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AWMF-Leitlinien-Register | Nr. 061/014 | Entwicklungsstufe: | 1 |
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Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie der Rhinitis zeigen, dass diese als Teil einer systemischen Erkrankung zu betrachten ist. Dies macht eine Revision der Klassifizierung und Diagnostik der allergischen Atemwegsentzündung und der durch neue Entwicklungen verbesserten therapeutischen Möglichkeiten erforderlich.
Tabelle 1: Klassifikation der AR (ARIA-Dokument der WHO, 1)
Dauer der Symptomatik: | |
"Intermittierend" | "Persistierend" |
- weniger als 4 Tage pro Woche | - mehr als 4 Tage pro Woche |
- oder weniger als 4 Wochen | - und mehr als 4 Wochen |
Schwere der Symptomatik: | |
"Gering" | "Mäßig - Schwer" |
- Symptome sind vorhanden | - Symptome sind vorhanden und belastend |
- Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität nicht | - Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität |
Lebensqualitätsparameter: Schlafqualität, schulische oder berufliche Leistungen, tägliche und sportliche Aktivitäten
Die Symptome und teilweise auch die Freisetzung von Mediatoren der AR können durch eine nasale Provokation z.B. mit Pollenallergenen induziert werden. Diese Tests unterscheiden sich jedoch deutlich von der Situation bei einer natürlichen Allergenexposition. Eine nasale Sofortreaktion lässt sich bei Sensibilisierten reproduzierbar und mit geringen Allergendosen auslösen, die Spätphasenreaktion benötigt höhere (oft unphysiologische) Allergenkonzentrationen. Die Reaktionsausmaß der Nasenschleimhaut auf eine Allergenexposition ist u.a. vom Entzündungszustand der Schleimhaut abhängig und variiert im Jahresverlauf (5). Eine gesteigerte Reaktion aufgrund vorheriger wiederholter Exposition wird als "Priming" bezeichnet (6).
Die "minimal persistierende Entzündung" ist ein neues und wichtiges Konzept: Auch nach dem Ende der Allergenexposition oder bei geringerer Exposition persistieren die beschriebenen Entzündungsmarker in der Nasenschleimhaut, auch wenn die Patienten weitgehend symptomfrei sind (7). Bei der persistierenden AR interagieren Allergene mit dieser anhaltenden Entzündungsreaktion. Die Symptomatik beruht dann auf einer komplexen Interaktion.
Die nasale Hyperreaktivität ist ein wichtiges Merkmal der AR. Sie ist definiert als eine verstärkte Antwort auf unspezifische Reize (Tabakrauch, Stäube, Geruchsstoffe, Temperaturänderungen und Anstrengung) mit der Folge von Niesen, nasaler Obstruktion und/oder Sekretion.
Die Komorbiditäten der AR sind, wie in Tabelle 2 gezeigt, vielfältig und relevant. Die durch die AR bedingten Störungen der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit reichen von Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit (8) bis hin zur Verminderung der Lernfähigkeit insbesondere bei Kindern (9). In einer Untersuchung von 69 Kindern mit saisonaler allergischer Rhinitis (10) hatten 80% Pharyngitis, 70% Konjunktivitis, 40% Asthma und 37% ein atopisches Ekzem. Insbesondere das Asthma wurde in einigen Studien als wichtige Komorbidität der AR erkannt, bei Kindern mit 32% (11) und bei Erwachsenen mit 16% (12). Umgekehrt leiden über 80% der Asthmatiker auch unter AR. Die Sinusitis ist mit einer Koinzidenz von 25% (13) eine weitere wesentliche Erkrankung, die zur Morbidität der Patienten beiträgt; die Rhinosinusitis muss in die Differentialdiagnose der AR einbezogen werden. Hiervon ausgenommen sind Nasenpolypen, die nicht mit einer AR assoziiert sind (14, 15). Auch die seröse Otitis media ist möglicherweise überzufällig häufig mit einer Allergie verbunden (16). Zumindest für Kinder besteht zudem ein nachgewiesener Zusammenhang mit habituellem Schnarchen und obstruktivem Schlafapnoesyndrom (17).
