Bendler-Block
Eine
patriotische Vereinigung aus dem nördlichen Kreis Herzogtum Lauenburg hat am
16. Juli folgende Pressemitteilung verbreitet:
Schluß mit der Greuellüge von der Erschießung durch die Nazis im
Bendlerblock am 20. Juli 1944!
Da werden die Berlin‑Bonner
Regierenden auch dieses Jahr wieder ihre Trauerzeremonie im Innenhof des Bendlerblocks
abziehen und den Eindruck erwecken, die dort standrechtlich erschossenen von
Stauffenberg, Olbricht, von Quirnheim, von Haeften seien von dem Führer treu
ergebenen Truppen abgeknallt worden.
Diese Lüge muß ein Ende haben!
Denn in Wahrheit hat der im Frühjahr 1945 als Mittäter des Umsturzversuches
hingerichtete Generaloberst Fromm zur Vertuschung seiner Beteiligung an dem
Aktentaschenbombenattentat die schnelle Liquidierung der Haupttäter gegen den
ausdrücklichen Willen von Goebbels und entgegen der Weisung von Major Remer
durchführen lassen.
Es ist schon beachtlich, wie
einer, der 1939 bei Ausbruch des Krieges erst Oberleutnant war, erst am 1. Juli
1944 ‑ praktisch 3 Wochen vor dem Attentat ‑ zum Oberst ernannt
wird und so Chef des Generalstabes des Ersatzheeres des Herrn Fromm wird. Es
ist nicht bekannt, daß er seine Epeauletten, Auszeichnungen und Verwundungen im
aktiven Widerstand gegen Hitler erlitten hat. Offenbar war er ein treuer
Offizier des Führers, bis das Kriegsglück sich abwandte.
Über
die Ausführung seiner Tat gibt es keine geteilte Meinung, denn 4 völlig
unbeteiligte Anwesende in der Wolfschanze fanden den Tod. Daß zu diesen noch
der seinen Verwundungen erlegene Heinz Brandt ‑ 1936 Olympiasieger im
Jagdspringen in Berlin ‑ zu zählen ist, ist darum erwähnenswert, da
Brandt auch zum Kreis der Widerstandskämpfer zählte. Interessant auch der
Umstand, daß der spätere Bundeswehrgeneral Heusinger gerade halb auf dem
Kartentisch lag, als die Bombe hochging. Von seinem Widerstand ist bis heute
wenig bekannt.
Also werte Berliner Trauergemeinde,
nennen Sie endlich den wahren Schuldigen am Tod der im Bendlerblock
Erschossenen: Den offenbar seinen eigenen Kopf retten wollenden Herrn Fromm!
Reinhart
Eggert
Anmerkung. Wie aus mehreren Beiträgen auf dieser
Homepage hervorgeht, war Adolf Hitler ein Verbrecher, Massenmörder und
Verräter. Jeder Widerstand bis hin zum Tyrannenmord hatte seit der "Nacht
der langen Messer", spätestens seit Beginn der Judenvernichtung
unbestreitbare naturrechtliche Rechtfertigung. Das Schicksal meinte es gut mit
Hitler und schlecht mit dem deutschen Volk, daß vor dem 20. Juli 1944 über 30
Attentatsversuche auf den Diktator erfolglos blieben.
Entgegen anders lautender antideutscher Propaganda
hat kein Volk unter Gottes Sonne jemals so tapfer und opferbereit Widerstand
gegen eine verbrecherische Diktatur geleistet wie die Deutschen. Auf einem weiteren
Beitrag dieser Homepage sind die Zahlen der Deutschen aufgeführt, die wegen
ihrer Opposition zum Naziregime im KZ, Zuchthaus oder Gefängnis einsaßen.
Schon im meiner Schulzeit in den 1960er Jahren
hat mich regelmäßig verwundert, welcher Rummel um den 20. Juli gemacht wurde
und warum man kein Wort über die eigentlichen Helden des Widerstands aus SPD,
KPD, Gewerkschaften, Kirchen usw. verlor. Hinzu kam, daß meine lieben Eltern,
beide mit ehrlichem Herzen Mitglieder der NSDAP gewesen, wiederholt zum 20.
Juli äußerten, das sei feige und hinterhältig gewesen. Hitler hätte man Auge in
Auge mit der Pistole erledigen müssen.
Wenn ich es richtig erinnere, war der damalige
Bundespräsident Richard von Weizsäcker der erste, der anläßlich seiner Rede zum
8. Mai 1985 die Widerstands- und Opferrolle der Sozialdemokraten, Kommunisten
und Gewerkschafter gebührend erwähnte.
Reichswehr und Wehrmacht haben jämmerlich
versagt. Ihr "preußisches Offiziersethos" hat sich als hole Phrase
erwiesen. Viele der höchsten Offiziere habe sich von Hitler ganz erbärmlich
schmieren und durch Dotationen korrumpieren lassen, was ebenfalls auf dieser
Homepage nachgelesen werden kann. Deshalb ist es gänzlich unverständlich und
unangemessen, daß die Versager des 20. Juli 1944 jedenfalls in der Adenauer-Ära
hochgejubelt wurden. Das aber sind die alten "Eliten", die sich des
eigenen Vorteils wegen mit jeder Staatsform - sei sie auch verbrecherisch -
arrangieren.
