1. Biographische Dispositionen

1.1. Die Identitätsfrage

Sowohl zu Hahn-Hahn als auch zu Pfeiffer wurden bereits ausführliche biographische Darstellungen veröffentlicht. Deshalb möchte ich lediglich die Punkte hervorheben, die mir bezüglich der Reisen und ihrer Beschreibungen wichtig erscheinen.

Anknüpfend an die biographische Methode der historisch-pädagogischen Sozialisationsforschung soll gezeigt werden, aus welcher Lebenssituation heraus die Entscheidung für ein unkonventionelles Leben des Reisens und Schreibens gefaßt wurde, welche Vorbilder, Maßstäbe und Deutungsmuster den Autorinnen zur Wahrnehmung und Interpretation des Erfahrenen zur Verfügung standen.

Desweiteren möchte ich zeigen, wie sie sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzten, in deren Spannungsfeld sich Identität entwickelt. Hierbei gehe ich von der interaktionistischen Rollenthese aus, daß der Aufbau einer individuellen Identität eine Leistung des Individuums darstellt, die den Strukturen sozialer Interaktionsprozesse entspricht (vgl. Krappmann 1988: 11). Gemessen wird Identität an den Fähigkeiten kreativer, der Situation angemessener Selbstrepräsentation, welche Diskrepanzen und Konflikte beinhalt en kann, bzw. an der interpretatorischen Kraft des Individuums, sich gegen divergente Anforderungen eines heterogenen sozialen Prozesses zu behaupten. Das Potential des Individuums, den Erwartungen der sozialen Umwelt nicht zu entsprechen sowie eigene Leb e nsentwürfe umzusetzen, wird dann wichtig, wenn es darum geht, unkonventionelle Handlungen zu erklären. Bei Mead wird diese Identitätsseite "I" bzw. "Ich", bei Bahrdt "Selbst" genannt, während Krappman davon ausgeht, daß Ich-Identität erst aus der Ausein a nd ersetzung zwischen "eigenen" und "sozialen" Erwartungen hervorgeht, wobei auch die "eigenen" Erwartungen erst in der sozialen Biographie ausgeprägt werden. Sind im Modell beide Erwartungshaltungen noch bestimmbar, so wird eine deutliche Unterscheidung b ei Untersuchungen schwierig. So auch bei dem Versuch, die biographischen Dispositionen für Hahn-Hahns und Pfeiffers Reiselust zu beschreiben. Die Quellen, auf die sich die Forschung stützen kann, sind für eine öffentlichkeit bestimmte Dokumente: Briefe und zu r Publikation bestimmte Notizen. Intime Tagebücher sind hingegen bei Pfeiffer nicht bekannt, bei Hahn-Hahn sind sie in dieser Hinsicht unergiebig. Die verwendbaren Quellen reflektieren daher bereits das Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen sozia len und eigenen Erwartungen, welches, eingebunden in einem Kommunikationsprozeß, in der Regel sozialen Erwartungen entspricht. Um also bestimmen zu können, was das Besondere der Person Hahn-Hahns und Pfeiffers ausmacht, richtet sich der Blick des Biographe n i n de r Regel auf Konfliktsituationen und auf kritische Lebensereignisse, welche die Auseinandersetzung zwischen individuellen und von der Umwelt herangetragenen Erwartungen am deutlichsten zeigen. Erst damit können die individuellen Dispositionen, könn en B iogra phien beschrieben werden. Gesellschaftliche Relevanz gewinnt die vorliegende Studie jedoch erst, wenn die "psychische Struktur eines Individuums als die innere Reproduktion eines sozialen Systems" (Krappmann 1988: 23) begriffen wird.

1.2. Ida von Hahn-Hahn

Ida Gräfin Hahn-Hahn wurde 1805 in Schloß Tressow, Mecklenburg, geboren und starb 1880 in Mainz. In allen von mir eingesehenen biographischen Darstellungen Ida von Hahn-Hahns wird auf ihre unglückliche Ehe mit Friedrich Graf Hahn-Basedow hingewiesen, den s ie 1826 heiratete, von dem sie aber schon nach drei Jahren auf Betreiben des Mannes geschieden wurde. Manche Biographen sehen dieses kritische Lebensereignis als Beweggrund für ihr literarisches Schaffen, manche eher für ihre Reisen, manche für beides an. Sie selbst schreibt über ihre Unruhe und rastlose Arbeit an Pückler-Muskau:

    "Hätte ich nicht eine selige Freude am Schreiben, so ließe ich's sein bleiben, denn es macht mich zuweilen ganz matt und augenschwach am Schreibtisch zu sitzen. Hätt' ich nicht einen unbezwinglichen Trieb gehabt mehr von der Erde zu sehen als der globa e adscriptus, so wär' ich fein still daheim geblieben, statt ermüdende Reisen zu machen. Bei mir geht nichts ohne animo. Fehlen Luft und Liebe, so fehlt alles, und mit Zwang kann ich weder zehn Worte sagen, noch drei Zeilen schreiben, in denen Sinn wäre." (P: 320)

Rückblickend schreibt sie in ihrer Bekenntnisschrift "Von Babylon nach Jerusalem":

    "Zuweilen war es eine Art von Heroismus, daß ich mich hinsetzte und einen Roman schrieb. War ich fertig, so machte ich eine Reise. Kehrte ich heim, so beschrieb ich sie." (1902: 87)

Ein Journalist der Mainzer Unterhaltungsblätter erkannte jedoch keinen Heroismus in ihrem Tun:

    "Sie hat in sich keine Befriedigung, außen keine Ruhe: wie ein Irrstern fährt sie in der Welt umher, Stoff suchend, um ihn zu verschlingen."

