PSA-Screening da Vinci

 
Kontroverse um PSA-Screening auf Prostatakrebs 
Von Gerald E. Hanks und Peter T. Scardino

Unter den krebsbedingten Todesursachen rangiert in den USA und der Bundesrepublik das Prostatakarzinom derzeit bei Männern nach dem Lungenkrebs an zweiter Stelle. Seit vielen Jahren sucht man dem durch regelmäßige Untersuchungen zur Früherkennung ab dem 45. Lebensjahr zu begegnen, die allerdings in Deutschland nur von etwa 10 Prozent der Männer älter als 45 Jahre genutzt werden.

Die in Deutschland dabei hauptsächlich verwandte diagnostische Methode ist das Abtasten der Prostata vom Enddarm aus. Kritiker monieren, dass diese Rektaluntersuchung allein unzulänglich sei und mittlerweile ein ergänzendes Nachweisverfahren existiere: Seit dem Ende der achtziger Jahre setzt man in den USA mehr und mehr auf einen biochemischen Test, und er ist der Hauptgrund für den sprunghaften Anstieg der lnzidenz; die Zahl der gemeldeten Neuerkrankungen hat sich von weniger als 100 000 im Jahre 1990 auf vermutlich etwa 317 000 in diesem Jahr verdreifacht.
Als Tumormarker dient hierbei die Konzentration an prostata-spezifischem Antigen (PSA) im Blutserum. Dieses Glykoprotein - vorwiegend in der Vorsteherdrüse gebildet - baut gelartige  Proteine im Ejakulat ab, so dass sich die Spermien freier bewegen können. Bei fast allen gutartigen Erkrankungen der Drüse erscheint das Protein verstärkt im Blut, mehr noch aber bei bösartigen. Erhöhte Konzentrationen können deshalb auf Krebsbefall hinweisen, und das schon fünf Jahre und mehr bevor ein Tumor tastbar würde beziehungsweise sich durch Beschwerden bemerkbar machte.

So scheint es wünschenswert, diesen Test allen Männern zur Früherkennung anzubieten, wachsen doch allgemein die Heilungschancen, je früher ein Tumor entdeckt wird. Für ein Prostatakarzinom im fortgeschrittenen Stadium hingegen gibt es keine wirkungsvolle Therapie mehr. Fälschlich charakterisiert man diesen Krebs oft als eine Krankheit, mit - und nicht an der - alte Männer sterben (weil man bei Autopsien von anderweitig Verstorbenen nicht selten kleine schlummernde Tumoren entdeckt). In Wirklichkeit aber sind - zumindest in den USA - die Rate neu erfasster Fälle, die Mortalitätsrate und die Altersverteilung bei Erstdiagnose ganz ähnlich wie bei Brustkrebs.

Sinn und Notwendigkeit eines Massen-Screenings auf PSA wird dennoch von verschiedenen Seiten angezweifelt, und das nicht allein wegen der dafür aufzuwendenden Mittel und Folgekosten. Vielmehr ist weder ganz klar, ob der gesunde Durchschnittsmann davon profitiert, noch ob die Mortalitätsrate sich verringert (die Zahl der Todesfälle durch diesen Krebs bezogen auf 100 000 Personen).

Vor- wie Nachteile

Zugunsten des PSA-Tests als Früherkennungsmaßnahme spricht vieles. So ist er ein wirkungsvolles Instrument, wie amerikanische und mittlerweile auch deutsche Studien zeigen: Gewebeproben belegten bei etwa einem Drittel der Männer mit erhöhten Werten einen bösartigen Befund, wobei die Quote um so größer wird, je stärker die PSA-Konzentration vom Normalwert abweicht. Außerdem sind die auf diese Weise entdeckten Karzinome fast immer größer und aktiver als die zufällig bei Autopsien entdeckten, so dass eher mit einem rascheren Wachsen zu rechnen ist.

Das Verfahren erfasst eindeutig viele maligne Tumoren, die beim Abtasten des Organs vom Enddarm aus dem Arzt entgangen wären. Es verbessert zusätzlich zur Rektaluntersuchung angewandt die Entdeckungsrate bei der Früherkennung um etwa das Dreifache. Und die Tumoren befinden sich auch oft noch in einem frühen Stadium. Vor Einführung des Tests in den USA waren zwei Drittel aller Prostatakarzinome bei der Erstdiagnose schon über das Organ hinausgewachsen und deshalb kaum noch heilbar. Zwar sucht man die Vermehrung der Krebszellen, die von männlichen Sexualhormonen gefördert wird, in solchen Fällen mit antihormonellen Medikamenten oder durch Entfernen der Hoden zu bremsen, trotzdem überleben die Patienten meist nur noch wenige Jahre. Durch den PSA-Test entdeckte bösartige Tumoren sind im Gegensatz dazu in fast zwei Drittel der Fälle noch auf die Vorsteherdrüse beschränkt und mit Standardverfahren zu behandeln.

