BEITRAG ZUR PESTLITERATUR DES SPÄTMITTELALTERS*
Prof. Dr. Emil Schultheisz 
 
    Die Bedeutung der Person und der Werke des Albicus (Siegmund Albich 1360–1427) Doktor der Medizin und beider Rechte, Erzbischoff zu Prag, Leibarzt des böhmischen Königs Venzeslaus, später Arzt am Hofe des deutsch–römischen Kaisers und ungarischen Königs Siegmund in Buda (Ofen), ist erst in jüngster Zeit deutlich gemacht worden. Dies ist in erster Linie G. Eis /1/ zu verdanken. Obzwar sich Eis mit den medizinischen Werken des Albicus ausführlich befasst und auch den Lebenslauf schildert, ist seine aufschlussreiche Arbeit doch vorwiegend für die Literaturgeschichte bestimmt, wie dies schon aus der Wahl des Veröffentlichungsorgans (Zeitschrift für deutsche Philologie) ersichtlich ist.
    In der Geschichte der Medizin des ausgehenden Mittelalters wird Albicus noch immer nicht genügend gewürdigt, wenn auch anerkennende Worte nicht fehlen. Hasner /2/ schrieb vor fast hundert Jahren eine biographische Skizze, Während sich Sudhoff /3/ nur mit seinen Pestschriften eingehender befasst hat. Diepgen /4/ hat in der neuen Ausgabe seines Standardwerkes kurz Albichs Bedeutung als eines Vorläufers des Paracelsus betreffend die bioklimatologisch–ethnographische Betrachtung der Krankheiten hervorgehoben. Neuburger rühmt Albich's "praktische Tendenz, kernige Sprache und Nüchternheit der Auffassung ... Nirgends lässt er selbständiges Urteil bei aller Anerkennung der Autoritäten, namentlich des Arnaldus von Villanova vermissen" /5/.
    Anhand der Veröffentlichung eines spätmittelalterlichen medizinischen Handschriften–fragmentes, welches dem Albicus zugeschrieben werden kann, sowie bei der Gelegenheit der bibliographischen Untersuchung seiner Werke habe ich mich anderen Ortes mit dem Leben und Wirken, sowie mit den Werken dieses hervorragenden Arztes befasst, so dass sich hier eine ausführliche Beschreibung seiner Tätigkeit erübrigt /6, 7/. An dieser Stelle möchte ich über eine bisher nicht bekannte Albicus-Handschrift Nachricht geben, auf die Bedeutung seiner medizinisch-literarischen Tätigkeit für die Entstehung einiger mitteleuropäischer Pestschriften hinweisen und einige Fragen der ärztlichen Anschauung unseres Meisters kurz besprechen.
    In der Sammelhandschrift Cod. lat. No. 65 der Universitätsbibliothek in Budapest findet sich das Werk auf Bl. 336b–338a. Es ist eine Gesundheitsregel teils lateinisch, teils mittelhochdeutsch. Da das Kolligat von diesem Regimen abgesehen ausschliesslich teologisch-philosophische Abhandlungen enthält. ist es leicht verständlich. dass die Handschrift der Aufmerksamkeit der Medizinhistoriker bis jetz entgangen ist.
        Die Handschrift fängt mit dem lateinischen Teil an, wie das in den Manuskripten des Albicus üblich ist. Ausnahme bilden nur die Handschriften "puch der erczney" (Cod. München Cgm 731) und "Buch von Arznei " (Admonter Hs. Bl. 186a–37lb in Reichenberg, Sign. 125), welche in toto deutsch geschrieben sind /8/. Im ersten Rubrum (fol. 336b) kommt der Sinn des Werkes zum Ausdruck: "De regimine Sanitatis". Zeile 8–9 heisst es: "... magister Albicus excerptus medicus dedit tale regiminam...", was sich sinngemäss auch auf die folgenden Kapitel "Regimen tempore pestilencie", "De balneis..." usw. bezieht. Der unbekannte Skriptor hebt auch noch auf Bl. 337a zweimal den Namen Albicus hervor (Z. 11 und 20). Der Umstand, dass keiner der Klassiker der Medizin im Manuskript erwähnt wird, ist beweiskräftig, dass es sich hier nicht um eine der nicht seltenen mittelalterlichen Kompilationen zur "Ordnung der Gesundheit" handelt, sondern um Auszüge eben aus den Gesundheitsregeln Albich's wahrscheinlich aus dem Buch "Regimen hominis seu vetularius", welches später unter den ersten mitteleuropäischen ärztlichen Inkunabeln 1484 bei Marcus Brandis in Druck gelegt wurde. Diese Behauptung finde ich durch das kurze Kapitel "Regimen pestilencie" noch bestärkt, welche nämlich auffallende Übereinstimmungen mit dem Abschnitt "Regimen pestilentiae" der Albich'schen Makrobiotik, aber – wie ich das im Folgenden zeigen darf – auch mit einigen anderen Pestregimina aufweist. Die Berufung auf Albicus unter andren Autoren liesse einfach nur auf den grossen – wie bemerkt, heute noch immer nieht genügend betonten – Einfluss des Prager Meisters auf die Entstehung und auf den Geist spätmittelalterlicher Gesundheitsregeln folgern. Im sog. "Bamberger Pestgedicht" das von Bachem /9/ veröffentlicht wurde, wird z.B. Albicus des öfteren zitiert: "... als uns Alwigus schreibt..." (Z 86), "... schreibt meister Albicus..." (Z 187), doch sind dort auch die Klassiker der Medizin von Aristoteles, über Hippokrates, Galen und den Arabern bis Constantinus Africanus zitiert. Wie bereits Bachem darauf hingewiesen hat, ist es wahrlich auffallend, dass unter den zitierten Grössen der Medizin allein Albicus aus dem spätmittelalterlichen Mitteleuropa stammt, was ceteris paribus seine damalige Autorität beweist. Unsere Handschrift jedoch weis keinen der Klassiker zu erwähnen. Der einzige Name der uns hier begegnet ist der des Albicus.