Tabelle 2: Symptome und Komorbidität der AR
Primäre Symptome | Sekundäre Symptome | Komorbidität |
Niesen | Husten | Konjunktivitis |
Juckreiz | Halsschmerzen | Sinusitis |
Sekretion | Halitosis | Asthma |
Obstruktion | Lidödeme | Atopisches Ekzem |
Rhinophonia clausa | Nahrungsmittelallergie | |
Mundatmung/Dyspnoe | Rezidivierender Paukenerguß | |
Schlafstörungen | Gedeihstörung | |
Nasale Hyperreaktivität | Eingeschränkte Leistungsfähigkeit | |
Konzentrationsstörungen | Zahn- und Kieferfehlstellungen |
Die anteriore Rhinoskopie mit einem Nasenspekulum ist das klassische Untersuchungs-verfahren zur Inspektion der vorderen Nasenabschnitte. Die Sicht ist jedoch eingeschränkt, es kann lediglich eine orientierende Untersuchung des Schwellungszustandes der unteren Muschel, der Farbe der Schleimhaut und der Sekretion erfolgen. Standard der nasalen Untersuchung ist daher heute die Nasenendoskopie mit starren oder flexiblen Endoskopen (18) nach Abschwellung und Oberflächenanästhesie der Nasenschleimhaut, die bei mäßig-schweren Formen von AR durchgeführt werden sollte (siehe auch Kapitel Differentialdiagnose). Allein mit der Endoskopie der Nase können sämtliche Abschnitte der Nasenhaupthöhle adäquat untersucht werden und z.B. Nasenpolypen, Septumdeviationen, Muschelhyperplasien oder andere Raumforderungen als Ursache einer persistierenden Nasenatmungsbehinderung von der AR abgegrenzt werden. Die üblichen Untersuchungsbefunde bei der AR sind die Schwellung der unteren, teilweise auch der mittleren Muschel, sowie eine schleimig-wässrige Sekretion. Die Schleimhaut erscheint ödematös und bläulich livide verfärbt.
Wegen der Häufigkeit kutaner und pulmonaler Begleiterkrankungen sollte die Diagnostik der intermittierenden/persistierenden Rhinitis eine ergänzende dermatologische bzw. pneumologische/pädiatrische Diagnostik einschließen, sofern dies aufgrund der Anamnese notwendig erscheint.
Bei der AR kommen zum Nachweis IgE-vermittelter allergischer Sofortreaktionen der Pricktest sowie der Intrakutantest mit kommerziell erhältlichen, standardisierten Allergenextrakten in Frage. Der diagnostische Standard bei der AR ist der Prick-Test. Der Intrakutantest sollte lediglich bei negativem oder fraglich positivem Pricktest, aber anamnestisch deutlichen Hinweisen auf eine Sensibilisierung durchgeführt werden. Zur korrekten Durchführung und Interpretation von Hauttestungen wird auf einschlägige Literatur verwiesen (19).
Vor einem Hauttest sollte die Einnahme von eine potentielle Reaktion supprimierenden Medikamenten ausgeschlossen werden. Antihistaminika sollten mindestens drei Tage abgesetzt sein. Orale Kortikosteroide bis 30 mg Prednisolonäquivalent täglich für eine Woche reduzieren die Hautreaktivität nicht, während die lokale Applikation potenter Steroide zu einer starken Suppression der Testresultate führt (20). Keinen oder einen zu vernachlässigenden Einfluss haben Theophyllin, ß-Agonisten, Anticholinergika, Cromone, H2-Antihistaminika und topische Steroide (Ausnahme: im Testareal). Im Zweifelsfall wird zunächst die Überprüfung der Reaktionsfähigkeit der Haut auf Histamin (Positivkontrolle) empfohlen.
Ist ein Hauttest nicht möglich (z. B. wegen einer Hauterkrankung im Testareal, der Einnahme von interferierenden Pharmaka, bei Säuglingen und Kleinkindern) ist die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper im Serum indiziert. Eine Übersicht über die Bestimmungsmethoden und Indikationen zur primären und sekundären Bestimmung des Gesamt-IgE und von spezifischen IgE-Antikörpern findet sich in bereits publizierten Stellungnahmen der DGAI und des ÄDA (21,22).
Die Höhe spezifischer IgE-Antikörper sollte idealerweise unter Berücksichtigung des Gesamt-IgE bewertet werden. Der Gesamt-IgE-Spiegel muss altersabhängig interpretiert werden und kann atopische Individuen nicht von nicht-atopischen unterscheiden, denn auch nicht-allergische Erkrankungen (z. B. Parasitosen, Scabies) können mit einem erhöhten Gesamt-IgE einhergehen. Es gibt keine Korrelation zwischen der Höhe der spezifischen IgE-Antikörper im Serum und den Symptomen der AR. Die Bestimmung von IgG-Antikörpern (z. B. IgG4) ist kein Bestandteil der Diagnostik oder Verlaufsbeobachtung (22).