Aus all diesen Gründen empfehlen die Amerikanische Krebsgesellschaft und die Amerikanische Vereinigung der Urologen mittlerweile eine jährliche Rektaluntersuchung mit PSA-Bestimmung für alle gesunden Männer vom 50. bis etwa zum 75. Lebensjahr. Danach sinkt die verbleibende statistische Lebenserwartung unter zehn Jahre, und ein oft nur relativ langsam fortschreitendes Prostatakarzinom wird dann vermutlich weder Tod noch ernsthafte Beschwerden verursachen. Bei erhöhtem Risiko, etwa wenn Vater oder Bruder bereits erkrankt gewesen sind, sollte mit der Vorsorge aber schon ab dem vierzigsten Lebensjahr begonnen werden.

Bislang ist nicht schlüssig bewiesen, dass regelmäßige Früherkennungsmaßnahmen auf Prostatakrebs die Mortalitätsrate hierfür innerhalb der Bevölkerung senken. So habe, wie Kritiker vorbringen, der starke Anstieg frühentdeckter Tumoren, der aufgrund des PSA-Tests in den vergangenen zehn Jahren in den USA zu verzeichnen war, noch keinen wesentlichen Rückgang der Mortalitätsrate erbracht. Das Argument sticht jedoch nicht: Weil Prostatakarzinome oft langsamer fortschreiten als andere Krebsformen, erst nach zehn oder mehr Jahren tödlich werden, dürfte sich ein eventuel1er Effekt des PSA-Screenings erst nach der Jahrhundertwende in der Mortalitätsstatistik der USA zeigen.

Weitere Zweifel - auch von deutschen Wissenschaftlern - werden durch den Umstand genährt, dass zwar etwa ein Drittel aller Männer über 50 diesen Krebs in irgendeiner Form hat, doch nur bei sechs bis zehn Prozent davon ist er der gefährliche Typ und nur bei drei Prozent die Todesursache (alle anderen sterben eher an anderen Ursachen).

Viele Tumoren der Prostata sind klein und aus gut bis noch mäßig differenzierten Zellen aufgebaut (normal wären hochdifferenzierte Zellen); bei einem Mann jenseits der 70 werden sie innerhalb der zu erwartenden Lebensspanne wahrscheinlich kaum noch ernsthafte Beschwerden verursachen. Ein kleiner Prozentsatz ist groß mit sehr abnormen Zellen, die früh zu metastasieren beginnen; den entstehenden Tochtergeschwülsten erliegt der Patient binnen weniger Jahre. Meist ergibt die histologische Gewebeuntersuchung der Karzinome (vor allem der durch PSA ermittelten) aber eine Zwischenform, und dann ist schwer auszumachen, ob es sich um rasch fortschreitenden und damit behandlungsbedürftigen Krebs oder um einen langsamen handelt, den man durchaus im Körper belassen kann. Dies macht eine Entscheidung über das weitere medizinische Vorgehen leider nicht einfach.
 

Den möglichen Wert frühzeitiger Erkennung und Behandlung des Prostatakarzinoms hat man auch anhand von Computermodellen zu ermitteln versucht. Demnach brächte die regelmäßige Reihenuntersuchung von mehreren Millionen Männern möglicherweise nur beschränkten Nutzen im sozialen Bereich, was die Verbesserung des Gesundheitsstatus oder die Verteilung knapper medizinischer Ressourcen anbelangt. Kritiker weisen auf die Belastungen hin, die sich aus der Abklärung verdächtiger, sich aber nicht bestätigender Befunde ergeben - sowohl finanziell für die Solidargemeinschaft als auch physisch und psychisch für die jeweils Betroffenen. Bei erhöhtem PSA-Wert werden Gewebeproben (Biopsien) erforderlich: In zwei Dritteln der Fälle stellt es sich dann als offenbar falscher Alarm heraus - auch eine Entzündung oder Verletzung der Drüse erhöhen ja die Konzentration des Proteins. Der Patient hat umsonst Ängste ausgestanden und ein gewisses Risiko, dass Blutungen oder Infektionen auftreten, auf sich genommen. Andererseits bleiben aufgrund von Unzulänglichkeiten des Tests vermutlich 30 Prozent der Krebserkrankungen nach wie vor unentdeckt.