    Aus dieser Pestabhandlung ist zu erschliessen, dass mehrere Pestschriften, deren Verfasser nicht identifiziert werden konnte, letzten Endes auf Albich zurückzuführen sind. Betrachtet man z.B. das "Regimen pestilenciali" aus der Prager Hs. I. G. 23 auf Bl. 159b–160b, sowie das "Regimen praeservativum in pestilitate" aus dem Leipziger Ms. 1129 Bl. 34b–35a und endlich die Albicus-Hs. in dem Budapester Cod. lat. 65 Bl. 336b–337a, so lässt sich eine auffallende Übereinstimmung nachweisen.
    A. Prager Hs.
    "Tale regimen erit vestrum praeservativum, quod omni mane comedatis vnam peciam panis tosti intincti in aceto et primum ferculum in prandis semper sit acetorum ... et abstineatis … assis volatilibus …" /10/.
    B. Leipziger Hs.
    "Regimen praeservativum in pestilitate omni mane comedenda est una pecia acimi panis tosti intincti in aceto vini et primo feculum in prandio ... Abstinendum est a brodiis et sorbilibus. nam talia nisi acetosa appareantur, sunt calida et humidae complexionis et calidum et humidum est causa putrefactionis. Vitentur igitur omnia ... et frequentetur ea quoque ... nam in sicca ... assis et volatilibus, quia siccae complexionis sunt ... anetae etc. ... abstineant enim a balneis ... balneum cor debilitat ...".
    C. Budapester Hs.
    "Tale regimen est vestrum praeservativum quod omni mane praeditis unam peciam panis tosti intincti in aceto Et primum ferculum in prandio semper sit acetosum. Absitineatis a sorbilibus et brodijs multis qui multa humida sunt ... Abstineatis semper a balneis ... Balneum enim cor debilitat ...".
    D. Der entsprechende Abschnitt des Vetularius (fol. 16b) lautet wie folgt:
    "Ad praeservandum a pestilencia dives omni mane, comedant nuces magnas ex aceto cum ruta vel salvia cum sale sacerdotali coaspersas et electuarium amarum apud medicos. Alii capiunt tormentallam id est nabelworcz modicum cum sale mane. Pauperes capiant tostam panis intinctum in acetum et comedant desuper non bibendo...".
    Die handschriftlichen Versionen waren demnach vorwiegend für die "pauperes" bestimmt.
    Schon Sudhoff wies auf die mögliche Identität der Prager bzw. Leipziger Handschriften hin, alle drei auch mit Ms. Breslau III. fol. 3a am Anfang übereinstimmend. Die Frage nach dem Verfasser musste damals dahingestellt blieben. Allerdings hatte Sudhoff bemerkt, dass das Ms. 1129 Leipzig "ganz in der Art der Stilistik des Albicus" verfasst ist /11/.
    Eis ist der Meinung, dass Albich in der Hauptsache lateinisch geschrieben hat. Demnach würden seine deutsche Handschriften etwa Übersetzungen seiner Schüler sein. Wie Eis weiterhin bemerkt: "... laufen sie (nämlich die deutschen Handschriften) inhaltlich zum grossen Teil ... den lateinischen Fassungen parallel. Anderseits begegnen auch in den lateinischen Schriften Albichs zahlreiche deutsche Einsprengsel, oft ganze Sätze, die gewiss dem Urheber selbst, nicht späteren Abschreibern zuzuschreiben sind" /12/.
    Wie das vorgeführte Besipiel zeigt, sind die Texte der Prager und Leipziger Handschriften mit den Ausführungen des Budapester Manuskriptes im Wesentlichen, teilweise sogar Wort für Wort identisch. Daraus ist aber mit Recht auf einen gemeinsamen Verfasser des Urtextes zu schliessen. Da der Autor der Budapester Handschrift unmissverständlich Sigismundus Albicus ist, scheint die Annahme nicht unbegründet zu sein, wonach die genannten Pestschriften – und vermutlich noch viele andere des 15ten Jahrhunderts in Mitteleuropa – auf die Albich'sche Fassung, den Urtext zurückzuführen sind, sie diente als Vorlage.
    Nach dieser Gegenüberstellung der Paralleltexte möchte ich noch einige Einzelheiten der Albicus–Hs. aus Cod. lat. 65 Budapest hervorheben. Der lateinische Text endet fol. 337a. Dieselbe Schrift fährt auf fol. 337b in deutscher Sprache fort. Dem Inhalt nach handelt es sich hier ausser einigen eingestreuten Pestregeln, sowie Rezepte gegen diese Seuche zumeist um Aderlassregeln, die sich aber auch gewissermassen auf Pestkranken beziehen.
