Am
23. Mai 1936 richtete Heinrich Vetter, seit der nationalsozialistischen
"Machtübernahme" Oberbürgermeister der Stadt
Hagen und ab August 1936 auch Stellvertretender Gauleiter in Westfalen-Süd
(Bochum), ein Schreiben an Franz Pfeffer von Salomon, der zu dieser
Zeit offenbar im "Verbindungsstab des Führers"
in der Reichskanzlei tätig war. [1] In seinem Schreiben formulierte
Vetter ein besonderes Anliegen: "Gelegentlich der letzten
Reichstagssitzung in der Krolloper brachte ich die Rede auf die
früher dem Frhr. v. Vincke gehörige Besitzung 'Haus
Busch', die s. Zt. die Stadtverwaltung Hagen von diesem käufliche
erworben hat. Wie ich erfahren habe und wie ich Ihnen gelegentlich
der vorerwähnten Unterredung auch mitteilte, hat in früheren
Jahren der Führer auf seinen Reisen ins Rheinland und nach
Westfalen verschiedentlich auf Haus Busch bei Ihnen gewohnt. Ich
habe mich zu dem Entschluss durchgerungen, im Herrenhaus auf Haus
Busch ein historisches Zimmer herrichten zu lassen, wozu ich
[...] die Möbelstücke des s. Zt. vom Führer
bewohnten Zimmers, die sich in Ihrem Besitz befinden, benötige.
Ferner habe ich die Absicht, auch ein Vinckezimmer einzurichten."
[2] (Abb.: Hauptgebäude Haus
Busch, um 1930)
Franz
Pfeffer von Salomon - der Gutsherr auf Haus Busch
Die
Ereignisse, die den Hintergrund des geplanten "Führer-Zimmers"
bildeten, lagen rund zehn Jahre zurück. In den 1920er-Jahren
war der Weltkriegshauptmann und damalige Gutsbesitzer Franz Pfeffer
von Salomon eine zentrale Figur der nationalsozialistischen "Bewegung".
[3] Franz Pfeffer von Salomon bewirtschaftete den Adelssitz Haus
Busch, der sich seit dem frühen 19. Jahrhundert im Besitz
der Freiherren von Vincke befand, die auf ihren Stammsitz Haus
Ostenwalde in Melle bei Hannover lebten. Bereits 1924 hatte er
den Gau Westfalen gegründet, ein Jahr später ernannte
ihn Hitler zum "SA-Führer Ruhr". Pfeffer von Salomon
nahm nach dem Ersten Weltkrieg mit seinem "Freikorps Westfalen"
an den Kämpfen im Ruhrgebiet, in Oberschlesien und im Baltikum
sowie auch am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 teil; wegen der Teilnahme
an diesem Putschversuch wurde er inhaftiert, im darauf folgenden
Jahr jedoch vorzeitig entlassen. Von Haus Busch aus organisierte
Pfeffer von Salomon zwischen 1923 und 1925 den Widerstand gegen
die französische Ruhrbesetzung. Von der französischen
Besatzung wurde er daraufhin in Abwesenheit zum Tod verurteilt.