Selbstverständlich bedürfen die Thesen des Herrn
Eggert der Überprüfung. Wie der nachfolgende - über 40 Jahre alte!!! - Text des
Amerikaners William L. Shirer belegt, hat Herr Eggert recht. Die
"Helden" des 20. Juli wurden nicht von den Nazis, sondern auf Befehl
des Generaloberst Fromm erschossen:
Stauffenbergs Ankunft brachte
die Verschwörer endlich in Bewegung. Noch von Rangsdorf aus drängte er
Olbricht, nicht auf sein Eintreffen in der Bendlerstraße zu warten ‑ die
Fahrt vom Flughafen nahm 45 Minuten in Anspruch ‑, sondern unverzüglich
»Walküre« in Gang zu setzen. Endlich hatte jemand einen Befehl erteilt ‑
ohne Befehle schienen deutsche Offiziere, selbst rebellische, selbst in einer
so entscheidenden Stunde, verloren zu sein‑, und die Verschwörer begannen
zu handeln. Oberst Merz von Quirnheim, Olbrichts Stabschef, ein naher Freund
Stauffenbergs, holte die »Walküre«-Befehle hervor und gab sie durch
Fernschreiber oder telefonisch weiter. Der erste ordnete die Alarmierung der
Truppen in und um Berlin an und der zweite, unterzeichnet von Witzleben als
»Oberbefehlshaber der Wehrmacht« und gegengezeichnet von Stauffenberg ‑ die
Befehle waren schon Monate vorher ausgefertigt worden ‑, gab bekannt, daß
Hitler tot sei und Witzleben die »vollziehende Gewalt« an die Wehrkreiskommandeure
und die Oberbefehlshaber der Fronttruppen übertrage. Feldmarschall von
Witzleben war überhaupt noch nicht in der Bendlerstraße. Er war nach dem
dreißig Kilometer entfernten Zossen gefahren, wo er mit dem Ersten
Generalquartiermeister Wagner konferierte. Man mußte ihn, ebenso wie Beck,
rufen lassen. Die beiden führenden Militärs der Verschwörung handelten an
diesem schicksalhaften Tag äußerst gemächlich.
Nach Ausgabe der ersten
Befehle, die zum Teil Fromms Namen trugen, ohne daß er es wußte, ging Olbricht
zu ihm und eröffnete ihm, Fellgiebel habe die Nachricht von Hitlers Tod
durchgegeben. Er drang in ihn, die Verantwortung für >Walküre< zu
übernehmen und für die Staatssicherheit Sorge zu tragen. Fromm, Befehlshaber
des Ersatzheeres, war in diesem Augenblick ein sehr wichtiger Mann. Aber er
zögerte: ehe er sich entschließe, wolle er einen definitiven Beweis für Hitlers
Tod haben.
In diesem Augenblick machte
Olbricht einen weiteren verhängnisvollen Fehler. Nach Stauffenbergs Anruf aus
Rangsdorf war er freilich überzeugt, daß Hitler tot sei. Auch wußte er, daß es
Fellgiebel gelungen war, die Telefonleitungen zu unterbinden. Kühn nahm er den
Hörer auf und verlangte ein Blitzgespräch mit Keitel. Zu seiner größten Überraschung
‑ inzwischen war die Verbindung, was Olbricht nicht wußte,
wiederhergestellt ‑ meldete sich Keitel fast sofort. Fromm übernahm den
Hörer:
FROMM: Was ist im
Hauptquartier los? In Berlin gehen wilde Gerüchte um.
KEITEL:
Was soll denn los sein? Es ist alles in Ordnung.
FROMM: Mir ist eben gemeldet
worden, der Führer sei einem Attentat zum Opfer gefallen.
KEITEL: Das ist Unsinn. Es hat
zwar ein Attentat stattgefunden, es ist aber zum Glück fehlgeschlagen. Der
Führer lebt und ist nur unwesentlich verletzt. Wo ist übrigens Ihr Chef des
Stabes, der Oberst Stauffenberg?
FROMM:
Oberst Stauffenberg ist noch nicht wieder bei mir eingetroffen.
Von diesem Augenblick an war
Fromm für die Verschwörung nicht mehr zu haben, und die Folgen waren
katastrophal. Olbricht verließ wie betäubt das Zimmer. Um diese Zeit traf
General Beck in der Bendlerstraße ein, um die Führung zu übernehmen. Er kam in
Zivil. Aber der Mann, der, wie jedermann bald merkte, wirklich die Führung
hatte, war Oberst Stauffenberg. Um 16.30 Uhr kam er außer Atem und ohne Mütze
die Treppe heraufgeeilt. Er berichtete kurz über die Explosion, die er selbst,
wie er betonte, aus etwa hundert Meter Entfernung beobachtet hatte. Als
Olbricht ihn mit der Bemerkung unterbrach, soeben habe Keitel am Telefon
versichert, Hitler sei nur leicht verletzt, erklärte Stauffenberg, Keitel lüge,
um Zeit zu gewinnen. Hitler müsse zumindest schwer verletzt sein. Jedenfalls
dürfe jetzt keine Minute mehr verloren werden, um das NS-Regime zu stürzen.
Beck stimmte zu. Es sei ihm gleichgültig, sagte er, ob der Despot noch lebe
oder tot sei. Man müsse weitermachen und sein verruchtes Herrschaftssystem
vernichten.