Der Scheidung und der damit verbundenen Distanzierung von der provinziellen, mecklenburgischen Adelsgesellschaft wird eine große Bedeutung fúr iüren Lebensweg zugemessen. Zwar wurde nach ihrer Scheidung im Jahr 1929 Adolf Baron Bystram ihr Lebensgefährte, sie hatten auch einen gemeinsamen Sohn, doch heiratete sie nicht wieder. Die Erziehung ihrer Kinder, der geistig behinderten Tochter Toni aus der ersten Ehe, die nach der Scheidung geboren wurde, und des Sohnes mit Bystram übernahm sie nicht: die Tochter w urde einer Freundin zur Pflege übergeben, ebenso der Sohn. Diese Entscheidung gegen Ehe und Familie ermógliöhte es ihr zu reisen und zu schreiben. Bystram war hierbei ihr ständiger Reisebegleiter: Zunächst fuhren sie gemeinsam durch Deutschland, 1835 mehr m als in die Schweiz, 1838/39 nach Italien, 1840 nach Spanien und Frankreich, 1842 nach Skandinavien, 1843/44 in den Orient, 1846 nach England, Schottland und Irland und schließlich 1847 nach Italien und Sizilien. Bystram unterstützte sie auch als ihr Lit e ra turagent bei der Veröffentlichung ihrer Bücher (Herminghouse 1989: 261). Ihre Beziehung zu Bystram scheint allein von einer kurzen Affäre mit dem Vetter Fanny Lewalds, Heinrich Simon, belastet gewesen zu sein. Sie schätzte Bystrams Treue und Beständig ke it sehr, er half ihr in Zeiten der Krankheit und Verzweiflung. Simon bezeichnete Hahn-Hahns Verbindung zu Bystram als eine, "die Du nicht brechen kannst, ohnewahrhaft unglücklich zu werden, ohne Dich selbst aufzugeben".

Ihre Kindheit war sehr unruhig gewesen: Der Vater hatte sich so sehr für das Theaterspielen engagiert, daß er sein Vermögen verlor und darüber berühmt und von seiner Frau 1813 entmündigt wurde. Ihre Eltern ließen sich 1809 scheiden. Ida war damals vier Jah re alt. Sie wuchs deshalb vaterlos mit ihren Geschwistern bei ihrer Mutter in Rostock, später in Neubrandenburg und ab 1821 in Greifswald auf. Zu ihrer Mutter scheint sie eine gute, eventuell idealisierte, auf keinen Fall eine enge Beziehung gehabt zu hab e n, denn sie widmete ihr die "Orientalischen Briefe" mit den Worten:

    "obwohl Du auf der weiten Gotteswelt die einzige Person bist, die mir imponiert, hast Du mich dennoch immer meine eigenen Wege gehen lassen, so fern und fremd sie den Deinen sein mögen, und mir eine selbständige Entwicklung gegönnt, deren Resultat mein Glaube und meine Meinungen sind." (OB: 15)

Sie besuchte nie eine Schule, erhielt Unterricht von Hauslehrern und bildete sich durch "regellose Lektúre"üautodidaktisch weiter. Ihre rudimentäre Bildung brachte ihr später immer wieder den Vorwurf des Dilettantischen. Nach ihrer gescheiterten Ehe fing s ie an zu schreiben. 1835 und 1836 veröffentlichte sie drei Gedichtbände, 1838 erschien ihr erster Roman "Aus der Gesellschaft". Später wechselten sich Reiseberichte und Romane ab. In ihren Romanen rechnet sie mit der Ehe, so wie sie sie erlebt hatte, ab. H ierbei exemplifiziert sich ihre Kritik nur an einem bestimmten Typus Mann. Ihre eigenen Erlebnisse sind ihr Ausgangspunkt, egalitäre Forderungen zu erheben, in deren Mittelpunkt das eigene "emancipirte" Ich steht. Die Vorstellungen von Freiheit und Gleic hh eit zielen nicht auf eine Veränderung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern - ausgehend von der Stellung der adeligen Frau - auf eine emotionale und intellektuelle Gleichstellung der Individuen. Sie zeigt die Attitüdeder exklusiven Per s önl ichkeit, ihr Ichgefühl weist sich besonders in den "Orientalischen Briefen" aus. Von den Zeitgenossen erfährt sie Kritik an ihrem Egozentrismus und ihrer Vorliebe für Fremdwörter aus dem Französischen, ebenso wird ihr Interesse für die "schöne Seele" ( Schm idt 1853: 351) und das Gefühl konstatiert. Zwar lehnt sie das Schreiben als Lebenssurrogat halb ab, dennoch tritt sie den Existenzbeweis durch ihre unablässige Kreativität, durch eine fast ununterbrochene literarische Produktion, jedoch weniger dur ch ihre Standeszugehörigkeit an.

