Die "Unfälle" von Majak
Mayak, auch bekannt als Tscheljabinsk 65, war für
viele Jahre die Hauptproduktionsstätte für atomwaffenfähiges
Plutonium der Sowjetunion. Durch das an Bodenschätzen wie Eisen und
Gold reiche Uralgebirge wurde die Region Tscheljabinsk zu einer der wichtigsten
Industriezentren der UdSSR. So wurde hier während des zweiten Weltkrieges
ein großer Teil der Panzer hergestellt. 1945 wurde mit dem Bau des
"Mayak Chemical Combine" begonnen und 1948 ging der erste Reaktor in Betrieb.
Neben den sechs Reaktoren, von denen heute noch einer betrieben wird, befinden
sich auf dem Gelände unter anderem eine Wiederaufarbeitungsanlage
und etwa 100 Lagertanks für radioaktive Abfälle. In den letzten
50 Jahren wurde hier fast das gesamte Plutonium für die Atomwaffenproduktion
hergestellt.
Die Region Tscheljabinsk und die Lage der Anlage von
Mayak.
Während der gesamten Betriebszeit wurden große
Mengen an Radioaktivität zum Teil geplant, aber auch durch Unfälle
freigesetzt. Bisher wurden drei größere Unfälle durch die
russische Regierung zugegeben, die im folgenden kurz vorgestellt werden.
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1949-1951: Einleitung von starkradioaktiven Abfällen
in den Fluß Tetscha
In den Jahren 1949 bis 1951 wurde der gesamte anfallende
flüssige radioaktive Abfall aus der Plutoniumproduktion in den nahegelegenen
Fluß Tetscha nur wenige Kilometer von seiner Quelle eingeleitet.
Mittel- bis schwach-radioaktive Stoffe wurden sogar bis 1956 noch auf diese
Weise beseitigt, so daß insgesamt etwa 2,7 Millionen Curie betastrahlende
Materie in den Fluß gelangten. Davon akkumulierten ca. 99 Prozent
auf den ersten 35 km flußabwärts. Die Anwohner dort waren hohen
Strahlenbelastungen ausgesetzt, wurden aber nicht über die Gefahren
der Benutzung des Wassers aufgeklärt. Die höchste Belastung für
die Zivilbevölkerung gab es im Dorf Metlino, wo die Gammadosis stellenweise
5 Centigray pro Stunde direkt am Fluß und 3,5 Centigray pro Stunde
bei einigen Häusern am Fluß betrug. Die Hintergrundstrahlungendosis
betrug auf den Straßen und Wegen etwa 10 bis 20 Mikroröntgen
pro Stunde (0,10 bis 0,15 Mikrogray pro Stunde).
Der Fluß Tetscha und die evakuierten Dörfer.
Das Ausmaß der Verstrahlung wurde der Regierung
im Jahre 1951 in einem Bericht mitgeteilt, was zur Verringerung des Eintrags
radioaktiven Abfalls in den Fluß führte. Mit der Evakuierung
der ersten Dörfer wurde allerdings erst 1963 begonnen. Bis 1960 wurden
7.500 Menschen aus 22 Dörfern umgesiedelt. Das Gebiet ist immer noch
kontaminiert und trotzdem spielen Kinder an den Ufern des Flusses.
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1957: Explosion eines Abfalllagertanks (Kyshtim-Unfall)
Ein weiteres Unglück war am 29. September 1957 die
Explosion eines mit hochradioaktiven Abfall gefüllten Tanks, durch
Versagen der Kühlanlage. Dabei wurden 20 Millionen Curie freigesetzt.
Das ist die doppelte Menge der bei der Tschernobyl-Katastrophe emitierten
Strahlung. Davon verseuchten 18 Millionen Curie den Erdboden in der Umgebung
und weitere 2 Millionen Curie wurden durch eine radioaktive Wolke auf eine
Fläche von über 15.000 Quadratkilometern verteilt. Mehr als 10.000
Menschen wurden evakuiert.
Der Weg der radioaktiven Wolke. Die Zahlen geben die
Strontium-90-Kontamination in Curie pro Quadratkilometer an.
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1967: Austrocknung des Sees Karatschai
In den See Karatschai wurde jahrelang hochradioaktiver
flüssiger Müll eingeleitet. Als der See 1967 durch eine Trockenperiode
teilweise austrocknete, waren Bereiche des kontaminierten Seebodens freigelegt,
so daß der mit 600 Curie (22,2 Terabequerel) beladenen Staub durch
Windeinflüsse in die ganze Region transportiert werden konnte. Dieser
Staub enthielt hauptsächlich die Spaltprodukte Strontium-90 und Cäsium-137
und belastete eine Fläche von 1.800 bis 2.700 Quadratkilometern mit
mehr als 0,1 Curie (3,7 Gigabequerel) pro Quadratkilometer mit Strontium-90
und 0,3 Curie (11,1 Gigabequerel) pro Quadratkilometer mit Cäsium-137.
Die 4.800 Bewohner in der Nähe des Sees wurden mit einer Strahlendosis
von 13 Millisievert belastet.
Die Wasserreservoire. R-9 entspricht dem See Karatschai.
Die geplante und ungeplante Freisetzung von Radioaktivität
hat die Hintergrundstrahlung auf dem Gelände von Tscheljabinsk-65
auf Werte zwischen 0,1 Mikrogray und 0,3 Mikrogray pro Stunde angehoben
im Vergleich zu etwa 0,1 Mikrogray pro Stunde bei anderen Anlagen.
An Punkten entlang des Flusses Tetscha wurden Werte gemessen,
die um mindestens zwei Größenordnungen darüber lagen. In
Musljumovo, das 78 km von der Anlage entfernt liegt, wurden 3 bis 5 Mikrogray
pro Stunde gemessen und sogar 80 Mikrogray pro Stunde unter einer Brücke
der Hauptstraße in der Nähe der Baustelle für einen neuen
Brutreaktor.
1990 befanden sich im See Karatschai wahrscheinlich etwa
120 Millionen Curie (4,44 Millionen Terabequerel) Aktivität. Diese
Teilen sich auf in 98 Millionen Curie (3,63 Millionen Terabequerel) durch
Cäsium-137 und 20 Millionen Curie (0,74 Millionen Terabequerel) durch
Strontium-90. Eine Messung der Gammastrahlung auf der Seeoberfläche
ergab 30 bis 40 Milligray pro Stunde. Am Ufer waren durch hohe Konzentrationen
im Sand und im Sediment 0,18 bis 0,2 Gray pro Stunde zu messen. Die höchsten
Werte wurden mit 6 Gray pro Stunde am Einleitungsrohr festgestellt.
Durch die immer noch stattfindende Wiederaufarbeitung
werden jährlich mehr als 91 Millionen Curie (3.370 Millionen Gigabequerel)
Atommüll erzeugt. Davon sind etwa 1 Million Curie (37 Millionen Gigabequerel)
flüssiger mittel- und schwach-radioaktiver Abfall, der immer noch
in offene Reservoirs geleitet wird.
Verseuchung durch Cäsium-137 (li.) und Strontium
(re.).
Alle Unfälle wurden geheimgehalten und erst im Juni
1989 von der sowjetischen Regierung öffentlich zugegeben.
Die Zahlenwerte auf dieser Seite wurden dem Bellona-Bericht
, dem Film " Chelyabinsk - The Most
Contaminated Spot on the Planet ", dem Buch "Nuclear Wastelands" vom
IEER und einem Artikel vom IEER
aus "Science for Democratic Action" (Volume 1, Nr. 3, Herbst 1992) entnommen.