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Wednesday, March 9, 2005

Einblicke 3 (2003), Ausgabe 3 (Juli); Konstruierte Geschichte und museale Erinnerungskultur. Das Führer-Zimmer auf Haus Busch und das Vincke-Gedenken im Dritten Reich

Einblicke - Zeitschrift für Regionalgeschichte | 3. Jahrgang | 2003 | Ausgabe 3 (Juli)
ISSN 1618-9752

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Ralf Blank

Konstruierte Geschichte und museale Erinnerungskultur.
Das "Führer-Zimmer" auf Haus Busch und das Vincke-Gedenken im "Dritten Reich"

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Am 23. Mai 1936 richtete Heinrich Vetter, seit der nationalsozialistischen "Machtübernahme" Oberbürgermeister der Stadt Hagen und ab August 1936 auch Stellvertretender Gauleiter in Westfalen-Süd (Bochum), ein Schreiben an Franz Pfeffer von Salomon, der zu dieser Zeit offenbar im "Verbindungsstab des Führers" in der Reichskanzlei tätig war. [1] In seinem Schreiben formulierte Vetter ein besonderes Anliegen: "Gelegentlich der letzten Reichstagssitzung in der Krolloper brachte ich die Rede auf die früher dem Frhr. v. Vincke gehörige Besitzung 'Haus Busch', die s. Zt. die Stadtverwaltung Hagen von diesem käufliche erworben hat. Wie ich erfahren habe und wie ich Ihnen gelegentlich der vorerwähnten Unterredung auch mitteilte, hat in früheren Jahren der Führer auf seinen Reisen ins Rheinland und nach Westfalen verschiedentlich auf Haus Busch bei Ihnen gewohnt. Ich habe mich zu dem Entschluss durchgerungen, im Herrenhaus auf Haus Busch ein historisches Zimmer herrichten zu lassen, wozu ich [...] die Möbelstücke des s. Zt. vom Führer bewohnten Zimmers, die sich in Ihrem Besitz befinden, benötige. Ferner habe ich die Absicht, auch ein Vinckezimmer einzurichten." [2] (Abb.: Hauptgebäude Haus Busch, um 1930)

Franz Pfeffer von Salomon - der Gutsherr auf Haus Busch

Die Ereignisse, die den Hintergrund des geplanten "Führer-Zimmers" bildeten, lagen rund zehn Jahre zurück. In den 1920er-Jahren war der Weltkriegshauptmann und damalige Gutsbesitzer Franz Pfeffer von Salomon eine zentrale Figur der nationalsozialistischen "Bewegung". [3] Franz Pfeffer von Salomon bewirtschaftete den Adelssitz Haus Busch, der sich seit dem frühen 19. Jahrhundert im Besitz der Freiherren von Vincke befand, die auf ihren Stammsitz Haus Ostenwalde in Melle bei Hannover lebten. Bereits 1924 hatte er den Gau Westfalen gegründet, ein Jahr später ernannte ihn Hitler zum "SA-Führer Ruhr". Pfeffer von Salomon nahm nach dem Ersten Weltkrieg mit seinem "Freikorps Westfalen" an den Kämpfen im Ruhrgebiet, in Oberschlesien und im Baltikum sowie auch am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 teil; wegen der Teilnahme an diesem Putschversuch wurde er inhaftiert, im darauf folgenden Jahr jedoch vorzeitig entlassen. Von Haus Busch aus organisierte Pfeffer von Salomon zwischen 1923 und 1925 den Widerstand gegen die französische Ruhrbesetzung. Von der französischen Besatzung wurde er daraufhin in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Im Zuge der Neuorganisation der NSDAP durch Hitler avancierte Pfeffer von Salomon zu einem der drei Gauleitern, neben Karl Kaufmann und Dr. Joseph Goebbels, die zwischen März und Juni 1926 dem neu gebildeten Großgau Ruhr vorstanden. Mit Wirkung vom 1. November 1926 wurde Pfeffer von Salomon zum Obersten SA-Führer (OSAF) ernannt und verzog nach München. Im August 1930 stellte er nach schwer wiegenden Differenzen mit Hitler sein Amt zur Verfügung, zwischen 1932 und November 1941 hatte er ein Reichstagsmandat inne. (Abb.: Franz Pfeffer von Salomon [Mitte] mit Adolf Hitler auf dem Parteitag in Nürnberg, 21.8.1927; aus: Rudolf Herz: Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos, München 1994, S. 182)