Eine Erklärung dafür könnte die von ihr verdrängte Beziehung zu ihrem Vater, und die, auch aus der zitierten Widmung hervorgehende, gefühlsmäßige Distanz zu ihrer Mutter bieten. Einen möglichen Deutungsansatz liefert Alice Miller (1983): "Phantasien stehen im Dienste des überlebens; sie helfen, die unerträgliche Realität der Kindheit zu artikulieren und sie zugleich zu verbergen bzw. zu verharmlosen" (184). Auf den Zusammenhang zwischen den Familienverhältnisssen und ihrer Kreativität weist auch Bertha Witt hin:

    "Ihrem Vater verdankte Ida später den ungerechtfertigten Ruf, ebenfalls eine Komödiantin zu sein; aber wenn auch die phantastischen Eindrücke der die väterlichen Schlösser bevölkernden Schauspielergesellschaften zweifellos nicht wenig auf das empfängli che Gemüt des Kindes gewirkt haben mögen, so entwickelte sich doch auch gerade an den tragischen Ereignissen des Familienlebens ihr geistiges Urteilsvermögen auf eine Weise, die die verhängnisvolle väterliche Erbschaft viel eher in das Gegenteil umkehrte. Zweifellos erhält schon hier ihre spätere literarische Entwicklung unbewußt eine entscheidende Richtung. Ihr Erzählertalent soll schon frühzeitig so überraschend gewesen sein, daß man ihr den Namen "Scheherazade" gab und ihr stundenlang zuhören konnte."

Ihr Narzißmus, der sich durch ihr Erzähltalent seit ihrer Jugend Geltung verschaffen konnte, und ihre Depression gegen Ende der Orientreise deuten auf ein seelisches Ungleichgewicht, wenn nicht gar auf eine Persönlichkeitsstörung. Es scheint, daß sie zwar ungestört ihre intellektuellen Fähigkeiten entwickeln konnte, nicht jedoch ihre Gefühlswelt, die sie immer wieder in den Romanen verschlüsselt thematisierte. Keine Darstellung ihrer Person verzichtet auf den Hinweis ihrer Exzentrizitäten und Eigenwilligkei ten, mit ihrer Erscheinung provozierte sie Bewunderung, Ablehnung und psychologische Untersuchungen. Geiger fand bei einer Durchsicht von zeitgenössischen Äußerungen und Literaturgeschichten einen "verwirrenden Fundus" von sich "widersprechenden Aussagen" (1986: 17) vor. Offensichtlich lassen sich ihre Biographie und ihr Werk nur schwer in vorgefaßte, konventionelle Vorstellungen einfügen. Deshalb soll auch an dieser Stelle auf eine abrundende, jedoch sicherlich spekulative Charakterisierung ihrer Persönli c hkeit verzichtet werden.

Feststeht allerdings, daß 1849 drei kritische Ereignisse ihr bisherigesLeben infragestellten: Ihr Lebensgefährte Bystram war gestorben. Sein Tod mußte sie als seine langjährige Geliebte und Gefährtin in ihrem weiblichen Selbstverständnis erschüttert haben. Der Schock über die republikanisch-liberale Revolution von 1848/49 hatte ihre aristokratische Existenz bedroht. Schließlich war der Satireroman "Diogena" von ihrer Rivalin Fanny Lewald anonym veröffentlicht worden, der ihren Ruf als Schriftstellerin schar f angegriffen hatte. Im Jahr darauf trat sie in die katholische Kirche ein und verbrachte den Rest ihres Lebens in einem von ihr in Mainz gegründeten Kloster. Der Orden kümmerte sich um Frauen in sozialen Notlagen, sie selbst jedoch nahm keinen Anteil an d ieser Arbeit, sondern führte mit Erfolg ihr Schriftstellerinnenleben, nun unter katholischem Vorzeichen stehend, fort. Herminghouse stellte fest, daß sich ihre neue Situation nicht erwartungsgemäß in ihren Schriften niederschlug:

    "[...] one looks in vain for any overt sign of concern for the particular situation of women at any level of the world which Hahn-Hahn portrays - a surprising omission, given what she must have glimpsed through the mission of the Sisters of the Good Sh epherd." (1989: 276)

Sie trug die Ordenstracht, ohne jedoch ein Gelúbdeügeleistet zu haben, und unternahm weitere Reisen - im Dienst der Kirche. Die "Gartenlaube" schrieb über sie:

    "[...] begann sie nun mit derselben Hast und eitlen Ruhmsucht in Schriften für die Kirche zu werben, deren Luft sie kaum eingeatmet hatte. Sie urtheilte mit Rechthaberei, Eitelkeit und crasser Unwissenheit über den [...] Protestantismus."

Die Sekundärliteratur beschäftigt sich bis heute mit ihren, vorzugsweise mit den in den Jahren 1838 bis 1848, d.h. bis zu ihrer Konversion, entstandenen Romanen. Eine Ausnahme sind die neueren Veróffeötlichungen über sie als Reiseschriftstellerin, zum eine n von Wülfing (1989) über ihre "Erinnerungen aus und an Frankreich", zum anderen von Marquart (1988), Felden-Archibald (1990) und Pelz (1988a, 1993) über die "Orientalische Briefe". Diese werden des öfteren als ihre gelungenste Reisebeschreibung bezeichne t . Goldmann findet sogar zu dem Urteil, da% diß Reisewerke "zu dem besten gehören, was sie geschaffen hat" (1980: 46), "qualitativ stehen sie denen eines Pückler-Muskau [...] nicht nach" (ders. 1988). Auch andere hatten sie immer wieder mit dem Fürsten v e rg lichen.

