenheiten der Italici und der Bohemi bei Anwendung der Arzneien einander gegenüber. Er betont die Rolle der vorbeugenden bzw. heilenden Wirkung der richtigen Díät, der mäßigen Körperbewegung, der entsprechenden Arbeit und des heiteren Gemüts, gegenüber der übermäßigen medikamentösen Behandlung. Die maßvolle Anwendung des Aderlasses, die wiederholte Betonung der schädlichen Folgen überflüssigen Blutabzapfens zeugt von der nüchternen Denkungsart und großen Erfahrung Albichs auch auf diesem Gebiete. Gegenüber der Alchemie ist er noch skeptischer als Arnaldus von Villanova. Im allgemeinen ist er eher Anhänger der "natürlichen Heilverfahren".
    Albichs Stil ist flüssig; Wiederholungen, sonst in medizinischen Texten jener Zeit recht häufig, sind relativ selten. Auffallend zahlreich sind jedoch die volkstümlichen, derben Ausdrücke. Was schon Sudhoff bei der Besprechung der Pestschriften festgestellt hat.
    Obige Charakteristika in Erwägung ziehend, möchte ich ein bis jetzt unveröffentlichtes Manuskript bestimmen und seine medizinhistorische Zugehörigkeit feststellen. Dieses Fragment steht in einer Handschritt der Medizingeschichtlichen Landesbibliothek in Budapest, 28 Pergamentblättern in zeitgemäßem Ledereinband. Die Handschrift besteht aus zwei Teilen, jeder hat ungefähr den Umfang eines Quaternio, doch ist keiner von beiden vollständig. Sie sind von zwei verschiedenen Händen geschrieben, aber ungefähr gleichzeitig. Es ist festgestellt worden, daß das Manuskript nicht aus zwei selbständigen, später zusammengebundenen Handschriften besteht, sondern die fehlenden Blätter später in Verlust geraten sind. Der erste Teil ist eine medizinisch-astronomische Abhandlung in lateinischer Sprache. Der zweite Teil enthält eine mit gut leserlicher Bastarda geschriebene deutsche "Gesundheitsregel". Zwischen den zwei Handschriftenteilen ist der Kreis der Monate und Tage (fol. 9 v) sowie der Tierkreis mit seinen Sternbildern (fol. 10 r) zu sehen. Der auf die Rückseite des letzten Blattes des lateinischen Teiles gezeichnete deutschsprachige circulus solaris muß der Anfang des deutschen Teiles gewesen sein, doch ist das sinngemäß folgende Kapitel über Aderlaß verloren gegangen. Auch dies ist ein Beweis dafür, daß das deutsche Regimen fortlaufend nach dem lateinischen Teil geschrieben wurde. Dieser Umstand ist bei der Bestimmung des Alters entscheidend. Das lateinische Fragment zählt nämlich den circulus solaris in der Tabelle (fol. 4 r und 5 v) vom Jahre 1420 und die Conjunctionen von 1429. Die Jahreszahl 1420 hat also in diesem Falle den Wert eines terminus post quem. Das Entstehen des lateinischen Fragments müssen wir daher in diese Zeit, d. h. in das dritte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts verlegen. Alter kann offensichtlich auch der diesem folgende deutsche Teil nicht sein. Das wird auch von dem paläographischen Befund bestätigt. - Die Kalligraphie der Handschrift, die schöne, stellenweise rot-blau kolorierte Zeichnung der Initialen, die sorgfältige Anordnung der Rubra - der Kopist hat dem Rubrikator immer Platz gelassen - macht es unzweifelhaft, daß es die Arbeit eines Berufskopisten ist.
    Die lateinische medizinisch-astrologische Abhandlung ist von keinem besonderen medizinhistorischen Interesse; sie sagt nichts Neues. Ihr Entstehungsort ist nicht zu bestimmen. Sie beginnt mit: Quam sunt protracte due virgule una a signo superiori deorsum et alia a signo inferiori sursum (fol. 1 r). Sie endet: Et nota quod quantitas dierum, hore et minuta ortus et occasus solis anticipantur secundum quod anticipantus gradus solis de quo dicturn est superius in capitulo de gradibus solis. Et sic est finis (fol. 9 r). Der letzte Sar ist Rubrum.
