Der „Mérite européen“ in Gold für EVP-Fraktionschef Hans-Gert Pöttering

„Europa braucht Visionäre“

Viel beachtete Laudatio von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl

aus Brüssel berichten Marc Glesener (Text) und Lé Sibenaler (Photos)

Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, der deutsche Christdemokrat Hans-Gert Pöttering , wurde am Mittwoch im Europaparlament in Brüssel mit der Goldmedaille des „Mérite européen“ ausgezeichnet. Die Laudatio hielt der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Er würdigte das engagierte europapolitische Wirken Pötterings. „Europa braucht Visionäre“, so Helmut Kohl, der die führenden Politiker in der EU davor warnte, „sich in den Notwendigkeiten des Alltags die Weite des Horizonts nehmen zu lassen“.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1970 zeichnet die „Fondation du Mérite européen“ Menschen aus, die sich um die europäische Integration verdient gemacht haben. Die Stiftung luxemburgischen Rechts wurde von dem renommierten französischen Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler François Visine initiiert und hat sich zum Ziel gesetzt, mit ihrer Auszeichnung in Bronze, Silber und Gold engagierte Europäer zu ehren, die sich für die „Vereinigung der europäischen Völker in Freiheit, Frieden und Brüderlichkeit“ einsetzen.

Die Goldmedaille des „Mérite européen“ wird an international bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verliehen, die sich um die europäische Einigungsidee verdient gemacht haben.

Mit dem „Mérite européen“ in Gold wurden unter anderem Kardinal Franz König, Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen und der frühere polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki ausgezeichnet.

Vorgestern Mittwoch wurde der Fraktionspräsident der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, Hans-Gert Pöttering , mit der Goldmedaille des „Mérite européen“ ausgezeichnet. Zu dieser Gelegenheit hatten sich am späten Nachmittag zahlreiche Persönlichkeiten, unter ihnen EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, die Kommissare Viviane Reding und Mario Monti, die Vorsitzende des Europaparlaments Nicole Fontaine, Premierminister Jean-Claude Juncker (Ehrenpräsident der „Fondation du Mérite européen“), der Vorsitzende der EVP Wilfried Martens sowie zahlreiche Abgeordnete der Europäischen Volkspartei im Plenarsaal der EVP in Brüssel eingefunden. Die viel beachtete Laudatio hielt der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl.

„Herausragender Vertreter der demokratischen Institutionen“
In ihrer Begrüßungsrede würdigte die Vorsitzende des deutschen Förderkreises „Mérite européen“, Ursula Braun-Moser, das politische Wirken von Hans-Gert Pöttering (Jahrgang 1945) im Sinne eines geeinten Europas. Seit seiner Jugend habe er großes Interesse an europäischen Themen gezeigt. Diese Themen habe Hans-Gert Pöttering denn auch in den Mittelpunkt seiner politischen Aktivitäten gestellt. Ursula Braun-Moser strich auch ganz besonders das Fingerspitzengefühl hervor, mit dem der Geehrte seit 1999 die 233 Mitglieder starke EVP-Fraktion leite.

Der Vorsitzende der „Fondation du Mérite européen“, André Heiderscheid, beschrieb die Zielsetzung der Stiftung und erinnerte dabei an das Motto von Gründer François Visine: „Vouloir l'Europe, connaître ses problèmes, agir pour sa réalisation“.

André Heiderscheid stellte einen direkten Zusammenhang zwischen den Visionen von Robert Schuman und den Überzeugungen von François Visine her. Beide Männer verbinde nicht nur die lothringische Heimat. „Schuman und Visine haben aus der leidvollen Geschichte Europas, aus unserer Geschichte, die einzig richtige und gültige Schlussfolgerung gezogen“, betonte der Stiftungspräsident.

Den Geehrten bezeichnete André Heiderscheid als „herausragenden Vertreter der demokratischen Institutionen unseres Kontinents“.

Nach den Worten des Vorsitzenden der „Fondation“ erhielt Hans-Gert Pöttering aus den Händen von Ursula Braun-Moser und André Heiderscheid den „Mérite européen“ in Gold.

„Nie wieder Krieg“
Zu Beginn seiner Laudatio gab Helmut Kohl zu bedenken, dass Hans-Gert Pöttering den Weg in die europäische Politik „bewusst gewählt hat“. Eine andere Wahl hätte vermutlich zu Staatsämtern geführt. Doch das habe den engagierten Europäer Pöttering nicht gestört. Im Gegenteil. Er habe immer an Europa geglaubt und für Europa gearbeitet. Für Helmut Kohl ein nachahmenswertes Beispiel. „Wer Europapolitik macht, braucht – wie Hans-Gert Pöttering – Visionen im Kopf und im Herzen. Und es sind die Visionäre, die das gemeinsame Haus voranbringen“, so der Redner. Er erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die Pioniere, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg an Europa glaubten. Diese Idee sei nach dem Zweiten Weltkrieg von einer „tollen Generation“ aufgegriffen worden, die unter dem Leitmotiv „nie wieder Krieg“ europäische Geschichte schrieb. Ein Motto, das nichts an seiner Brisanz verloren habe.