Ein positiver Nachweis von mastzellgebundenem allergenspezifischem IgE im Hauttest oder von spezifischem IgE im Serum belegt eine Immunantwort auf ein Allergen, ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Nachweis einer allergischen Erkrankung (25). Ziel des nasalen Provokationstests mit Allergenen ist es, Patienten mit einer klinisch aktuellen Sensibilisierung (Allergie) gegen inhalative Allergene von solchen Patienten zu trennen, die zwar eine Sensibilisierung, aber unter natürlichen Expositionsbedingungen keine Symptomatik aufweisen (klinisch stumme Sensibilisierung), von diagnostischer Bedeutung insbesondere bei persistierender Rhinitis.
Der nasale Provokationstest (NPT) reproduziert die Reaktion der Nasenschleimhaut auf einen inhalierbaren Stoff aus der Umwelt unter kontrollierten Bedingungen. Dabei wird das vermutete Allergen auf die Nasenschleimhaut gebracht und die resultierende klinische Sofortreaktion dokumentiert. Die Veränderung der nasalen Luftdurchgängigkeit nach Allergenapplikation wird mittels aktiver anteriorer Rhinomanometrie gemessen (26), Niesreiz, Sekretion und Fernsymptome werden mittels eines Scores erfasst (24).
Tabelle 3: Indikationen des NPT
Der NPT mit Inhalationsallergenen ist im Anschluß an Anamnese, Hauttestung bzw. ggf. in-vitro Diagnostik indiziert, wenn:
a) | die vorangegangenen Untersuchungen keine übereinstimmenden Ergebnisse zeigten, die Klärung der klinischen Aktualität eines fraglichen Allergens aber von therapeutischer Relevanz ist; |
b) | eine Sensibilisierung gegen inhalative Allergene nachgewiesen wurde, die Anamnese aber keine klinischen Rückschlüsse erlaubt. Dies ist z.B. bei persistierenden Rhinitiden der Fall, bei denen neben Allergenen auch zahlreiche nicht-allergische Faktoren an der Ausprägung des Krankheitsbildes beteiligt sein können; |
c) | Sensibilisierungen gegen mehrere saisonale Allergene vorliegen, deren zeitliche Zuordnung zur Symptomatik auf Grund von Überschneidungen im Pollenflug nicht eindeutig gelingt; |
d) | die Relevanz beruflicher Allergene im Falle von Umschulungen oder Begutachtungen nachzuweisen ist, |
e) | im Ausnahmefall resorptionsferne Manifestationen einer inhalativ ausgelösten allergischen Erkrankung überprüft werden sollen oder |
f) | die Reproduktion des Krankheitsbildes bei fehlendem Antikörpernachweis angestrebt wird |
g) | der Therapieeffekt einer Hyposensibilisierung überprüft werden soll (Vergleich vor und nach Therapie mit Allergentitration). |
Typische unspezifische lokale Auslöser nasaler Symptome umfassen rasche Temperaturschwankungen der Nasenschleimhaut, chemische Irritantien (29) und intensive Gerüche. Zu den extranasalen Auslösern zählen Änderungen der Körperlage oder Körpertemperatur, körperliche Aktivität und Verzehr heißer Speisen. Zur Diagnostik können nasale Provokationsteste eingesetzt werden (30), die Histamindihydrochlorid oder Methacholinchlorid als Stimuli verwenden (24). Die Teste eignen sich jedoch nur eingeschränkt für eine individuelle Bestimmung der nasalen Reaktivität, standardisierte Methoden für die Routinediagnostik fehlen.
Tabelle 4: Klinische Unterscheidungsmerkmale von intermittierender allergischer Rhinitis, akuter viraler Rhinopharyngitis und akuter bakterieller Rhinosinusitis (in Klammern entsprechende ICD-10 Codes).
