In der mittelalterlichen medizinischen Literatur spielen die verschiedenen
Gesundheitsregeln, Regimina sanitatis, eine bedeutende Rolle. Die diätetisch-hygienischen
Vorschriften dieser Regimina verbreiteten sich nicht nur als selbständige
Bücher, sondern wurden auch zu Kapiteln anderer medizinischer Werke des
Mittelalters. So enthält das am meisten verbreitete medizinische Buch
des 13.-14. Jahrhunderts, die Practica Bartholomaei /1/ ebenso ein Regimen
Sanitatis wie das Arzneibuch Ortolfs von Baierland, welches die Practica
bald verdrängte und später auch im Drucke erschien. Bei letzterem wies
Keil nach, daß jenes Kapitel, welches die diätetischen Regeln enthält,
keinen organischen Teil des Werkes bildet. /2/
Sämtliche Regimina des Spätmittelalters sind ultima analysi auf die Schola
Salernitana zurückzuführen. In ihrer Erscheinungsform weichen sie jedoch
von einander in vielem ab, stellenweise sind sie auch im Inhalt verschieden.
In der Blütezeit des scholastischen Geistes entfernen sich diese Variationen
immer mehr von der nüchternen Einfachheit des Originals. Diese Verschiedenheit
und textliche Umwandlung der einzelnen Regimina ist einerseits die Folge
der im Laufe der Zeit sich vermehrenden Kenntnisse, anderseits spiegelt
sich im Geiste der Regimina die ärztliche Persönlichkeit und das Wissen
der Autoren bzw. Kommentatoren, die gleichzeitig auch die Form und den
Inhalt verändern.
So wie das frühmittelalterliche
Regimen Salernitanum für den König von England geschrieben wurde, so
wurden auch die spätmittelalterlichen Gesundheitsregeln meistens für
einen Herrscher verfertigt. Ihr Verfasser oder Kommentator war meistens
der Arzt des Königs.
Unter den Hofärzten des 14.-15. Jahrhunderts ragt an Wissen Sigismundus
Albicus, der Arzt des böhmischen Königs Wenzel, später des Kaisers und
ungarischen Königs Sigismund, weit hervor. Geboren im böhmischen Mährisch-Neustadt
um 1360, starb er am 23. Juli 1427. /3/ Seine Baccalaureatsprüfun legte
er an der Prager Universität 1382 ab. Entsprechend dem Brauche jener Zeit
hielt er bereits frühzeitig Vorlesungen and der Universität in Prag.
1407 finden wir ihn in Italien, wo die Matrikel der Universität Padua
seinen Namen verzeichnet. Hier wurde er zum Doktor beider Rechte promoviert.
Die wissenschaftlichen Grade der Medizin erwarb er an der Prager Universität.
Zum zweiten Male hielt er sich erst 1452/53 wieder in Italien auf. /4/
Bald vird er der Leibarzt des Königs Wenzel. Dessen Vertrauen zu Albicus
warr so groß, daß er sich in der schweren, von den Husitenbewegungen
verursachten und auch seinen Thron gefährdenden politischen Lage auf Albicus
zu stützen wünschte. Als der Prager erzhischöfliche Sitz vakant wurde,
bewog der König das Kapitel, Doctor Albicus zum Erzbischof von Prag zu
wählen. Diese Würde hatte er jedoch nur für eine kurze Zeit inne. Nach
seiner Abdankung wurde er Propst von Visegrad, gleichzeitig abermals Arzt
und Kanzler des Königs. Als dann nach dem Tode Wenzels die Husitenkämpfe
sich noch verstärkten und auch die Propstei des Albich verheert wurde,
flüchtete er zuerst nach Olmütz, dann nach Ofen in Ungarn. /5/ So geriet
er an den Hof des deutsch-römischen Kaisers und ungarischen Königs Sigismund.
