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Sternschnuppen en gros im August und November

Blitzender Kometenschmutz

Von Christian Pinter

Mit etwas Geduld sieht man in jeder klaren Nacht Sternschnuppen aufblitzen und in Sekundenbruchteilen über das Firmament huschen. Manchmal kommen sie sogar zuhauf daher. Die Erde kreuzt dann einen "Sternschnuppenstrom". Die beiden berühmtesten lassen im August und November 2002 auf ein faszinierendes Naturschauspiel hoffen.

Zum Thema "Sternschnuppen" wissen alte Legenden höchst unterschiedliches zu berichten. In den einen sind es Männer, die über das Firmament zu ihren Frauen hasten; in anderen bloß Ausscheidungen von Sternen. Auch bei uns galten sie mitunter als himmlischer Putzrest: verglich man sie doch mit dem Ende eines Kerzendochts, das beim Lichtputzen fortgeschnitten wurde. Diese "Snuppe" schenkte den flüchtigen Himmelslichtern ihren deutschen Namen.

In Thessalien glaubte man, im August öffne sich der Himmel. Durch schmale, flüchtige Ritzen ließe sich dann ins himmlische Licht schauen. Andernorts blickten die Götter selbst vom Firmament herab, wobei sie versehentlich einen Stern loslösten. In Russland trachteten Dämonen, als Sterne getarnt, Einlass in das Himmelreich zu erlangen. Engel warfen sie wieder hinaus. Ähnlich erfolglos versuchten die Seelen von Trinkern nach einer philippinischen Erzählung, Ruhe im Himmel zu finden. Ihr Aufstieg endete stets mit dem Fall.

In Europa meinte man, jeder Mensch hätte seinen eigenen Stern. Beim Tod stürze das Gestirn herab. Andererseits galten Sternschnuppen als Seelen von Sündern, die sich, nach Reinigung im Fegefeuer, auf den Weg in den Himmel machten. Gebete und gute Wünsche sollten ihnen die Pforte öffnen. Vielleicht entstand so der Glaube, wonach beim Anblick einer Sternschnuppe auch ein Wunsch in Erfüllung ginge.

Entfernte Orte

Die alten Griechen betrachteten den Kosmos als idealen, ewigen und unveränderlichen Ort. Alles Kurzlebige konnte demnach nur Bestandteil der irdischen, vergänglichen Sphäre sein. Sternschnuppen wurden als Ausdünstungen der Erde angesehen, die sich hoch droben in der Luft entzünden sollten. Entsprechend taufte man die Lichtblitze "Meteore" (griechich, "in der Luft schwebend").

Der deutsche Vortragsreisende Ernst Florens Chladni widersprach 1794 entschieden. Während seine Zeitgenossen den Raum zwischen den Planeten und Kometen noch für vollkommen leer hielten, füllte er ihn mit Kleinkörpern. Diese sollten manchmal die Erdatmosphäre streifen, dort einen Augenblick lang in Brand geraten, als Sternschnuppen aufblitzen und dann wieder in den Kosmos entfliehen. Um Flughöhe und Bahn eines Meteors zu berechnen, schlug Chladni die gleichzeitige Beobachtung von "etwas voneinander entfernten Orten" aus vor. Dabei mussten sich nahe Objekte vor unterschiedlichem Sternenhintergrund zeigen. Je näher der Meteor, desto stärker die perspektivische Verschiebung.

Vier Jahre später griffen Heinrich Brandes und Johann Benzenberg die Anregung auf. Sie beobachteten 400 Sternschnuppen, davon 22 gleichzeitig. Allerdings betrug der Abstand der deutschen Studenten zueinander nur 15 km - sehr wenig für wirklich sichere Resultate. Sie kamen bei den Flughöhen auf Extremwerte von 11 und 226 km, wobei zwei Meteore sogar aufwärts zu eilen schienen. Das wurde rasch als Beweis für die alte These aufsteigender, entzündlicher Gase gewertet.

Die wahre Geburtsstunde der Meteorastronomie schlug somit erst sechs Jahre nach Chladnis Tod. Am 13. November 1833 ging ein gewaltiger Meteorschauer über Nordamerika nieder. Sternschnuppen fielen halb so zahlreich wie Flocken eines Schneesturms, schwärmten Augenzeugen. Wie der US-amerikanische Mathematikprofessor Denison Olmsted bemerkte, schienen alle von einem Punkt im Löwen auszustrahlen. Dieser bewegte sich mit, als das Sternbild im Lauf der zweiten Nachthälfte höher kletterte. Die Spur ins All war damit endgültig gelegt.