    Die Grundlage dieser Abhandlung ist eigentlich das Werk des Beda Venerabilis "De natura rerum". Die Tabellen auf fol. 4 r und fol. 5 v entsprechen den decemnovennali circuli des Beda, die Zeichnungen auf fol. 9 r und 10 v denen der auf Bl. 365 und 458 befindlichen in Mignes Patrologie Bd. 90. Auch dieser Handschriftenteil ist ein Fragment. Der Anfang ist unvollständig; wieviel davon fehlt, kann nicht festgestellt werden. Das Fragment beginnt ungefähr in der Mitte des Bedaschen Originalwerkes. Das Rubrum von fol. 3 v lautet: Canon de coniunctione et oppositione. Auf fol. 6 v ist die Tabula continuationis, coniunctionis et oppositionis zu finden.
    Das deutsche Fragment ist eine typische "Ordnung der Gesundheit". Sie beginnt mit fol. 11 recto. Im Nachfolgenden können wir - aus Platzmangel - aus dem Text nur Teile, aus den Rubra nur Auszüge mitteilen, mit Auflösung der Abkürzungen.
    In der Mitte des Incipit-Blattes stellt der anonyme Verfasser gleich fest, daß die deutschen meer essen dann trinken und die wahlen meer trinken dann essen. Dann spricht er von den hippokratischen Konstitutionen (Complexen), daß nämlich die rnenschen nach seiner Complexen Sangwinei... Colerici... Flegmatici... Melancolici sind. Das hierauf folgende zweite.
    Rubrum faßt eigentlich den Inhalt des vierten Kapitels zusammen. (Demnach gingen dem vorhandenen Teil des Fragments noch mindestens drei Kapitel voran.)
    In dem vierten Capitel hat man lere von essen von trinken von slaffen und von wachn wie man sich vor und nach essen damit halten sol und von dem obgeschriebn essen und trinken wich die natur zu überflüssig ettwen von unmassigkait wegen Darumb ist nach obgeschriebn Lere Wie und mit was man die vberflussign natur sullt abziehen und zehilff kömen. . . Fol. 13. verso zitiert der Verf. Konstantin, /19/ Wobei er sich mit allem Wissenswerten über das Baden beschäftigt. Auf der Vorderseite des folgenden Blattes werden die Funktionen der Pori der Haut beschrieben: ...Avicenna und spricht das in dem pad die löcher an der hautt die da hayssen pori offen steen. . . Die Folgenden Erwägungen von den heilend und anregend wirkenden Bädern zeugen wahrlich nicht von "mittelalterlicher Dunkelheit".
    Auf der Recto-Seite des fol. 15 beginnt das Aderlaß-Kapitel, das sich auch mit dem Problem der dies fausti bzw. critici befaßt. /20/ Die genaue Beschreibung des Kollapses bei übermäßigem Aderlaß weist auf einen exakt beobachtenden Arzt hin: …so dem menchn die varb verkert wirt und die pulst abnybt so sol man aufhörn auch wer vil schwitzt das ist ain Zaichen der vberflüssigkait … Das Rubrum von fol. 17 r ist besonders wichtig für uns, denn nur hier kommt der Inhalt der Handschrift, Ordnung der gesunthait, expressis verbis zum Ausdruck.
    Das Kapitel, das sich mit der Luft befaßt, wird im Rubrum von fol. 18 r eingeführt: Als das puch ist geordnet zu der gesunthait so ist not das man visse wie man in den luft leben sol das ist wie er gesunt seyoder nicht. Dann, sich auf Avicenna berufend, mahnt der Autor, die gute Luft solle sich nicht mit schädlichen Ausdünstungen vermischen. Hier wird auch díe Wohnungshygiene erwähnt: Da die rnenschn wonung haben, da sol das erdreich nicht faul seyn. Im Folgenden werden diätetische Regeln per longum et latum besprochen, indem öfters auf einen ungenannten Meister hingewiesen wird.
    Im ersten Drittel des fol. 24 r geht die eigentliche Makrobiotik zu Ende und es beginnt der Anhang, der die Heilkräuter und Gewürze behandelt. Dieser inhaltlich abgesonderte Teíl hängt in der Konstruktion eng mit dem Regimen zusammen und endet in der Mitte des fol. 28 r. Das ist auch das Ende des ganzen Fragments. Folgende Heilkräuter und Gewürze sind in diesem Kapitel zu finden: Galgant, Inber bzw. Ingwer, muskatt, nagel, Zymarinten, Zittwar, Pheffer; lorber, Saffran, Krambitper bzw. krampbitper, Zum Schluß können wir über den prann wein lesen.
