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MorgenWelt Wer hätte gedacht, daß Handlungsreisende sich einmal von Ameisen
inspirieren lassen sollten, um ihre Reisen von Stadt zu Stadt zu optimieren?
Und sogar für überlastete Telekommunikationsnetze könnten die
kleinen Tiere sich als Segen erweisen. Bei Ameisen wie auch bei Bienen gilt:
Gemeinsam sind wir stark! Und obwohl Insektenforscher dieses Phänomen schon
lange beobachten, machen Informatiker und Ingenieure es sich erst seit kurzem
zunutze. Heute ist diese kollektive Intelligenz oder "Schwarmintelligenz"
- so nennen sie Guy Theraulaz vom französischen CNRS (Centre National de
Recherche Scientifique) und seine Kollegen Marco Dorigo vom Brüsseler IRIDIA
(Institut de Recherches Interdisciplinaires et Développements en Intelligence
Artificielle) und Eric Bonabeau von der Pariser Firma Eurobios - ein echter
Glücksfall für Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Heute tun sie es. Virtuelle Ameisen und künstliche Pheromone haben bereits
mit dem klassischen Problem des Handlungsreisenden (travelling salesman problem,
TSP) aufgeräumt. Bei diesem Problem sucht man die kürzeste Reiseroute
durch mehrere Orte, ohne einen Ort mehrmals besuchen zu müssen bzw. dürfen.
Das Prinzip mag simpel erscheinen, aber bei nur 15 Orten liegt die Zahl aller
möglicher Routen schon bei fast 90 Milliarden... Durch Nachahmen der Strategie
von Ameisen bei der Futtersuche konnten Marco Dorigo und seine Mitarbeiter die
Reiserouten von virtuellen Insekten optimieren. Indem diese unterschiedliche
Mengen künstlicher Pheromone auf den Wegen deponierten - und diese Duftstoffe
allmählich wieder verdunsteten - konnten die Insekten schließlich
die kürzeste Route finden. Und somit auch der Handlungsreisende. Übersetzung:
Emma Simon & Carsten Meinke Beitrag des französischen
Magazins InfoScience für
19. Oktober 2000
Ameisen ins Netz!
Soziale Insekten entwickeln eine
"Schwarmintelligenz", welche die Informatiker fasziniert. Mittlerweile
wimmeln Netzwerke von virtuellen Ameisen und künstlichen Pheromonen.
von Francoise Dupuy-Maury
Die Haupteigenschaft von sozialen Insekten wie Ameisen oder Bienen ist das Agieren
in selbstorganisierten Gruppen, deren oberstes Gebot die Einfachheit ist. Ameisen
lösen ständig komplexe Probleme, nur durch die Summation einfacher
Interaktionen zwischen den Individuen. Beispielsweise kann eine Ameise, der
Pheromonspur einer Artgenossin folgend, den kürzesten Weg vom Bau zu einer
Nahrungsquelle nehmen. Einem Weg zu folgen ist einfach - das Finden des Weges
definitiv nicht.
Guy Theraulaz, Experte für Verhaltensforschung, hat dieses Phänomen
an Kolonien einer argentinischen Ameise, Linepithema humile, untersucht. Er
bot den Tieren zwei Äste unterschiedlicher Länge an, auf denen sie
zu Futter gelangen konnten. Zunächst war die Wahl der Ameisen zufällig.
Diejenigen Ameisen aber, die den kürzeren und damit schnelleren Weg genommen
hatten, konnten in der gleichen Zeit öfter zwischen Nest und Nahrung hin-
und herlaufen. Dadurch erhöhte sich nach und nach die auf dem kürzeren
Ast hinterlassene Pheromonmenge. Diese Duftnachricht wurde auch von den übrigen
Ameisen verstanden - und so fanden sie schließlich ebenfalls auf den optimalen
Weg.
Lange Zeit träumten die Informatiker davon, diese Fähigkeiten nachbilden
zu können.
Eine Ameisenkolonie besitzt noch weitere Eigenschaften, die sich Informatiker
zunutze machen können. Sie verfügt über eine große Anpassungsfähigkeit
an wechselnde Bedingungen und ist sehr robust gegenüber einem Versagen
einzelner Individuen. Eine Flexibilität, die nur allzu gut zu den sich
ständig ändernden Kommunikationsnetzen paßt. Daten, die darin
zwischen verschiedenen Rechnern ausgetauscht werden, stellen gleichsam Ameisen
dar. Sie durchqueren das Netz, indem sie von einem Netzknoten zum anderen laufen
- und wollen dabei so schnell wie möglich sein. Doch wie es im Leben ist:
manche Wege sind schlecht passierbar. Eine dadurch aufgehaltene Ameise wird
am nächsten Netzknoten nur wenig Pheromone hinterlassen. Im Gegenzug sind
diejenigen Ameisen, die auf einem Abschnitt gut vorangekommen sind, großzügiger
beim Deponieren von Duftstoffen. Aufgrund dieser Information wird die Kolonie
verstärkt die schnelleren Strecken nutzen. Das Netzwerk reguliert sich
so "selbsttätig" - ohne Eingriffe von außen.
Dies sind nur zwei Anwendungsmöglichkeiten von vielen. Beispielsweise können
Banken ihre Kunden heute auf die gleiche Art wie Ameisen ihre Leichen sortieren.
Ein wenig verlockendes, aber funktionelles Prinzip. Schon bald werden alle möglichen
Arten kleiner Siliziumchips Teil unseres täglichen Lebens sein. "Diese
Unmenge von taubstummen Biestern werden die Informatiker dazu bringen müssen,
miteinander zu kommunizieren", betonen Guy Theraulaz und seine Kollegen
in der Zeitschrift Nature. Daher haben die Forscher "keinerlei Zweifel,
daß laufend weitere Anwendungen für die künstliche Intelligenz
entstehen werden."
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