Intermittierende (saisonale) AR (J30.1, J30.2) | akute virale Rhinopharyngitis (J00) | akute bakterielle Rhinosinusitis (J01) | |
Anamnestische Hinweise | bekannter Heuschnupfen, ähnliche Beschwerden zur gleichen Jahreszeit in vorangegangenen Jahren | Kontakt zu infizierten Personen | Verschlimmerung der Symptome einer akuten Rhinopharyngitis |
kennzeichnende Symptome neben Obstruktion, Hypersekretion und Hyposmie | nasaler Juckreiz, Niesanfälle, | leichter brennender Schmerz der Nasenschleimhaut, im späteren Verlauf Trockenheitsgefühl, sporadisches Niesen | Mittelgesichtsschmerz, Verschlimmerung beim Bücken |
extranasale Symptome | Augenjucken, Augentränen | pharyngeale Schmerzen, Schluckschmerzen | |
typische endonasale Befunde | Schleimhaut ödematös, blass bis livide verfärbt, wässrige Hypersekretion | Schleimhaut geschwollen, hochrot, unterschiedlich ausgeprägte Hypersekretion, meist mit grauen Schlieren | Schleimhaut im Bereich der mittleren Nasenmuschel von ödematöser Schwellung, Rötung und Hypersekretion besonders betroffen, gelegentlich Schleimstraßen aus dem mittleren Nasengang |
Bildgebung | selten Begleitsinusitis | häufig Begleitsinusitis | Sinusitis nachweisbar |
Tabelle 5: Differentialdiagnostisch relevante lokale Veränderungen und Erkrankungen von Nase und Nasennebenhöhlen
Arten | Beispiele, Manifestationen, Ursachen |
Veränderungen des Nasengerüsts | Sattelnase, Schiefnase, Septumdeviation, Nasenmuschelhyperplasie |
chronische Rhinosinusitis | chronisch neutrophile Sinusitis1), chronisch eosinophile Sinusitis2) |
adenoide Vegetationen | Häufigste Ursache persistierender nasaler Beschwerden im Kleinkindesalter |
neurogene Regulationsstörungen | Rhinitis medicamentosa3), idiopathische Rhinitis4) |
toxisch irritative Rhinitis | Umweltschadstoffe (Schwefeldioxid, Ozon, ‚urban pollution') und Arbeitsplatzexposition (Metallverarbeitung, chemische Industrie, Landwirtschaft, holzverarbeitende Berufe) |
degenerative Veränderungen der Nasenschleimhaut | Drüsenatrophie, Epithelmetaplasie, Dyskrinie, Alter, Menopause, Radiatio, Chemotherapie, extensive Nasenchirurgie, chronische toxisch irritative Rhinitis |
Neoplasien | invertiertes Papillom, Karzinome |
spezifische Entzündungen (selten) | Leishmaniose (Spanien, Portugal), Lues, Tuberkulose, Malleus (Osteuropa) |
Tabelle 6: Systemische Ursachen nasaler Beschwerden
Arten | Beispiele, Manifestationen |
Internistische Erkrankungen mit nasaler Manifestation | Wegener´sche Granulomatose, Sjögren Syndrom, Sarkoidose, Hypothyreose |
Medikamentennebenwirkungen | Azetylsalizylsäure, Paraaminosalizylsäure Hydantoinderivate, zahlreiche Neuroleptika und Antidepressiva Guanethidin, Prazosin, Clonidin, Reserpin, ACE-Hemmer Östrogenpräparate, Antikonzeptiva |
Nahrungsmittelunverträglichkeit | nicht-allergische Unverträglichkeiten verursacht durch biogene Amine (z.B. Tyramin, Histamin), scharf gewürzte Speisen (Capsaicin) Salizylate (zahlreiche Gemüse) oder Glutamatverbindungen (Geschmacksverstärker) |
Hormonelle Umstellung | Schwangerschaft, Menopause |
Die Wirkstoffgruppe der Cromone umfasst die Cromoglicinsäure (DNCG) und Nedocromil, deren Wirkungsweise nicht vollständig geklärt ist. Cromone werden nach oraler Gabe praktisch nicht resorbiert und stehen daher nur als lokale Therapeutika zur Verfügung. Die therapeutische Wirkung von DNCG viermal täglich (Compliance!) wurde in kontrollierten Studien für die saisonale AR nachgewiesen (39,40), jedoch nicht in allen Untersuchungen (41). Cromone sind bei Erwachsenen und Kindern weniger wirksam als orale oder topische Antihistaminika und topische Glukokortikosteroide (42,43,44). Im Gegensatz zu DNCG bietet Nedocromil durch die nur zweimalige tägliche Anwendung Vorteile und ist bei saisonaler allergischer Rhinitis wirksamer als Plazebo (45). Für Erwachsene werden Cromone bei besonderer Indikation, z.B. in der Schwangerschaft, empfohlen. Cromone (v.a. Nedocromil) können als Augentropfen bei allergischer Konjunktivitis eingesetzt werden (46).
6.2.2 Antihistaminika, oral und topisch
Seit den 80er Jahren ersetzten Antihistaminika der 2. Generation ältere sedierende Substanzen. Kennzeichen der 2. Generation ist eine geringere bzw. fehlende Sedierung und eine höhere Rezeptorspezifität (1). Antihistaminika der 2. Generation haben einen guten Effekt auf die nasalen und nicht-nasalen Symptome der durch saisonale und perenniale Allergene bedingten allergischen Rhinokonjunktivitis, sie sind weniger effektiv bei nasaler Obstruktion (Übersicht in 1). Es konnte gezeigt werden, dass die Langzeiteinnahme vorteilhafter als ein bedarfsorientierter Einsatz bei Symptomen ist (47). Die meisten Stoffe dieser Generation (mit der Ausnahme von Cetirizin und Fexofenadin) werden erst über das Zytochrom P450 3A in aktive Metabolite verstoffwechselt, wodurch es bei einer Hemmung dieses Enzyms durch die Koadministration anderer Arzneimitteln zu einer Kumulation kommen kann. Bei Terfenadin und Astemizol haben sich kardiale Nebenwirkungen (Herzrhythmusstörungen, Torsades de pointes) gezeigt, so dass heute auf sichere Präparate ausgewichen werden sollte. Astemizol wurde in Deutschland vom Markt genommen.