Im Zuge der Neuorganisation der NSDAP durch Hitler avancierte
Pfeffer von Salomon zu einem der drei Gauleitern, neben Karl Kaufmann
und Dr. Joseph Goebbels, die zwischen März und Juni 1926
dem neu gebildeten Großgau Ruhr vorstanden. Mit Wirkung
vom 1. November 1926 wurde Pfeffer von Salomon zum Obersten SA-Führer
(OSAF) ernannt und verzog nach München. Im August 1930 stellte
er nach schwer wiegenden Differenzen mit Hitler sein Amt zur Verfügung,
zwischen 1932 und November 1941 hatte er ein Reichstagsmandat
inne. (Abb.: Franz Pfeffer von Salomon
[Mitte] mit Adolf Hitler auf dem Parteitag in Nürnberg, 21.8.1927;
aus: Rudolf Herz: Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium
des Führer-Mythos, München 1994, S. 182)
Welchen Tätigkeiten
Franz Pfeffer von Salomon nach seiner Demission als OSAF 1930
sowie neben seiner Mitgliedschaft im Reichstag ab 1933 nachging,
ist nicht genau bekannt. Die Adressierung des Schriftverkehrs,
die ihn als damaliger Mitarbeiter des "Verbindungsstabs des
Führers" in der Reichskanzlei auswies, deutet auf eine
Funktion in der Parteileitung hin. Anlässlich der Entlassung
des südwestfälischen Gauleiters Josef Wagner durch Hitler
auf einer Tagung der Reichs- und Gauleiter in München am
9. November 1941 geriet Franz Pfeffer von Salomon in eine
parteiinterne Intrige. Von Hitler persönlich wurde ihm vorgeworden,
gemeinsam mit Wagner an einer "Verschwörung" gegen
seine Person teilgenommen und - was zu dieser Zeit nicht weniger
gravierend war - enge Beziehung zu dem im Mai 1941 nach England
geflogenen Rudolf Hess gepflegt zu haben. [4] Pfeffer von Salomon
verlor - ebenso wie Wagner - im Zuge einer "Säuberungsaktion"
noch im gleichen Monat sein Reichstagsmandat und befand sich,
so wähnte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch, bereits in
einem Konzentrationslager. Der frühere Gutsherr auf Haus
Busch, "Alte Kämpfer" der NSDAP und zeitweilige
SA-Chef war dadurch zu einem Regimegegner erklärt worden.
[5]
Haus
Busch als Erinnerungsstätte der Nationalsozialisten
Im
Geschichtsverständnis der Nationalsozialisten nahm Haus Busch
eine besondere Bedeutung ein. Der Adelssitz war eine Erinnerungsstätte
für Ludwig von Vincke (*1774; +1844), der besonders für
die Zeit des Widerstands und der Befreiungskriege gegen die französische
Herrschaft 1808-1813 stand. Der erste Oberpräsidenten von
Westfalen entwickelte sich schon zu seinen Lebzeiten in eine durch
die Bevölkerung verklärte Identifikationsperson. [6]
Haus Busch war zugleich auch Teil der seit 1933 verstärkt
betriebenen Historisierung der nationalsozialistischen "Kampfzeit".
Hitlers bekannter, mehrtägiger Aufenthalt auf Haus Busch
im Juni 1926 machte den Ort als regionaler Fixpunkt für den
"Führerkult" interessant. Mit dem projektierten
Adolf-Hitler-Zimmer im Haus Busch sollte die Erinnerung an Hitlers
Besuch wach gehalten und zugleich auch eine Gedenkstätte
eingerichtet werden, die auf den Anteil der Stadt Hagen an der
Aufbauphase der NSDAP verwies. Das dichte Geflecht aus Mythen,
Legenden und Tradierung nutzten die Nationalsozialisten zur Etablierung
und Umdeutung der Regional- und Ortsgeschichte in eine "vaterländische"
Geschichtskonstruktion, in dem sie unter anderem auch an volkstümlich
verklärte historische Gestalten der Region anknüpften,
wie besonders Friedrich Harkort, Ludwig von Vincke und Karl Friedrich
vom Stein. Bereits auf der Einladung zum "Westfalentag"
am 16. September 1934 blickten diese drei "westfälischen
Charakterköpfe" über die Kuppel der Hagener Stadthalle.
[7] Das städtische "Haus der Heimat" erhielt noch
1939 die Bezeichnung "Sauerländisches Friedrich-Harkort-Museum".
(Abb.: "Der alte Vincke",
Holzschnitt, Gartenlaube v. 15.4.1863, S. 229)
Mit der kurz
vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs abgeschlossenen Neugliederung
des Hagener Museumswesens unter dem Museumsdirektor Dr. Gerhard
Brüns und den auf Kulturhegemonie im Gau Westfalen-Süd
zielenden Plänen des Oberbürgermeisters Heinrich Vetter
besaß Hagen folgende Museen:
1) "Sauerländisches
Friedrich-Harkort-Museum - Haus der Heimat"
2) Karl-Ernst-Osthaus-Museum (vormals "Haus der Kunst")
3) Sauerländisches Museum für Vor- und Frühgeschichte.