Meiner Meinung nach muß Albicus auch schon vor seiner Flucht aus Böhmen
bzw. Ansiedlung in Ungarn (also vor 1419) bereits in Ofen gewesen sein.
Nur so wird nämlich sein in der Prager Universitätsbibliothek verwahrtes
und vom Jahre 1416 in Ofen datiertes Manuskript verständlich: Medicina
contra paralysim, quam dom. Albicus ante agonem mortis suae domino regi
a.d. 1416 in civitate Buda, Strigon. Diocesis fecit /6/ Das konnteer nur
für König Wenzel geschrieben haben. Demgegenüber wurden nicht alle König
Sigismund gewidmeten oder ihn erwähnenden Handschriften während Albichs
Ofener Aufenthaltes verfaßt. Um Albichs ärztliche und schriftstellerische
Persönlichkeit kennen zu lernen, das im folgenden zu besprechende Manuskript
aus dem I5. Jahrhundert besser zu verstehen und dieses mit den Albicus-Werken
vergleichen zu können, müssen wir uns erst über Albichs bedeutendere
Werke auslassen. Vollständigkeit wird hier natürlich nicht erstrebt.
Als Grundlage dienten die mir von den Leipziger, Münchener und Prager
Bibliotheken zugesandten Mikrofilme der unten genannten Handschriften.
/7/
Die Bedeutung und Verbreitung seiner Werke zeigt der Umstand, daß drei
von ihnen unter den ersten mitteleuropäischen ärztlichen Wiegendrucken
zu finden sind: 1. Praxis medendi, 2. Regimen pestilentiae, und das wichtigste
3. das Regimen hominis seu Vetularius. Alle drei erschienen in Leipzig
1484 im Verlag von Marcus Brandt.
Handschriftlich sind
folgende Schriften von ihm erhalten geblieben:
1. Regimen contra reumata,
quod misit ante obitum suum Sigismundo Romanorurn, Bohemiae ac Ungariae
regi; /8/
2. Medicina contra
paralysim; /9/
3. Tractatus de rectificatione
aerei magistri Albici; /10/
4. Regimen corporis,
consilium ad Sigisrnrmdum (Fragment); /11/
5. Tractatus de crisi;
/12/
6. Questio solemnis...;
/13/
7. Puch der erezney
von maister albico; /14/
8. Pestregimen Albici
archiepiscopi (deutschsprachig); /15/
9. Regimen ternpore
pestilentiae Albici medici; /16/
10. Reportata ex lectionibus
magistri Albici; /17/
11. Collectorium rnaius
und
12. Collectorium minus
stammen nur zum Teil von AlbÃcus selbst, enstanden aber sicher unter seinem
Einfluß. /18/
Von den angeführten Werken trachte ich auf Grund des Vetularius, der Practica
und des Tractatatus, sowie des Puch der erczrtey einige Momente zu beleuchten,
die für die Mentalität und für die ärztliche Anschauung des Albicus
charakteristisch sind.
Albicus erscheint in den erwähnten Schriften als eine vom streng dogmatischen
Geiste der Scholastik ziemlich unabhängige Persönlichkeit. Seine Feststellungen
ruhen größtenteils auf eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Dies betont
er auch an mehreren Stellen. Das bedeutet natürlich nicht, daß er Autoritäten
nicht zitiert hätte. Er beruft sich auf die Klassiker, von Hippokrates
bis Avicenna. Doch zitiert er diese, sozusagen, nur mehr zur Rechtfertigung
der aufgestellten Thesen, aber er geht nicht von ihnen aus. Besonders charakteristisch
ist es, daß er die angesehenen Namen, in vollem Gegensatz zu damals üblichen
Gepflogenheiten, meist ohne jedes lobende Attribut nennt. Es fehlen die
im Superlativ geschriebene lobpreisenden Sätze. Nur eine Ausnahme gibt
es: Arnaldus de Villanova, den er anscheinend besonders hochschätzte.