Die antientzündlichen Eigenschaften, die den Antihistaminika ab der 2. Generation aufgrund von in-vitro Untersuchungen zugeordnet wurden, waren z.T. von fraglicher klinischer Relevanz. Neuere Untersuchungen bestätigen allerdings eine über den Rezeptor vermittelte Wirkung des Histamin auf verschiedene Entzündungszellen, die Histamin als Entzündungsmediator ausweisen (Übersicht bei 1, 48). Dabei sind die antientzündlichen Effekte von der Stärke des H1-Rezeptorantagonismus abhängig und treten durchaus bei physiologischen Dosierungen auf. Durch eine höhere Rezeptorbindungsaffinität neuerer Antihistaminika können so auch klinische Effekte auf die nasale Obstruktion und die Symptome eines gleichzeitig bestehenden Asthma bronchiale bei AR beobachtet werden (49).
Es stehen in der Zwischenzeit weitere neuere Antihistaminika zur Verfügung, die sich bezüglich einiger Eigenschaften gegenüber den bisher verfügbaren Substanzen der 2. Generation positiv abheben und die deshalb die Diskussion ausgelöst haben, ob sie als "3. Generation" bezeichnet werden sollen. Basierend auf dem ARIA Workshop Report (1) und einer Stellungnahme der ARIA-Gruppe und der EAACI (50) wird eine 3. Generation von Antihistaminika durch folgende Kriterien definiert:
Diese Kriterien werden durch Desloratadin und überwiegend z.B. durch Levocetirizin und Fexofenadin erfüllt. Levocetirizin weist eine höhere Sedierungsrate, Fexofenadin eine Interferenz mit Transportproteinen bzw. eine verminderte Resorption auf.
* Anmerkung: Die genannten Nebenwirkungen sind zum Zeitpunkt der Drucklegung nicht bekannt bzw. nicht von klinischer Relevanz ** nachgewiesen am Patienten unter natürlichen Expositionsbedingungen
Antihistaminika gehören neben den topischen Glukokortikosteroiden zu den Therapeutika der ersten Wahl bei intermittierender und persistierender AR.
Die topischen Antihistaminika stehen sowohl für die Anwendung an der Nase als auch am Auge zur Verfügung. Sie wirken rasch (innerhalb von 15 Minuten), sind zweimal täglich anzuwenden und gut verträglich. Der Einsatz topischer Antihistaminika ist bei intermittierender AR oder als "On demand"-Therapie indiziert.
6.2.3 Glukokortikosteroide (GKS), topisch und systemisch
Mit der Einführung von Beclomethasondipropionat (BDP) im Jahre 1973 wurde die topische Therapie der AR mit einem Glukokortikosteroid möglich. Seitdem wurden weitere topische Steroide verfügbar (Budesonid, Flunisolid, Fluocortinbutylester, Triamcinolonacetonid, Fluticasonpropionat, Mometasonfuroat). Sie zeichnen sich in erster Linie durch eine gegenüber den klassischen Steroiden (Betamethason, Dexamethason, Hydrocortison, Prednisolon, Methylprednisolon) stärkere Lipophilie (verbesserte Penetration in die Schleimhäute) und höhere Affinität zum intrazellulären Steroidrezeptor aus. Kortikosteroide können heute als die effektivsten Arzneisubstanzen für die Therapie der AR gelten (Übersicht in 1). Durch die lokale Gabe kann bei kontinuierlicher Anwendung eine hohe Schleimhautkonzentration bei minimalem Risiko systemischer Nebenwirkungen erreicht werden (51).