Späte Antwort

Nun traten auch Astronomen auf den Plan. Sie durchforsteten alte Chroniken nach ähnlichen Berichten oder teilten Freunde, Verwandte und Studenten zur Meteorwache ein. Dabei fielen ihnen Sternschnuppennächte im Dezember, April und August auf. Für diese Meteore wurden Ausstrahlungspunkte in den Sternbildern Zwillinge, Leier und Perseus ermittelt. Zwar waren die drei Ströme bei weitem nicht so spektakulär wie der Schauer vom November 1833 - dafür kehrten sie aber jedes Jahr verlässlich wieder.

Vor allem die hellen August-Meteore faszinierten Wissenschaftler. Im Volksmund waren sie längst als "Laurentius-Tränen" bekannt; stellten sie sich doch immer in den Nächten um das Fest des heiligen Laurentius ein. Der frühchristliche Märtyrer war am 10. August 258 auf Befehl Kaiser Valerians getötet worden. Bei diesen Sternschnuppen zählte man erstmals Fallraten in Stundenintervallen - eine bis heute geübte Praxis.

1862 entdeckten der US-Amateur Lewis Swift und der Berufsastronom Horace Tuttle einen scheinbar neuen, bald prächtig am Himmel thronenden Kometen. Man taufte ihn später "Swift-Tuttle". Wenige Jahre danach stöberte Tuttle mit Ernst Tempel, Frankreich, noch einen Schweifstern auf: Tempel-Tuttle. In Italien war inzwischen Giovanni Schiaparelli zum Direktor der Mailänder Sternwarte ernannt worden. Schon als Vierjähriger hatte er seinen Vater gefragt, was Sternschnuppen denn seien - und ein ratloses "Das weiß nur der Schöpfer" zu hören bekommen.

Jetzt beantwortete sich der Italiener die Frage selbst. Ab 1864 studierte er die August-Meteore, die er nach ihrem Ausstrahlungspunkt im Perseus "Perseiden" nannte. Aus dem Anblick am Himmel versuchte Schiaparelli dann, die Flugbahn ins All zurück zu rechnen. Ganz offensichtlich waren die Perseiden zuvor auf elliptischem Orbit um die Sonne gezogen. Dieses ähnelte frappant jenem des Kometen Swift-Tuttle.

Im November 1866 traten auch die November-Meteore wieder grandios in Erscheinung. Der neuen Bezeichnungsweise folgend, sprach man von den "Leoniden" - ihr Ausstrahlungspunkt lag ja im Löwen (lateinisch leo). In Mailand kalkulierte Schiaparelli die Raumbahn der Sternschnuppen, während sich Theodor Ritter von Oppolzer in Wien mit dem Orbit des Kometen Tempel-Tuttle befasste. Wieder Übereinstimmung. Offenbar stammten die Perseiden von Swift-Tuttle, die Leoniden von Tempel-Tuttle. Meteore waren als Auflösungsreste von Kometen entlarvt.

Metamorphose

Ein typischer Komet misst um die 10 km. Das Konglomerat aus Eis, Staub und Gesteinstrümmern zieht auf langgezogener Ellipse um die Sonne. Nur in deren Nähe geschieht eine bemerkenswerte Metamorphose. Die Wärme verwandelt gefrorenen Stickstoff, Kohlenmonoxid, Methan und Wassereis im Inneren des kleinen Himmelskörpers in Gas. Das dehnt sich aus, schießt durch Spalten in der Kruste und reißt dabei Staub und Steinchen mit. Gas und winzigste Staubpartikel bilden Schweife mit beeindruckenden Längen von vielen Millionen Kilometern. Teilchen ab etwa einem Millimeter Durchmesser verharren hingegen im Kometenorbit. Sie "verschmutzen" es gleichsam.

Periodisch wiederkehrende Kometen erdulden diese Verwandlung regelmäßig; Tempel-Tuttle alle 33 Jahre. Oft war er bislang nicht im "Schwitzkasten". Seine Partikel konzentrieren sich deshalb noch deutlich in unmittelbarer Nachbarschaft des Kometenkerns. Dort bilden sie schmale, schlauchförmige Filamente. Jedes entstammt einer anderen Visite des Schweifsterns im inneren Sonnensystem.

Daher brüllt der Löwe auch nicht jeden November: Leoniden-Schauer gibt es höchstens in den wenigen Jahren vor und nach dem Kometenbesuch. Nur dann kann die Erde eines der kernnahen Filamente treffen. Das bislang letzte Gastspiel feierte Tempel-Tuttle 1998.

Anders Swift-Tuttle. Dessen Partikel fanden schon Zeit genug, um sich entlang des gesamten Kometenorbits zu verteilen. Sie formen einen dicken, elliptischen Staubring. Unser Planet kreuzt ihn alljährlich im August. Im Sonnensystem existieren etliche solche Gebilde, Hinterlassenschaften verschiedener Kometen. Etwa zwei Dutzend dieser Wolken werden von der Erde im Jahreslauf durchflogen. Jede Passage dauert einige Tage. Meist ist die Teilchendichte aber zu gering, um uns reiche Sternschnuppennächte zu bescheren.

