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Über Mythologie und Astronomie des Sternbildes Orion

Der himmlische Jäger

Von Christian Pinter

Alte Sternkarten zeigen den bärtigen muskulösen Mann mit der schweren Keule in der Linken, dem Fell in der Rechten und dem Schwert am Gürtel. Oft weist er uns kniend den Rücken zu. An Winterabenden prangt der himmlische Jäger eindrucksvoll im Süden. Vielen Naturfreunden gilt Orion als schönstes Sternbild überhaupt. Folgt man den Griechen, verlief die Zeugung des Hünen allerdings wenig ästhetisch.

Der alte Bauer Hyrieus lud einst drei Wanderer zur Rast ein. Zunächst ahnte er nicht, wen er da mit Wein bewirtete. Dann jedoch erkannte er den mächtigen Zeus (in römischer Entsprechung: Jupiter), den Meeresgott Poseidon (Neptun) und den Götterboten Hermes (Merkur). Erbleichend schlachtete er seinen einzigen Stier. Zum Dank wollten ihm die Gäste einen Wusch erfüllen. Hyrieus hatte seiner verstorbenen Jugendliebe über den Tod hinaus Treue geschworen und war daher ohne Sohn geblieben.

Zeus, Poseidon und Hermes wussten Abhilfe. Gemeinsam traten sie an die Stierhaut. Den Rest verschweigt Ovid, der sich auf eine alte griechische Quelle stützt. In Erinnerung an den eigentümlichen Zeugungsakt taufte Hyrieus den Buben Urion (lat. urina, Harn, Urin).

Wir finden den Jüngling als "Oarion" oder "Orion" wieder - ein riesenhafter Jäger, der Frauen nachstellte und von Göttinnen begehrt wurde. Über sein gewaltsames Ende liegen widersprüchliche Berichte vor. Homer erzählt, er hätte die Leidenschaft der rosenfingrigen Göttin der Morgenröte erregt. Doch die Götter gönnten Eos den Sterblichen nicht; deshalb erlegte die Jagdgöttin Artemis (römisch Diana) ihn mit ihren "sanften Geschossen". Manche glauben hingegen, dass Artemis selbst in Liebe zum berühmten Jäger verfiel - was sich schlecht mit ihrem Keuschheitsgelübde vertrug. Ein kleiner Skorpion stach den Riesen in die Ferse und beendete so die Romanze. Vielleicht entsandte die Erdgöttin Gaia das giftige Tier aber, weil Orion prahlte, alles Wild auf Erden erlegen zu können. Odysseus sah ihn noch im Totenreich jagen, mit seiner "unzerbrechlichen, erzenen Keule". In jedem Fall wurde der Hüne ans Firmament versetzt; mit ausreichendem Sicherheitsabstand zum Sommersternbild Skorpion. Wenn dieses im Südosten hoch klettert, flieht Orion unter den Westhorizont.

Riese und Gigant

Für die Juden stellte die Konstellation den gewaltigen Jäger Nimrod dar, den ersten Machthaber auf Erden. Laut Genesis erstreckte sich seine Herrschaft über Babylon, Uruk und Akkad. Als Riese galt die Figur nicht nur in Griechenland, sondern auch bei den Arabern und bei den Römern. Letztere nannten ihn "Gigas" (vgl. unsere Worte "Gigant" und "gigantisch") oder "Venator" (lat., Jäger).

In Orions Nachbarkonstellation, dem Großen Hund, sahen die Griechen mitunter den mehrköpfigen Kerberos, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Oft machten sie dieses Sternbild aber bloß zum vierbeinigen Jagdgehilfen des Orion - obwohl es mit Sirius immerhin den hellsten aller Fixsterne besitzt und damit mehr als eine Nebenrolle verdient.

Im Reich der Pharaonen war das anders. Dort huldigte man dem Gott Osiris, der den Menschen Gesetze, Sternenkunde, Acker- und Weinbau schenkte. Seine Schwester und Gemahlin hieß Isis. Sie hatte unter anderem den Ehevertrag erfunden und die Länge der Schwangerschaft festgesetzt. Der machtgierige Wüstengott Seth lockte Osiris in die Falle und tötete ihn. Seth ließ den Sarg in den Fluss werfen.

Klagend suchte Isis ihren Gatten. Sie fand ihn, fächelte ihm in Gestalt eines Falken Luft zu und belebte ihn für kurze Zeit wieder. So empfing die Göttin seinen Samen; ihr Sohn Horus sollte den Vater später rächen. Zuvor aber entdeckte auch Seth Osiris' Leichnam und zerstückelte ihn. Gemeinsam mit Anubis, dem getreuen hunde- oder schakalköpfigen Begleiter, sammelte Isis 13 Leichenteile wieder ein. Den 14., das verschollen gebliebene Zeugungsglied, bildete sie aus Feigenholz nach.

