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Das Sternenfunkeln ist ein bekanntes, aber kein einfaches Phänomen

Bildstörung am Himmel

Von Christian Pinter

Alten Völkern galten Gestirne manchmal als kleine Löcher im Gewölbe, die den Blick auf ein verborgenes, himmlisches Flammenmeer frei gaben. Einige sahen in den Sternen selbst ferne Feuer, z. B. brennende Holzscheite, an denen sich fremde Wesen wärmten. Aus dem Wort "Feuer" entwickelten sich die Begriffe "Funke" oder "funkeln". Schon im 8. Jahrhundert v. Chr. ließ Homer ausdrücklich "Funken" aus den Sternen fahren. Der Held Diomedes glich dem leuchtend glänzenden Sirius - weil ein unermüdliches Feuer in seinem Helm loderte.

Schauen wir an kalten Winterabenden Richtung Süden, drängt sich der hellste aller Fixsterne geradezu auf: Sirius ist einer unserer nächsten Sternnachbarn im All. In Wahrheit strahlt der "Hundstern" 22 mal kräftiger als die Sonne. Und das stetig. Dennoch funkelt er höchst unruhig am Firmament, als flackerte eine Kerze im Wind. Warum ?

Man schiebe einen Euro unter ein halb gefülltes Wasserglas und erzeuge zunächst nur sanfte Wellen. Die Münze tanzt scheinbar hin- und her. Schnelles Umrühren verzerrt sie. Ursache ist die rasch schwankende Höhe des Mediums Wasser. Die Ausdehnung der Erdatmosphäre ändert sich hingegen kurzfristig nicht. Für Bildstörungen am Sternenhimmel bedarf es anderer Erklärungen.

Brechung des Lichtstrahls

Das Licht des Sirius zieht 8,6 Jahre völlig unbeschadet durch den leeren Weltraum - mit der im Vakuum möglichen Höchstgeschwindigkeit von 299.792,458 km/sec. Doch in den letzten Zehntausendstelsekunden stellt sich die Erdatmosphäre in den Weg. Sie verlangsamt das weit gereiste Licht. Der Tempoverlust hängt von Temperatur und Luftdruck ab, kann bis zu einem Viertel Promille betragen. Die Geschwindigkeitsänderung führt zur Brechung des Lichtstrahls. Das Sternenlicht wird vom Kurs abgebracht.

Heiße Luft steigt über der Flamme eines Gasherds auf. Sie wird sich später mit der kühleren Umgebung vermischen. Zuvor tummeln sich jedoch Luftzellen höchst mannigfacher Wärme und Dichte nebeneinander. Im projizierenden Licht einer Glühlampe verraten sich diese Schlieren, weil sie den Lichtstrahl verschieden stark brechen: Flüchtige Schattengebilde geistern über die Herdplatte. Manchmal schauen wir durch solche Inhomogenitäten direkt hindurch. Objekte verändern die Gestalt, wenn der Blick über eine sonnenbeschienene Asphaltfläche, über das Dach eines Straßenbahntriebwagens oder am motorbestückten Heck eines Autobusses vorbei zieht.

Die Grenzflächen zwischen warmen und kalten Luftschichten brechen in zahlreiche turbulente Wirbel auf, die unterschiedlich hohe Lichtgeschwindigkeiten gestatten. Jeder Wirbel wirkt als schwache Linse. Knapp über dem Erdboden, aber auch hoch droben in der Erdatmosphäre werden ständig unzählige solcher "Luftlinsen" produziert. Sie können Meter, Zentimeter oder nur noch Millimeter groß sein. Während sich ältere auflösen, entstehen bereits neue.

Der Wind treibt die Gebilde zwischen dem Beobachter und den Gestirnen vorbei. Es scheint, als staple ein himmlischer Optiker nervös Türme von Brillengläsern mit äußerst geringer, aber schnell wechselnder Dioptrienzahl vor unsere Augen. Während einer Wetteränderung, bei teilweise bedecktem Himmel und bei Sturm ist er besonders aktiv.

Strahlte der Hauptstern im Bild des Großen Hundes noch ein paar Dutzend Mal kräftiger, könnte er uns als Projektionslampe dienen: In seinem Licht zögen dann Schatten über den Schnee - ähnlich jenen vom "Gasherd-Experiment". Leider reicht der Glanz des Sirius dafür nicht aus. Statt dessen machen sich die Luftwirbel im heftigen Szintillieren (vgl. lat. scintilla, Funke) des Sterns bemerkbar. Und das gleich auf dreifache Weise.