Sie selbst scheint dies fast geahnt zu haben, schrieb sie doch 1844 an Pückler (1785-1871):

    "[...] daß ich Ihren ersten Theil "Aus Mehemed Ali's Reich" eben mit dem größten Vergnügen gelesen habe. Wie mir die philanthropischen Reisebeschreiber komisch vorkommen, die nicht mit Lamentationen aufhören können, daß der Fellah nicht genug Fleisch z u essen habe, und nicht gehörig schreiben lerne - eben so freut es mich, daß endlich einmal Jemand den Orientalen vom orientalischen Standpunkt aus betrachtet, und den pedantisch liberalen europäischen fallen läßt. Sie haben natürlich viel länger als ich A egypten betrachtet, und in mancher Hinsicht genauer kennen gelernt, so daß Sie mehr Details geben können als ich, aber eben darum interessiert es mich unbeschreiblich, daß unsere Bücher in demselben Moment erscheinen, und im Wesentlichen ganz übereinstim me n, während sieben Jahre unsere Reisen trennen, und wir sie unter so ganzverschiedenen Verhältnissen gemacht haben. Bei manchen Stellen Ihres Buchs sprach ich ganz vergnügt zu mir selbst: Gottlob, daß meine Briefe schon erschienen waren, sonst würden mi r di e Kritiker gewiß vorwerfen, ich hätte dem Fürst Pückler nachgeschrieben. [...] und nur in dem einzigen Punkt begegnen wir uns nicht, daß Sie von der europäischen Civilisation des Pharaonenreichs mehr hoffen, als sie meiner Ansicht nach leisten kann." ( P: 2 81/2)

Pückler las wiederum ihren Reisebericht und war

    "weniger zufrieden, es ist dies Thema zu frivol für Sie, doch freut es mich, daß wir über manches, Aegypten betreffend, so gut übereinstimmen, und Sie irren sich auch, wenn Sie meinen, ich erwarte so viel Glück für die Orientalen von europäischer Civil isation. Mehr umgekehrt, doch würde die gegenseitige Annäherung und Verschmelzung beider Prinzipe der ganzen Menschheit zu Statten kommen." (P: 283)

Sie protestierte:

    "Ach Fürst, wie können Sie á propos meiner Reisebriefe, die Ihnen nicht gefallen, sagen: dies Thema sei "zu frivol" für mich? Ich verstehe unter einem frivolen Thema eins ohne geistigen Inhalt. Aber, großer Gott, wo giebt es denn ein geist- und inhaltr eicheres, als die Bilder der Schöpfung, wie sie sich in den verschiedenen Ländern der Erde gleichsam als erläuternde Illustrationen zu dem ernsten und ohne sie schwer zu verstehenden Text der Historie entfalten? In meinen Augen ist ein tiefer Zusammenhang zwischen der Natur eines Landes und dessen Menschen in ihren zwiefachen auf materielle und geistige Entwickelung gerichteten Bestrebungen, und Kunst und Religion sind nur Blüthen und Früchte desselben Baumes, der grade nur auf diesem Grund und Boden Wurze l fassen, und grade nur unter Einwirkung dieser Bedingungen und ihrer nothwendigen Gegensätze gedeihen konnte. Weil ich mit einer solchen Ansicht die Welt betrachte, darum reise ich gern, denn mir ist's in allen Dingen ein tiefer, heiliger Ernst, um zur W a h rheit, das heißt zur Erkenntnis des innewohnenden Geistes der Erscheinungen zu kommen." (P: 285)

Er kommentierte knapp in einem P.S:

    "Frivol nenn ich das Reisen und Reisebeschreiben, weil es in der Hauptsache sich um äußere Eindrücke dreht. Der tiefste Stoff ist die menschliche Seele. D a s ist I h r Beruf. - " (P: 287)

Den zitierten Abschnitten läßt sich nicht nur eine unterschiedliche Haltung zu den Reiseberichten, die später oft in einem Atem genanntwurden, entnehmen. Interessant ist die Bemerkung Pücklers, daß die Beschäftigung mit Reisen "frivol" sei, weil es sich um "äußere Eindrücke" handele, Hahn-Hahns Beruf sei aber die "menschliche Seele". Auf den ersten Blick scheint es sich um ein sehr persónliöhes Urteil zu handeln, welches Hahn-Hahn eine besondere Begabung zuschreibt. Auf den zweiten erweist es sich jedoch al s typisch für Hahn-Hahns Zeitgenossen, da es - hier noch unausgesprochen - den Geschlechtern bestimmte Verhaltenserwartungen und -muster zuweist sowie eine literarische Leistung nach der sittlichen Angemessenheit beurteilt. Während Hahn-Hahn sich sehr aus f ührlich seinem Werk widmete und dabei taktvoll auf etwaige Bemerkungen über Pücklers "frivole" Skandalgeschichten verzichtete, wich Pückler einer inhaltlichen Diskussion aus. Andere Zeitgenossen formulierten ihre Vorbehalte an den "Orientalischen Briefe n " unmißverständlicher: Der Orientalist Fallmerayer (1790-1861) spottete über die "Reisendinn" und kritisierte vor allem ihre ausschweifenden Ausflüge in die Landesgeschichte, die nichts Neues brächten, weil sie nur geschickt aus den Werken Hammers und Pr ok es chs redigiert worden seien. Ihr Rezensent in den "Blättern für literarische Unterhaltung", Günther, versuchte nicht, wie der heute noch "lesenswerte" Verriß von Fallmerayer, den Reisebericht als wissenschaftlichen Bericht, sondern als der Unterhaltun g v erp flichtete Lektüre zu beurteilen:

    [...] muß man sich damit begnügen, mit der Lecture dieser anmuthigen Darstellungen einige Stunden angenehm auszufüllen und aus denselben manche gesunden Urtheile über orientalische Verhältnisse und lebendige Anschauungen vom Leben des Morgenlandes zu s chöpfen." (1845a: 618)

Ihr Werk sei "von dauerndem Werthe", wenn sie ihren Beobachtungen durch längeres Verarbeiten einen Zusammenhang gegeben hätte, allerdings hätte es so "an Frische und Lebhaftigkeit" (ebd.) verloren.

Während die Zeitgenossen einen dauerhaften Erfolg noch bezweifelten, so sind sich die Literaturhistoriker des 20. Jahrhunderts weitgehend einig: Während die Romane an Bedeutung verloren, gewannen die Reiseberichte, vor allem aber die "Orientalischen Briefe ", an Wertschätzung. 1904 urteilt Meyer in der Allgemeinen Deutschen Biographie bereits wohlwollender:

    "Diese R e i s e b ü c h e r haben zu ihrem Ruhm und ihrer Beliebtheit viel beigetragen; dauernde Bedeutung können sie nicht beanspruchen [...] die lockeren, geistreich geschriebenen "Orientalischen Briefe" setzen durch echte Originalität in Bewunderun g" (713).

Sie sind heute das einzige Werk Hahn-Hahns in einer derzeit lieferbaren Auflage: Kosch sprach ihren Reiseberichten etwas vorsichtig einen "zumindest kulturhistorischen Wert" zu (1968: Sp. 1283), während Schmid-Jürgens bereits 1933 euphorisch die "Orientali schen Briefe" als "die am weitesten gelungenen Reisebriefe überhaupt" bezeichnete:

    "Sie haben dieselbe Frische, dieselbe Unbekümmertheit um das Urteil von andern wie die Briefe aus Spanien, doch sind sie mit reiferem Verständnis und größerer Gestaltungskraft geschrieben. Haffner rühmt sie als 'von wahrhaft classischer Schönheit'." (5 4)

Möhrmann gewann 1977 Hahn-Hahns Reiseerlebnissen einen neuen Aspekt ab, indem sie in ihnen den "Grundstock ihrer emanzipatorischen Entwicklung" (93) sah: Hahn-Hahn konnte die erfahrene Engräumigkeit in ihrer Jugend kompensieren und Bildung aufholen. Aufgru nd ihrer assoziativen und spontanen Schreibweise, die ohne Korrekturen und lange Ausarbeitungen auskam, ergebe sich ihrer Ansicht nach höchst aufschlußreiches Untersuchungsmaterial.

Sagarra betonte hingegen 1989 ihre Marketingstrategie, die Reiseberichte als autobiographisches Zufutter für ihre Romane zu verwenden:

    "Sie hat es nicht, wie etwa Johanna Schopenhauer oder Fanny Lewald, mit dem buchhändlerisch sicheren Weg einer England- bzw. Italienreise bewenden lassen, sondern es gleich in der Nachfolge von Milady Hester Stanhope mit einer Orientreise versucht: Der Erfolg ihrer Reisebriefe - die Orientalischen Reisebriefe \(1844) wurden vielfach in englischer übersetzung gelesen - sicherte ihren emanzipatorischen Frauenromanen ein neugieriges Publikum." (108)

Allerdings sind Hahn-Hahns Reiseberichte nicht nur als Entschlüsselungshilfen ihrer Romane zu verstehen, welche die Zeitgenossen als verhüllte Biographien betrachteten, sondern auch als eine Notwendigkeit, ihre Lebens- und Reisekosten zu finanzieren. Sie e rhielt zwar von ihrem geschiedenen Mann Tantiemen, da diese jedoch zum gró%teößTeil für den Unterhalt ihrer Tochter verwendet wurden, war sie von eigenen Honoraren abhängig. Aus einem Brief Hahn-Hahns anden Verleger Cotta vom 24. Juli 1848 geht hervor, da ß die "Orientalischen Briefe" 40 bis 42 Lagen enthielten und sie 10 Friedrichsdior pro Bogen erhalten hatte. Damit gehörte sie zu den bestbezahltesten Autorinnen ihrer Zeit; nach Einschätzung von Meyer erhielt nur Pückler-Muskau ähnlich hohe Honorare (vgl . 1904: 716). Die "Orientalischen Briefe" wurden vorab in den Journalen abgedruckt, auch ihre anderen Reisewerke "entstanden bis auf den Band 'Meine Reise in England' aus der Sammlung der Briefe, die sie Verwandten und Freunden mitgeteilt hatte, die aber v o n vornherein für eine spätere Veröffentlichung geschrieben wurden." (Goldmann 1980: 46). Die Aufmerksamkeit, die sie erhielt, läßt auf einen biedermeierlichen Starkult schließen. Immerhin wurden ca. 100 Rezensionen über sie verfaßt, ihre literarischen We rk e waren gesellschaftsbeherrschend. Sie selbst schreibt:

    "Wer die Gegenwart beherrscht, indem er ihrer Gesinnung den entsprechenden Ausdruck leiht und die in ihr gährenden Elemente in eine klare feste Form gießt, die sich jedem Auge als das tausendmal geträumte Bild befreundet entgegenstellt; der ist der Kön ig der Zeit ... Es ist gleichviel, ob eine spätere Zeit ihn dafür anerkennt, da ohnehin die frühere es nicht kann. Für eine Epoche ist der Mensch geboren, darum soll er sie erfüllen, wenn er es vermag. Der tote Nachruhm ferner Jahrhunderte beweist sehr hä u fig, daß der Berühmte seine Zeit und seine Mission nicht verstanden hat."