Ihn apostrophiert er mit dem Attribut "der erfahrenste Arzt". Der vielgereiste,
mit fremden Völkern öfters in Berührung gekommene Arzt erkennt die Bedeutung
der geographischen Eigenheiten, der nationalen Sitten bei der Entstehung,
dem Verlauf und der Heilung der Krankheiten, und das betont er auch ausdrücklich
an mehreren Stellen. Er schreibt unter anderem, daß in Anbetracht der
geographischen Verschiedenheiten, die die Krankheiten verändern, sowie
der Verschiedenheit der Diäten der Arzt, der in Italien studierte, in
Böhmen nicht so erfolgreich sein kann wie auf Italiens Boden. Und in einer
der Schirften über die Pest stellt er die Gepflogenheiten der Italici
und der Bohemi bei Anwendung der Arzneien einander gegenüber. Er betont
die Rolle der vorbeugenden bzw. heilenden Wirkung der richtigen DÃät,
der mäßigen Körperbewegung, der entsprechenden Arbeit und des heiteren
Gemüts, gegenüber der übermäßigen medikamentösen Behandlung. Die
maßvolle Anwendung des Aderlasses, die wiederholte Betonung der schädlichen
Folgen überflüssigen Blutabzapfens zeugt von der nüchternen Denkungsart
und großen Erfahrung Albichs auch auf diesem Gebiete. Gegenüber der Alchemie
ist er noch skeptischer als Arnaldus von Villanova. Im allgemeinen ist
er eher Anhänger der "natürlichen Heilverfahren".
Albichs Stil ist flüssig; Wiederholungen, sonst in medizinischen Texten
jener Zeit recht häufig, sind relativ selten. Auffallend zahlreich sind
jedoch die volkstümlichen, derben Ausdrücke. Was schon Sudhoff bei der
Besprechung der Pestschriften festgestellt hat.
Obige Charakteristika in Erwägung ziehend, möchte ich ein bis jetzt unveröffentlichtes
Manuskript bestimmen und seine medizinhistorische Zugehörigkeit feststellen.
Dieses Fragment steht in einer Handschritt der Medizingeschichtlichen Landesbibliothek
in Budapest, 28 Pergamentblättern in zeitgemäßem Ledereinband. Die Handschrift
besteht aus zwei Teilen, jeder hat ungefähr den Umfang eines Quaternio,
doch ist keiner von beiden vollständig. Sie sind von zwei verschiedenen
Händen geschrieben, aber ungefähr gleichzeitig. Es ist festgestellt worden,
daß das Manuskript nicht aus zwei selbständigen, später zusammengebundenen
Handschriften besteht, sondern die fehlenden Blätter später in Verlust
geraten sind. Der erste Teil ist eine medizinisch-astronomische Abhandlung
in lateinischer Sprache. Der zweite Teil enthält eine mit gut leserlicher
Bastarda geschriebene deutsche "Gesundheitsregel". Zwischen den zwei Handschriftenteilen
ist der Kreis der Monate und Tage (fol. 9 v) sowie der Tierkreis mit seinen
Sternbildern (fol. 10 r) zu sehen. Der auf die Rückseite des letzten Blattes
des lateinischen Teiles gezeichnete deutschsprachige circulus solaris muß
der Anfang des deutschen Teiles gewesen sein, doch ist das sinngemäß
folgende Kapitel über Aderlaß verloren gegangen. Auch dies ist ein Beweis
dafür, daß das deutsche Regimen fortlaufend nach dem lateinischen Teil
geschrieben wurde. Dieser Umstand ist bei der Bestimmung des Alters entscheidend.