Bei seinem historischen Exkurs beschrieb Helmut Kohl auch die besondere Rolle Deutschlands im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses. Dabei berief er sich auf Kanzler Konrad Adenauer, der zu Recht erkannt habe, dass „deutsche Einheit und europäische Einigung zwei Seiten derselben Medaille sind“.

„Der christliche Glaube als politische Inspiration“
Nach seinem geschichtlichen Rückblick berichtete Helmut Kohl von neuen Herausforderungen in der Europäischen Union. Es sei an der Zeit, sich in Europa wieder auf grundsätzliche Fragen zu besinnen.

„Es ist wichtiger, sich einer neuen Wertediskussion zu stellen, als die politische Aktion stets auf das Thema Steuerharmonisierung zu fokalisieren", bemerkte der Ex-Kanzler. Es sei eine Herausforderung für die Politiker von heute – wie einst Robert Schuman –, aus ihrem christlichen Glauben politische Inspiration zu beziehen.

Die Europäische Volkspartei warnte der CDU-Politiker davor, sich die eigenen europapolitischen Erfolge von anderen stehlen zu lassen. Manche Politiker seien nämlich „virtuos unterwegs", den Christdemokraten deren Verdienste am Zustandekommen Europas strittig zu machen.

„Integrationsprozess dank Euro unumkehrbar"
Mit Nachdruck bekannte sich Helmut Kohl zur gemeinsamen europäischen Währung. Das Entscheidende am Euro sei, dass er „den Integrationsprozess unumkehrbar macht". „Aus nationalen Gründen kann keiner mehr aussteigen", so der ehemalige Kanzler, der die Euroskeptiker in Großbritannien davor warnte, weiterhin auf Konfrontation zu setzen. Die Gegner der gemeinsamen Währung müssten sich letztlich bewusst sein, dass der Euro komme. „Und die City geht zum Euro", stellte Helmut Kohl fest.

Ebenso konsequent wie für den Euro plädierte Helmut Kohl auch für die rasche Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa. „Wir haben die moralische Verpflichtung weiterzumachen", sagte er und bezeichnete die Wiedervereinigung Europas als große Chance, „die nicht aus tagespolitischen Beweggründen verpasst werden darf".

„Was sollen die verbalen Prestigeprojekte?"
Was das interne Funktionieren der EU anbelangt, so trat Helmut Kohl für „ein gleichberechtigtes Miteinander aller Staaten, der großen und der kleinen" ein. Es komme auf „die Qualität und nicht die Quantität" an. Stärke allein dürfe aber nicht zum Grundprinzip werden, sagte der Redner, der sich in dieser Frage auf François Mitterrand berief. „Europa kommt nur dann weiter, wenn man dem Freund und Partner nichts zumutet, was einem selbst nicht zugefügt werden soll", so Helmut Kohl.

Betont kritisch setzte sich der Ex-Kanzler mit den rezenten Vorstößen einzelner Regierungschefs auseinander. „Mit verbalen Prestigeprojekten erreicht man nichts", monierte Helmut Kohl. Wenn jeder seine Visionen mitteile, ohne aber die eigentliche Machbarkeit nachhaltig zu überprüfen, komme es zu unnötigen Oppositionen. Das könne nicht das Ziel sein. Schließlich gehe es darum, „neuen Elan in die Europäische Union zu bringen", meinte der Christdemokrat.

Seine Laudatio schloss Helmut Kohl mit einem Appell an die führenden Politiker Europas ab. „Lassen Sie sich in den Notwendigkeiten des Alltags die Weite des Horizonts nicht nehmen", so der ehemalige Kanzler und Ehrenbürger Europas.

„EVP als Anwalt gemeinschaftlichen Rechts"
Nach einem kurzen Grußwort der Präsidentin des Europaparlaments Nicole Fontaine, bedankte sich EVP-Fraktionschef Heinz-Gert Pöttering für die hohe Auszeichnung, die ihm verliehen wurde. Danach bezog auch er zu den anstehenden Reformen in der EU Stellung. Dabei meinte er, die Union müsse zu einer „wirklichen Gemeinschaft des Rechts" werden. Die EVP sehe er dabei „als Anwalt des gemeinschaftlichen Rechts".

Als „moralische und christliche Verpflichtung" beschrieb Hans-Gert Pöttering die Erweiterung der EU. Den neuen Ländern müsse man „die Tore zur Wertegemeinschaft Europa" öffnen. Das stärke nicht zuletzt die Vielfalt, die den eigentlichen Reichtum des Kontinents ausmache, so der EVP-Fraktionschef.