Das Übel war nur, daß die
Verschwörer nach dem verhängnisvollen Zeitverlust und in der momentanen
Verwirrung trotz aller Pläne nicht wußten, wie sie weitermachen sollten. Nicht
einmal als General Thiele mit der Nachricht kam, in Kürze werde der Rundfunk
Hitlers Errettung bekanntgeben, scheint es den Verschwörern eingefallen zu
sein, als erstes und unverzüglich die Rundfunksender zu besetzen, um diese
Durchsage zu verhindern und die Proklamationen der neuen Regierung zu senden.
Mochten hierfür auch noch keine Truppen zur Verfügung stehen, so hätte es doch
die Berliner Polizei übernehmen können. Denn der mitverschworene
Polizeipräsident Graf Helldorf hatte seine Kräfte bereits alarmiert und wartete
seit Mittag ungeduldig darauf, in Aktion treten zu können. Aber es kam kein
Anruf, und um 16 Uhr fuhr er schließlich in die Bendlerstraße, um zu erkunden,
was geschehen sei. Olbricht sagte ihm, die Polizei werde dem Befehl des Heeres
unterstellt werden. Aber bis zur Stunde gab es noch kein aufständisches Heer,
es gab nur konfus umherirrende Offiziere ohne Soldaten.
Statt dafür zu sorgen, daß die
Offiziere Soldaten erhielten, meldete Stauffenberg ein dringendes Gespräch mit
seinem Vetter Oberstleutnant Cäsar von Hofacker in General Stülpnagels
Hauptquartier in Paris an und drängte die dortigen Verschwörer zum Handeln.
Freilich war auch dies äußerst wichtig, denn das Komplott war in Frankreich
besser organisiert worden als irgendwo anders, außer in Berlin, und es waren an
ihm höchste Offiziere beteiligt. Tatsächlich sollte Stülpnagel mehr Energie
beweisen als die Generale im Zentrum des Aufstands. Bis zum Einbruch der
Dunkelheit hatte er sämtliche SS‑ und SD‑Leute, 1200 an der Zahl,
darunter den gefürchteten SS‑General Karl Oberg, verhaftet und hinter
Schloß und Riegel gebracht. Wäre man in Berlin an jenem Nachmittag mit gleicher
Energie und Planmäßigkeit vorgegangen, hätte die Geschichte einen anderen
Verlauf nehmen können.
Nachdem Stauffenberg Paris
alarmiert hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem sturen Fromm zu, dessen
Chef des Stabes er war und dessen Weigerung, noch mitzumachen, nachdem er mit
Keitel telefoniert hatte, den Erfolg des Unternehmens ernsthaft gefährdete. Da
Beck es nicht für richtig hielt, schon so früh in Erscheinung zu treten, gingen
Stauffenberg und Olbricht zusammen zu Fromm. Olbricht sagte zu Fromm,
Stauffenberg könne bestätigen, daß Hitler tot sei.
»Das ist doch unmöglich«, erwiderte Fromm scharf.
»Keitel hat mir das Gegenteil versichert. «
»Der Feldmarschall Keitel lügt
wie immer«, entgegnete Stauffenberg. »Ich habe selbst gesehen, wie man Hitler
tot hinausgetragen hat.«
Diese Äußerung seines Chef des
Stabes gab Fromm zu denken; eine Weile schwieg er. Aber als Olbricht Fromms
Unentschlossenheit auszunutzen versuchte und bemerkte, es sei jedenfalls
bereits das Stichwort für innere Unruhen, das heißt für »Walküre«, ergangen,
sprang Fromm auf und rief: »Das ist glatter Ungehorsam. Wer hat den Befehl
gegeben?«
»Mein Chef des Stabes, Oberst
Merz von Quirnheim«, erwiderte Olbricht. Fromm ließ Merz holen und sagte ihm,
er sei verhaftet. Stauffenberg machte nun eine letzte Anstrengung, seinen Chef
auf die Seite der Verschwörer zu ziehen. »Herr Generaloberst«, sagte er, »ich
habe die Bombe selbst während der Besprechung mit Hitler gezündet. Es hat eine Explosion
gegeben, als ob eine 15‑cm‑Granate eingeschlagen hätte. Niemand in
jenem Raum kann mehr leben.«
Aber Fromm ließ sich nicht
täuschen. »Graf Stauffenberg«, sagte er, »das Attentat ist mißglückt. Sie
müssen sich sofort erschießen.« Stauffenberg lehnte das kühl ab. Kurz darauf
erklärte Fromm Stauffenberg, Olbricht und Merz für verhaftet.
"Sie täuschen sich über
die wahren Machtverhältnisse", entgegnete Olbricht. "Wir verhaften
Sie."
Daraufhin kam es zu einem
Handgemenge, wobei Fromm ‑ einer der Versionen zufolge ‑ den
einarmigen Stauffenberg ins Gesicht geschlagen haben soll. Der General war
rasch überwältigt und entwaffnet und wurde im anschließenden Raum seines
Adjutanten unter Bewachung gestellt. Vorsichtshalber durchschnitten die
Rebellen die Telefonleitung des Raumes.