[8]
Das
"Haus der Heimat" unterhielt seit 1939 mit Haus Busch
und dem Wasserschloss Werdringen zwei Außenstellen, die
sich allerdings noch im Aufbau befanden. Das Wasserschloss Werdringen
gelangte 1935 in den Besitz der Deutschen Arbeitsfront (DAF),
die im Umfeld der Schlossanlage ein neues Siedlungsgebiet plante
und Werdringen als "Schulungsburg" zu nutzen suchte.
Haus Busch diente seit 1933 als Lager des Reichsarbeitsdienstes
(RAD), zunächst des regulären RAD, später auch
einer Abteilung des "RAD weibliche Jugend". Den ehrgeizigen
Plänen des Hagener Museumsdirektors setzte der Kriegsbeginn
eine deutliche Grenze. So verblieb auch das Projekt des Adolf-Hitler-Zimmers
auf Haus Busch im Planungsstadium stehen und wurde nicht realisiert.
Zwar hatte Pfeffer von Salomon noch im Dezember 1937 die Überlassung
des Mobiliars zugesagt, in dem Hitler und auch Rudolf Hess, der
"Stellvertreter des Führers", nach Ausweis des
Schriftverkehrs offenbar nicht nur im Juni 1926, sondern mehrere
Male gewohnt hatten, doch wenig später verlangte er 2000
Reichsmark für die Übergabe der Zimmereinrichtung. Ein
Jahr später erinnerte Vetter den früheren Gauleiter
und SA-Chef Pfeffer von Salomon mit einer Fotografie "Der
Führer auf Haus Busch im Jahre 1926" an die Zusage,
für das "Führerzimmer" auf Haus Busch Möbel
zur Verfügung zu stellen. Pfeffer reagierte jedoch selbst
nach mehrmaligen Erinnerungsschreiben und Kontaktversuchen nicht,
so dass der Hagener Museumsdirektor Brüns im November 1939
schließlich feststellte: "Die Einrichtung des Busch-Zimmer,
welche für den Herbst d. J. in Aussicht genommen war, muss
bis zur Wiederherrichtung des Friedens zurückgestellt werden".
Offenbar hielt sich das Interesse des ehemaligen Gutsherrn auf
Haus Busch, der in den 1920-Jahren offenbar häufiger als
bisher bekannt der Gastgeber von Hitler und auch Hess war, an
seinem ehemaligen Besitz und die Erinnerung an die "Kampfzeit"
deutlich in Grenzen. Dies könnte auch auf die erheblichen
Differenzen und Spannungen hindeuten, die zwischen Hitler und
Pfeffer von Salomon nicht erst seit seiner Entlassung als SA-Chef
im Jahr 1930 bestanden und im Herbst 1941 schließlich eskalierten.
[9] (Abb.: "Haus der Heimat",
Hagen, 1939)
Während
Brüns das Vorhaben gegen Jahresende 1939 als bereits abgeschlossen
betrachtete, schaltete sich nunmehr der zu dieser Zeit noch einflussreiche
Gauamtsleiter Dr. Wilhelm Römer ein. Im Mai 1940 formulierte
Römer den Hintergrund seines Engagements: "Ich stehe
auf dem Standpunkt, dass der Erwerb der Möbelstücke
zu Gunsten der Stadt Hagen und damit die Erhaltung dieser Sache
für die Nachwelt im öffentlichen Interesse liegt, zumal
wohl nur wenige Städte in der Lage sein werden, derartige
Dinge, die zweifellos noch einmal Museumswert haben werden, der
breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen."
[10] Römer legte seinem Schreiben einen Scheck der Hagener
Firma Putsch über 2000 Reichsmark für die Anschaffung
des "Führerzimmers" bei. Ausdrücklich wurde
in diesem Schreiben betont, dass Hitler und Hess "gelegentlich
ihrer mehrfachen und längeren Anwesenheit in Hagen"
auf Haus Busch gewohnt haben. Im Sommer 1940 befanden sich die
Einrichtungsgegenstände im Besitz der Ehefrau Pfeffer von
Salomon in München. Doch noch im Herbst 1941 war der Ankauf
nicht abgeschlossen, zu dieser Zeit war Franz Pfeffer von Salomon
bereits zum "Regimegegner" erklärt worden und auch
Dr. Wilhelm Römer hatte wegen seiner persönlichen Nähe
zum abgesetzten Gauleiter Josef Wagner alle Ämter verloren.