Das lateinische Fragment zählt nämlich den circulus solaris in der Tabelle
(fol. 4 r und 5 v) vom Jahre 1420 und die Conjunctionen von 1429. Die Jahreszahl
1420 hat also in diesem Falle den Wert eines terminus post quem. Das Entstehen
des lateinischen Fragments müssen wir daher in diese Zeit, d. h. in das
dritte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts verlegen. Alter kann offensichtlich
auch der diesem folgende deutsche Teil nicht sein. Das wird auch von dem
paläographischen Befund bestätigt. - Die Kalligraphie der Handschrift,
die schöne, stellenweise rot-blau kolorierte Zeichnung der Initialen,
die sorgfältige Anordnung der Rubra - der Kopist hat dem Rubrikator immer
Platz gelassen - macht es unzweifelhaft, daß es die Arbeit eines Berufskopisten
ist.
Die lateinische medizinisch-astrologische Abhandlung ist von keinem besonderen
medizinhistorischen Interesse; sie sagt nichts Neues. Ihr Entstehungsort
ist nicht zu bestimmen. Sie beginnt mit: Quam sunt protracte due virgule
una a signo superiori deorsum et alia a signo inferiori sursum (fol. 1
r). Sie endet: Et nota quod quantitas dierum, hore et minuta ortus et occasus
solis anticipantur secundum quod anticipantus gradus solis de quo dicturn
est superius in capitulo de gradibus solis. Et sic est finis (fol. 9 r).
Der letzte Sar ist Rubrum.
Die Grundlage dieser Abhandlung ist eigentlich das Werk des Beda Venerabilis
"De natura rerum". Die Tabellen auf fol. 4 r und fol. 5 v entsprechen den
decemnovennali circuli des Beda, die Zeichnungen auf fol. 9 r und 10 v
denen der auf Bl. 365 und 458 befindlichen in Mignes Patrologie Bd. 90.
Auch dieser Handschriftenteil ist ein Fragment. Der Anfang ist unvollständig;
wieviel davon fehlt, kann nicht festgestellt werden. Das Fragment beginnt
ungefähr in der Mitte des Bedaschen Originalwerkes. Das Rubrum von fol.
3 v lautet: Canon de coniunctione et oppositione. Auf fol. 6 v ist die
Tabula continuationis, coniunctionis et oppositionis zu finden.
Das deutsche Fragment ist eine typische "Ordnung der Gesundheit". Sie beginnt
mit fol. 11 recto. Im Nachfolgenden können wir - aus Platzmangel - aus
dem Text nur Teile, aus den Rubra nur Auszüge mitteilen, mit Auflösung
der Abkürzungen.
In der Mitte des Incipit-Blattes stellt der anonyme Verfasser gleich fest,
daß die deutschen meer essen dann trinken und die wahlen meer trinken
dann essen. Dann spricht er von den hippokratischen Konstitutionen (Complexen),
daß nämlich die rnenschen nach seiner Complexen Sangwinei... Colerici...
Flegmatici... Melancolici sind. Das hierauf folgende zweite.
Rubrum faßt eigentlich den Inhalt des vierten Kapitels zusammen. (Demnach
gingen dem vorhandenen Teil des Fragments noch mindestens drei Kapitel
voran.)
In dem vierten Capitel hat man lere von essen von trinken von slaffen und
von wachn wie man sich vor und nach essen damit halten sol und von dem
obgeschriebn essen und trinken wich die natur zu überflüssig ettwen von
unmassigkait wegen Darumb ist nach obgeschriebn Lere Wie und mit was man
die vberflussign natur sullt abziehen und zehilff kömen. . . Fol. 13.
verso zitiert der Verf. Konstantin, /19/ Wobei er sich mit allem Wissenswerten
über das Baden beschäftigt. Auf der Vorderseite des folgenden Blattes
werden die Funktionen der Pori der Haut beschrieben: ...Avicenna und spricht
das in dem pad die löcher an der hautt die da hayssen pori offen steen.
. . Die Folgenden Erwägungen von den heilend und anregend wirkenden Bädern
zeugen wahrlich nicht von "mittelalterlicher Dunkelheit".
