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Elazar Benyoetz zählt zu den anerkanntesten Aphoristikern

"Kürze ist anstrengend"

Von Christa Salchner

Denken wir an Autobiographien, denken wir ganz sicher nicht an Aphorismus-Sammlungen - und das hat viel mit fauler Gewohnheit zu tun. Jede literarische Gattung würde sich nämlich für eine Autobiographie eignen, und Elazar Benyoetz ist sogar davon überzeugt, dass eine Gattung in besonderer und besserer Weise dafür bestimmt wäre: der Aphorismus.

In seinem jüngst erschienenen Band "Die Zukunft sitzt uns im Nacken" schreibt er: "Man glaubt, sein Leben frei erzählen zu können, und sieht sich genötigt, vom Leben anderer zu berichten. Die reine Autobiographie kann es erzählerisch nicht geben, nur aphoristisch".

Benyoetz sieht sich als Schriftsteller, mehr noch als Dichter und am liebsten als Aphoristiker. Warum das so ist, beantwortet er in seinen Büchern oft und aus den unterschiedlichsten Perspektiven.

Er blickt beim Schreiben tief und genau, betrachtet die großen, kleinen und winzigen Dinge des Lebens, hält inne, reflektiert über Vergangenes und Zukünftiges, über Liebe und Religion und stellt all das in einen Zusammenhang mit Sprache: Beobachtungen zu Worten und deren Bedeutung, Sätzen und deren Bestimmung und natürlich viele Gedanken zum Aphorismus.

Die Sprache, in der er schreibt, ist reduziert, die Form klar und streng und hierin besteht auch der logische Zusammenhang zwischen Benyoetz und dem Aphorimus. Wenn er so wie in "Die Zukunft sitzt uns im Nacken" schreibt: "Dichter sein - in jeder Zeile;/ Wort für Wort - / nicht zwei für eins" oder "Was ich / durch die Blume sage, / sagt die Blume / natürlicher / durch mich" hält er nicht nur den Leser dazu an, Worte genau zu setzen. Mit Worten verschwenderisch umzugehen, verbietet er in erster Linie sich selbst.

Wie auch immer der Aphorismus definiert werden mag, ein wesentliches Merkmal ist sicher seine Kürze - und darüber schreibt Benyoetz an einer Stelle so: "Aus der Bereitschaft, / dem einen Satz / sein Lebenswerk zu opfern, / entsteht keine Literatur, / aber die Geistesart: / Aphoristik".

Obwohl Benyoetz in Österreich geboren wurde, ist er nur selten hier zu Gast. Die wenigen Lesungen, die bei seinem letztjährigen Österreich-Besuch stattgefunden haben, verschwanden im allgemeinen vorweihnachtlichen Veranstaltungsdurcheinander, und wer dennoch auf das Ankündigungsplakat aufmerksam geworden war, hatte einen melancholisch, fast traurig blickenden Herrn im Gedächtnis.

Ein Blick, der zu dem passt, was er schreibt, wie man sich sein Leben als Schrifsteller, als Aphoristiker vorstellen könnte. Die Aphoristik ist eine aussterbende Literaturgattung und Bild und Vorstellung des Aphoristikers fügen sich in dieses Urteil ein.

Benyoetz ist Jude, wurde 1937 in Wiener Neustadt geboren und lebt seit 1939 in Jerusalem.1959 hat Benyoetz das Rabbinerexamen abgelegt und hätte somit eigentlich eine ganz andere Laufbahn einschlagen müssen. Dichter werden wollte er aber schon als Kind. Im Alter von 12 Jahren veröffentlichte er sein erstes Gedicht in einer israelischen Jugendzeitschrift.

Ausschlaggebend für seine deutschsprachige Dichterlaufbahn allerdings war sein Interesse für deutsch-jüdische Literatur. Dieses Interesse führte ihn in den sechziger Jahren für mehrere Jahre nach Deutschland, Österreich und die Schweiz. Um nach deutsch-jüdischer Literatur zu forschen und sie zu sammeln. Zu diesem Zweck hat er in Berlin das Archiv "Bibliographia Judaica" gegründet. Gleichzeitig verfeinerte er seine Sprachkenntnisse und verfertigte seine ersten deutschsprachigen Aphorismen, die 1969 im Sammelband "Sahadutha" erschienen.

Dass er Deutsch in Israel lesend erlernte, sich diese Sprache sozusagen als Kunstsprache ausgesucht hat, überrascht. Es irritiert selbst Benyoetz: "Ich hatte nie vor, ein deutscher Schriftsteller zu werden und wenn man mir gesagt hätte, dass ich ein deutscher Schriftsteller werde, hätte ich gesagt, das muss ein Albtraum sein."

Heute zählt Benyoetz zu den wichtigsten deutschsprachigen Aphoristikern - und das ist seit geraumer Zeit eine Selbstverständlichkeit. Wie auch das Lachen eine Selbstverständlichkeit in seinem Leben ist. Elazar Benyoetz ist ein ausgesprochen humorvoller und fröhlicher Mensch. Ein ungewöhnlicher Schriftsteller mit ungewöhnlichen Leidenschaften und ungewöhnlichem Auftreten. Bei seinem Kurzaufenthalt in Innsbruck haben wir ihn getroffen und mit ihm gesprochen.