Ihrem Selbstverständnis entspricht folglich auch, daß sie als modische "Erfolgsautorin der Biedermeierzeit" spätestens seit dem ersten Weltkrieg so gut wie vergessen ist. Erst die feministische Literaturwissenschaft entdeckte das "Phänomen Hahn-Hahn" Ende der 70er Jahre wieder. Oberembt widmete ihr 1980 eine große literatursoziologische Studie. Neuauflagen ihrer Bücher folgten.


1.3. Ida Pfeiffer

Ida Pfeiffers Reisen und Reiseberichte sind ebenfalls in einem biographischen Kontext zu sehen, denn die Frage nach ihrer Reisemotivation kann ohne ihn überhaupt nicht beantwortet werden. Ihre biographische Skizze, welche die "Reise nach Madagaskar" einlei tet, wurde möglicherweise erst im Alter als Lebensrückblick abgefaßt. Es werden nur solche Begebenheiten erwähnt, die im Rückblick wichtig wurden. Deshalb, aber auch weil der Text von einem Unbekannten redigiert wurde, sind, was seine historische Richtigk e it anbelangt, Vorbehalte angebracht, um überinterpretationen zu vermeiden. Andererseits verrät die Skizze gerade aufgrund ihres resümierenden Charakters einiges über Pfeiffers Lebenskonzept. Sie läßt in ihren wiederholten Rückbezügen von den in ihrer Ki n dh eit gezeigten Neigungen und Eigenschaften sowie den Erziehungsidealen ihres Vaters auf den späteren Erfolg als Reisende auf eine Kontingenzerfahrung schließen.

Ida Pfeiffer lebte von 1797 bis 1858. Als drittes Kind wurde sie in Wien geboren, ihr folgten drei weitere Brüder und eine Schwester. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr wuchs sie als einziges Mädchen unter fünf Brüdern auf. Ein wesentlicher biographischer Unt erschied zwischen Hahn-Hahn und Pfeiffer liegt in der Beziehung zu ihren jeweiligen Vätern. Hahn-Hahn verlor ihren Vater durch die Scheidung ihrer Eltern, sie sollte ihn später auch so gut wie nie mehr erwähnen. Pfeiffers Vater starb, als sie neun Jahre a l t war und sie trauerte ihm lange nach. Er hatte ihre Entwicklung und ihr weibliches Selbstverständnis wesentlich beeinflußt, da er sie zusammen mit ihren Brüdern wie einen Jungen erzogen hatte. Obwohl die Familie in durchaus großbürgerlichen Wohnverhält n is sen lebte, war der väterliche Erziehungsstil streng und spartanisch. Die Kinder erhielten nur einfache Mahlzeiten und sogar die kleinsten Wünsche wurden verweigert, was es Ida später erleichtern sollte, auf ihren Reisen selbst unter widrigsten Bedingu ng en durchzuhalten. Sie spielte am liebsten mit Trommel, Säbel und Gewehr und ihr Vater hatte ihr sogar spasseshalber in Aussicht gestellt

    "er werde es in einer Militär-Erziehungs-Anstalt zum Offizier heranbilden lassen und forderte mittelbar dadurch das Kind auf, Muth, Entschlossenheit und Verachtung des Schmerzes zu zeigen." (MR: VII)

Als er starb, versuchte die Mutter einige Monate später die männliche Sozialisation rúckgüngig zu machen, um die Tochter auf ihre künftige Rolle als Frau und Mutter vorzubereiten. Ihre erste Ma%nahße bestand darin, daß sie Ida ihre Kleider, die Jungenkleid er waren, wegnahm. Ida erkrankte daraufhin lebensgefährlich. Auf Anraten des Arztes durfte sie schließlich die Jungenkleider weitertragen, woraufhin sie sich schnell erholte. Mit dreizehn Jahren erhielt sie endgültig Mädchenkleider, wollte aber immer noch nicht ihr jungenhaftes Verhalten ablegen:

    "Wie linkisch und unbeholfen war ich Anfangs, [...] wie lächerlich mußte ich in den langen Kleidern aussehen, als ich dabei noch immer lief und sprang und mich in allem benahm wie ein wilder Junge!" (MR: XIII)

1810 wurde Joseph Franz Emil Trimmel (1786-1867) als Hauslehrer angestellt. Er verbrachte als begeisterter Tourist die meiste Zeit auf Reisen und veróffeötlichte später Reisebeschreibungen und -handbúcheü. Vermutlich hat er Ida hiermit beeinflußt, denn zu jener Zeit begann sie sich für Reiseliteratur zu interessieren.