Auf der Recto-Seite des fol. 15 beginnt das Aderlaß-Kapitel, das sich
auch mit dem Problem der dies fausti bzw. critici befaßt. /20/ Die genaue
Beschreibung des Kollapses bei übermäßigem Aderlaß weist auf einen
exakt beobachtenden Arzt hin: …so dem menchn die varb verkert wirt und
die pulst abnybt so sol man aufhörn auch wer vil schwitzt das ist ain
Zaichen der vberflüssigkait … Das Rubrum von fol. 17 r ist besonders
wichtig für uns, denn nur hier kommt der Inhalt der Handschrift, Ordnung
der gesunthait, expressis verbis zum Ausdruck.
Das Kapitel, das sich mit der Luft befaßt, wird im Rubrum von fol. 18
r eingeführt: Als das puch ist geordnet zu der gesunthait so ist not das
man visse wie man in den luft leben sol das ist wie er gesunt seyoder nicht.
Dann, sich auf Avicenna berufend, mahnt der Autor, die gute Luft solle
sich nicht mit schädlichen Ausdünstungen vermischen. Hier wird auch dÃe
Wohnungshygiene erwähnt: Da die rnenschn wonung haben, da sol das erdreich
nicht faul seyn. Im Folgenden werden diätetische Regeln per longum et
latum besprochen, indem öfters auf einen ungenannten Meister hingewiesen
wird.
Im ersten Drittel des fol. 24 r geht die eigentliche Makrobiotik zu Ende
und es beginnt der Anhang, der die Heilkräuter und Gewürze behandelt.
Dieser inhaltlich abgesonderte TeÃl hängt in der Konstruktion eng mit
dem Regimen zusammen und endet in der Mitte des fol. 28 r. Das ist auch
das Ende des ganzen Fragments. Folgende Heilkräuter und Gewürze sind
in diesem Kapitel zu finden: Galgant, Inber bzw. Ingwer, muskatt, nagel,
Zymarinten, Zittwar, Pheffer; lorber, Saffran, Krambitper bzw. krampbitper,
Zum Schluß können wir über den prann wein lesen.
Die Besprechung einiger Krankheiten und die regen diese verordneten Heilmethoden,
auch einige eingeschaltete Rezepte machen das kräuterbuchartige Kapitel
abwechlungsreich. Vom Schüttelfrost (von riten) schreibt er folgendes:
Der Ritt der den Menschn alltag an geet kumbt von vier saiten. Von ersten
so man erkaltet nach dem pad So werdn die Löcher die da hayssen pori offen...
So geet die kellten durch die löch ein die offen steen zu der leber Davon
wird der Ritt darumb soll man sich hueten und warm halltn ... Zum anderen
mall wirt der Rit von posem Luft ...Zum dritten mal wirt er von fleisch
oder Spais nicht wol gesottn oder gepraten ist wann die natur die Speis
nicht wol magt vertzeren So fault sy durcheinander und wirt Corumpirt und
dauon der ritt ... Zum vierdn mal wann ain rnensch gar hais padt und darnach
zu kalt wasser geet und damit begeust So slecht die keltn In und die pory
werdn vershopt dauon wirt der Rit ... (fol. 26 r-26 v). Der Beschreibung
des alltäglichen Schüttelfrostes folgt eine Abhandlung über die Malaria
tertiana: der rit ßber den anderen tag haisst Tertiana... (fol. 27 r).
Unmittelbar danach erwähnt das Manuskript den weisen Meister von Prag:
...das lernt mich zu prag ain wais Maister ….
Die Ruhrepidemien bedeuten eines der größten ärztlichen Probleme des
Mittelalters. Es ist daher verständlich, daß die Handschrift sich sehr
viel mit der rot rur beschäftigt. Die letzte Seite, die sich bis zur Mitte
von fol. 28 r erstreckt, enthält zwei Rezepte gegen die Ruhr, womit auch
dies interessante Fragment endet. Das letzte Rezept lautet: Nym Aych ein
schusling Die desselbigen Jares sind auskommen und prichs Im ersten May
und prenn Sy aus durch ain Rosenhut und gibs dem sichen zwei oder drey
tag ze trinken ain wenig er wirt gesunt an der ruer.