    Die Besprechung einiger Krankheiten und die regen diese verordneten Heilmethoden, auch einige eingeschaltete Rezepte machen das kräuterbuchartige Kapitel abwechlungsreich. Vom Schüttelfrost (von riten) schreibt er folgendes: Der Ritt der den Menschn alltag an geet kumbt von vier saiten. Von ersten so man erkaltet nach dem pad So werdn die Löcher die da hayssen pori offen... So geet die kellten durch die löch ein die offen steen zu der leber Davon wird der Ritt darumb soll man sich hueten und warm halltn ... Zum anderen mall wirt der Rit von posem Luft ...Zum dritten mal wirt er von fleisch oder Spais nicht wol gesottn oder gepraten ist wann die natur die Speis nicht wol magt vertzeren So fault sy durcheinander und wirt Corumpirt und dauon der ritt ... Zum vierdn mal wann ain rnensch gar hais padt und darnach zu kalt wasser geet und damit begeust So slecht die keltn In und die pory werdn vershopt dauon wirt der Rit ... (fol. 26 r-26 v). Der Beschreibung des alltäglichen Schüttelfrostes folgt eine Abhandlung über die Malaria tertiana: der rit ßber den anderen tag haisst Tertiana... (fol. 27 r). Unmittelbar danach erwähnt das Manuskript den weisen Meister von Prag: ...das lernt mich zu prag ain wais Maister ….
    Die Ruhrepidemien bedeuten eines der größten ärztlichen Probleme des Mittelalters. Es ist daher verständlich, daß die Handschrift sich sehr viel mit der rot rur beschäftigt. Die letzte Seite, die sich bis zur Mitte von fol. 28 r erstreckt, enthält zwei Rezepte gegen die Ruhr, womit auch dies interessante Fragment endet. Das letzte Rezept lautet: Nym Aych ein schusling Die desselbigen Jares sind auskommen und prichs Im ersten May und prenn Sy aus durch ain Rosenhut und gibs dem sichen zwei oder drey tag ze trinken ain wenig er wirt gesunt an der ruer.
    Es kann ohne Zweifel festgestellt werden. daß die geschilderte Handschrift eine Variante der Regimina in Prosa ist. Der Stil zeigt viel Ähnlichkeit mit den deutschsprachigen Handschriften des Albicus, in erster Linie mit jenem des Puch der erczney. Bezeichnend ist für Albich, zeugt aber zumindest von seinem Einfluß, daß in unserem Manuskript bei keinem der zitierten klassischen Autoren, an keine einzigen Stelle, lobende Attribute zu finden sind (Villanova ausgenommen). Die wiederholte Betonung der gesundheitsfördernden Wirkung des Bades, des Heileffektes des Wassers ist hauptsächlich im ursprünglichen Regimen Salernitatum zu finden. Die späteren scholastischen Kommentatoren schreiben bereits mehr über die Gefahren des Bades als über dessen Heilwirkung.
    Diese "moderne" Anschauung übers Baden. die das Manuskript vertritt (siehe besonders fol. 14), ist gut zu vereinbaren mit Albichs Vorliebe für natürliche Heilmethoden. Wir wissen, daß Albicus die Bedeutung der Hautporen gut kennt. Damit befaßt sich unsere Handschrift ausführlich. Das Kapitel über den Aderlaß (fol. 15 r) ist ebenfalls in Albichs Geist geschrieben. Wir begegnen hier der Aufzählung der schädlichen Wirkungen des Aderlasses öfter als der Anführung der günstigen Erfolge. Wie bekannt. warnt Albich auch im Vetularius wiederholt vor übermäßiger Anwendung der venaesectio. Ähnliche Äußerungen finden wir auch in seiner Leipziger Handschrift /21/. Schon Sudhoff hat in seiner Abhandlung über die Petschriften des Albich /22/ die Aufmerksamkeit auf jenen auffallenden Umstand gelenkt, welch weitgehende Beachtung Albich den geographischen und ethnologischen Verhältnissen schenkt. Albicus stellt die diätetischen und sanitären Sitten und Gewohnheiten der einzelnen Nationen einander gegenüber. Diese Distinktionen können wir in unserem Manuskript sogar an zwei Stellen finden: fol. 11 r, wo der Verfasser von der Verschiedenheit der einzelnen Nationen im allgemeinen spricht, und fol. 18 v, wo er von den in diesem Lande üblichen Speisen redet. Unser Manuskript befaßt sich auch mit der Wohnungshygiene (fol. 18 r), was zu jener Zeit ziemlich ungewohnt, wenn auch nicht ohne Beispiel war. Mit der Luft, auch mit der Luft der Wohnung befaßt sich unter anderen auch der von Arnald von Villanova geschriebene Kommentar sowie die Practica Bartholomaei, doch erwähnt die Bodenverhältnisse, die hygienische Bedeutung der Erdböden des Zimmers nur Albicus im Münchener Manuskript /23/ Schon Pick weist darauf hin, daß der Vetularius voll volkstümlicher Ausdrücke ist /24/. Ähnliche finden sich auch in diesem Fragment häufig.