Wiener Zeitung: Die Aphoristik zählt zu einer aussterbenden Literaturgattung. Worin liegt für Sie der besondere Reiz?

Elazar Benyoetz: Wenn du etwas sagen willst, das nennenswert ist, musst du es in einem Satz sagen können. So lange du das nicht kannst, hast du es nicht, und so habe ich mich geschult. Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht heute auch noch zehn Seiten schreibe - umsonst. Wenn ich etwas nicht in einen Satz kriege, taugen die Sätze nicht. Jeder Satz muss etwas sagen und das bedeutet ständige Herausforderung, ist aber nicht so anstrengend, wie man jetzt vielleicht meinen könnte. Die Sprache leistet ja bereits die Hälfte.

W. Z.: Dennoch ist diese Gattung ungewöhnlich für einen zeitgenössischen Autor.

Benyoetz: Ja, Kürze ist anstrengend. Je kürzer ein Text, desto ungeduldiger der Leser.

W. Z.: Sie haben Ihre Laufbahn mit hebräischen Gedichten begonnen, haben dann deutsche Übersetzungen gemacht und zählen mittlerweile zu den anerkanntesten deutschsprachigen Aphoristikern. Freut Sie das?

Benyoetz: Ja. In allen Gattungen der deutschen Literatur haben die Juden das Höchste erreicht, Kafka zum Beispiel. In der Aphoristik noch nicht. Die Vergangenheit hat hier noch einen Platz frei gelassen.

W. Z.: In "Die Zukunft sitzt uns im Nacken" schreiben Sie, Vergänglichkeit sei das einzige Kontinuum, das wir kennen.

Benyoetz: Das erzähle ich jetzt für Sie, . . . weil Sie rauchen (Benyoetz lacht). Bevor ich 40 Jahre alt werden sollte, hat sich einiges zugespitzt in meinem Leben. Einiges. Unter anderem war ich Kettenraucher und musste aufhören. Aufhören zu rauchen bedeutete für mich aber gleichzeitig, aufhören zu dichten. Ich wollte ja schon früh Dichter werden und Dichten und Rauchen gehörten für mich zusammen.

W. Z.: Und dann haben Sie mit dem Rauchen aufgehört?

Benyoetz: Wie Sie sehen: Ich rauche nicht . . . (lacht) . . . nicht mehr.

W. Z.: Der Adalbert-von-Chamisso-Preis wird an ausländische, in deutscher Sprache schreibende Autoren verliehen und wurde Ihnen 1988 zuerkannt. So lange liegt das noch gar nicht zurück.

Benyoetz: Als mich diese Nachricht erreichte, war ich dem Deutschen fast schon abhold geworden. In dieser Zeit ist etwas sehr Dramatisches in meinem Leben passiert. Ein echter Freund ist gestorben. Ein großer hebräischer Dichter. Ich musste über seinen Tod schreiben - und da habe ich tatsächlich nach vielen Jahren wieder ein ganz interessantes hebräisches Buch geschrieben. So, dass ich glücklich war. In dieser Situation erreichte mich also die Nachricht über den Chamisso-Preis und da fühlte ich natürlich eine Befriedigung. Endlich wurde mir etwas anerkannt. Ich spürte aber auch Beklemmung, da der Preis in München verliehen wurde und ich mir dachte, dass man sicher eine Rede halten muss.

W. Z.: Sie sind in Österreich geboren, in Deutschland aber eigentlich viel bekannter als hier.

Benyoetz: Ich habe das Gefühl, dass man sich in Österreich nie wirklich um mich gekümmert hat. Wer interessiert ist, intellektuell interessiert, und sich umguckt, hat mich, glaub' ich, nur durch Zufall entdeckt - obwohl es von mir schon gut 30 Titel gibt.

W. Z.: Wie sind Ihre Erinnerungen, als Sie in den sechziger Jahren das erste Mal nach Österreich kamen?

Benyoetz: Ich kam nicht gern nach Österreich. Damals war ich ja noch ein unbeschriebener, junger Hebräer, der mit hebräischen Gedichten kam, von denen keiner etwas verstehen konnte. Ich hatte Übersetzungen von Engelmann - die konnte ich herzeigen. Das schuf dann einen lebendigen Kontakt und natürlich interessierte das einige. Sonst konnte man sich von mir nicht viel vorstellen.

W. Z.: Ich nehme an, Sie waren damals in Wien.

Benyoetz: Ja. Wir saßen oft beim Qualtinger. Und in einigen Kaffeehäusern.

W. Z.: Und wo halten Sie sich heute auf, wenn Sie Österreich besuchen?

Benyoetz: Ich komme immer wieder nach Linz. Linz ist meine einzige Gemeinde in Österreich. Komischerweise. Und ich nehme an, dass ich nach Innsbruck nur wegen Engelmann, diesem Forschungsprojekt des Brenner-Archivs, komme.

2000 erschien zuletzt im Hanser Verlag von Elazar Benyoetz: "Die Zukunft sitzt uns im Nacken", 276 Seiten.

Freitag, 23. Februar 2001

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