Welchen Tätigkeiten Franz Pfeffer von Salomon nach seiner Demission als OSAF 1930 sowie neben seiner Mitgliedschaft im Reichstag ab 1933 nachging, ist nicht genau bekannt. Die Adressierung des Schriftverkehrs, die ihn als damaliger Mitarbeiter des "Verbindungsstabs des Führers" in der Reichskanzlei auswies, deutet auf eine Funktion in der Parteileitung hin. Anlässlich der Entlassung des südwestfälischen Gauleiters Josef Wagner durch Hitler auf einer Tagung der Reichs- und Gauleiter in München am 9. November 1941 geriet Franz Pfeffer von Salomon in eine parteiinterne Intrige. Von Hitler persönlich wurde ihm vorgeworden, gemeinsam mit Wagner an einer "Verschwörung" gegen seine Person teilgenommen und - was zu dieser Zeit nicht weniger gravierend war - enge Beziehung zu dem im Mai 1941 nach England geflogenen Rudolf Hess gepflegt zu haben. [4] Pfeffer von Salomon verlor - ebenso wie Wagner - im Zuge einer "Säuberungsaktion" noch im gleichen Monat sein Reichstagsmandat und befand sich, so wähnte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch, bereits in einem Konzentrationslager. Der frühere Gutsherr auf Haus Busch, "Alte Kämpfer" der NSDAP und zeitweilige SA-Chef war dadurch zu einem Regimegegner erklärt worden. [5]

Haus Busch als Erinnerungsstätte der Nationalsozialisten

Im Geschichtsverständnis der Nationalsozialisten nahm Haus Busch eine besondere Bedeutung ein. Der Adelssitz war eine Erinnerungsstätte für Ludwig von Vincke (*1774; +1844), der besonders für die Zeit des Widerstands und der Befreiungskriege gegen die französische Herrschaft 1808-1813 stand. Der erste Oberpräsidenten von Westfalen entwickelte sich schon zu seinen Lebzeiten in eine durch die Bevölkerung verklärte Identifikationsperson. [6] Haus Busch war zugleich auch Teil der seit 1933 verstärkt betriebenen Historisierung der nationalsozialistischen "Kampfzeit". Hitlers bekannter, mehrtägiger Aufenthalt auf Haus Busch im Juni 1926 machte den Ort als regionaler Fixpunkt für den "Führerkult" interessant. Mit dem projektierten Adolf-Hitler-Zimmer im Haus Busch sollte die Erinnerung an Hitlers Besuch wach gehalten und zugleich auch eine Gedenkstätte eingerichtet werden, die auf den Anteil der Stadt Hagen an der Aufbauphase der NSDAP verwies. Das dichte Geflecht aus Mythen, Legenden und Tradierung nutzten die Nationalsozialisten zur Etablierung und Umdeutung der Regional- und Ortsgeschichte in eine "vaterländische" Geschichtskonstruktion, in dem sie unter anderem auch an volkstümlich verklärte historische Gestalten der Region anknüpften, wie besonders Friedrich Harkort, Ludwig von Vincke und Karl Friedrich vom Stein. Bereits auf der Einladung zum "Westfalentag" am 16. September 1934 blickten diese drei "westfälischen Charakterköpfe" über die Kuppel der Hagener Stadthalle. [7] Das städtische "Haus der Heimat" erhielt noch 1939 die Bezeichnung "Sauerländisches Friedrich-Harkort-Museum". (Abb.: "Der alte Vincke", Holzschnitt, Gartenlaube v. 15.4.1863, S. 229)

Mit der kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs abgeschlossenen Neugliederung des Hagener Museumswesens unter dem Museumsdirektor Dr. Gerhard Brüns und den auf Kulturhegemonie im Gau Westfalen-Süd zielenden Plänen des Oberbürgermeisters Heinrich Vetter besaß Hagen folgende Museen:

1) "Sauerländisches Friedrich-Harkort-Museum - Haus der Heimat"
2) Karl-Ernst-Osthaus-Museum (vormals "Haus der Kunst")
3) Sauerländisches Museum für Vor- und Frühgeschichte. [8]

Das "Haus der Heimat" unterhielt seit 1939 mit Haus Busch und dem Wasserschloss Werdringen zwei Außenstellen, die sich allerdings noch im Aufbau befanden. Das Wasserschloss Werdringen gelangte 1935 in den Besitz der Deutschen Arbeitsfront (DAF), die im Umfeld der Schlossanlage ein neues Siedlungsgebiet plante und Werdringen als "Schulungsburg" zu nutzen suchte. Haus Busch diente seit 1933 als Lager des Reichsarbeitsdienstes (RAD), zunächst des regulären RAD, später auch einer Abteilung des "RAD weibliche Jugend". Den ehrgeizigen Plänen des Hagener Museumsdirektors setzte der Kriegsbeginn eine deutliche Grenze. So verblieb auch das Projekt des Adolf-Hitler-Zimmers auf Haus Busch im Planungsstadium stehen und wurde nicht realisiert. Zwar hatte Pfeffer von Salomon noch im Dezember 1937 die Überlassung des Mobiliars zugesagt, in dem Hitler und auch Rudolf Hess, der "Stellvertreter des Führers", nach Ausweis des Schriftverkehrs offenbar nicht nur im Juni 1926, sondern mehrere Male gewohnt hatten, doch wenig später verlangte er 2000 Reichsmark für die Übergabe der Zimmereinrichtung. Ein Jahr später erinnerte Vetter den früheren Gauleiter und SA-Chef Pfeffer von Salomon mit einer Fotografie "Der Führer auf Haus Busch im Jahre 1926" an die Zusage, für das "Führerzimmer" auf Haus Busch Möbel zur Verfügung zu stellen. Pfeffer reagierte jedoch selbst nach mehrmaligen Erinnerungsschreiben und Kontaktversuchen nicht, so dass der Hagener Museumsdirektor Brüns im November 1939 schließlich feststellte: "Die Einrichtung des Busch-Zimmer, welche für den Herbst d. J. in Aussicht genommen war, muss bis zur Wiederherrichtung des Friedens zurückgestellt werden". Offenbar hielt sich das Interesse des ehemaligen Gutsherrn auf Haus Busch, der in den 1920-Jahren offenbar häufiger als bisher bekannt der Gastgeber von Hitler und auch Hess war, an seinem ehemaligen Besitz und die Erinnerung an die "Kampfzeit" deutlich in Grenzen. Dies könnte auch auf die erheblichen Differenzen und Spannungen hindeuten, die zwischen Hitler und Pfeffer von Salomon nicht erst seit seiner Entlassung als SA-Chef im Jahr 1930 bestanden und im Herbst 1941 schließlich eskalierten. [9] (Abb.: "Haus der Heimat", Hagen, 1939)

Während Brüns das Vorhaben gegen Jahresende 1939 als bereits abgeschlossen betrachtete, schaltete sich nunmehr der zu dieser Zeit noch einflussreiche Gauamtsleiter Dr. Wilhelm Römer ein. Im Mai 1940 formulierte Römer den Hintergrund seines Engagements: "Ich stehe auf dem Standpunkt, dass der Erwerb der Möbelstücke zu Gunsten der Stadt Hagen und damit die Erhaltung dieser Sache für die Nachwelt im öffentlichen Interesse liegt, zumal wohl nur wenige Städte in der Lage sein werden, derartige Dinge, die zweifellos noch einmal Museumswert haben werden, der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen." [10] Römer legte seinem Schreiben einen Scheck der Hagener Firma Putsch über 2000 Reichsmark für die Anschaffung des "Führerzimmers" bei. Ausdrücklich wurde in diesem Schreiben betont, dass Hitler und Hess "gelegentlich ihrer mehrfachen und längeren Anwesenheit in Hagen" auf Haus Busch gewohnt haben. Im Sommer 1940 befanden sich die Einrichtungsgegenstände im Besitz der Ehefrau Pfeffer von Salomon in München. Doch noch im Herbst 1941 war der Ankauf nicht abgeschlossen, zu dieser Zeit war Franz Pfeffer von Salomon bereits zum "Regimegegner" erklärt worden und auch Dr. Wilhelm Römer hatte wegen seiner persönlichen Nähe zum abgesetzten Gauleiter Josef Wagner alle Ämter verloren. Im Januar 1943, einen Monat vor der Einberufung Gerhard Brüns zur Wehrmacht, stellte das Büro des Oberbürgermeisters abschließend fest: "Die Einrichtung des 'Hitler-Zimmers' im Haus Busch ruht, da die Möbel von Pfeffer während des Krieges nicht erreichbar sind." [11]