Der regelmäßige Einsatz von topischen Kortikosteroiden reduziert alle nasalen Symptome einschliesslich der nasalen Obstruktion stärker als orale Antihistaminika, und reduziert nachhaltig die Konzentration verschiedener Entzündungsmediatoren (einschl. Histamin) an der Nasenschleimhaut. Allerdings sind topische GKS den oralen Antihistaminika bei der Unterdrückung der allergischen Augensymptome unterlegen, weswegen eine Kombination von topischem GKS und Antihistaminikum sinnvoll sein kann. Der Patient sollte über den protrahierten Wirkeintritt (Beginn der Wirkung nach Stunden bis einem Tag, Maximum nach wenigen Wochen), den richtigen Gebrauch (Sprühstoß parallel zum Nasenseptum in sagittaler Ebene applizieren), die Sicherheit der modernen nasalen GKS sowie die Möglichkeit der Dosisreduzierung bei Symptomkontrolle nach 3 Monaten aufgeklärt werden. Zum Therapieeinstieg oder bei schwerer Symptomatik ist über 2 Wochen auch die initiale Gabe einer doppelten Dosierung möglich.
Lokal können GKS Blutbeimengungen zum Nasensekret oder Krustenbildung verursachen, die durch die richtige Handhabung zu vermeiden sind. Septumperforationen sind äusserst selten. Die Langzeitgabe moderner GKS über ein Jahr verursacht keine Atrophie oder Störung der mukoziliären Clearance (52,53). Zur Vermeidung von systemischen Effekten sollten v.a. bei Kindern und längerem Gebrauch GKS mit geringer Bioverfügbarkeit eingesetzt werden (Tabelle 7). Bei intranasaler Langzeitbehandlung von Kindern und Erwachsenen mit AR ist das Risiko systemischer GKS-Nebenwirkungen sehr gering (52). Mitteilungen über die Hemmung des Längenwachstums bei Kindern und Jugendlichen nach Langzeitgebrauch von Beclomethasondipropionat und anderen topischen Steroiden (54,55) berücksichtigen häufig nicht, dass das zeitlich begrenzte Untersuchungen über das Längenwachstum keine Relevanz für die entscheidende Frage über die endgültig erreichte Körpergröße haben (56). Auf der Grundlage der bisherigen Daten haben die britischen (Committee on Safety of Medicine of the Medicines Control Agency) und US-amerikanischen (Food and Drug Administration) Behörden ein "class labeling" abgegeben, welches insbesondere bei Kindern die Anwendung der Präparate mit möglichst geringer systemischer Verrfügbarkeit empfiehlt (Tabelle 7).
Tabelle 7: Pharmakokinetische und pharmakodynamische Charakteristika topischer GKS
BMP* | Budesonid | Flunisolid | Triamcinolon-acetonid | Fluticason-17-propionat | Mometason | |
Relative Rezeptoraffinität (Dexamethason = 100) | 1345 | 935 | 180 | 361 | 1800 | 1960 |
Syst. Bioverfügbarkeit | 15%* | 11% | 20% | 20% | <2% | <1‰ |
Lipophilie (k') | 2,80 | 2,85 | 1,32 | 1,17 | 3,46 | 3,58 |
Bindung an menschliche Nasenschleimhaut (µg/g) | 2,88 | 1,67 | 0,94 | keine Daten | 4,28 | 3,69 |
(* BMP wird als Beclomethason-Dipropionat appliziert)
Zusammenfassend gehören die topischen Glukokortikosteroide neben den oralen Antihistaminika zu den Therapeutika der ersten Wahl bei intermittierender und persistierender AR bei Erwachsenen und Kindern; sie sollten insbesondere bei persistierender mässig bis schwerer Symptomatik mit nasaler Obstruktion eingesetzt werden.
Orale und auch Depotpräparate systemischer GKS werden in der täglichen Praxis häufig eingesetzt, ohne dass hierfür ausreichende Studien vorlägen (57). Eine Studie zum Vergleich eines oralen mit einem Depotpräparat ergab eine Überlegenheit des Depotpräparates (58), allerdings ist die Steuerbarkeit bei oraler Gabe grösser und die seltenen Muskelatrophien nach Depotinjektion können vermieden werden (1). Die Gabe oraler GKS kann erwogen werden bei ansonsten therapierefraktärer Rhinitis sowie als Anstosstherapie bei schwerer Rhinitis und obstruierter Nase. Bei Kindern, Schwangeren und Patienten mit bekannten Kontra-indikationen sind auch orale GKS zu vermeiden. Die bekannten Nebenwirkungen von systemischen GKS insbesondere bei längerem Gebrauch sind zu beachten.
6.2.4 Leukotrienrezeptorantagonisten
Leukotriene sind wesentliche Mediatoren der allergischen Entzündung und insbesondere an der Sekretion und Obstruktion beteiligt. Leukotrienrezeptorantagonisten (LT-RA) könnten daher alleine oder in Kombination mit einem Antihistaminikum (59) zum Therapierepertoire der AR beitragen. Die heute zur Verfügung stehenden Studiendaten lassen eine abschliessende Beurteilung jedoch nicht zu. Die alleinige Therapie mit einem LT-RA ist einer Monotherapie mit einem nasalen Steroid bei allergischer Rhinitis unterlegen (60). Eine Kombinationstherapie ist klinisch in etwa so wirksam wie eine Monotherapie mit einem nasalen Steroid (61).