    Wenn wir unser Manuskript mit dem von Arnald von Villanova geschriebenen bzw. kommentierten Regimen vergleichen (Bämlersche Ausgabe), finden wir zahlreiche ähnliche Teile. So stimmt fol. 11 r des Manuskripts fast vollkommen mit der Seite fol. 16 v der Augsburger bedruckten Ausgabe überein, und fol. 11 v mit der Seite fol. 17 r des Bämlerschen Druckes. Ziehen wir aber die „Wanderung" der Texte der Regimina und den großen Enfluß, den gerade Arnald von Villanova auf Albicus ausgeßbt hat, in Betracht, so kann behauptet werden, daß die Ähnlichkeit einiger Stellen unseres Fragments, mit dem Regimen des Villanova nicht im geringsten dagegen spricht. daß diese Variante im Geiste des Albicus geschrieben wurde.
    Auf Grund des hier vorgetragenen Berichtes scheint uns die Annahme berechtigt, daß der auf fol. 27 r Zeile 30 erwähnte "wais maister zu Prag" Sigismundus Albicus ist! Daß der Name Albichs nicht erwähnt wird, widerlegt diese Annahme nicht. Erstens, weil uns zwei - wenigstens zum Teil - mit Bestimmtheit von Albicus verfaßte Handschriften bekannt sind die des Meisters Albicus Namen nicht erwähnen; zweitens ist nicht ausgeschlossen, daß im verlorenen Anfang des Fragments sein Name genannt war.
 
 



LITERATUR


  1. I. Haupt: Wiener Sitzungsberichte 71 (1872).
  2. G. Keil : in : Sudhoffs Arch. Gesch. d. Med. 43 (1959). 20-21. und 39.
  3. Sudhoff: in: Arch. Gesch. d. Med. 7 (1914). 90.
  4. Häsner: in: Prager Vierteljahresschrift 1860.
  5. Sudhoff: in: Arch. Gesch. d. Med. 17 (1925). 157 ff.
  6. Prager Universitätsbibliothek, VIII. H. 34, fol. 149 v, unver0ffentlicht.
  7. Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Dr. D. Debes, Leiter der Handschriftenabteilung der leipziger Universitätsbibliothek für die liebenswürdige Zusendung der Photokopien der Mss. 1200 und 1226, Herrn Dr. K. Dachs für die freundliche Übersendung der Photokopie der Münchner Handschrift Cgm 731, sowie dem Leiter des Prager Klementinums meinen aufrichtigen Dank aussprechen.
  8. Verlegt bei A. Schrutz, Prag 1909.
  9. Siehe Anm. 6.
  10. Prager Universitätsbibliothek, Ms. L. F. II.
  11. München, Staatsbibliothek, Cod. Lat. 321, fol. 89v-92r.
  12. Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. 1200.
  13. Ebenfalls in der Leipziger Handschrift Ms. 1200.
  14. München, Staatsbibliothek, Cgm 731.
  15. Wratislawa (Preßburg), Universitätsbibliothek Ms. I. Q.100.
  16. Prag, Klementinum Ms. XIV. 16 und Leipzig. Univ-Bibl., Ms. 1328.
  17. Prag, Klementinum Ms. I. F. II. 18v. ff.
  18. Beide-Handschriften im Kodex III. Q. 4. der Universitätsbibliothek Wratislawa (Preßburg), Sudhoff schreibt das Manuskript Albicus zu. Vgl. Sudhoff: in: Arch. Gesch. d. Med. 9 (1916), 117.
  19. Constantinus Africanus hatte auf das Regimen Sanitatis großen Einfluß. Vgl. H. Schipperges, in: Sudhoffs Arch. Gesch. d. Med. 43 (1959), 66.
  20. Vgl. G. Keil, in: Sudhoffs Arch. Gesch. d. Med. 41 (1957). 28-58.
  21. Im Ms. 1200.
  22. Sudhoff: in: Arch. Gesch. d. Med. 7 (1914), 69. ff.
  23. Cgm. 731.
  24. F. Pick, Prag und Montpellier (o. O. u. J.), 161.


*Erschien, in: Arch. f. Kulturgesch. 2 (1960) 231-238.


 
 
 
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