Christ in der Zeit
Christ in der Zeit am 24. 06. 2001 um 18.25 Uhr in ORF 2
25 Jahre ST. VIRGIL

Die "Wiener Tschuschenkapelle" beim Geburtstagsfest von St. Virgil. Kein Zufall, denn die Musiker verkörpern das, was das katholische Bildungshaus sein will: offen für das Andere, offen für die Anderen. Fast 7000 Menschen haben mitgefeiert - ein Rekord für das Erfolge gewohnte Seminar- und Kongresszentrum in Salzburg Aigen. 100 mal so viele – nämlich 700.000 Menschen - haben das Bildungshaus in den 25 Jahren seines Bestehens besucht. Dreiviertel aller Teilnehmer waren Frauen.

Ein Schwerpunkt der jährlichen Angebote gilt Eltern und Kindern, von einem Familientag bis hin zu einer speziellen Veranstaltung für Väter. So gibt es auch hier beim 25-Jahr-Jubiläum ein Programm für die Kleinsten: die Salzburger Gruppe "Dulamans Vröudenton", international bekannt für ihre Interpretation mittelalterlicher Musik. 

Das Salzburger Bildungshaus hat sich mit seinen Veranstaltungen zum Thema Pädagogik einen guten Namen gemacht. So präsentiert der Rowohlt-Verlag die Bücher von Jan Uwe Rogge in Österreich seit einem Jahrzehnt in St. Virgil. Der Familien- und Kommunikationsberater beschreibt mütterliche Erziehungsversuche bei Pubertierenden. 

Das Lachen nicht verlernen, die Hoffnung nicht aufgeben sind Ziele von St. Virgil. Demgemäß wurde auch das Motto des 25-Jahr-Jubiläums gewählt. 

Peter Braun, Direktor St. Virgil: "Mit dem Motto "Sprachen der Hoffnung finden" ist gemeint, dass wir in einer Zeit leben, die relativ visionsarm ist. Und wir glauben, dass es gerade die Stärke der Religionen und vor allem der christlichen Religion ist, dass sie immer wieder Visionen formuliert hat für Gerechtigkeit, für Frieden, für gelingendes Leben. Und hier möchten wir wieder neue Anstöße geben, hier möchten wir Räume schaffen, wo sich wieder neue Initiativen, neue Schritte in diesem Sinne entwickeln können."

Ein Schwerpunkt ist der Dialog der Religionen. St. Virgil hat in Österreich eine Vorreiterrolle im Dialog mit den nicht-monotheistischen Religionen wie Buddhismus und Hinduismus. Die gemeinsam vollzogene Meditation in Stille ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Seminare. Der "Dialog des Schweigens", wie man in St. Virgil sagt, ermöglicht eigene Erfahrungen und ist vielleicht wichtiger als der intellektuelle Dialog. Hier üben sich Christen in Achtsamkeit bei der buddhistischen Gehmeditation.

Ernst Fürlinger, Studienleiter St. Virgil: "Für uns ist der Dialog der Religionen zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit geworden. Vielleicht haben wir vor zehn Jahren, wie wir begonnen haben intuitiv gespürt, dass es zum Dialog keine Alternative gibt, wenn sich die Religionen nicht fundamentalistisch einigeln wollen. Dabei war für uns Dialog nie ein Selbstzweck, also ein Zweck für sich, sondern wir haben immer gesagt, Dialog für, also z.B. für eine Reform der Gesellschaft, der Ökonomie, aber auch für eine Transformation des einzelnen, d.h. Befreiungstheologie verbunden mit einem Dialog auf spiritueller Ebene."

Bereits der markante Bau von St. Virgil – errichtet vor 25 Jahren - sollte Offenheit verkörpern. Den Dialog fördern - das wollte der österreichische Architekt Wilhelm Holzbauer mit seiner Formensprache. Sie trägt auch viel zur Atmosphäre des katholischen Hauses bei.

Hans-Walter Vavrovsky, Rektor St. Virgil: "Eine Kirche muß offen sein für Andersdenkende und eine Kirche, die offen ist, muß auch damit rechnen, dass sie Schwierigkeiten bekommt, dass sie nicht von allen geliebt wird. Für die einen ist St. Virgil zu liberal, für die anderen ist es zu konservativ. Ein Bildungshaus, das von allen geliebt wird und von niemandem kritisiert wird, das ist sicher kein gutes Bildungshaus."

Frisch renoviert – natürlich unter der Obhut von Wilhelm Holzbauer – erstrahlt der Waschbeton in einladendem Gelb. Von Anfang an weiß sich St. Virgil dem 2. Vatikanischen Konzil verpflichtet. Es ist ein Haus mit offenen Türen, wie es Papst Johannes XXIII bildhaft gefordert hat. 

Hans-Walter Vavrovsky, Rektor St. Virgil: "Das ist für uns ganz wesentlich, die Türen öffnen, die Fenster öffnen. Wir sind uns bewusst, dass es dann vielleicht manchmal ein bisschen zieht, und dass es dann nicht immer so ganz lustig ist. Aber ich glaube, es ist ganz wesentlich, heraus aus der Bunkermentalität und hinaus zu den Menschen und ins Gespräch kommen mit den Menschen und vor allem die Fragen und die Nöte der Menschen aufzugreifen und das in einer Sprache, die den Menschen zu Herzen geht."

Für das Anliegen des Bildungshauses, Menschen in Krisen zu helfen, steht beim Jubiläumsfest der Weltklasseclown Moshe Cohen aus San Francisco, der ähnlich den Clowndoctors in Krisengebieten auf der ganzen Welt unterwegs ist.

Ein weiterer Schwerpunkt von St. Virgil ist die politische Bildung. Unter den zahlreichen Veranstaltungen ragt die Armutskonferenz hervor. 