    Der Titel dieses Abschnittes ist auf der nächsten Seite, fol. 338a zu lesen:
    "De flevotomia ... Von dem Oderlossen" (Rubrum). Von eingestreuten lateinischen Vorschriften abgesehen, ist dieses Kapitel grösstenteils auf Deutsch verfasst. Es fehlen nicht einige derbe, populäre Ausdrücke, die schon Sudhoff für Albich charakteristisch hielt und was ich in seinen andren Werken nicht selten nachweisen konnte. Im Aderlasskapitel wird auch "Von der gestalt des blutis" berichtet (fol. 338a, letzte Zeile, rubrum). Es wird zwar die Wichtigkeit des lege artis ausgeführten Aderlasses gepriesen: "... du sollst merken dass do grose gezundkait liegt an dem Odirlassen, So man bedarff se zu recht zait...", doch wird von überflüssigem Blutabzapfen öfters gewarnt und dies ganz im Sinne des Vetularius. Albicus war eben ein nüchterner Empiriker, der die iatrogenen Schäden zu gut kannte, was in seinen Werken des Öfteren zum ausdruck kommt /13/.
    Fol. 337a ist ein Rezept gegen die Pest. Die wichtigsten Ingredientien sind Juniper und Absinth. Bei der Beulenpest soll ein Konfekt gegeben werden, wie es auch in der Breslauer Handschrift Ms. III. fol. 3a zu lesen ist: "habente apostema ... recipietis de confecto pestilenciaIi ad quantitatem castaneae ...". Derselbe Konfekt wird von Albich auch in der Reichenberger-Hs. No. 125, fol. 212a empfohlen, diesmal aber auf Deutsch: "... zu hanndt nembt des confects fuer den lauff (=Pest) als ein Khesten (=Kastanie) in der gross...".
    Weiter werden Vorschriften für die Wahl der entsprechenden Ader zur venaesectio angegeben, z. B.: "Si apostema sunt in collo et in retro aureis flebotomiam habere ... apud ... cephaleo ...". Im allgemeinen eilt er mit dem Aderlass, wenn der Kranke viele Beschwerden hat, lässt dabei sich aller Speise und Trank enthalten und Theriak nehmen, wohl zugedeckt sich niederlegen, dann gesäurte Nahrung geniessen. Vieles deckt sich wieder mit Albich's "modus meus practicandi in pestilencia" wie dies im Vetularius (fol. 22a) steht. Wie eingangs schon erwähnt, besteht der Kodex aus teologischen Abhandlungen. Vor Albich's Traktat liest man das "opusculum de instructione neophytorum" des Guido de Monte Rotheri (fol. 261a–336a). Nach dem Regimen sanitatis folgt ein "Tractatus de septem vitiis" eines unbekannten Autors (fol. 339a–347b). Am Anfang des Sammelbandes steht ein "Opus de passione domini..." (fol. 1a–61b).
    Die Handschrift war, laut einer Inschrift, im Besitze eines Herren Bartholomaeus: "Liber domini Bartholomaei plbni in villa latina" (fol. 2a). Es könnte sich vielleicht um die Person des Bartholomaeus Squarcialupis de Plumbino handeln /14/. Die Abkürzung plbni kann sowohl "plumbini", wie diese Abbreviation im "Colcodei seu liber de peste" des genannten spätmittelalterlichen Arztes bereits vorkommt, wie auch "plebani" bedeuten. Doch liegt der Gedanke näher, dass der Besitzer derjenige Bartholomaeus de Monstriberg war, der auch die erste Abhandlung im Kodex niedergeschrieben hat. Der Explicit des "Opus de passione domini" lautet: "Passio hec per me quondam predicatorum Bartholomaeum de Monstriberg in civitate leutschaw conscripta et praedicata ... anno domini 1453 in die S. Germani..." (fol. 61b).
    Sollte der erste Besitzer – der vielleicht das Manuskript eigenhänding kopiert hat – nicht der Bartholomaeus Plumbini, sondern der Kleriker Bartholomaeus von Monstriberg sein, so ist das Vorkommen des medizinischen Aufsatzes des Albicus in dieser vorwiegend theologischer Sammelhandschrift immerhin gut verständlich. Anderen Ortes habe ich schon darauf hingewiesen, dass im l5ten Jahrhundert in Mitteleuropa, insbesonders in Ungarn und in Böhmen sich noch zahlreiche Kleriker mit der Arzneikunde teoretisch wie auch praktisch befasst haben /15/. Albicus selber war ja auch hoher Priester. Wenn er den erzbischöflichen Sitz in Prag auch nur kurze Zeit inne hatte, so war er doch jahrelang Propst von Vysehrad und Olmütz. Seine Stellung als Kleriker hinderte ihn nicht in der Ausübung einer ausgedehnten ärztlichen Praxis und an der Dozentur der medizinischen Fakultät, was seinen teoretischen Niederschlag in seinen reichen medizinischen Werken hatte.
    Aus den demonstrierten Textproben ersichtlcih, diente die hier besprochene medizinische Abhandlung zum Zwecke der täglichen Praxis. Der Doctor Albicus musste demnach einen ungewöhnlich grossen Einfluss auf das medizinische Leben von Mitteleuropa ausgeübt haben.
 