    "Wenn sie von Jemanden hörte, der große Reisen gemacht hatte, so erfaßte sie Wehmuth, daß ihr als Mädchen für immer das Glück verschlossen bleiben mußte, das Weltmeer zu durchfurchen und ferne Länder aufzusuchen." (MR: XV)

In ihren Phantasiereisen konnte sie der weiblichen Realität in häuslicher Enge entfliehen. Die Lektüre ermöglichte ihr, die Verluste, die aus dem Rollenwechsel entstanden waren, als "Lehnstuhlreisende" auf Zimmerreisen zu kompensieren. Anders als die devot en Hauslehrer Hahn-Hahns, hatte Emil Trimmel ihr Vertrauen und damit großen Einfluß auf sie gewonnen. Er erleichterte es ihr, sich mit der Mädchenrolle zu identifzieren und

    "bekämpfte mit Beharrlichkeit und Geduld meine verkehrten und verworrenen Ideen [...] und obgleich es mich gar manche Thräne kostete [...] mich mit Dingen zu befassen, die ich früher mit der tiefsten Verachtung betrachtet hatte, so that ich es doch - i hm zu Liebe. [...] Ihm verdanke ich es, daß ich imVerlaufe von drei bis vier Jahren vollkommen zu der Einsicht der Pflichten meines Geschlechtes gelangte, daß aus dem wilden Jungen eine bescheidene Jungfrau wurde." (MR: XIV-XV)

Auch nachdem er nicht mehr Idas Hauslehrer war, war er häufig zu Gast in der Familie. 1814 machte er ihr einen Heiratsantrag, der von der Mutter aus Standesgründen abgelehnt wurde. Nachdem sie alle weiteren Bewerber abgelehnt hatte, gab sie dem Drängen der Mutter unter der Bedingung nach, daß der Bewerber um vieles älter sein und nicht in Wien wohnen sollte. Es kam so 1820 zur Vernunftehe mit dem nächsten Antragsteller, dem um 24 Jahre älteren Advokaten Dr. Mark Anton Pfeiffer aus Lemberg. Ungleich Hahn-Hah n reichte sie, obwohl sie unglücklich war, weder die Scheidung ein, noch gab sie ihre beiden Sóhneözur Pflege, sondern wartete mit der Verwirklichung ihrer Reisepläne ab, bis ihre Kinder selbständig geworden waren. Finanziell war sie zu Beginn der Ehe gut gestellt, doch verlor ihr Mann aufgrund eines, für ihn erfolgreichen Prozesses gegen bestechliche Beamte in Galizien, nach und nach seine Mandanten und mußte schließlich seine Kanzlei in Lemberg schließen:

    "Gott allein weiß, was ich durch achtzehn Jahre meiner Ehe litt! [...] Nicht durch rohe Behandlung von Seite meines Mannes, sondern durch die drückensten Lebens-Verhältnisse, durch Noth und Mangel! Ich stammte aus einem wohlhabenden Hause, war von früh ester Jugend an Ordnung und Bequemlichkeit gewöhnt, und nun wußte ich oft kaum , wo ich mein Haupt niederlegen, wo das Bischen Geld hernehmen sollte, um mir nur das höchst Nöthige anzuschaffen. Ich verrichtete alle Hausarbeiten, ich fror und hungerte, ich arbeitete im Geheimen für Geld, ich ertheilte Unterricht in Zeichnen und Musik, und trotz aller Anstrengungen gab es oft Tage, an welchen ich meinen armen Kindern kaum etwas mehr als trockenes Brot zum Mittagessen vorzusetzen hatte!" (MR: XXVI-XXVII)

Er bemühte sich um Anstellungen, konnte allerdings selbst in Wien keine finden. Die Trennung von ihrem Mann erfolgte nach und nach: sie besuchte ihre Freundinnen, ihre Mutter und Brüder in Wien, schließlich zog sie ganz dorthin, während ihr Mann bei seinem Sohn aus erster Ehe in Lemberg blieb und sie gelegentlich besuchte. In Wien versprach sie sich bessere Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Söhne. Scheiden ließ sie sich jedoch nie. Sie selbst stellt es in der Vorrede zur ihrer Skandinavienreise so dar:

    "Die Geschäfte meines Mannes forderten seine Gegenwart theils in Wien, theils in Lemberg. Er übergab mir daher gänzlich die Erziehung und Leitung der Knaben; er kannte meinen festenCharakter, meine Beharrlichkeit in Allem was ich unternahm; er wußte da ß ich ihnen Vater und Mutter sein würde." (kursiv v. mir)

Nachdem ihre Sóhneöihre eigene Existenz gegrúndeü hatten, konnte sie nichts mehr halten. Ihr Ehemann, 1842 immerhin schon achtundsechzigjährig, konnte sie wegen den zu erwartenden Strapazen nicht mehr begleiten, ihre Söhne konnten aus beruflichen Gründen n icht. Das einzige Problem schienen die Finanzen zu sein:

    "Doch war ich bald über diese wichtigen Punkte mit mir einig. [...] Was den ersten anbelangt, daß ich als Frau allein in die Welt hinaus wollte, so verließ ich mich auf meine Jahre (ich zählte deren schon 45), auf meinen Muth und auf die Selbstständigk eit (sic!), die ich in harter Schule des Lebens erlangt hatte, als ich nicht nur für mich und meine Kinder, sondern auch mitunter für meinen Mann sorgen mußte. In Betreff des Geldpunktes war ich zur größten Sparsamkeit entschlossen. Unbequemlichkeiten und Entbehrungen schreckten mich nicht." (MR: XXX-XXXI; kursiv v. mir)