Ernst Fürlinger, Studienleiter St. Virgil: "Wir haben 1995 die erste Armutskonferenz durchgeführt und damals ist so etwas wie eine Explosion passiert, ein Aufbruch, der uns selber überrascht hat und überwältigt hat. Es ist sozusagen ein Tabuthema in Österreich durchbrochen worden, nämlich Armut in einem reichen Land. Und es sind dann nach der Konferenz in mehreren Bundesländern dann auch Zusammenschlüsse von Organisationen entstanden, die versucht haben, ein Bewusstsein zu bilden für das Problem der Armut in einem reichen Land.

Auf diese Initiative von St. Virgil folgten bereits drei weitere Armutskonferenzen. Mittlerweile zählen 25 Organisationen zu diesem österreichweiten Netzwerk, von der Caritas über die Plattform der Alleinerziehenden bis zu den ÖGB-Frauen.

Das Salzburger A-Cappella-Quartett "Femmes Vocales" – ein kulturelles Highlight beim Jubiläumsfest. Stellvertretend für das breite Angebot für Frauen, von Schwangerschaftsgymnastik bis hin zur feministischen Theologie. In St. Virgil können alle etwas finden.

Anni Widmann, Mitarbeiterin, St. Virgil: "Ich habe immer das Gefühl, wenn Menschen in dieses Haus kommen, dass sie etwas suchen. Wenn sie es auch nicht aussprechen, aber sie suchen irgendetwas. Und das wird z.T. ihnen erfüllt, oder auch vielleicht später. Nicht gerade in diesen Tagen, wo sie da sind, dass sie darüber nachdenken und kritisch beurteilen und für sich auch Gewinn haben."

Die Erfahrung der ehemaligen Leiterin des Hauptsekretariats zählt – denn Anni Widmann ist seit der ersten Stunde mit St. Virgil verbunden. -

Während des Festes findet in den Gängen der "Markt der Hoffnungsinitiativen" statt. Das entspricht dem Anliegen des Bildungshauses. Aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums will St. Virgil jedoch nicht nur zurückblicken, sondern auch Zukunftsinitiativen setzen. Daher ist es eine Partnerschaft mit dem Green Belt Movement eingegangen. 

Ernst Fürlinger, Studienleiter St. Virgil: "Für uns ist das Green Belt Movement deshalb ein Hoffnungsprojekt, weil hier Menschen in Afrika, vor allem auf dem Land und vor allem Frauen auf dem Land, ihr Leben selber in die Hand nehmen und aus einem kleinen Anfang in Kenia dann eine Massenbewegung geworden ist, die dann auf zwölf weitere afrikanische Länder übergegangen ist. Es ist auch ökologisch ein Hoffnungsprojekt, weil sozusagen jeder einzelne Baumsetzling eigentlich ein Zeichen der Hoffnung ist. Mittlerweile sind in Kenia 20 Mio Bäume von diesen Frauen gepflanzt worden, das ist zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn man sich die ökologische Situation anschaut, aber trotzdem ein Hoffnungszeichen"

Lust am Leben. Zum Geburtstag wurde extra ein Jubiläumswein kredenzt. Wenn ein Bildungshaus feiert, wird selbstverständlich auch nachgedacht, um gemäß dem Motto des Jubiläums, "Sprachen der Hoffnung" zu finden. Das Thema könnte als geheimes Motto des Bildungshauses verstanden werden: Es geht um die Lust, die Lust auf Dialog, die Lust am Leben. Prominente Diskutantin: die evangelische Theologin Elisabeth Moltmann-Wendel.  "Lust ist eine leider uns von der Kirche und der Theologie auch madig gemachte Fähigkeit, Lust zu empfinden. Lust wurde immer mit Sexualität verbunden. Da waren Verbotsschilder usw. Lust ist ja etwas, was jeden Menschen an jedem Tag begeistern und beglücken kann, und er muß Lustelemente oder Lustecken in sich entdecken, dann wird das Leben auch lustiger. Und das ist nichts mit Amusement und Spaß. Das ist was ganz anderes."

Die Band "10 Saiten 1 Bogen", hier mit einem jiddischen Lied, steht für die tiefe Freundschaft, die St. Virgil mit dem Judentum, besonders mit der jüdischen Kultusgemeinde in Salzburg verbindet. Der Spaziergang durch das jüdische Salzburg ist seit Jahren ein Dauerbrenner im Programm.

Politiker und Geistliche, Parteien und Katholische Kirche im Gespräch – diese Veranstaltungen vor drei Jahren waren ein besonderes Ereignis in der neueren österreichischen Kirchengeschichte. Im Rahmen des Dialogs für Österreich fanden hier erstmals Gespräche auf höchster Ebene zwischen Vertretern von Kirche und Parteien statt – öffentlich, und nicht wie sonst üblich hinter verschlossenen Türen. Die Tagungen initiiert und organisiert hatte – St. Virgil; gemäß seinem Konzept, ein Ort des Dialogs zu sein.

Herbst 1998. Hell und warm sollte es in der katholischen Kirche werden. Das große Delegiertentreffen zum Dialog für Österreich wurde im Salzburger Dom eröffnet. Getagt wurde in St. Virgil.

Damals und bei vielen anderen Veranstaltungen ereignete sich im Bildungshaus echter Dialog, kontrovers aber konstruktiv. Buchstäblich sprechen daher manche vom Geist von St. Virgil - und der Geist weht ja bekanntlich, dort wo er will, aber auch dort, wo er kann.

 

Kamera: Bernhard Popovich

Schnitt: Stefan Koll

Sprecherin: Rosmarin Frauendorfer

Gestalterin: Anita Natmeßnig

 

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