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Peter Döge:

Geschlechterdemokratie als Männlichkeitskritik

Männerforschung, Männerpolitik und der "neue Mann"

»Wann ist ein Mann ein Mann?« sang Herbert Grönemeyer in den 80er Jahren. Das wissen die Männer (und die Frauen) bis heute noch nicht. Wie sonst ist es zu erklären, dass Männerarbeit und Männerforschung in den letzten Jahren immer populärer geworden und ins Zentrum – auch der kirchlichen – Öffentlichkeit gerückt sind? Der Bundestag 2001 in Bad Rothenfelde zum Thema »Als Mann und Frau schuf er sie« wird sich daher auch der Frage nach der männlichen Identität widmen. Als Einführung folgt ein Überblick über die Männerforschung der letzten Jahre.

Die Rolle des Mannes wurde in der Vergangenheit kaum hinterfragt. Neuerdings wird jedoch ihre Veränderung vor allem von der Frauenbewegung eingefordert. Geschlechterdemokratie als strategischer Ansatz von Geschlechterpolitik sieht sogar ein stärkeres Engagement von Männern bei einer egalitären Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse vor – ein Grund zu fragen, wie weit die »Männer-Bewegung« in der Bundesrepublik Deutschland ist, wo Blockaden einer weiteren Männerveränderung zu finden sind und was Geschlechterdemokratie aus Sicht der Männerforschung bedeuten kann.

 

I. Männer-Bewegung und Männerforschung

Kritische Männerforschung als kritische Analyse von Männern und von Männlichkeit ist im Kontext der antisexistischen Männerbewegung in den USA entstanden. 1969 wurde in Berkeley die erste Männergruppe gebildet, die ersten kritischen Bücher von Männern über Männer und Männlichkeit erschienen zu Beginn der siebziger Jahre. Bereits Mitte der siebziger Jahre fanden an Universitäten in den USA Seminare zum Thema »Männer« statt, 1991 wurden schon 400 Kurse angeboten. (...)

Im Vergleich zu den angloamerikanischen Ländern ist kritische Männerforschung in der bundesdeutschen Wissenschaftslandschaft kaum institutionalisiert. (...) Die bisher veröffentlichten Sammelwerke zeigen eine thematische Konzentration auf den Bereich der Männer- und Jungenarbeit, der Entwicklungspsychologie sowie auf die historische Männerforschung. Erst in den letzten Jahren entwickeln sich in Deutschland eigenständige Ansätze zu einer Soziologie der Männlichkeit, einer politikwissenschaftlichen sowie einer kriminologischen Männer- und Männlichkeitsforschung.

Einmalig in der bundesdeutschen Männerforschung dürften jedoch die Studien zum Einstellungswandel von Männern sein. Fanden sich hier in den siebziger Jahren noch überwiegend traditionelle Vorstellungen hinsichtlich der Gestaltung des Geschlechterverhältnisses, sind nach der jüngst vorgelegten Männerstudie von Paul M. Zulehner und Rainer Volz rund ein Fünftel der bundesdeutschen Männer so genannte »neue Männer«. Diese sind partnerschaftlicher in der Beziehung, beteiligen sich deutlich mehr an Haus- und Familienarbeit, sind neue Väter, unterstützen ihre Partnerinnen in ihrer Berufstätigkeit und lehnen Gewalt als Mittel der Konfliktlösung in der Partnerschaft eindeutig ab. Ein Fünftel der Männer verhält sich jedoch nach wie vor traditionell, sieht den passenden Platz der Frauen im Heim und am Herd – eine Meinung, die allerdings auch rund ein Sechstel der befragten Frauen vertritt. Dazwischen finden sich die pragmatischen und unsicheren Männer, deren zukünftiges Rollenmuster eher noch unklar zu sein scheint.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen zeigt ein Blick auf vorliegende Ergebnisse der kritischen Männerforschung, dass zwei hegemoniale Männerbilder, die auch gut 30 Jahre Frauen- und Männerbewegung nicht schwächen konnten, als zentrale Blockaden einer weiteren geschlechterdemokratischen Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses von Seiten der Männer gesehen werden können: der Mächtige Mann und der Arbeitsmann.