Zunächst flimmert und blinkt das Gestirn. Blickweise schwankt seine Helligkeit um ein Vielfaches, als wollte es uns zuzwinkern. Schwache Sterne rutschen kurzzeitig sogar unter die Wahrnehmungsgrenze, werden in rascher Folge "aus- und angeknipst".

Übrigens zeigen auch Wiens Straßenlichter oft diese Helligkeitsszintillation, wenn man z.B. abends vom Bisamberg hinab blickt. Vorausgesetzt, sie sind fern genug, um punktähnlich zu erscheinen. Warme, aus dem Stadtgebiet aufsteigende Luft erklärt ihr Flimmern. Tagsüber gelingt eine ähnliche Beobachtung manchmal an Verkehrsampeln oder Signallichtern der Eisenbahn, sofern sie in weiter Distanz leuchten.

Ausbreitungsgeschwindigkeit und Brechung hängen im Medium Luft auch von der Wellenlänge des Lichts ab. Deshalb zerlegt jede "Luftlinse" das weiße Sternenlicht in parallele verschiedenfarbige Strahlen. Auf dem weiteren Weg passieren die Reisekameraden nicht mehr die selben Zellen. Einmal kommt der kurzwellige besser durch, dann der langwellige. Am Ende des vielstufigen Prozesses schillert ein Fixstern in allen erdenklichen Kolorierungen.

"Der glänzende Sirius ist in unseren Breiten wohl das schönste Beispiel eines stark funkelnden Sternes," lasen Naturfreunde vor 100 Jahren in Littrows populärer Astronomie "Die Wunder des Himmels". "Beständig schießt er Strahlen nach allen Seiten aus, bald leuchtet er in intensiv rotem Licht, bald grün, und dann wieder hüllt er sich in einen deutlich blauen Schein; gleichzeitig wechselt er fortwährend seine Helligkeit. Dabei geht dieser ganze Wechsel so schnell vor sich, dass wir ihn kaum genauer verfolgen können." Besser lässt sich das Schauspiel kaum beschreiben.

Die ruhigen Planeten

Allerdings regen nur die prominentesten Gestirne die farbsehtüchtigen Zapfen unserer Netzhaut an. Die meisten werden mit den lichtempfindlichen Stäbchen wahrgenommen und bleiben daher grau wie die sprichwörtlichen "Katzen in der Nacht". Der Feldstecher schafft jedoch Abhilfe. Je nach Durchmesser rafft sein Objektiv 10- bis 50-mal mehr Licht zusammen als das unbewaffnete Auge: Nun erkennt man die Farbszintillation auch bei schwächeren Sternen.

Der Planet Saturn formt in diesem Winter ein faustgroßes Lichterdreieck mit Pollux und Kastor. Doch im Gegensatz zu den beiden Zwillingssternen scheint er der Szintillation zu trotzen. Wie ist das möglich?

Fixsterne sind, salopp formuliert, hundertmal größer als Planeten - jedoch hunderttausendmal weiter entfernt. Selbst bei hoher Vergrößerung bleiben sie Lichtpunkte. Bildlich gesprochen, gleicht ihr Lichtstrahl beim Eintritt in die Lufthülle einem dünnen Faden, anfällig für jede Turbulenz.

Anders ein naher Planet. Im Teleskop erkennt man ein kleines Scheibchen. Hier also trifft ein ganzes "Strahlenbündel" unser Auge. Wird einer seiner tausend Fäden gekappt, tritt ein anderer an dessen Stelle. Zumindest für das freie Auge gleichen sich die Schwankungen statistisch aus. Daher funkeln Planeten kaum. Geübte Himmelsbeobachter erkennen sie sofort am ruhigen Schein.

Die Luftwirbel sorgen noch für eine dritte Art des Szintillierens: Sie drängen Lichtstrahlen regellos aus ihrer Laufrichtung. Deshalb wackeln Sterne am Himmelszelt. Das Auge besitzt nicht genug Auflösungskraft, um den winzigen Effekt zu bemerken. Doch im Fernrohr wird die Richtungsszintillation rasch zum Ärgernis.

Es ist, als müssten wir mit stark zitternden Händen Zeitung lesen. Bei turbulenter Luft verschmelzen eng beisammen stehende Sterne. Lichtpunkte mutieren zu irritierenden Batzen. Planetenscheibchen sind arg verschmiert, deren Oberflächen- oder Wolkendetails bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Die Mondlandschaft wallt nun im Fernrohr. Bei starker Vergrößerung tanzen Krater munter umher wie die Euro-Münze in der sanften Phase des Wasserglas-Experiments.