* Ersch. in.: Centaurus: 1961. vol. 7; no. 2; 213–219.
 
 

LITERATUR

  1. Eis. G.: Das Deutschtum des Arztes Albich. Zschr f. deutsche Philologie, 64, 1939, 174–209.
  2. Hasner. J.: Prager Vierteljahresschrift, Bd. XC, 1866, 19–35.
  3. Sudhoff, K.: Pestschriften noch er Epidemie des "schwarzen Todes". Arch. G. d. Med. 7. 1914. 89ff.
  4. Diepgen. P.: Geschichte der Medizin, Bd. I. Berlin, 1949, 275.
  5. Neuburger. M.: Geschichte der Medizin, Bd. II/1, Stuttgart. 1911, 504.
  6. Schultheisz, E.: Ein spätmittelalterliches medizinisches Handschriftenfragment. Arch. f. Kulturgeschichte, Bd. XLVIl. 1960, 231–239.
  7. Schultheisz. E.: Über die Werke des Albicus, Janus, Bd. XLIX. 1960, 221–235.
  8. Veröffentlicht und besprochen von G. Eis, siehe Anm. 1.
  9. Bachem, R.: Ein Bamberger Pestgedicht und sein Verhältnis zu Albich von Prag. Stifter-Jahrbuch, Bd. III. 1953, 169–175.
  10. Damit völlig identisch ist eine andere Prager Handschrift: Ms. XI. D. 10 fol. 138a–140b, wo es nach abstineatis "brodij et sorbilibus multis qui multum humida sunt" heisst.
  11. Sudhoff, K.: a.a.O. (Anm. 3) 77.
  12. Eis, G.: a.a.O. (Anm. 1) 189.
  13. Schultheisz, E.: Badehygiene und Geomedizin in den Werken des Albicus. Zschr f. angew. Bäder-Klimahlk. 7, 1960, 473–8.
  14. Vgl. dazu Schultheisz, E.: Colcodei seu liber de peste des Bartholomaeus Squarcialupis de Plumbino in Sudhoffs Arch. 44, 1960, 333ff.
  15. Schultheisz, E.: Gedruckte liturgische Bücher als medizinhistorische Quellen. Janus, 48, 1959, 49ff.

 
 
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