Es kann ohne Zweifel festgestellt werden. daß die geschilderte Handschrift
eine Variante der Regimina in Prosa ist. Der Stil zeigt viel Ähnlichkeit
mit den deutschsprachigen Handschriften des Albicus, in erster Linie mit
jenem des Puch der erczney. Bezeichnend ist für Albich, zeugt aber zumindest
von seinem Einfluß, daß in unserem Manuskript bei keinem der zitierten
klassischen Autoren, an keine einzigen Stelle, lobende Attribute zu finden
sind (Villanova ausgenommen). Die wiederholte Betonung der gesundheitsfördernden
Wirkung des Bades, des Heileffektes des Wassers ist hauptsächlich im ursprünglichen
Regimen Salernitatum zu finden. Die späteren scholastischen Kommentatoren
schreiben bereits mehr über die Gefahren des Bades als über dessen Heilwirkung.
Diese "moderne" Anschauung übers Baden. die das Manuskript vertritt (siehe
besonders fol. 14), ist gut zu vereinbaren mit Albichs Vorliebe für natürliche
Heilmethoden. Wir wissen, daß Albicus die Bedeutung der Hautporen gut
kennt. Damit befaßt sich unsere Handschrift ausführlich. Das Kapitel
über den Aderlaß (fol. 15 r) ist ebenfalls in Albichs Geist geschrieben.
Wir begegnen hier der Aufzählung der schädlichen Wirkungen des Aderlasses
öfter als der Anführung der günstigen Erfolge. Wie bekannt. warnt Albich
auch im Vetularius wiederholt vor übermäßiger Anwendung der venaesectio.
Ähnliche Äußerungen finden wir auch in seiner Leipziger Handschrift
/21/. Schon Sudhoff hat in seiner Abhandlung über die Petschriften des
Albich /22/ die Aufmerksamkeit auf jenen auffallenden Umstand gelenkt,
welch weitgehende Beachtung Albich den geographischen und ethnologischen
Verhältnissen schenkt. Albicus stellt die diätetischen und sanitären
Sitten und Gewohnheiten der einzelnen Nationen einander gegenüber. Diese
Distinktionen können wir in unserem Manuskript sogar an zwei Stellen finden:
fol. 11 r, wo der Verfasser von der Verschiedenheit der einzelnen Nationen
im allgemeinen spricht, und fol. 18 v, wo er von den in diesem Lande üblichen
Speisen redet. Unser Manuskript befaßt sich auch mit der Wohnungshygiene
(fol. 18 r), was zu jener Zeit ziemlich ungewohnt, wenn auch nicht ohne
Beispiel war. Mit der Luft, auch mit der Luft der Wohnung befaßt sich
unter anderen auch der von Arnald von Villanova geschriebene Kommentar
sowie die Practica Bartholomaei, doch erwähnt die Bodenverhältnisse,
die hygienische Bedeutung der Erdböden des Zimmers nur Albicus im Münchener
Manuskript /23/ Schon Pick weist darauf hin, daß der Vetularius voll volkstümlicher
Ausdrücke ist /24/. Ähnliche finden sich auch in diesem Fragment häufig.