 

II. Der Macht-Mann

Männliche Identität konstituiert sich in der vorherrschenden bipolaren Geschlechterordnung immer in Abgrenzung und Entgegensetzung zu Weiblichkeit. Dabei wird Männlichkeit gleichgesetzt mit grenzenloser (Gestaltungs-)Macht über Mensch und Natur – ein Bild, das auch heute noch den gesamten Sozialisationsprozess von Männern begleitet. (...)

Schulbücher zeigen Männer meist an der Spitze von Hierarchien, zeigen sie technisch kompetent, Frauen kommen in diesen Hierarchien nicht vor. Auch wenn bisweilen der »neue Vater« zu sehen ist, sind Männer in der Werbung »vor allem sportlich, erfolgreich, tüchtig und vernunftbegabt«. (...)

Dabei kollidieren die Bilder vom Mächtigen Mann mit subjektiven Machtlosigkeitserfahrungen im Alltag – die Männerforschung spricht hier von fragiler Männlichkeit. Fragile Männlichkeit wird als eine zentrale Ursache von Gewalt von Männern gegen Frauen, aber auch von Gewalt gegen andere Männer und von Gewalt von Männern gegen sich selbst gesehen. Gerade hier verstellt die mit dem Macht-Mann verbundene Vorstellung vom Mann als »Täter« und der Frau als »Opfer« häufig den Blick in der Geschlechterforschung, und so wird übersehen, dass zwei Drittel der Opfer männlicher Gewalt Männer sind. (...)

Männlichkeit als Negation des Weiblichen drückt sich letztendlich in einer spezifischen Form männlicher Emotionalität aus. Männer sind – wie häufig fälschlicherweise unterstellt – keineswegs un-emotional, sondern dem Macht-Mann wird aus dem gesamten Horizont möglicher Emotionalitätsformen nur ein gewisser Ausschnitt zugestanden. Die spezifische Form männlicher Emotionalität ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Empathie und konstituiert Konkurrenz sowie insbesondere Homophobie als zentrales Beziehungsmuster zwischen Männern.

Besonders eng ist die konnotative Verbindung von Dominanz, Konkurrenz und Männlichkeit im Management von Organisationen, das in der Männerforschung als ein bedeutender Ort der Interaktion und Reproduktion hegemonialer Männlichkeiten gefasst wird. Allerdings sind männliche Manager – wie eine Befragung von rund 4100 Männern in Leitungsfunktionen der 500 größten Unternehmen der USA gezeigt hat – häufig unzufrieden mit den emotionalen Einschränkungen, die ihre Tätigkeit ihnen abverlangt, sowie mit dem Umfang ihrer Arbeitszeit, infolge permanenten Erfolgsdrucks werden Manager-Männlichkeiten als besonders fragil gesehen. Einen Ansatz zur Reduktion dieser Unsicherheiten und einen Ausdruck der spezifischen Kommunikationsformen von Männern in Organisationen bilden Männerbünde, die als eine bedeutende Blockade von Gleichstellungspolitik gesehen werden können, dabei allerdings auch als Ausgrenzungsmechanismus gegenüber nichthegemonialen Männlichkeiten – etwa gegenüber Hausmännern und homosexuellen Männern – fungieren. (...)