Ein "Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer" im "Haus der Heimat"

Erfolgreicher als die gescheiterten Pläne für ein "Adolf Hitler-Zimmer" auf Haus Busch verliefen dagegen die Verhandlungen mit den Freiherren von Vincke in Ostenwalde bei Melle. Das "Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer", das ursprünglich ebenfalls im Haus Busch eingerichtet werden sollte, wurde im November 1939 aus Anlaß seines 95. Todestags im "Haus der Heimat" eröffnet. Seit Anfang 1937 standen der Hagener Oberbürgermeister Vetter und der Museumsdirektor Brüns mit dem Freiherrn von Vincke in Kontakt, der dem Hagener Museum das Mobiliar aus dem früheren Arbeitszimmers Ludwig von Vinckes als Oberpräsident im Stadtschloss zu Münster als Schenkung überließ. [12] Im Stadtmuseum Hagen werden noch heute Teile des ehemaligen "Gedächtniszimmers" verwahrt: drei Stühle und ein Klapptisch im Stil des frühen Biedermeiers um 1820. Der auf der Fotografie aus dem Jahr 1939 erkennbare Schreibstuhl, das Sofa, der Sekretär und die Kommoden sind heute nicht mehr vorhanden. Um die Museumsbestände vor Bombenangriffen zu schützen, wurde auch die Einrichtung des Gedächtniszimmers in das Sauerland transportiert, wo sie im Raum Meschede den Krieg überstanden. Bei Kriegsende kam es jedoch zu Plünderungen und Zerstörungen, von denen möglicherweise auch das Mobiliar aus dem Nachlaß Ludwig von Vinckes betroffen waren. Ebenfalls im Museumsbestand ist der nach dem Tod Ludwig von Vinckes 1845 angefertigte Stahlstich von Georg Friedrich Reichmann nachweisbar, auf dem die Einrichtungsgegenstände zu erkennen sind, darunter auch die im Hagener Museumsbestand befindlichen Möbel. Im Vergleich zum heutigen Zustand der Sitzmöbel, die einen grünen Stoffbezug tragen, besaßen die Möbel zu Lebzeiten Vinckes einen gestreiften Stoffbezug mit Blumendekor. Zur Ausstattung des "Vincke-Gedächtniszimmers" gehörte auch ein gerahmtes Foto, das Hitler im Juni 1926 vor Haus Busch zeigte. [13] (Abb.: "Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer", 1939)