Im März 1842 trat Ida Pfeiffer ihre erste größere Reise nach Palästina und Ägypten an. Ihre Reisephase währte 16 Jahre; bis zu ihrem Tod 1858 sollte sie nur noch nach Hause kommen, um ihre Erinnerungen und Sammlungen zu ordnen, zu veröffentlichen und um di e nächsten Reisen vorzubereiten. In der Folge reiste sie 1845 für sechs Monate nach Island und Skandinaven, 1846 verließ sie Wien für eine zweieinhalb Jahre währende Weltreise. Bis zu ihrer erneuten Abreise 1851 unternahm sie zahlreiche kleinere Reisen, i n Wien organisierte sie den Verkauf ihrer Sammlungen, - naturgeschichtliche Objekte wie Vögel, Reptilien, Insekten, Pflanzen, Mineralien und ethnographische Gegenstände - und die Finanzierung der nächsten Reise um die Welt. Sie traf auch mit Alexander von H umboldt (1769-1859) zusammen, der wiederum auch Hahn-Hahn kannte:

    "er nahm mich vorzüglich freundlich auf, u (sic!) meine Reisen schienen ihn nicht nur zu intereßiren, er war so erstaunt, daß er mehrmalen ausrief: 'Sie haben Unglaubliches durchgesetzt.'-- Von Freiin Bettina Arnim war ich nicht minder herzlich aufgeno mmen, ich mußte ihr das Versprechen geben, sie jederzeit zu besuchen, wenn ich Berlin berühre. - Compositeur Mayerbeer u Fürst Pückler Muskau ließen sich bei mir aufführen."

    (kursiv v. mir)

Humboldt widmete ihr nach der Lektüre ihres Berichts über ihre zweite Weltreise beeindruckt den vierten Band seines "Kosmos" und erreichte für sie eine Einladung des Königs und der Königin von Preußen, die sie mit der goldenen Medaille für Wissenschaft und Kunst auszeichneten. Auf Vorschlag Humboldts und Carl Ritters (1779-1859) ernannte die "Berliner Ethnographische Gesellschaft" Pfeiffer zum Ehrenmitglied, und auch in Paris wurde sie Ehrenmitglied der geographischen Gesellschaft - aufgrund eines Empfehlun gsschreibens von Carl Ritter. Dieser soll folgendes Urteil über sie abgegeben haben:

    "Ida Pfeiffer ist als einzelne Frau unstreitig, dem Umfange ihrer Pilgerfahrten nach, wol die weitestgereiste ihres Geschlechts; in dieser Hinsicht übertrifft sie in der That beiweitem alle früheren berühmtesten reisenden Männer des Mittelalters: einen Venetianer Marco Polo, einen Moslemen Ibro Batuta; denn sie hat nicht nur wie diese die drei Erdtheile der Welt nach den verschiedensten Richtungen durchwandert, sondern auch die neuen Welten Amerika und Australien besucht und alle Ozeane durchschifft."

In London verboten die Statuten der dortigen geographischen Gesellschaft, eine Frau als Mitglied aufzunehmen. Sie erfuhr jedoch noch anderweitige Ehrungen: man lud sie zu Vorträgen, Künstlerfesten und Bällen ein (vgl. Jehle 1989: 32f.). Eigentlich hätte si e sich jetzt zur Ruhe setzen kónneö, aber ein ehrgeiziges Projekt lie% ihß keine Ruhe: die Reise nach Madagaskar und der Besuch des ihr noch unbekannten Kontinents: Australien. 1856 trat sie von Rotterdam aus ihreReise an. Auf Madagaskar hatte sie zum wie d erholten Male ein schweres Fieber, vermutlich Malaria, und mußte sich mehrere Monate auf Mauritius aufhalten. Obwohl sie eigentlich noch nach Australien wollte, zwang sie die Krankheit zurückzufahren. Dennoch zögerte sie die Heimfahrt hinaus: über Londo n , einem Krankenhausaufenthalt in Hamburg, einer Freundin in Berlin und einer weiteren Freundin in Krakau erreichte sie schließlich, auf dringende Bitten ihrer Brüder hin, am 15. September 1858 Wien. Im Haus ihres Bruder Carl Reyer starb sie in der Nacht vo m 27. zum 28. Oktober.

Erst nachdem der Wiener Verein für erweiterte Frauenbildung sich nachdrücklich dafür eingesetzt hatte, ehrte Wien die Weltreisende 34 Jahre später, im Jahre 1892: Pfeiffers Gebeine wurden in ein Ehrengrab auf den Wiener Zentralfriedhof überführt. Anläßlich dieser Ehrung schrieb Prof. Dr. Friedrich Umlauft, Vorsitzender der k.k. Geographischen Gesellschaft, sie gälte "auch heute noch unstreitig als die bedeutendste Weltreisende" (1897: 754). Danach geriet sie in Vergessenheit. Erst durch Neuauflagen in letzt er Zeit wurde sie wieder bekannter. 1987 wurde ihrer Reiseroute folgend ein Film über Madagaskar gedreht und 1989 eine zweieinhalbstündige Radio-Soirèe "Das Madagaskarische Fieber" ausgestrahlt. In literaturwissenschaftlichen und ethnologischen Abhandlung e n werden derzeit ihre Reisebeschreibungen wieder thematisiert.