Hinzu kommen die Gefährdungen durch eine unnötige eingeleitete Therapie im Falle jener Patienten, deren Krebs ansonsten für den verbliebenen Rest ihres Lebens unerkannt geblieben wäre, weil er noch keine grundlegenden Beschwerden verursacht hätte. Es könnte sein, dass die Reihenuntersuchung symptomfreier Männer auf erhöhte PSA-Werte nun viele solcher irrelevanten Karzinome aufdeckt, die dann infolge der Behandlung erhebliche Kosten und Leiden verursachen. Erst die Zeit wird zeigen, ob die entdeckte Zahl signifikanter (gefährlicher), doch noch behandelbarer maligner Tumoren - und wie die Zahl eventuell gewonnener Jahre - die Kosten aufwiegen.


 

Nebenwirkungen der Therapie

Vorausgesetzt ein Tumor erfüllt alle Kriterien, dann besteht selbst über das weitere Vorgehen erhebliche Uneinigkeit. Die drei bislang am besten untersuchten Alternativen sind Abwarten und sorgfältiges Beobachten, operatives Entfernen der Prostata sowie Bestrahlungen. Jede Strategie hat ihre Vor- und Nachteile, eine einhellige beziehungsweise verbindliche Lehrmeinung über eine beste Methode gibt es nicht, so dass die individuelle Entscheidung für Arzt und Patient gleichermaßen schwierig ist.

Das Entfernen der Prostata wird seit 1903 praktiziert. In den USA stieg die Zahl dieser Operationen mittlerweile auf das Sechsfache im Vergleich zu 1984; im vergangenen Jahr dürften es insgesamt etwa 160 000 gewesen sein. Sofern der Tumor noch auf das Organ beschränkt ist, lässt er sich durch die Operation vollständig entfernen. In immerhin 70 Prozent der Fälle bedeutet das vollständige Heilung; mindestens vier von fünf Patienten, bei denen fünf Jahre nach dem Eingriff praktisch kein PSA im Blut nachweisbar ist, erleiden auch späterhin keinen Rückfall (der aus einzelnen verbliebenen Zellen resultiert).

Der Preis dafür ist zunächst eine aufwendige Operation mit entsprechendem Krankenhausaufenthalt und langdauernder Genesungsphase. Zudem werden dabei leicht Nerven beschädigt. Inkontinenz ist eine Folge: Eventuell für Monate kann der Patient dann sein Wasser nicht mehr richtig halten, in drei bis fünf Prozent der Fälle gewinnt er diese Fähigkeit auch nicht zurück. Des weiteren kann er ein halbes bis zu einem Jahr sein Glied nicht mehr eregieren; etwa ein Drittel bis die Hälfte der Patienten müssen sich endgültig damit abfinden. Wie schnell sich, wenn überhaupt, gerade die Sexualfunktion wieder regeneriert, ist zudem abhängig vom Alter des Patienten, davon wie gut sie zuvor war und vom Ausmaß des Eingriffs. An Zentren mit großer Erfahrung in dieser Operationsmethode gelingt es eher, die für solche Funktionen wichtigen Nervenbahnen zu schonen.

Durch Bestrahlung von außen lässt sich Prostatakrebs unter Umständen ebenfalls für den Rest des Lebens zum Verschwinden bringen. Schon 1987 kamen Experten aufgrund der ausgewerteten Daten überein, dass die Wahrscheinlichkeiten fünf beziehungsweise zehn Jahre nach der Behandlung noch zu leben für beide Methoden gleich seien. Einige der unmittelbaren postoperativen Nebenwirkungen werden vermieden, dies allerdings um den Preis anderer Risiken, etwa einer strahlenbedingten akuten Entzündung der Enddarmschleimhaut, die chronische Schäden hinterlassen kann, oder dem allmählichen Schwinden der Potenz. Durch sorgfältiges Anpassen der Bestrahlungsfelder an die Form der Geschwulst sucht man neuerdings die Strahlenwirkung auf das befallene Gewebe zu konzentrieren und umgebendes zu schonen. Das Risiko einer Darmschädigung lässt sich so auf etwa ein Prozent, das einer Impotenz auf etwa 30 Prozent verringern.