 

III. Der Arbeitsmann

Erwerbsarbeit ist nach wie vor ein zentraler Bestandteil (nicht nur) männlicher Identität. Folglich hielten fast drei Viertel der in der eingangs genannten Männerstudie befragten Männer Erwerbsarbeit für sehr wichtig – und dies unabhängig davon, ob sie sich als traditioneller oder neuer Mann sehen. Die meisten Männer richten ihre Lebensbiografie an der Erwerbsarbeit und der beruflichen Karriere aus, sehen die Betreuung von Kleinkindern noch immer als Aufgabe der Frauen und erwarten von diesen bei Geburt eines Kindes eine Unterbrechung ihrer Erwerbsarbeit. Der Arbeitsmann ist jedoch kein »Rabenvater« oder gar ein verantwortungsloser Schmarotzer. Noch weniger ist er das »faule Geschlecht«. Erwerbsarbeit ist vielmehr die mit der Männerrolle in unserer Gesellschaft verbundene Form männlicher Fürsorge. Und so arbeiten Männer und Frauen in der Woche in etwa gleich viel – Männer überwiegend bezahlt außer Haus, Frauen hauptsächlich unbezahlt im Haus. Die dieser Arbeitsteilung unterliegende geschlechtsspezifische Konnotation von Erwerbsarbeit sowie Haus- und Familienarbeit scheint nach wie vor ungebrochen – und wird in der Sozialisation von Männern kontinuierlich reproduziert. Kindergarten und Grundschule sind ein von Frauen dominierter Bereich – nur rund fünf Prozent des Erziehungspersonals in öffentlichen und privaten Einrichtungen ist männlich. Folglich fehlt schon hier der Mann, der mit den Kindern kocht, putzt, aufräumt und somit ein anderes Rollenmuster vorlebt.

Männer, welche aus familiären Gründen in Teilzeit arbeiten oder Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen wollen, sehen sich noch immer mit massiven Hindernissen konfrontiert. (...) Teilzeitmänner gelten als wenig leistungsbereit und loyal, Erziehungsurlauber als »unmännlich«. (...) Die Kehrseite des hohen Stellenwerts der Erwerbsarbeit zeigt sich darin, dass Männer von Erwerbslosigkeit besonders stark betroffen sind, stehen ihnen in dieser Situation doch kaum Alternativen zum Arbeitsmann offen. (...)

Vor dem Hintergrund der Einschränkungen, Brüchigkeiten und Unsicherheiten, die mit diesen Bildern für Männer verbunden sind, wurden in den vergangenen Jahren von unterschiedlicher Seite Perspektiven einer Männerpolitik formuliert. Dabei lassen sich idealtypisch zwei Ansätze gegenüberstellen: Während der eine im Kontext von Geschlechterdemokratie auf eine Ablösung von Männlichkeit als dominantes gesellschaftliches Handlungsmuster und auf eine Flexibilisierung von Rollenbildern in Kooperation mit Frauen gerichtet ist, zielt der andere unter Annahme essentialistischer Geschlechtermerkmale auf eine Rekonstituierung von Männlichkeit bei zeitweiser Separierung von Frauen.

 

IV. Rekonstituierung von Männlichkeit

Besonders deutlich wird diese Perspektive von der so genannten mythopoetischen Männerbewegung vertreten. Den zentralen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildet die Annahme einer grundlegenden Differenz zwischen Männern und Frauen sowie einer im Mann verankerten spezifischen Energie. Gerade diese männlichen Potenziale seien im Zuge der Frauenbewegung – aber auch durch Bürokratisierung und Technisierung – in den vergangenen Jahren verschüttet worden, nach der Frauenbefreiung gehe es nun um die Befreiung der Männer. Männer müssen sich danach – getrennt von Frauen – mit anderen Männern zusammenfinden und versuchen, unter Hilfestellung älterer, erfahrener Männer, ihre vermeintlich verschütteten männlichen Energien wieder-zufinden. Dies soll in einem Prozess der Initiation – begleitet durch intensive Körperarbeit – geschehen.