6.2.5 Dekongestiva
Sympathomimetika wirken über adrenerge Rezeptoren an den nutritiven und kapazitiven Gefässen der Nasenschleimhaut auf die nasale Obstruktion und lassen alle anderen Symptome unberührt. Orale abschwellende Medikamente sind schwächer und kürzer wirksam als topische, sie sind in der Kombination mit einem Antihistaminikum der Monotherapie aber oftmals überlegen (62,63). Zu den Nebenwirkungen der systemischen abschwellenden Medikamente zählen Tachykardien, Unruhe, Schlaflosigkeit und Hypertonie. Nebenwirkungen der topischen Sprays sind vor allem Rebound-Effekte, die zu einer Dosissteigerung und im Endeffekt zur Rhinitis medicamentosa führen können, weswegen eine kurze Therapiedauer von nicht mehr als 10 Tagen anzuraten ist (64). Konservierungsmittel (Benzalkoniumchlorid) können die Mukosa zusätzlich schädigen. Damit ist die Indikation für topische abschwellende Sympathomimetika allenfalls auf die initiale, kurzzeitige, additive Gabe als Wegbereiter für eine Therapie mit anderen Stoffgruppen beschränkt.
6.2.6 Sonstige Therapieansätze
Die lokale Applikation von Parasympatholytika, hier vor allem das Atropin-Analogon Ipratropiumbromid, hat eine dosisabhängige Wirkung auf die nasale Sekretion (65), auch bei nicht-allergischen Rhinitisformen (66).
Die homöopathische Medikation Luffa zeigte eine dem DNCG vergleichbare Wirkung in einer Studie zur saisonalen Rhinitis (67); allerdings war keine Plazebogruppe mitgeführt worden, so dass der therapeutische Effekt fraglich bleibt. Auch für andere sog. alternative oder komplementäre Heilverfahren einschließlich der Akupunktur (68, 69) fehlt der eindeutige Nachweis einer Wirksamkeit (70).
Humanisierte anti-IgE-Antikörper wurden in zwei Studien zur AR eingesetzt (71,72); allerdings fehlen aussagekräftige Dosis-Wirkungsstudien, zudem war die Wirksamkeit anderen Antiallergika nicht überlegen. Allerdings hat diese Therapie eine additive Wirkung zusammen mit einer Immuntherapie, sodass die Kombination v.a. bei polysensibilisierten Patienten Vorteile bringen könnte (73).
6.2.7 Besondere Aspekte bei Kindern, Schwangeren und Älteren
Kinder
Die AR ist vor dem zweiten Lebensjahr selten, nimmt aber an Häufigkeit im Schulalter deutlich zu und ist Teil des sogenannten "allergischen Marsches" während der Kindheit. Allergietests können in jedem Alter durchgeführt werden, müssen aber altersbezogen eingesetzt (z.B. Pricktest) und ausgewertet (z.B. IgE-Nachweis) werden.
Die Behandlungsprinzipien sind für Kinder die gleichen wie für Erwachsene. Besondere Sorgfalt muss jedoch auf die Vermeidung von für diese Altersgruppe typische Nebenwirkungen gelegt werden, die Dosierung der Medikamente muss angepasst werden. Wenige Arzneimittel sind an Kindern unter zwei Jahren erprobt worden.
Bei Kindern kann die AR kognitive Funktionen und die schulische Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Eine weitere Beeinträchtigung durch die Einnahme sedierender oraler H1-Antihistaminika sollte vermieden werden. Intranasale Glukokortikosteroide sind auch im Kindesalter eine wirksame Behandlung der AR. Der möglicher Effekt einiger topischer Steroide bei Langzeit- und gleichzeitiger Therapie eines Asthmas auf das Wachstum ist zu beachten. Es wurde gezeigt, daß die empfohlenen Dosierungen von Mometason und Fluticason das Wachstum von Kindern mit allergischer Rhinokonjunktivitis nicht beeinflussen (1,52). Orale und intramuskuläre Glukokortikosteroide sollten in der Rhinitisbehandlung von Kindern vermieden werden.