Vegetationsgott Osiris

Der endlich gebührend bestattete Gott wurde Herrscher des Totenreichs und Richter über die Verstorbenen. Er erstand jedes Jahr gleichsam wieder auf, wenn der Nil die ausgetrockneten Felder "befruchtete". Die Fluten des Stroms verkörperten Osiris, das ufernahe Land Isis. In ihrem Schoß wuchs das Getreide, das man ebenfalls mit Osiris assoziierte. Er wurde somit auch als Vegetationsgott verehrt.

Papyrustexte belegen: Osiris' Abbild am Sternenhimmel war die Orion-Figur. Im benachbarten, glänzenden Sirius sah man die Isis. In der Frühzeit fiel das erste morgendliche Sichtbarwerden des Isis-Gestirns mit dem Beginn der lebenswichtigen Nilschwelle zusammen - das konnten die Ägypter schwerlich als Zufall betrachten. Der Kult um Isis durchdrang später sogar das römische Reich. So verehrte man sie im 1. Jahrhundert etwa am Ulrichsberg bei Klagenfurt; mehrere Kaiser fungierten als Priester der beliebten Frauengöttin.

Wie der Blick zum Firmament zeigt, ist Isis dem Osiris treu geblieben. Noch immer folgt Sirius dem Orion im täglichen Lauf von Ost nach West. Am schwarzen Firmament der Wüste zählt man allein in seiner Figur mehr als 60 Sterne. Am unnötig stark aufgehellten Himmel Wiens setzt sich kaum ein Dutzend durch. Der Zufall ordnet die sieben hellsten Orionsterne in außergewöhnlicher Geometrie an. Eine höchst merkwürdige Synthese aus Symmetrie und Verzerrung verleiht dem Sternbild besonderen Charakter. Orions Gürtelsterne bilden eine fast perfekte Reihe in der Körpermitte; die zwei äußeren formen dabei Trapeze mit den beiden Schulter- und Fußgestirnen.

Um die Gürtelsterne ranken sich übrigens eigene Legenden. In Australien sah man hier drei tanzende junge Männer, in Grönland verirrte Seehundjäger. In Deutschland nannte man sie "Mahder" oder "Schnitter"; ihr morgendliches Erscheinen erinnerte an die bevorstehende Erntezeit. In Schweden hieß das Trio "Friggerock"; es galt als Spinnrocken der Göttin Frigg, Gemahlin des mächtigen Odin.

Die Griechen konnten es nicht ahnen: alle prominenten Lichtpunkte ihres mythischen Hünen entpuppten sich später selbst als wahre Riesen. Obwohl vom Grundsatz her natürlich Sonnen wie die unsere, sind diese Sterne ungleich massenreicher. Als sie sich einst aus einer dahin treibenden Gas- und Staubwolke formten, fuhren sie eine äußerst reiche Ernte ein. Jede dieser Sonnen raffte enorme Mengen Wasserstoff an sich. Die kindliche Gier prägte den weiteren Entwicklungsweg. Fülle beschert Sternen kein längeres Leben - im Gegenteil. Je mehr Masse, desto schneller und spektakulärer verzehren sie sich.

Junge Sternkolosse

In einem Stern von 15-facher Masse herrschen sehr viel höhere Temperaturen als in unserer Sonne. Er strahlt deshalb 10.000-mal kräftiger und verschleißt seinen Wasserstoffvorrat 670-mal schneller. Während unsere Sonne mit ihren Kräften mehrere Milliarden Jahre haushält, brennen Riesensterne in einigen Jahrmillionen aus. Die Sternkolosse im Orion müssen sehr jung sein - sonst existierten sie längst nicht mehr.

Allein die beiden Ecksterne im Gürtel, Alnitak und Mintaka, erhellen ihre kosmische Nachbarschaft fast 10.000-mal mehr als unsere Sonne. Um Alnitam in der Gürtelmitte zu ersetzen, müsste man an seine Stelle sogar 30.000 Exemplare unserer Sonne rücken. Der Fußstern Saiph bringt es auf 6.000-fache, der Schulterstern Bellatrix immerhin noch auf 1.000-fache Sonnenleuchtkraft. Nur deshalb vermag deren Licht die enorme Kluft zu überwinden: von Bellatrix trennen uns 240, von Alnitam wahrscheinlich 1.300 Lichtjahre. Unsere eigene Sonne, die nur als gelber Zwergstern gilt, wäre schon aus 70 Lichtjahren Distanz nicht mehr zu erspähen.

Arabische Astronomen schenkten den auffälligsten Sternen Eigennamen, die in veränderter Form noch heute gebräuchlich sind. Oft beschreiben sie einfach die Position im jeweiligen Sternbild: so bildet Rigel den "Fuß des Riesen". Er ist der scheinbar hellste Lichtpunkt im Orion. Rigels Durchmesser übertrumpft den unserer Sonne um das 19-fache. Mit 12.000° C Oberflächentemperatur ist er bei weitem nicht der heißeste Stern der Konstellation. Dennoch erahnen wir gerade hier einen bläulichen Farbton - ganz im Gegensatz zum leichten Rot-Orange des Betelgeuse an der "Schulter" des Riesen. Das Licht der anderen Orion-Sterne reicht kaum aus, die farbsehtüchtigen Zapfen unserer Netzhaut anzuregen.