Zwar hat die mythopoetische Männerbewegung in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Bedeutung wie in den USA, Versatzstücke ihres Ansatzes finden sich jedoch in der Jungenarbeit und in den so genannten Männergruppen. Insbesondere deren Beitrag zu einer Veränderung der Geschlechterverhältnisse wird innerhalb der Männerforschung gegenwärtig kontrovers diskutiert. Verweisen die einen darauf, dass die hier aktiven Männer zwar verbal emanzipationsorientiert sind, sie jedoch im Alltagshandeln eher traditionellen dichotomen Geschlechterkategorien verhaftet blieben, betonen andere die Bedeutung von therapeutischen Männergruppen hinsichtlich »der Erweiterung individueller Spielräume in der Ausgestaltung des männlichen Habitus«. Als ein Kritikpunkt an Männergruppen wird ihre Konzentration auf eine nur individuelle Männlichkeit und ihre weitgehende Missachtung der institutionell-strukturellen Ebene von Männlichkeit und Geschlechterhierarchie angeführt.

 

V. Geschlechterdemokratie
als Männlichkeitskritik

Hier setzt Männlichkeitskritik an, die Geschlechterdemokratie vor allem als Ablösung von Männlichkeit als dominantem gesellschaftsstrukturierendem Prinzip – als Norm – fasst. Im Zentrum steht dabei insbesondere der Umbau der Arbeitsstrukturen und des Arbeitsmarktes. Denn nicht die globalisierte Erwerbsarbeitsgesellschaft mit ihren männlich geprägten Leistungs- und Karrieremustern kann das Ziel von Geschlechterdemokratie darstellen, sondern die Aufwertung bisher weiblich konnotierter Verhaltensmuster und Tätigkeiten mit der Perspektive von Diversity. Damit verbunden ist etwa die Forderung nach Anerkennung von Haus- und Familienarbeit als gesellschaftlich nützliche Arbeit sowie nach Anerkennung der hier erworbenen Fähigkeiten als berufsrelevante Qualifikationen. Geschlechterdemokratie als Männlichkeitskritik beinhaltet weiterhin ein neues Leitbild von wirtschaftlichem Handeln, welches mehr auf Kooperation statt Konkurrenz zwischen den Wirtschaftssubjekten abhebt und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen für nachkommende Generationen als vordringlich sieht. Damit in Verbindung steht die Kritik an der Trennung zwischen Mensch und Natur sowie an der Trennung zwischen Körper und Geist, die konstitutiv für die männliche Identität der Moderne ist.

Da ein solcher Ansatz von der Bildungs- über die Medien-, die Wirtschafts- und Steuerpolitik bis hin zur Verteidigungs-, Umwelt- und Technologiepolitik alle Politikbereiche erfasst, kann seine Umsetzung nicht durch eine exklusive Frauen- oder Männerpolitik geschehen, sondern nur in einer generellen Verbindung aller politischen Problemstellungen mit der Männerfrage, wobei der seit Mitte der neunziger Jahre diskutierte Ansatz des Gender Mainstreaming den geeigneten Rahmen bilden kann. Denn dieser fordert die Integration der Perspektive der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern in allen Politikbereichen, auf allen politischen Ebenen und in allen Organisationen. Darin eingeschlossen könnte zugleich eine kritische Überprüfung des Männerbilds in allen gesellschaftlichen Bereichen mit dem Ziel einer Flexibilisierung der Geschlechterrollen sein. In diesem, von Robert W. Connell auch als De-Gendering bezeichneten Ansatz könnten in einem kritischen Geschlechterdialog die jeweils positiven wie negativen männlichen und weiblichen Rollenbestandteile gesichtet und neu kombiniert werden. Dies kann nicht in einer Separierung der Geschlechter, sondern nur von Männern und Frauen gemeinsam erreicht werden – nur gemeinsam können »Männer und Frauen ... wahrhaft menschliche Wesen werden ... und nicht in erster Linie männliche bzw. weibliche Wesen«.

Internetverweise des Autors:

www.unesco.org/cpp/uk/declarations/oslotoc.htm

ww.ruendal.de/aim/gender.html

www.maenner-online.de

Der Abdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung der Redaktion »Aus Politik und Zeitgechichte«, B-31-32/2000. Beilage zu »Das Parlament«. Vollständige Version mit Literaturhinweisen im Internet unter www.das-parlament. de. Kürzungen: Martin Stauch, Kurt Schanné.