Im Januar 1943, einen Monat vor der Einberufung Gerhard Brüns
zur Wehrmacht, stellte das Büro des Oberbürgermeisters
abschließend fest: "Die Einrichtung des 'Hitler-Zimmers'
im Haus Busch ruht, da die Möbel von Pfeffer während
des Krieges nicht erreichbar sind." [11]
Ein
"Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer" im "Haus
der Heimat"
Erfolgreicher
als die gescheiterten Pläne für ein "Adolf Hitler-Zimmer"
auf Haus Busch verliefen dagegen die Verhandlungen mit den Freiherren
von Vincke in Ostenwalde bei Melle. Das "Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer",
das ursprünglich ebenfalls im Haus Busch eingerichtet werden
sollte, wurde im November 1939 aus Anlaß seines 95. Todestags
im "Haus der Heimat" eröffnet. Seit Anfang 1937
standen der Hagener Oberbürgermeister Vetter und der Museumsdirektor
Brüns mit dem Freiherrn von Vincke in Kontakt, der dem Hagener
Museum das Mobiliar aus dem früheren Arbeitszimmers Ludwig
von Vinckes als Oberpräsident im Stadtschloss zu Münster
als Schenkung überließ. [12] Im Stadtmuseum Hagen werden
noch heute Teile des ehemaligen "Gedächtniszimmers"
verwahrt: drei Stühle und ein Klapptisch im Stil des frühen
Biedermeiers um 1820. Der auf der Fotografie aus dem Jahr 1939
erkennbare Schreibstuhl, das Sofa, der Sekretär und die Kommoden
sind heute nicht mehr vorhanden. Um die Museumsbestände vor
Bombenangriffen zu schützen, wurde auch die Einrichtung des
Gedächtniszimmers in das Sauerland transportiert, wo sie
im Raum Meschede den Krieg überstanden. Bei Kriegsende kam
es jedoch zu Plünderungen und Zerstörungen, von denen
möglicherweise auch das Mobiliar aus dem Nachlaß Ludwig
von Vinckes betroffen waren. Ebenfalls im Museumsbestand ist der
nach dem Tod Ludwig von Vinckes 1845 angefertigte Stahlstich von
Georg Friedrich Reichmann nachweisbar, auf dem die Einrichtungsgegenstände
zu erkennen sind, darunter auch die im Hagener Museumsbestand
befindlichen Möbel. Im Vergleich zum heutigen Zustand der
Sitzmöbel, die einen grünen Stoffbezug tragen, besaßen
die Möbel zu Lebzeiten Vinckes einen gestreiften Stoffbezug mit Blumendekor.
Zur Ausstattung des "Vincke-Gedächtniszimmers"
gehörte auch ein gerahmtes Foto, das Hitler im Juni 1926
vor Haus Busch zeigte. [13] (Abb.:
"Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer", 1939)
Das
Gedenken an Vincke und die Erinnerung an eine jüdische Familie
Wie
die Fotografie der Zimmereinrichtung belegt, gehörten zur
Ausstattung des Vincke-Gedächtniszimmers im "Haus der
Heimat" 1939 jedoch weitere Objekte, die nicht alle aus Vinckes
Besitz stammten. Vielmehr verweisen diese Gegenstände auf
ein bisher kaum erforschtes Kapitel der Hagener Stadt- und Museumsgeschichte,
das nicht in das tradierte und heimatlich-volkstümlich verklärte
Geschichtsbild paßt. Zumindest die auf der Fotografie erkennbaren,
im Schreibsekretär befindlichen zwei Porzellanbüsten
des preussischen Herrscherpaares Luise und Friedrich III. von
Preussen, ein an der Wand angebrachtes ovales Porzellanbild des
jugendlichen Königs Friedrich III. sowie ein ebenfalls im
Zimmer ausgestelltes Pastellgemälde von Friedrich II. (der
Große) stammen nachweislich aus der Sammlung der seit dem
19. Jahrhundert in Hagen ansässigen jüdischen Familie
Marx. [14] Museumsdirektor Gerhard Brüns hatte unmittelbar
nach dem Judenpogrom vom 9./10. November 1938 die vom verstorbenen