Das Gedenken an Vincke und die Erinnerung an eine jüdische Familie

Wie die Fotografie der Zimmereinrichtung belegt, gehörten zur Ausstattung des Vincke-Gedächtniszimmers im "Haus der Heimat" 1939 jedoch weitere Objekte, die nicht alle aus Vinckes Besitz stammten. Vielmehr verweisen diese Gegenstände auf ein bisher kaum erforschtes Kapitel der Hagener Stadt- und Museumsgeschichte, das nicht in das tradierte und heimatlich-volkstümlich verklärte Geschichtsbild paßt. Zumindest die auf der Fotografie erkennbaren, im Schreibsekretär befindlichen zwei Porzellanbüsten des preussischen Herrscherpaares Luise und Friedrich III. von Preussen, ein an der Wand angebrachtes ovales Porzellanbild des jugendlichen Königs Friedrich III. sowie ein ebenfalls im Zimmer ausgestelltes Pastellgemälde von Friedrich II. (der Große) stammen nachweislich aus der Sammlung der seit dem 19. Jahrhundert in Hagen ansässigen jüdischen Familie Marx. [14] Museumsdirektor Gerhard Brüns hatte unmittelbar nach dem Judenpogrom vom 9./10. November 1938 die vom verstorbenen Kaufmann Ernst Marx über Jahrzehnte hinweg zusammengestellte umfangreiche Antiquitätensammlung in der Litzmannstraße "begutachtet". Allein im Januar 1939 kaufte die Stadt Hagen 86 Gegenstände von der damals 72-jährigen Witwe Clara Marx an, "deutsches Kulturgut der Hagener Heimatpflege", wie Brüns herausstellte. Von den 2000 Reichsmark - aus Sicht des Hagener Museumsdirektors ein "billiger Pauschalbetrag" - sah die Eigentümerin jedoch keinen Pfennig, da der gesamte Verkaufserlös vom Finanzamt sofort als "rückständige Judenvermögensabgabe" eingezogen wurde. Einige Monate später musste Clara Marx ihre Wohnung aufgeben und in ein so genanntes Judenhaus in der Uhlandstraße umziehen. In diesem Zusammenhang drückte Brüns den von ihm ohnehin als "sehr billig" bezeichneten Ankaufspreis für weitere Objekte um 75 Reichsmark herunter, so dass die Stadt Hagen schließlich nur noch 200 Reichsmark für zahlreiche "selten gute" Schmuck- und Einrichtungsgegenstände zahlen konnte. Auch über diesen Verkaufserlös konnte die alte Dame nicht verfügen; er wurde vollständig vom Finanzamt als "Vorauszahlung" für die Reichsfluchtsteuer eingefordert. (Abb.: Königin Luise und König Friedrich III., KPM-Porzellanmanufaktur, um 1815, Ankauf 1939 aus der Sammlung Marx, Hagen, Einrichtungszubehör des "Vincke-Gedächtniszimmers" 1939-1943 im "Haus der Heimat")

Zwischen 1939 und 1942 bot Clara Marx dem Museum weitere Gegenstände zum Kauf und auch als Schenkung an. Im Juni 1941 kaufte die Stadt Hagen für das "Haus der Heimat" einen geschnitzten Barockschrank und für das Stadttheater ein Biedermeierzimmer an. Diesmal wurde der Verkaufserlös von 990 Reichsmark auf ein für Clara Marx gesperrtes "Sicherungskonto" bei der Deutschen Bank in Hagen überwiesen, 110 Reichsmark gingen als Verkaufsabgabe für jüdischen Besitz an die Reichskulturkammer der Künste. Am 29. Juli 1942 erfolgte die Deportation von Clara Marx von Hagen aus in das Konzentrationslager Theresienstadt; sie fand dort den Tod. Noch in ihrem letzten handschriftlichen Brief an Brüns, den sie wenige Tage vor ihrer Deportation verfasste, drückte sie ihre emotionale Verbundenheit mit den wertvollen Sammlungsgegenständen und die Sorge um einen Erhalt aus. Aus anderen Briefen ist zu entnehmen, dass Clara Marx versuchte, durch die Schenkung von Gegenständen aus ihrer Sammlung sowie den Verkauf "unter Wert" ihr schweres Los zu lindern und an ihren verstorbenen Mann, der die Sammlung aufgebaut hatte, zu erinnern. Nach ihrer Deportation "übernahm" das Städtische Museum aus der Sammlung Marx, die von der Finanzverwaltung beschlagnahmt worden war und in Teilen offebar vom Wohlfahrtsamt an die Bevölkerung verteilt wurde, eine unbekannte Anzahl von Gegenständen, die von Brüns als "Judenmöbel, Leuchter, Zinnsachen usw." bezeichnet wurden.