Als Stauffenberg in sein
Zimmer zurückkehrte, fand er dort den SS‑Oberführer Piffräder vor, der
sich kürzlich bei der Exhumierung und Vernichtung von 221.000 Leichen von Juden
hervorgetan hatte, die von den Einsatztruppen im Baltikum vor Einrücken der
Russen umgebracht worden waren. Piffräder war mit zwei Kriminalbeamten in Zivil
gekommen, um Stauffenberg zu verhaften. Doch dieser schloß alle drei in einem
leeren Nebenraum ein. Dann erschien General Kortzfleisch, der Kommandeur des Wehrkreises
III (Berlin‑Brandenburg), ein hundertprozentiger Nationalsozialist. Er
wollte wissen, was vor sich gehe, und verlangte Fromm zu sprechen. Man verwies
ihn an Olbricht, doch lehnte er es ab, diesen zu sprechen. Schließlich empfing
ihn Beck, und als Kortzfleisch sich als völlig unzugänglich erwies, wurde auch
er eingesperrt. Zu seinem Nachfolger wurde, wie geplant, General von Thüngen
ernannt.
Bei Piffräders plötzlichem
Auftreten ging Stauffenberg auf, daß man vergessen hatte, das Gebäude in der
Bendlerstraße mit Wachen zu umstellen. So wurde denn an den Eingängen eine
Abteilung des Wachbataillons Großdeutschland postiert, von der man annahm, sie
habe Wachdienst, was aber nicht der Fall war. Kurz nach 15 Uhr hatten also die
Rebellen wenigstens den Bendlerblock unter Kontrolle, sonst aber nichts in
Berlin. Was war mit den Truppen geschehen, die die Hauptstadt für die neue Regierung
in Besitz nehmen sollten?
Kurz nach 16 Uhr, als durch
Stauffenbergs Rückkehr endlich Leben in den Umsturzversuch gekommen war, hatte
der Kommandant von Berlin, General von Hase, den Kommandeur des Wachbataillons
Großdeutschland in Döberitz angerufen und ihm den Befehl gegeben, seine Truppen
in Marschbereitschaft zu setzen und sich selbst sofort in der Kommandantur
Unter den Linden zu melden. Der erst kürzlich ernannte Bataillonskommandeur war
ein Major Otto Remer, der an diesem Tag eine entscheidende Rolle spielen sollte
‑ eine andere allerdings, als die Verschwörer ihm zugedacht hatten. Da
seinem Bataillon eine äußerst wichtige Aufgabe zufiel, hatte man ihn
ausgehorcht und dabei festgestellt, daß er ein unpolitischer Offizier war, der
die Befehle seiner unmittelbaren Vorgesetzten befolgen würde. Seine Tapferkeit
stand außer Frage. Er war achtmal verwundet worden und hatte jüngst aus Hitlers
Hand das Ritterkreuz erhalten.
Remer setzte weisungsgemäß
sein Bataillon in Marsch und eilte in die Stadt, um Hases Befehle
entgegenzunehmen. Der General sagte ihm, Hitler sei einem Attentat zum Opfer
gefallen, und die SS plane einen Putsch. Daher solle er das Regierungsviertel
unter Einschluß des nahe beim Anhalter Bahnhof liegenden SS‑Reichssicherheitshauptamts
abriegeln. Bis 17.30 Uhr hatte Remer seinen Auftrag ausgeführt und meldete sich
dann in der Kommandantur zur Entgegennahme weiterer Befehle.
Und nun drängte sich ein
weiterer Statist, unbedeutender noch als Remer, auf die Bühne und verhalf
seinem Major dazu, der Verschwörung zum Verhängnis zu werden. Es war ein
Leutnant Dr. Hans Hagen, ein äußerst erregbarer und sehr von sich eingenommener
junger Mann, der Remers Wachbataillon als NS‑Führungsoffizier zugeteilt
worden war. Er war auch für das Propagandaministerium tätig und zur Zeit
eigentlich von Dr. Goebbels nach Bayreuth abkommandiert, wo er auf Wunsch
Martin Bormanns Material für eine Geschichte der NS-Kultur sammeln sollte.
Hagen war ganz zufällig in Berlin. Er wollte eine Rede zum Gedenken irgendeines
obskuren, an der Front gefallenen Schriftstellers halten und, da er nun einmal
in Berlin war, an jenem Nachmittag vor seinem Bataillon über NS‑Führungsfragen
sprechen. Er hielt leidenschaftlich gern Reden.
Auf der Fahrt nach Döberitz
war er einem Generalstabswagen begegnet, und der erregbare Leutnant glaubte,
darin Feldmarschall von Brauchitsch in voller Uniform erkannt zu haben. Sofort
kam ihm der Gedanke, die alten Generale müßten irgendeine Verräterei vorhaben.
Brauchitsch war zwar überhaupt nicht in Berlin, aber Hagen schwor, er habe ihn
gesehen. Als er bei Remer von den Befehlen zur Besetzung der Wilhelmstraße
erfuhr, verstärkte sich sein Verdacht. Er teilte ihn Remer mit, bat um ein
Motorrad und jagte in das Propagandaministerium, um Goebbels zu benachrichtigen.
Goebbels war gerade von Hitler
angerufen worden, der ihm von dem Attentat erzählte und ihn anwies, so bald wie
möglich über den Rundfunk bekanntzugeben, daß der Anschlag mißglückt sei.
Offenbar erfuhr Goebbels hierbei zum erstenmal von dem Vorfall. Hagen setzte
ihn nun über die Vorgänge in Berlin ins Bild. Goebbels war zunächst skeptisch,
doch Hagen empfahl ihm, doch einmal zum Fenster hinauszuschauen. Was er dort
sah, war für ihn überzeugender als das hysterische Gerede des Leutnants: Soldaten
waren im Begriff, das Ministerium zu umstellen. Der geistesgegenwärtige
Goebbels befahl Hagen, Remer sofort zu ihm zu schicken.