256.000 km/h

Die einzelnen Ströme produzieren unterschiedlich rasche Meteore. Beim Durchkreuzen der kometaren Reste liegen die Kollisionsgeschwindigkeiten zwischen 11 und 72 km/sec. Die Perseiden treffen unseren Planeten mit 60 km/sec. Die Leoniden kommen ihm sogar frontal entgegen. Die Bewegungsenergie wächst quadratisch mit der Geschwindigkeit: Mit 256.000 km/h setzt ein bloß ein Gramm leichtes Silikatpartikel beim Eintritt in die Lufthülle soviel Energie frei, wie ein Formel-1-Bolide, der in voller Fahrt auf ein Hindernis stößt. Objekte von Stecknadelkopfgröße reichen, um auffallende Lichtblitze in der Atmosphäre zu provozieren. Selbst hinter ungewöhnlich gleißenden Meteoren steckt selten etwas, das größer wäre als eine Walnuss.

Die Geschosse komprimieren die dünne Luft im Schusskanal, erhitzen sie in etwa 100 km Höhe enorm. Im heißen Gas bewegen sich Atome flink, stoßen häufig miteinander zusammen. Elektronen geraten auf höhere Bahnen um ihren Atomkern, stürzen rasch wieder zurück. Licht wird dabei ausgesandt. Auf einer Flugstrecke von zwei bis drei Dutzend km Länge bilden unzählige solcher Blitze jene Leuchterscheinung, die wir als Meteor wahrnehmen.

Die größeren oder besonders schnellen Projektile ionisieren die Luft sogar. Dann werden Elektronen ganz von ihren Atomkernen weggerissen. Später vereinigen sie sich mit anderen Atomen - wieder ein Lichtblitz, diesmal mit Verzögerung. So kommt es zum Nachleuchten der Flugbahn, das Sekunden bis Minuten währt. Das winzige Teilchen selbst existiert längst nicht mehr. Es ist in der Hitze verdampft.

Mit dem freien Auge

Die Partikel einer bestimmten Wolke schweben jeweils auf parallelen Bahnen um die Sonne. Dennoch ziehen die resultierenden Meteore von einem gemeinsamen Himmelspunkt aus in alle Richtungen. Das ist nur Spiel der Perspektive: Auch die Schienen der Eisenbahn scheinen sich ja in der Ferne zu treffen, obwohl man sie mit Sicherheit parallel zueinander verlegt hat.

Durch den Kometenschutt bohrt sich die Erde wie eine Sonde. Die Partikelverteilung lässt sich über die Zahl der aufblitzenden Meteore ermitteln. Das bloße Auge genügt hier als Forschungsinstrument. Weltweit haben sich Hunderte Amateurastronomen dieser Arbeit verschrieben. Jeder überblickt zwar nur einen kleinen Ausschnitt des Geschehens - doch die mittels standardisierter Verfahren gewonnenen Einzelbeobachtungen fügen sich letztlich zu einem wissenschaftlichen Befund zusammen.

Viele Meteore erblickt nur, wer sich bequem auf einer Liege ausstreckt, das Blickfeld komplett mit Sternen füllt und die Nachbarschaft der Stadt strikt meidet. Dort hellt die Lichterflut das Firmament arg auf. Ähnlich den Sternen sind auch die meisten Meteore lichtschwach; sie "ertrinken" im Himmelsgrau.

Mit Neugier sieht man den Höhepunkten des Beobachtungsjahres 2002 entgegen. Zunächst laden die Nächte des August zum Meteorzählen ein. Das theoretische Maximum soll sich heuer in der Nacht vom 12. zum 13., kurz nach Mitternacht einstellen. Während der Ausstrahlungspunkt im Perseus höher klettert, nimmt die Zahl der sichtbaren Perseiden langsam zu. Am mondlosen Himmel könnten sich mehr als zwei Dutzend pro Stunde zeigen. Bis gegen 4:30 Uhr - dann macht sich in Ostösterreich die Morgendämmerung bemerkbar.

Am Morgen des 19. November steht Mitteleuropäern womöglich ein besonderer Leckerbissen ins Haus. Wenn die Wünsche der Sternfreunde wahr werden, rast die Erde dann, vielleicht gegen 5 Uhr, durch ein sehr dichtes Filament Tempel-Tuttles. Ein kurzer Regen von mehreren hundert Leoniden wäre die Folge. Wegen des fast vollen Mondes macht man leider bloß die hellsten aus - etwa ein Zehntel. Beim Blick nach Südost lässt sich zwar direkte Blendung durch Mondlicht vermeiden; gegen die davon verursachte Himmelsaufhellung ist aber wenig zu machen.

Das von der Erde anvisierte Staubfilament wurde übrigens schon 1766/67 freigesetzt. Damals war Maria Theresia Kaiserin - und Ernst Florens Chladni gerade zehn Jahre alt.

Freitag, 02. August 2002

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