Die Geschichte des "Gedächtniszimmers" für Ludwig von Vincke im früheren Hagener Stadtmuseum "Haus der Heimat" und die heute noch vorhandenen Einrichtungsgegenstände enthalten nicht nur das Gedenken an den volkstümlich verklärten westfälischen Oberpräsidenten und vormaligen Eigentümer von Haus Busch. Die Zimmereinrichtung konservierte, von den Nationalsozialisten zweifellos ungewollt, auch die Erinnerung an eine jüdische Familie aus Hagen und ihrer letzten Vertreterin Clara Marx. Von der Gedenk- und Erinnerungskultur in Hagen blieb dieses Schicksal, das kein Einzelfall darstellte, bisher vollständig ausgeklammert. Mehr noch: durch die kritiklose Präsentation in einem verklärten heimatkundlichen Zusammenhang mit Vincke wurde die Herkunft und Geschichte der von Clara Marx und ihrem Ehemann Ernst liebevoll über Jahre gepflegten Sammlungsgegenstände negiert.

Über den von Museumsdirektor Brüns gewählten Kontext zu der Erinnerung an Vincke konstruierte man im "Dritten Reich" eine neue Exponatgeschichte, in der die "artfremde" und nicht "deutschvölkische" Herkunft der Vergessenheit anheim fallen sollte. Dieser bewusst Herkunft und Geschichte verbergende Umgang mit Museumsexponaten aus vormals jüdischen Eigentum setzte sich bruchlos bis in die Nachkriegszeit fort und wird erst allmählich durch eine systematische Bestandsforschung aufgeklärt. Während sich die mit umfangreicher finanzieller und öffentlicher Förderung in den letzten Jahren in größeren Museen betriebene Provenienzforschung bisher hauptsächlich auf kunsthistorisch und künstlerisch bedeutende (und kostbare) Exponate beschränkte, kann das Ausmaß und der Umfang von "Ankäufen" und "Übernahmen" aus jüdischem Eigentum in so genannten Heimat- und Regionalmuseen während der NS-Zeit nur erahnt werden.

Das geplante "Führerzimmer" auf Haus Busch und das "Freiherr von Vincke-Gedächtniszimmer" im "Haus der Heimat" waren zwei wichtige Vorhaben der Hagener Kulturpolitik der späten 1930-Jahre. Während das "Führerzimmer" zur Erinnerung an Adolf Hitler und als lokale NS-Gedenkstätte niemals realisiert werden konnte, entstand im Frühjahr 1939 ein "Vinke-Gedächtniszimmer", das nur auf den ersten Blick der Erinnerung an den ersten westfälischen Oberpräsidenten diente. Bei genauerer Betrachtung war die Geschichte der Einrichtung dieses Zimmers, von dem Teile im heutigen Stadtmuseum (Historisches Centrum Hagen) überliefert sind, alles andere als frei von nationalsozialistischer Ideologie und Politik. Durch die Einbeziehung von Gegenständen, die von der Stadt Hagen aus der Sammlung einer alten jüdischen Familie aus Hagen, deren Mitglieder ermordet wurden, angekauft bzw. "übernommen" wurden, erhält das "Vincke-Gedächtniszimmer" mit den noch vorhandenen Einrichtungsgegenständen eine neue historische Dimension und inhaltliche Bewertung.