Kaufmann Ernst Marx über Jahrzehnte hinweg zusammengestellte
umfangreiche Antiquitätensammlung in der Litzmannstraße
"begutachtet". Allein im Januar 1939 kaufte die Stadt
Hagen 86 Gegenstände von der damals 72-jährigen Witwe
Clara Marx an, "deutsches Kulturgut der Hagener Heimatpflege",
wie Brüns herausstellte. Von den 2000 Reichsmark - aus Sicht
des Hagener Museumsdirektors ein "billiger Pauschalbetrag"
- sah die Eigentümerin jedoch keinen Pfennig, da der gesamte
Verkaufserlös vom Finanzamt sofort als "rückständige
Judenvermögensabgabe" eingezogen wurde. Einige Monate
später musste Clara Marx ihre Wohnung aufgeben und in ein
so genanntes Judenhaus in der Uhlandstraße umziehen. In
diesem Zusammenhang drückte Brüns den von ihm ohnehin
als "sehr billig" bezeichneten Ankaufspreis für
weitere Objekte um 75 Reichsmark herunter, so dass die Stadt Hagen
schließlich nur noch 200 Reichsmark für zahlreiche
"selten gute" Schmuck- und Einrichtungsgegenstände
zahlen konnte. Auch über diesen Verkaufserlös konnte
die alte Dame nicht verfügen; er wurde vollständig vom
Finanzamt als "Vorauszahlung" für die Reichsfluchtsteuer
eingefordert. (Abb.: Königin
Luise und König Friedrich III., KPM-Porzellanmanufaktur,
um 1815, Ankauf 1939 aus der Sammlung Marx, Hagen, Einrichtungszubehör
des "Vincke-Gedächtniszimmers" 1939-1943 im "Haus
der Heimat")
Zwischen 1939
und 1942 bot Clara Marx dem Museum weitere Gegenstände zum
Kauf und auch als Schenkung an. Im Juni 1941 kaufte die Stadt
Hagen für das "Haus der Heimat" einen geschnitzten
Barockschrank und für das Stadttheater ein Biedermeierzimmer
an. Diesmal wurde der Verkaufserlös von 990 Reichsmark auf
ein für Clara Marx gesperrtes "Sicherungskonto"
bei der Deutschen Bank in Hagen überwiesen, 110 Reichsmark
gingen als Verkaufsabgabe für jüdischen Besitz an die
Reichskulturkammer der Künste. Am 29. Juli 1942 erfolgte
die Deportation von Clara Marx von Hagen aus in das Konzentrationslager
Theresienstadt; sie fand dort den Tod. Noch in ihrem letzten handschriftlichen
Brief an Brüns, den sie wenige Tage vor ihrer Deportation
verfasste, drückte sie ihre emotionale Verbundenheit mit
den wertvollen Sammlungsgegenständen und die Sorge um einen
Erhalt aus. Aus anderen Briefen ist zu entnehmen, dass Clara Marx
versuchte, durch die Schenkung von Gegenständen aus ihrer
Sammlung sowie den Verkauf "unter Wert" ihr schweres
Los zu lindern und an ihren verstorbenen Mann, der die Sammlung
aufgebaut hatte, zu erinnern. Nach ihrer Deportation "übernahm"
das Städtische Museum aus der Sammlung Marx, die von der
Finanzverwaltung beschlagnahmt worden war und in Teilen offebar
vom Wohlfahrtsamt an die Bevölkerung verteilt wurde, eine
unbekannte Anzahl von Gegenständen, die von Brüns als
"Judenmöbel, Leuchter, Zinnsachen usw." bezeichnet
wurden.
Die Geschichte
des "Gedächtniszimmers" für Ludwig von Vincke
im früheren Hagener Stadtmuseum "Haus der Heimat"
und die heute noch vorhandenen Einrichtungsgegenstände
enthalten nicht nur das Gedenken an den volkstümlich verklärten
westfälischen Oberpräsidenten und vormaligen Eigentümer
von Haus Busch. Die Zimmereinrichtung konservierte, von den Nationalsozialisten
zweifellos ungewollt, auch die Erinnerung an eine jüdische
Familie aus Hagen und ihrer letzten Vertreterin Clara Marx. Von
der Gedenk- und Erinnerungskultur in Hagen blieb dieses Schicksal,
das kein Einzelfall darstellte, bisher vollständig ausgeklammert.