Während so die Verschwörer in
der Bendlerstraße dabei waren, mit Generalen in ganz Europa Verbindung
herzustellen und an einen so unbedeutenden Offizier wie Remer keinen Gedanken
verschwendeten, schickte Goebbels sich an, Fühlung mit dem Mann aufzunehmen,
auf den es im Augenblick am meisten ankam, mochte er auch einen niederen Rang
bekleiden.
Doch auch ohne dies wäre es zu
einer Fühlungnahme gekommen, denn Remer hatte mittlerweile Befehl erhalten, den
Propagandaminister zu verhaften. So hatte der Major doppelten Anlaß, zu
Goebbels zu gehen. Remer betrat das Propagandaministerium mit zwanzig Mann, die
er anwies, ihn aus dem Ministerbüro herauszuholen, falls er in wenigen Minuten
nicht zurückgekehrt sein sollte. Mit entsicherten Pistolen gingen er und sein
Adjutant in das Büro, um den wichtigsten der an diesem Tage in Berlin
anwesenden NS‑Beamten festzunehmen.
Eines der Talente von Joseph
Goebbels, die ihm ermöglicht hatten, im Dritten Reich zu seiner führenden
Stellung aufzusteigen, war seine Schlagfertigkeit in heiklen Situationen ‑
und die gegenwärtige Situation war die heikelste und gefährlichste in seinem
stürmischen Leben. Er gemahnte den jungen Major sofort an seinen Treueid auf
den Führer. Worauf Remer prompt erwiderte, Hitler sei tot. Goebbels: Der Führer
sei quicklebendig ‑ er habe gerade noch mit ihm telefoniert. Er werde es
beweisen, sagte Goebbels, nahm den Hörer auf und ließ sich mit dem
Führerhauptquartier verbinden. Wieder einmal rächte es sich, daß die
Verschwörer die Besetzung der Telefonämter versäumt hatten. In wenigen Minuten
war Hitler am Apparat, der sich bereit erklärte, mit dem Major zu sprechen.
Goebbels übergab Remer rasch den Hörer. Ob er seine Stimme erkenne, fragte
Hitler den Major. Wer in Deutschland kannte nicht diese Stimme? Der Major
schlug die Hacken zusammen, und Hitler befahl ihm, den Aufstand
niederzuschlagen und allein den Befehlen von Goebbels, Himmler, den er soeben
zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt habe, sowie von General Reinecke
Folge zu leisten, den er angewiesen habe, das Kommando über alle in Berlin
liegenden Truppen zu übernehmen. Außerdem beförderte Hitler den Major zum Obersten.
Das genügte Remer. Er hatte
nun einen Befehl von höchster Stelle und begab sich energisch an dessen
Ausführung. Er zog sein Bataillon aus dem Regierungsviertel zurück, besetzte
die Kommandantur Unter den Linden, sandte Erkundungstruppen aus, um etwa in die
Stadt einrückende Truppen aufzuhalten und machte sich selbst auf den Weg, die
Lage in der Bendlerstraße zu erkunden, um die Hauptverschwörer festnehmen zu
können.
Warum die aufständischen
Offiziere Remer eine so entscheidende Rolle anvertraut hatten, warum sie ihn
nicht im letzten Augenblick durch einen Mann ersetzten, der mit Leib und Seele
zur Verschwörung gehörte, oder nicht wenigstens dem Wachbataillon einen
zuverlässigen Offizier zuteilten, der dafür hätte sorgen können, daß Remer
ihren Befehlen nachkam ‑ das alles gehört zu den vielen Rätseln des 20.
Juli. Und warum nahmen sie nicht sofort Goebbels fest, den wichtigsten und
gefährlichsten NS‑Führer in Berlin? Eine Handvoll von Graf Helldorfs
Polizisten hätte dies in zwei Minuten besorgen können, denn das
Propagandaministerium war völlig unbewacht. Und warum besetzten die Verschwörer
nicht das Gestapo‑Hauptquartier in der Prinz‑Albrecht‑Straße,
um die Geheimpolizei auszuschalten und gleichzeitig die dort inhaftierten
Kameraden, wie Leber und andere, zu befreien? Auch das Gestapo‑Hauptquartier
war buchstäblich unbewacht, und ebenso das Reichssicherheitshauptamt, dieses
Nervenzentrum der SS und des SD, das, wie man hätte annehmen sollen, zu
allererst hätte besetzt werden müssen. Auf alle diese Fragen gibt es keine
Antwort.
Remers rasche Kehrtwendung
blieb der Bendlerstraße geraume Zeit verborgen. Offenbar wußte man dort
überhaupt sehr wenig über das, was in Berlin vor sich ging, bis es dann zu spät
war. Und noch heute ist es schwierig, die Vorgänge zu klären, denn die
Augenzeugenberichte sind voll von verwirrenden Widersprüchen. Wo blieben die
Panzer, wo die Truppen der außerhalb liegenden Garnisonen?