Wenn wir unser Manuskript mit dem von Arnald von Villanova geschriebenen
bzw. kommentierten Regimen vergleichen (Bämlersche Ausgabe), finden wir
zahlreiche ähnliche Teile. So stimmt fol. 11 r des Manuskripts fast vollkommen
mit der Seite fol. 16 v der Augsburger bedruckten Ausgabe überein, und
fol. 11 v mit der Seite fol. 17 r des Bämlerschen Druckes. Ziehen wir
aber die „Wanderung" der Texte der Regimina und den großen Enfluß,
den gerade Arnald von Villanova auf Albicus ausgeßbt hat, in Betracht,
so kann behauptet werden, daß die Ähnlichkeit einiger Stellen unseres
Fragments, mit dem Regimen des Villanova nicht im geringsten dagegen spricht.
daß diese Variante im Geiste des Albicus geschrieben wurde.
Auf Grund des hier vorgetragenen Berichtes scheint uns die Annahme berechtigt,
daß der auf fol. 27 r Zeile 30 erwähnte "wais maister zu Prag" Sigismundus
Albicus ist! Daß der Name Albichs nicht erwähnt wird, widerlegt diese
Annahme nicht. Erstens, weil uns zwei - wenigstens zum Teil - mit Bestimmtheit
von Albicus verfaßte Handschriften bekannt sind die des Meisters Albicus
Namen nicht erwähnen; zweitens ist nicht ausgeschlossen, daß im verlorenen
Anfang des Fragments sein Name genannt war.
LITERATUR
-
I. Haupt: Wiener Sitzungsberichte
71 (1872).
-
G. Keil : in : Sudhoffs
Arch. Gesch. d. Med. 43 (1959). 20-21. und 39.
-
Sudhoff: in: Arch. Gesch.
d. Med. 7 (1914). 90.
-
Häsner: in: Prager Vierteljahresschrift
1860.
-
Sudhoff: in: Arch. Gesch.
d. Med. 17 (1925). 157 ff.
-
Prager Universitätsbibliothek,
VIII. H. 34, fol. 149 v, unver0ffentlicht.
-
Ich möchte auch an dieser
Stelle Herrn Dr. D. Debes, Leiter der Handschriftenabteilung der leipziger
Universitätsbibliothek für die liebenswürdige Zusendung der Photokopien
der Mss. 1200 und 1226, Herrn Dr. K. Dachs für die freundliche Übersendung
der Photokopie der Münchner Handschrift Cgm 731, sowie dem Leiter des
Prager Klementinums meinen aufrichtigen Dank aussprechen.
-
Verlegt bei A. Schrutz,
Prag 1909.
-
Siehe Anm. 6.
-
Prager Universitätsbibliothek,
Ms. L. F. II.
-
München, Staatsbibliothek,
Cod. Lat. 321, fol. 89v-92r.
-
Leipzig, Universitätsbibliothek,
Ms. 1200.
-
Ebenfalls in der Leipziger
Handschrift Ms. 1200.
-
München, Staatsbibliothek,
Cgm 731.
-
Wratislawa (Preßburg),
Universitätsbibliothek Ms. I. Q.100.
-
Prag, Klementinum Ms.
XIV. 16 und Leipzig. Univ-Bibl., Ms. 1328.
-
Prag, Klementinum Ms.
I. F. II. 18v. ff.
-
Beide-Handschriften im
Kodex III. Q. 4. der Universitätsbibliothek Wratislawa (Preßburg), Sudhoff
schreibt das Manuskript Albicus zu. Vgl. Sudhoff: in: Arch. Gesch. d. Med.
9 (1916), 117.
-
Constantinus Africanus
hatte auf das Regimen Sanitatis großen Einfluß. Vgl. H. Schipperges,
in: Sudhoffs Arch. Gesch. d. Med. 43 (1959), 66.
-
Vgl. G. Keil, in: Sudhoffs
Arch. Gesch. d. Med. 41 (1957). 28-58.
-
Im Ms. 1200.
-
Sudhoff: in: Arch. Gesch.
d. Med. 7 (1914), 69. ff.
-
Cgm. 731.
-
F. Pick, Prag und Montpellier
(o. O. u. J.), 161.
*Erschien,
in: Arch. f. Kulturgesch. 2 (1960) 231-238.
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