Mehr noch: durch die kritiklose Präsentation in einem verklärten
heimatkundlichen Zusammenhang mit Vincke wurde die Herkunft und
Geschichte der von Clara Marx und ihrem Ehemann Ernst liebevoll
über Jahre gepflegten Sammlungsgegenstände negiert.
Über
den von Museumsdirektor Brüns gewählten Kontext zu der
Erinnerung an Vincke konstruierte man im "Dritten Reich"
eine neue Exponatgeschichte, in der die "artfremde"
und nicht "deutschvölkische" Herkunft der Vergessenheit
anheim fallen sollte. Dieser bewusst Herkunft und Geschichte verbergende
Umgang mit Museumsexponaten aus vormals jüdischen Eigentum
setzte sich bruchlos bis in die Nachkriegszeit fort und wird erst
allmählich durch eine systematische Bestandsforschung aufgeklärt.
Während sich die mit umfangreicher finanzieller und öffentlicher
Förderung in den letzten Jahren in größeren Museen
betriebene Provenienzforschung bisher hauptsächlich auf kunsthistorisch
und künstlerisch bedeutende (und kostbare) Exponate beschränkte,
kann das Ausmaß und der Umfang von "Ankäufen"
und "Übernahmen" aus jüdischem Eigentum in
so genannten Heimat- und Regionalmuseen während der NS-Zeit
nur erahnt werden.
Das geplante
"Führerzimmer" auf Haus Busch und das "Freiherr
von Vincke-Gedächtniszimmer" im "Haus der Heimat"
waren zwei wichtige Vorhaben der Hagener Kulturpolitik der späten
1930-Jahre. Während das "Führerzimmer" zur
Erinnerung an Adolf Hitler und als lokale NS-Gedenkstätte
niemals realisiert werden konnte, entstand im Frühjahr 1939
ein "Vinke-Gedächtniszimmer", das nur auf den
ersten Blick der Erinnerung an den ersten westfälischen Oberpräsidenten diente.
Bei genauerer Betrachtung war die Geschichte der Einrichtung dieses
Zimmers, von dem Teile im heutigen Stadtmuseum (Historisches
Centrum Hagen) überliefert sind, alles andere als frei von
nationalsozialistischer Ideologie und Politik. Durch die Einbeziehung
von Gegenständen, die von der Stadt Hagen aus der Sammlung
einer alten jüdischen Familie aus Hagen, deren Mitglieder
ermordet wurden, angekauft bzw. "übernommen" wurden,
erhält das "Vincke-Gedächtniszimmer" mit den
noch vorhandenen Einrichtungsgegenständen eine neue historische
Dimension und inhaltliche Bewertung.
Anmerkungen
[1] Franz
Felix Pfeffer von Salomon (*19. 2. 1888, Düsseldorf; +12.4.1968,
München), vgl. Hermann Weiß (Hg.): Biografisches Lexikon
zum Dritten Reich, Frankfurt/Main 1998, S. 348-349, s. auch Kershaw,
Ian: Hitler 1889-1936, Stuttgart 1998, S. 355-356, 431-432. Franz
Pfeffer von Salomon wird häufig mit (seinem Verwandten) Friedrich
"Fritz" Pfeffer von Salomon (*19.5.1892, Charlottenburg)
verwechselt, der im April 1933 zum Polizeipräsidenten in
Kassel und Leiter der dortigen Gestapo ernannt wurde. Genau wie
Franz Pfeffer von Salomon war auch Friedrich hoher SA-Führer,
zuletzt SA-Obergruppenführer. 1936 zum Regierungspräsidenten
in Wiesbaden ernannt, geriet auch Friedrich in Konflikt zur NS-Führung
in Person des kurhessischen Gauleiters Karl Weinrich und erhielt
1942 seine Entlassung. Im Zusammenhang mit der "Aktion Gewitter"
wurde er nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli
1944 von der Gestapo kurzzeitig verhaftet.