Nach 18.30 Uhr gab der
Deutschlandsender eine Sondermeldung durch: Es sei ein Attentat auf den Führer
verübt worden, aber gescheitert. Das war ein schwerer Schlag für die bedrängten
Männer in der Bendlerstraße, aber auch ein Zeichen dafür, daß die mit der
Besetzung des Rundfunkhauses betraute Truppenabteilung ihren Auftrag nicht
erfüllt hatte, Goebbels hatte, noch während er auf Remer wartete, den Text der
Sondermeldung telefonisch zum Funkhaus durchgeben können. Um 18.45 Uhr ließ
Stauffenberg durch Fernschreiben den Kommandeuren des Heeres mitteilen, die
Rundfunkmeldung sei eine bewußte Irreführung, und Hitler sei tot. Aber der mit
Goebbels' Sondermeldung angerichtete Schaden war kaum noch wiedergutzumachen.
Die Kommandierenden in Prag und Wien, die bereits im Begriff gewesen waren, SS‑
und Parteiführer zu verhaften, begannen umzuschwenken. Um 20.20 Uhr gelang es
dann Keitel, an alle Befehlshaber ein Fernschreiben durchzugeben: »Der Führer
hat mit sofortiger Wirkung den Reichsführer SS Himmler zum Befehlshaber des
Ersatzheeres ernannt ... Es sind Befehle nur vom Reichsführer SS und von mir
entgegenzunehmen. Etwaige Befehle von Fromm, von Witzleben oder Hoepner sind
ungültig.« Die Sondermeldung des Deutschlandsenders und Keitels Fernschreiben
waren, wie wir noch sehen werden, für das Verhalten des Feldmarschalls von
Kluge ausschlaggebend, der in Frankreich im Begriff gewesen war, sich auf die
Seite der Verschwörer zu schlagen.
Selbst die Panzer, auf deren
Eintreffen die aufständischen Offiziere so sehr gezählt hatten, erschienen
nicht. Der Kommandeur der Panzertruppenschule II in Krampnitz, Oberst Wolfgang
Gläsemer, hatte von den Verschwörern den Befehl erhalten, mit seinen Panzern in
die Stadt zu fahren und sich selbst zur Entgegennahme weiterer Instruktionen in
der Bendlerstraße zu melden. Aber der Oberst wollte an einem Putsch gegen die
Nationalsozialisten nicht teilnehmen, und Olbricht mußte ihn, nachdem er
vergeblich in ihn gedrungen war, ebenfalls festnehmen. jedoch gelang es
Gläsemer, seinem Ordonnanzoffizier, der nicht verhaftet wurde, zuzuflüstern, er
solle die Generalinspektion der Panzertruppen in Berlin informieren und dafür
sorgen, daß nur die Befehle der Generalinspektion befolgt würden.
So kam es, daß die dringend
benötigten Panzer, mochten auch einige schon an der Siegessäule stehen, den
Aufständischen vorenthalten wurden. Oberst Gläsemer entkam durch eine List: Er
sagte dem ihn bewachenden Offizier, er sei nun entschlossen, Olbrichts Befehlen
nachzukommen, und wolle selbst das Kommando über seine Panzertruppen
übernehmen, woraufhin er aus der Bendlerstraße entschlüpfte. Bald wurden die
Panzer aus Berlin zurückgezogen.
Kurz vor 20 Uhr erschien
endlich Feldmarschall von Witzleben ‑ in voller Uniform, mit Mütze und Marschallstab
‑ in der Bendlerstraße, um sein Amt als neuer Oberbefehlshaber der
Wehrmacht anzutreten. Offenbar erkannte er sofort, daß der Putsch
fehlgeschlagen war. Er machte Beck und Stauffenberg eine Szene: sie hätten die
ganze Sache verpatzt. Vor dem Volksgerichtshof erklärte er später, als er
gehört habe, daß man nicht einmal die Rundfunksender besetzt habe, sei er sich
über das Mißlingen des Unternehmens im klaren gewesen. Aber er selbst hatte
nichts zum Gelingen beigetragen während der langen Stunden, in denen er dank
seiner Autorität als Feldmarschall mehr Truppenkommandeure in Berlin und
anderswo hätte gewinnen können. Nach dreiviertelstündigem Aufenthalt in der
Bendlerstraße verließ er wieder das Gebäude ‑ und damit auch die
Verschwörung, nun, da ihr Scheitern ihm sicher erschien‑, fuhr in seinem
Mercedes nach Zossen zurück, wo er sieben entscheidende Stunden vertan hatte,
sagte dem Ersten Generalquartiermeister Wagner, der Aufstand sei
fehlgeschlagen, und fuhr dann weiter auf seinen fünfzig Kilometer entfernten
Landsitz, wo er am Tage darauf von einem General namens Linnertz verhaftet
wurde.
Nunmehr
hob sich der Vorhang vor dem letzten Akt.
Kurz nach 21 Uhr vernahmen die
Verschwörer wie betäubt aus dem Deutschlandsender, daß der Führer im späteren
Verlauf des Abends zum deutschen Volk sprechen werde. Wenige Minuten später
erfuhren sie, daß General von Hase von dem nunmehrigen Oberst Remer verhaftet
worden sei und daß der nationalsozialistische General Reinecke mit
Unterstützung der SS den Befehl über alle Berliner Truppen übernommen habe und
einen Angriff auf die Bendlerstraße vorbereite.