Auch Betelgeuse oder "Beteigeuze", ist mit 20 Sonnenmassen ein Gigant. Doch er zeigt bereits deutliche Alterserscheinungen. Ist der Wasserstoff im Kern eines Sterns erschöpft, wandert die Wasserstoffbrennzone allmählich nach außen, in Richtung Sternoberfläche. Dabei bläht sich der Himmelskörper

gewaltig auf, gerät zum Roten

Riesen.

Riesiges Ungeheuer

Schon ist Betelgeuses Durchmesser 1.000-mal weiter als der unserer Sonne. Würden wir ihn gegen sie eintauschen, reichte der Stern bis in die Nähe des Jupiterorbits; die Erde wäre in seinem Inneren verschwunden. Wenn dieses Ungeheuer je Planeten besaß, hat es sie längst verschluckt. Betelgeuse glänzt rötlich, weil seine Oberflächentemperatur beim Aufblähen dramatisch gesunken ist. Sie liegt mit 3.000° C heute sogar deutlich unter den 5.500° C unserer Sonne; die extremen Ausmaße des Schultersterns lassen ihn dennoch 9.000-mal kräftiger erstrahlen.

Obwohl selbst ohne Mutter geboren, beherbergt der Himmelsjäger einen legendären kosmischen Kreissaal. Unterhalb des Gürtels, wo man sich sein herabhängendes Schwert vorstellen darf, schimmert ein schwacher Lichtfleck. Das ist der berühmte Große Orionnebel, der seit 1610 immer wieder von Fernrohrbeobachtern studiert wurde.

Rund 1.800 Lichtjahre entfernt, ist das zarte Gebilde mit der Katalogbezeichnung "M42" selbst nur Teil einer ausladenden interstellaren Wolke. Sie nimmt weite Regionen des Sternbilds ein und besteht aus dünn verteiltem Gas mit zweiprozentigem Staubanteil. Rezeptur: Wasserstoff und etwas Helium, dazu Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, Neon, Chlor, Silizium, Eisen und Nickel.

Im Teleskop macht man in M42 ein enges Sternquartett aus. Diese Sonnen sind bis zu 25.000° C heiß und extrem jung. Sie beleuchten die sie umgebende Nebelwolke und regen deren Gas mit energiereicher UV-Strahlung auch zu eigenem Leuchten an. Im Fernglas farblos, erscheint M42 im großen Teleskop mit grünlichem Ton. Dieser stammt von Sauerstoff-Emissionen. Auf Farbfotos setzt sich hingegen das rote Licht des Wasserstoffs durch. Übrigens gelang 1880 mit M42 die allererste Fotografie eines Himmelsnebels überhaupt.

Geburtenrate im Orionnebel

Die bislang fantastischsten Bilder aus dem Kreissaal lieferte das Hubble-Weltraumteleskop. Die Geburtenrate im Orionnebel ist demnach so hoch, dass sich Sterne dort viele tausend Mal enger zusammen drängen als in unserer eigenen Nachbarschaft. Noch immer entstehen dort neue Sonnen, formieren sich aus lokalen Verdichtungen der Wolkenmaterie. Manche glühen erst matt durch embryonale Scheiben aus Gas- und Staub hindurch. So wäre unsere Sonne wohl einem fernen Betrachter vor 4,6 Milliarden Jahren erschienen.

Alle hellen Gestirne des Orion blicken einem schlimmen Schicksal entgegen. Denn Sterne ab acht Sonnenmassen enden als Supernovae. Zwar können sie immer schwerere Elemente aufbauen - Kohlenstoff, Silizium, Eisen -, doch dann ist endgültig Schluss.

Die Energieerzeugung wird eingestellt, es kommt innerhalb von Sekundenbruchteilen zum Kollaps des Sternenkerns. Ist dessen maximal mögliche Dichte erreicht, prallt das zusammenstürzende Material zurück. Eine unvorstellbar heftige Schockwelle rast nach außen, schleudert die umliegenden Sternschichten fort. Sie jagen mit Tausenden km/sek durch das All.

Die Schockwelle hilft vielleicht, im Kosmos treibende Gaswolken zu verdichten und dort neue Sterngeburten anzuregen. Das Material der zerfetzten Sternhülle reichert den Raum jedenfalls mit schweren Elementen an. Diese Saat geht zum Teil in neuen Sonnen und Planeten auf. So gesehen, erleben die Riesensterne eine "Wiedergeburt".

Vor allem dem aufgeblähten Betelgeuse beginnt die Zeit schon davonzulaufen. In nicht allzu ferner Zukunft wird er als Supernova 28.000-mal heller gleißen als jetzt; am irdischen Himmel wetteifert er dann mit dem Glanz des Mondes. Zum Glück ereignet sich der katastrophale Sternentod in 430 Lichtjahren Distanz. Orions eherne Keule trifft uns also nicht.

Freitag, 08. Februar 2002

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