Schwangerschaft
Die Rhinitis ist ein häufiges Problem während der Schwangerschaft, da die nasale Obstruktion durch die Schwangerschaft selbst verschlimmert werden kann. Bei jeder Verabreichung von Arzneimitteln während der Schwangerschaft ist Vorsicht geboten, denn die meisten Arzneimittel passieren die Plazenta. Es liegen nur wenige Studien mit kleinen Gruppen und ohne Langzeit-Beobachtungen vor. Antihistaminika der ersten Generation weisen z.T. teratogene Effekte am Tier auf. Für DNCG und topische Steroide sind keine nachteiligen Effekte bei Einnahme während der Schwangerschaft beschrieben, allerdings fehlen auch hier entsprechende Studien (1).
Höheres Lebensalter
Einige Medikamente können bei älteren Patienten spezifische Nebenwirkungen hervorrufen.
Ältere Antihistaminika mit anticholinergem Effekt können bei Patienten mit Prostatahypertrophie Ursache eines Harnverhaltes sein und zentrale sowie kardiovaskuläre Effekte haben, insbesondere in der Kombination mit oralen Dekongestiva. Die Nebenwirkungen sedierender Antihistaminika können verstärkt sein. Ältere Antihistaminika mit anticholinergem Effekt sind bei Glaukompatienten kontraindiziert. Antihistaminika und topische Steroide ab der zweiten Generation werden ohne oder mit nur geringen Nebenwirkungen toleriert (1).
Hinsichtlich der immunologischen Wirkmechanismen, der Standardisierung und Herstellung von Allergenextrakten, der praktischen Durchführung und der Behandlung unerwünschter Wirkungen wird auf das Positionspapier der DGAI (81,82) sowie internationale Empfehlungen verwiesen (74). Die SIT soll nur von allergologisch erfahrenen Ärzten indiziert und durchgeführt werden.
Allergenauswahl/Applikationsform
Für die SIT sollten nur qualitativ hochwertige, standardisierte Allergenextrakte mit dokumentierter klinischer Wirksamkeit verwendet werden. Die SIT ist erfolgreich bei mono- bzw. oligosensibilisierten Patienten. Mischungen von Allergenen sind möglich, unter nicht-verwandten Allergenen sollten sie jedoch vermieden werden. Saisonale und perenniale Allergene (Baum-, Gräser- und Parietariapollen, Hausstaubmilben, Katzenallergene, Cladosporium und Alternaria) eignen sich für die SIT; für diese Allergene ist eine Wirksamkeit in kontrollierten Studien nachgewiesen worden. Die subkutane Immuntherapie ist als Standard anzusehen, auch wenn die sublinguale Applikation mit Schlucken des Extrakts (sublingual-swallow) für die saisonale AR teilweise empfohlen wird (1,83). Bisher liegen keine Langzeitergebnisse bei sublingualer IT und kaum Vergleichsstudien zwischen subkutaner und sublingualer IT vor.
Applikationsschemata für die subkutane Therapie sind die präsaisonale Langzeit- und Kurzzeittherapie sowie die perenniale Therapie. Für Patienten, die auf die Behandlung ansprechen, werden derzeit mindestens 3 Jahre Therapiedauer empfohlen (1,81). Neuerdings werden auch Cluster- und Rush-Immuntherapien mit inhalativen Allergenen angegeben; ausreichende Erfahrungen bzgl. Wirksamkeit und Risiko liegen bislang nicht vor.
Tabelle 8: Indikationen einer SIT Die Indikation zur SIT ist bei sorgfältig ausgesuchten Patienten ab etwa dem 5. Lebensjahr gegeben, wenn:
Durchführung:
Die subkutane SIT ist eine ärztliche Tätigkeit und kann nicht delegiert werden. Nach einer obligaten Zwischenanamnese und Injektion der vorgesehenen bzw. individuell angepassten Dosis muss der Patient 30 Minuten unter ärztlicher Kontrolle bleiben.
Notfallbehandlungsmaßnahmen müssen unmittelbar zur Verfügung stehen, eine entsprechende Ausrüstung sowie ein Training des ärztlichen und des Assistenzpersonals ist vorzuhalten. Eine stadienabhängige Therapie entsprechend den Vorgaben der "Konsensuskonferenz der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Akuttherapie anaphylaktoider Reaktionen" wird empfohlen.
C. Bachert, Gent (HNO) (Vorsitz)
U. Borchard, Düsseldorf (Pharmakologie)
B. Wedi, Hannover (Dermatologie)
L. Klimek, Wiesbaden (HNO)
G. Rasp, München (HNO)
H. Riechelmann, Ulm (HNO)
G. Schultze-Werninghaus, Bochum (Pneumologie)
U. Wahn, Berlin (Pädiatrie)
J. Ring, München (Dermatologie)
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Claus Bachert
HNO-Universitätsklinik Gent
De Pintelaan 185
B-9000 Gent