Je größer der Teleskopdurchmesser, desto mehr "Luftlinsen" türmen sich zwischen Optik und Himmelsobjekt. Mächtige Instrumente büßen einen Teil ihres Leistungsvorsprungs deshalb gleich wieder ein. Nur in den flüchtigen Momenten außergewöhnlich ruhiger Luft spielen sie ihre Trümpfe aus. Einen Herzschlag lang erstarrt das Bild; feinste Einzelheiten treten hervor. Gute Beobachter brauchen vor allem eins: Geduld.

Völlig unbewegt ist der Luftozean über unseren Köpfen nie. Die stets vorhandenen Restturbulenzen setzen der Trennschärfe eine natürliche Grenze. Schon Teleskope mit 25 bis 30 cm Durchmesser erreichen das Maximum. Größere sammeln zwar weiterhin mehr Licht; die erzielbare Auflösung wächst aber nicht. Selbst auf dem nahen Erdmond bleibt alles unsichtbar, was kleiner ist als ein Kilometer im Durchmesser. Deshalb wäre es aussichtslos, dort nach den Hinterlassenschaften der Apollo-Missionen suchen zu wollen.

Seit einem Jahrzehnt schlagen Astronomen der Szintillation ein Schnippchen - mithilfe adaptiver Teleskop-Optiken. Ein Sensor analysiert das Licht des zu untersuchenden Gestirns. Der Computer sendet entsprechend abgestimmte elektrische Ströme an Hunderte von Piezokristallen. Diese verformen sich und üben so Druck auf einen extrem dünnen "Gummispiegel" aus. Er krümmt und biegt sich einige hundert Mal pro Sekunde, gleicht dabei neun Zehntel der szintillationsbedingten Störungen aus. Die Trennschärfe wächst dramatisch. Adaptive Optiken erlauben ungewöhnlich scharfe Blicke auf das dichte Sterngewimmel im Zentrum der Milchstraße oder das fleckig anmutende Antlitz des Kleinplaneten Vesta. Leider ist die teure Technik bis jetzt Großobservatorien vorbehalten.

Hunderte von Einzelbildern

Hobby-Astronomen setzen auf einen anderen, überraschend billigen Trick. Seit kurzem montieren sie Webcams am Fernrohr und erstellen damit minutenlange Sequenzen von Mondkratern oder Planeten. Das Video setzt sich aus Hunderten von Einzelbildern zusammen, jedes davon ist sehr kurz belichtet, um die Luftunruhe möglichst "einzufrieren". Ein spezielles Computer-Programm stöbert die schärfsten Aufnahmen auf. Es stapelt sie elektronisch übereinander und verschmilzt sie dann zu einem einzigen, korrekt durchzeichneten Foto. Der Detailreichtum verblüfft.

An frühen Winterabenden schwingt sich die Capella, der Hauptstern des Fuhrmanns, fast ganz hinauf zum höchsten Punkt des Firmaments. Dort oben, am Himmelsscheitel, herrscht das Minimum an Atmosphäre zwischen uns und den Sternen. Eine Hand breit über der Horizontlinie durchmisst der Blick hingegen die achtfache Luftmasse, direkt am Horizont sogar die 38-fache. Dementsprechend wächst die Zahl der Wirbel im Strahlengang. Zur Illustration brauchen wir bloß zwei ähnlich helle Sterne miteinander zu vergleichen, die in sehr unterschiedlicher Himmelshöhe weilen. Unweit des Horizonts funkeln sogar Planeten.

Die Luftmoleküle streuen einen Teil des Sternenlichts in alle Richtungen aus, mindern somit auch den Glanz der Gestirne in der Stunde vor dem Untergang. Diese Trübung holt die Fixsterne meist schon vom Himmel, bevor sie die Horizontlinie erreichen. Sirius hält am längsten aus. Allerdings färben zunehmend warme Töne sein Antlitz. Die Streuung bevorzugt nämlich kurzwellige Strahlung. Aus dem Licht der Sonne formt sie das kräftige Blau des Taghimmels. Der Schein des Vollmonds reicht wiederum, den Nachthimmel mit extrem dunklem Blau auszustatten. Da dieser Blauanteil im Lauf der Nacht immer geringer wird, färbt sich der Mond beim Untergang gelb, golden, ja rötlich. Die helle Venus versinkt in tiefer Schamesröte.

Bei vielen Menschen ruft das Schimmern der Sterne romantische Gefühle hervor. Nicht so bei den Bewohnern der internationalen Raumstation ISS. Für sie strahlen die fernen kosmischen Leuchtfeuer so, als hätte man sie mit einer unglaublich feinen Nadel ins Nichts gestochen. Kein Funkeln ziert - oder stört - die Pracht. Und mangels Szintillation kommen Weltraumteleskope natürlich auch ohne adaptive Optiken aus.

Freitag, 25. Februar 2005

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