Die SS hatte sich endlich
gesammelt, was hauptsächlich auf das energische Eingreifen des Mussolini‑Entführers
Otto Skorzeny zurückzuführen war. Ohne zu ahnen, was an diesem Tage vor sich
ging, hatte Skorzeny um 18 Uhr den Nachtzug nach Wien bestiegen, war aber in
Lichterfelde, wo SS‑Brigadeführer Schellenberg, der zweite Mann im SD,
den Zug anhalten ließ, wieder herausgeholt worden. Skorzeny fand das SD-Hauptquartier
im Zustand äußerster Hysterie vor, aber kaltblütig, wie er war, und als guter
Organisator, trieb er rasch seine bewaffneten Kräfte zusammen und ging ans
Werk. Er war es, der als erster die Formationen der Panzerschule überredete,
Hitler treu zu bleiben.
Die entschlossene Gegenaktion
des Führerhauptquartiers, Goebbels' Geistesgegenwart, das Wiedererscheinen von
SS‑Verbänden in Berlin und die unglaubliche Konfusion und Inaktivität der
Aufrührer in der Bendlerstraße waren die Ursache dafür, daß eine ganze Menge
Armeeoffiziere, die nahe daran gewesen waren, sich auf die Seite der
Verschwörer zu schlagen, oder es schon getan hatten, sich eines anderen
besannen. Zu ihnen gehörte auch General Otto Herfurth, Chef des Stabes im
Wehrkreiskomniando III, der zunächst mitgemacht und sich bemüht hatte, Truppen
heranzuschaffen, und dann, als er sah, wie die Dinge liefen, überwechselte und
um 21.30 Uhr im Führerhauptquartier anrief, er sei dabei, den Militärputsch
niederzuschlagen. (Trotz dieses Verrats wurde er später als Mitwisser
hingerichtet.)
Inzwischen rührte sich General
Fromm, der wegen seiner Weigerung, sich dem Aufstand anzuschließen, in Ehrenhaft
genommen worden war. Um 20 Uhr etwa, nachdem er vier Stunden in seinem
Adjutantenzimmer eingesperrt gewesen war, bat er um Erlaubnis, sich in seine im
unteren Stockwerk gelegene Dienstwohnung zurückziehen zu dürfen. Er gab sein
Ehrenwort, daß er nicht versuchen werde, zu entweichen oder mit der Außenwelt
Verbindung aufzunehmen. General Hoepner erteilte die Genehmigung und schickte
Fromm auch noch belegte Brote und eine Flasche Wein ins Zimmer. Kurz zuvor
waren drei Generale von Fromms Stab erschienen, hatten es abgelehnt, sich an
dem Aufstand zu beteiligen, und verlangt, zu ihrem Chef geführt zu werden.
Unerklärlicherweise führte man sie in Fromms Dienstwohnung. Zwar wurden auch
sie unter Arrest gestellt aber Fromm beschrieb ihnen, wie sie durch einen wenig
benutzten Nebenausgang entweichen könnten. Sein Ehrenwort brechend, befahl er
den drei Generalen, Hilfe herbeizuschaffen, das Gebäude zu erstürmen, ihn zu
befreien und die Revolte niederzuschlagen. Die Generale entkamen unbemerkt.
Aber schon hatten auch einige
Offiziere aus Olbrichts Amt, die zunächst mitgemacht oder abwartend beobachtet
hatten, welchen Verlauf die Dinge nehmen würden, zu merken begonnen, daß der
Aufstand schief ging. Einer von ihnen, Oberstleutnant Franz Herber, ehemaliger
Polizeioffizier und überzeugter Nationalsozialist, hatte aus dem Spandauer
Zeughaus Waffen und Munition holen lassen und sie im zweiten Stockwerk
versteckt. Um 22.30 Uhr meldeten sich die Offiziere bei Olbricht und verlangten
von ihm genaue Auskunft über seine und seiner Freunde Absichten. Der General
gab ihnen die gewünschte Aufklärung, und sie zogen sich wortlos zurück.
Zwanzig Minuten später
erschienen sie wieder ‑ es waren sechs oder acht, und ihre Anführer waren
Herber und Oberstleutnant Bodo von der Heyde. Diesmal kamen sie mit Waffen und
forderten von Olbricht Rechenschaft. Auf den Lärm hin betrat Stauffenberg das Zimmer
und wurde festgenommen. In dem Gedränge gelang es ihm, auf den Flur zu
entweichen. Doch man folgte ihm, schoß hinter ihm her und traf seinen Arm. Die
Konterrebellen begannen nun eine wilde Schießerei, bei der aber offenbar sonst
niemand getroffen wurde. Dann stießen sie in den Flügel vor, in dem sich das
Hauptquartier der Verschwörung befunden hatte, und führten Beck, Hoepner,
Olbricht, Stauffenberg, Haeften und Merz in Fromms Dienstzimmer. Kurz darauf
erschien Fromm selbst, mit einer Pistole in der Hand.
»So, meine Herren«, sagte er,
»jetzt werde ich mit ihnen so verfahren wie Sie am Nachmittag mit mir.«
Das
aber tat er ganz und gar nicht.
»Legen
Sie die Waffen ab !« befahl er und erklärte die Anwesenden für verhaftet.
Beck griff nach seiner Pistole
und sagte ruhig: »An mich, Ihren alten Vorgesetzten, werden Sie diese Forderung
nicht stellen wollen. Ich werde aus dieser unglücklichen Situation die
Konsequenzen selbst ziehen.«
»Richten
Sie die Pistole nicht auf mich«, rief Fromm drohend.
Der seltsame Mangel an
Tatkraft bei dem kultivierten, hervorragenden ehemaligen Generalstabschef hatte
ihn schließlich zu dieser größten Prüfung seines Lebens geführt. Er haftete ihm
bis zu seinem Ende an.