[2] StadtA Hagen, Akte 9034: Schreiben H. Vetters an F. Pfeffer
von Salomon v. 23.5.1936, Bl. 1. Die Stadt Hagen erwarb den in
seinen Ursprüngen aus dem 13. Jahrhundert stammenden, sagenumwobenen
Adelssitz und die 1827 angelegte Erbgruft im Fleyer Wald im Jahr
1928 von den Freiherren von Vincke. Seit 1975 befindet sich in
Haus Busch das bekannte Deutsche Institut für journalistische
Bildungsarbeit (Journalistenzentrum Haus Busch). Zur Geschichte
von Haus Busch s. Willy Timm: Haus Busch und die Sybergs. Zur
Geschichte eines märkischen Adelssitzes, in: Hagener Heimatkalender
17 (1976), S. 123-126.
[3] Wilfried Böhnke: Die NSDAP im Ruhrgebiet 1920-1933, Bonn-Bad
Godesberg 1974 [= Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung
106].
[4] Kershaw, Ian: Hitler 1936-1945, Stuttgart 2000, S. 587.
[5] Zu Ludwig von Vincke vgl. Ludwig Freiherr Vincke (1774-1844),
hg. vom Staatsarchiv Münster, Münster 1994.
[6] Hierzu Ralf Blank: "Ludwig von Vincke bedarf des Denkmals
nicht ...". Der Vincke-Turm auf der Hohensyburg, in: Beate
Hobein/Dietmar Osses (Hg.); "Bis in fernste, fernste Zeit
...". Hagen und seine Denkmäler, Hagen 1996, S. 49-54.
[7] Hermann Zabel: Heimatbewegung und Drittes Reich, in: Jochen
Becker/Hermann Zabel (Hg.); Hagen unterm Hakenkreuz, Hagen 1995,
S. 233-274, hier S. 246 [Abdruck der Einladungskarte].
[8] Gerhard Brüns, Die Städtischen Museen in Hagen,
Hagen 1939, S. 18. Zur Entwicklung des Hagener Museumswesens s.
Dietmar Osses: Hagener Kulturleben im Nationalsozialismus - Museen
und Ausstellungen, in; Jochen Becker/Hermann Zabel (Hg.); Hagen
unterm Hakenkreuz, Hagen 1995, S. 311-331; Ralf Blank: Zur Biografie
des Hagener Oberbürgermeisters und stellvertretenden Gauleiters
in Westfalen-Süd, Heinrich Vetter (1890-1969), in: Westfälische
Zeitschrift 151/152 (2001/2002), S. 414-447, hier S. 427-433.
[9] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 7: Aktennotiz von Brüns
v. 28.11.1939.
[10] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 10: Schreiben von W. Römer
an H. Vetter v. 20.5.1940.
[11] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 21r: Notiz v. 15.1.1943.
[12] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 5r: Nach einer Notiz vom 11.11.1938
hatte Vincke sein grundsätzliches Einverständnis für
die Überlassung von Möbeln aus dem Besitz Ludwig von
Vinckes erklärt. Die Möbel wurden am 5.11.1938 in Begleitung
des Oberbürgermeister Vetters von Ostenwalde nach Hagen transportiert;
Aktennotiz von Brüns v. 7.11.1938, StadtA Hagen, Akte 9084.
Dieser Notiz ist zu entnehmen, dass eine feierliche Eröffnung
des Zimmers auf Haus Busch durch den Reichsarbeitsdienstführer
Hierl geplant war. Da die Möbel "stark vermottet"
waren, wurden sie in Hagen neu gepolstert und bezogen, aus haushaltsrechtlichen
Gründen geschah dies jedoch erst Anfang 1939.
[13] StadtA Hagen, Akte 9084: "Neue Schätze in unserem
Heimatmuseum", Zeitungsartikel, o.D; Hagener Zeitung v. 22.11.1939.
[14] StadtA Hagen, Akte 9095. Der gesamte Vorgang wird in absehbarer
Zeit in einem eigenen Beitrag untersucht und dargestellt.
Autor:
Ralf Blank M.A. <ralf.blank@historisches-centrum.de>
© Historisches Centrum Hagen, alle Rechte vorbehalten
URL: http://www.historisches-centrum.de/einblicke/03/200303.shtml
Version vom: 20.7.2003 |