Anmerkungen

[1] Franz Felix Pfeffer von Salomon (*19. 2. 1888, Düsseldorf; +12.4.1968, München), vgl. Hermann Weiß (Hg.): Biografisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/Main 1998, S. 348-349, s. auch Kershaw, Ian: Hitler 1889-1936, Stuttgart 1998, S. 355-356, 431-432. Franz Pfeffer von Salomon wird häufig mit (seinem Verwandten) Friedrich "Fritz" Pfeffer von Salomon (*19.5.1892, Charlottenburg) verwechselt, der im April 1933 zum Polizeipräsidenten in Kassel und Leiter der dortigen Gestapo ernannt wurde. Genau wie Franz Pfeffer von Salomon war auch Friedrich hoher SA-Führer, zuletzt SA-Obergruppenführer. 1936 zum Regierungspräsidenten in Wiesbaden ernannt, geriet auch Friedrich in Konflikt zur NS-Führung in Person des kurhessischen Gauleiters Karl Weinrich und erhielt 1942 seine Entlassung. Im Zusammenhang mit der "Aktion Gewitter" wurde er nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 von der Gestapo kurzzeitig verhaftet.
[2] StadtA Hagen, Akte 9034: Schreiben H. Vetters an F. Pfeffer von Salomon v. 23.5.1936, Bl. 1. Die Stadt Hagen erwarb den in seinen Ursprüngen aus dem 13. Jahrhundert stammenden, sagenumwobenen Adelssitz und die 1827 angelegte Erbgruft im Fleyer Wald im Jahr 1928 von den Freiherren von Vincke. Seit 1975 befindet sich in Haus Busch das bekannte Deutsche Institut für journalistische Bildungsarbeit (Journalistenzentrum Haus Busch). Zur Geschichte von Haus Busch s. Willy Timm: Haus Busch und die Sybergs. Zur Geschichte eines märkischen Adelssitzes, in: Hagener Heimatkalender 17 (1976), S. 123-126.
[3] Wilfried Böhnke: Die NSDAP im Ruhrgebiet 1920-1933, Bonn-Bad Godesberg 1974 [= Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung 106].
[4] Kershaw, Ian: Hitler 1936-1945, Stuttgart 2000, S. 587.
[5] Zu Ludwig von Vincke vgl. Ludwig Freiherr Vincke (1774-1844), hg. vom Staatsarchiv Münster, Münster 1994.
[6] Hierzu Ralf Blank: "Ludwig von Vincke bedarf des Denkmals nicht ...". Der Vincke-Turm auf der Hohensyburg, in: Beate Hobein/Dietmar Osses (Hg.); "Bis in fernste, fernste Zeit ...". Hagen und seine Denkmäler, Hagen 1996, S. 49-54.
[7] Hermann Zabel: Heimatbewegung und Drittes Reich, in: Jochen Becker/Hermann Zabel (Hg.); Hagen unterm Hakenkreuz, Hagen 1995, S. 233-274, hier S. 246 [Abdruck der Einladungskarte].
[8] Gerhard Brüns, Die Städtischen Museen in Hagen, Hagen 1939, S. 18. Zur Entwicklung des Hagener Museumswesens s. Dietmar Osses: Hagener Kulturleben im Nationalsozialismus - Museen und Ausstellungen, in; Jochen Becker/Hermann Zabel (Hg.); Hagen unterm Hakenkreuz, Hagen 1995, S. 311-331; Ralf Blank: Zur Biografie des Hagener Oberbürgermeisters und stellvertretenden Gauleiters in Westfalen-Süd, Heinrich Vetter (1890-1969), in: Westfälische Zeitschrift 151/152 (2001/2002), S. 414-447, hier S. 427-433.
[9] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 7: Aktennotiz von Brüns v. 28.11.1939.
[10] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 10: Schreiben von W. Römer an H. Vetter v. 20.5.1940.
[11] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 21r: Notiz v. 15.1.1943.
[12] StadtA Hagen, Akte 9034, Bl. 5r: Nach einer Notiz vom 11.11.1938 hatte Vincke sein grundsätzliches Einverständnis für die Überlassung von Möbeln aus dem Besitz Ludwig von Vinckes erklärt. Die Möbel wurden am 5.11.1938 in Begleitung des Oberbürgermeister Vetters von Ostenwalde nach Hagen transportiert; Aktennotiz von Brüns v. 7.11.1938, StadtA Hagen, Akte 9084. Dieser Notiz ist zu entnehmen, dass eine feierliche Eröffnung des Zimmers auf Haus Busch durch den Reichsarbeitsdienstführer Hierl geplant war. Da die Möbel "stark vermottet" waren, wurden sie in Hagen neu gepolstert und bezogen, aus haushaltsrechtlichen Gründen geschah dies jedoch erst Anfang 1939.
[13] StadtA Hagen, Akte 9084: "Neue Schätze in unserem Heimatmuseum", Zeitungsartikel, o.D; Hagener Zeitung v. 22.11.1939.
[14] StadtA Hagen, Akte 9095. Der gesamte Vorgang wird in absehbarer Zeit in einem eigenen Beitrag untersucht und dargestellt.

Autor:
Ralf Blank M.A. <ralf.blank@historisches-centrum.de>
© Historisches Centrum Hagen, alle Rechte vorbehalten
URL: http://www.historisches-centrum.de/einblicke/03/200303.shtml
Version vom: 20.7.2003

 

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