»Ich denke in diesem
Augenblick an die Zeit von früher ... «, begann er, aber Fromm unterbrach ihn:
»Die
wollen wir jetzt nicht erörtern. Jedenfalls bitte ich, zu handeln.«
Beck tat es. Er drückte auf
den Abzug, aber die Kugel streifte nur seinen Kopf. Leicht blutend, sank er in
einen Sessel.
»Helfen Sie dem alten Herrn«,
befahl Fromm zwei jüngeren Offizieren. Doch als diese versuchten, Beck die
Pistole zu nehmen, widersetzte er sich.
Nunmehr wandte Fromm sich den
übrigen Anwesenden zu: »Und Sie, meine Herren, wenn Sie noch irgend etwas
aufzuschreiben haben, Sie haben noch einen Augenblick Zeit.« Olbricht und
Hoepner baten um Papier und schrieben Abschiedsbriefe an ihre Frauen. Stauffenberg,
Merz, Haeften und die anderen blieben schweigend stehen. Fromm verließ den
Raum.
Er hatte sich rasch
entschlossen, diese Männer zu beseitigen, nicht allein, um die Spuren zu
verwischen ‑ denn wenn er auch eine aktive Teilnahme an dem Komplott
abgelehnt, so hatte er doch seit Monaten davon gewußt und keine Meldung
erstattet ‑, sondern auch, um sich bei Hitler als der Mann in Gunst zu
setzen, der die Revolte niedergeschlagen hatte. Hierzu war es zwar zu spät,
aber Fromm war sich darüber nicht im klaren.
Nach einigen Minuten kehrte er
zurück und verkündete, er habe »im Namen des Führers« ein »Standgericht«
einberufen, das soeben gegen vier Offiziere das Todesurteil ausgesprochen habe:
"Oberst im generalstab Merz, General der Infantrie Olbricht, diesen
Oberst, dessen Namen ich nicht mehr kenne [Stauffenberg], und diesen
Oberleutnant [Haeften]."
Olbricht und Hoepner schrieben
noch an ihren Briefen. Beck lag mit blutüberströmtem Gesicht im Sessel
ausgestreckt. Die vier zum Tode »verurteilten« Offiziere standen stumm wie
Marmorsäulen.
»So, meine Herren«, sagte
Fromm nun zu Olbricht und Hoepner, »sind Sie fertig? Bitte, beeilen Sie sich,
damit es für die anderen nicht zu schwer wird.«
Hoepner beendete seinen Brief
und ließ ihn auf dem Tisch liegen. Olbricht bat um einen Umschlag, steckte
seinen Brief hinein und klebte den Umschlag zu. Beck, der wieder zu sich
gekommen war, verlangte eine andere Pistole. Stauffenberg, dessen Ärmel mit
Blut getränkt war, und seine drei »verurteilten« Gefährten wurden abgeführt.
Fromm forderte Hoepner auf, ihm zu folgen.
Unten im Hof, im trüben Licht
der wegen Verdunkelung abgeblendeten Scheinwerfer eines Kraftwagens wurden die
vier Offiziere von einem Hinrichtungskommando erschossen. »Offenbar wurde die
Hinrichtung«, schreibt Zeller, »im Tumult und in der durch Luftgefahr üblich
gewordenen Verdunkelung nur wenig beobachtet.« Stauffenberg starb mit dem Ruf:
»Es lebe unser heiliges Deutschland!«
Unterdessen stellte Fromm den
mit ihm befreundeten Hoepner vor die Wahl, sich entweder das Leben zu nehmen
oder sich verhaften zu lassen. Hoepner erwiderte, er fühle sich nicht schuldig
und könne rechtfertigen, was er getan habe.
Während er abgeführt wurde,
hörte er aus dem Nebenzimmer Becks müde Stimme: »Wenn es diesmal nicht klappt,
dann helfen Sie mir bitte.« Dann fiel ein Schuß. Auch Becks zweiter Versuch
schlug fehl. Fromm schaute hinein und sagte wiederum zu einem Offizier: »Helfen
Sie dem alten Herrn! Der Offizier brachte es nicht fertig, den Gnadenschuß zu
geben, und überließ das einem Feldwebel.
Mitternacht war inzwischen
vorüber. Der einzige ernsthafte Aufstand, der in den elfeinhalb Jahren des Dritten
Reiches gegen Hitler versucht wurde, war in elfeinhalb Stunden erstickt worden.
Skorzeny traf mit starken SS‑Kräften in der Bendlerstraße ein, untersagte
weitere Hinrichtungen ‑ als Polizeimann wußte er zur Genüge, daß man
Leute, aus denen man mit Hilfe der Folter noch mancherlei über den Umfang des
Komplotts herauspressen konnte, nicht töten durfte ‑, legte den übrigen
Verschwörern Handschellen an, ließ sie in das Gestapogefängnis in der Prinz‑Albrecht‑Straße
bringen und beauftragte Kriminalbeamte, nach belastenden, nicht rechtzeitig
vernichteten Dokumenten zu suchen. Himmler, der ein wenig früher in Berlin
angekommen war, schlug vorübergehend in dem jetzt von Remers Wachbataillon
geschützten Propagandaministerium sein Hauptquartier auf, rief Hitler an und
meldete ihm, die Revolte sei niedergeschlagen.
Quelle: "Aufstieg und Fall
des Dritten Reiches" von William L. Shirer, S. 965 - 974