Abwarten und sorgfältig Beobachten ist die konservativste Verfahrensweise. Zwar vermeidet sie die genannten Folgen für die Gesundheit, doch ist der Patient andauernder Sorge um ein mögliches Fortschreiten des Karzinoms ausgesetzt und muss befürchten, eines langsamen und qualvollen Todes zu sterben. Es ist wohlgemerkt ein bewusster Verzicht auf ein Vorgehen, das Aussicht auf Heilung birgt. Der Arzt wird deshalb nur solchen Patienten dazu raten, die vermutlich eher altersbedingt oder aufgrund anderer Ursachen dahinscheiden werden, bevor massive Beschwerden auftauchen. Der Patient sollte sich im klaren sein, dass er eine palliative Behandlung einschließlich Bestrahlung oder Hormontherapie braucht und damit deren Nebenwirkungen erfährt, wenn sein Krebs früher als erwartet fortschreitet. Einige Studien deuteten zwar darauf hin, dass ein Nicht-Behandeln die Überlebensraten im Vergleich zur Resektion oder Bestrahlung nicht verschlechtere, doch lassen sich bei ihnen allen methodische Mängel nachweisen - ihr Aussagewert ist also zweifelhaft.

Es gibt weitere Behandlungsmethoden für Prostatakrebs. Bei der Kryotherapie etwa zerstört man Gewebe lokal durch eine mit flüssigem Stickstoff gekühlte Sonde. Auch kann man kleine, mit radioaktivem Inhalt gefüllte Kapseln, seeds genannt, in die Prostata implantieren; deren Strahlung wird sehr schnell vom umgebenden Gewebe absorbiert und wirkt deshalb nur in unmittelbarer Nähe der Kapseln. Da über Heilungsraten oder Nebenwirkungen aber noch zuwenig Daten vorliegen, lassen sich diese Methoden mit den klassischen noch nicht vergleichen.

Angesichts solcher Unklarheiten ist verständlich, dass der Nutzen von PSA-Tests ebenso wie das weitere Vorgehen bei den dadurch entdeckten Tumoren umstritten ist. Mit dieser Unsicherheit müssen Patienten und Arzte wohl noch etwa zehn Jahre leben. Dann erst werden die Ergebnisse umfangreicher europäischer und amerikanischer Studien zum Thema vorliegen. Allerdings gibt es Ansätze, den biochemischen Test zu verbessern und so zu modifizieren, dass eine Unterscheidung zwischen gut- und bösartigen Tumoren möglich ist. Beispielsweise kann man davon ausgehen, dass die Zahl der PSA-produzierenden Zellen bei letzterem schneller zunimmt, die Konzentration am Protein dann über einen längeren Zeitraum hinweg schneller ansteigt als beim benignen Tumor; allerdings schwankt diese ohnehin recht stark und scheint sich auch beim Gesunden mit zunehmendem Lebensalter zu erhöhen. Erst nach mindestens zwei bis drei Jahren Beobachtung ist eine - eingeschränkte  -Aussage möglich. Ein weiteres Kriterium könnte der Quotient aus PSA-Wert und Prostatavolumen sein, doch ist dessen Bestimmung im Ultraschallbild recht subjektiv und schwer reproduzierbar. Schließlich lässt sich die Spezifität des Protein-Nachweises für die Früherkennung verfeinern: Man nutzt dazu Antikörper; die können aber auch auf bestimmte Abschnitte von PSA zugeschnitten werden, um so freies und gebundenes zu unterscheiden - deren Anteile scheinen sich bei benignen und bösartigen Tumoren zu unterscheiden.



Gerald E. Hanks und Peter T. Scardino beschäftigen sich speziell mit dem Prostatakarzinom. Hanks ist Leiter der Abteilung Radiologische Onkologie am Fox-Chase Krebszentrum in Philadelphia (Pennsylvania). Scardino leitet die Urologische Abteilung am Baylor College für Medizin in Houston (Texas). Die Angaben für Deutschland wurden redaktionell ergänzt.
 

Mit freundlicher Genehmigung aus

„Spektrum der Wissenschaft“
Spezial 5: Krebsmedizin (Mai 1999)

Spektrum der Wissenschaft
Vangerowstraße 20
69115 Heidelberg
T.: 06221  504-711
F:  06221  504-716
redaktion@spektrum .com