blogs & news & more/news/01.10.2000

Mehrheitliche Beteiligung von Neckermann bei Hess-Natur

Von Jens Heisterkamp

1.10.2000


Das Naturtextilienversandhaus Hess Natur galt über Jahre als Vorzeigeunternehmen im Bereich alternativer Wirtschaft, das durch ein vielfältiges Engagement von der konsequent ökologischen Produktion über großzügige Mitarbeiterschulung bis hin zum kulturellen Sponsoring Maßstäbe setzte. Hess Natur schien zu beweisen, dass Wirtschaften auch jenseits bloßer Profitgesichtspunkte machbar ist. Hatte schon die im Sommer angekündigte Entlassung von 70 der bisher 320 Mitabeiter für Irritationen gesorgt, traf die jetzt bekannt gewordene mehrheitliche Übernahme des Unternehmens durch den Versandriesen Neckermann, die ab Januar 2001 in Kraft tritt, viele wie ein Schlag. Info3 sprach mit dem Unternehmer und bisherigen Geschäftsführer Heinz Hess. Info3: Herr Hess, Ihr Unternehmen galt stets als Vorreiter in der alternativen Wirtschaft. Der jetzt angekündigte Zusammenschluss mit Neckermann wirkt auf viele wie das Ende eines Hoffnungsträgers. Wie schwer ist Hess Natur angeschlagen?

Hess: Das Geschäft mit den Ökotextilien lahmt, das muss man einfach sagen, nachdem es in den Jahren zuvor - insbesondere seit Mitte der Neunzigerjahre - sehr stark expandiert hatte; dann flachte es ab. Weil es aber auch in der Vergangenheit immer wieder einmal solche Wellenbewegungen gab, hatte ich damit gerechnet, dass es auch wieder aufwärts geht. Darauf war das Unternehmen ausgerichtet. Nachdem das aber nun einige Jahre lang ausgeblieben ist, mussten einfach Maßnahmen ergriffen werden. Da war zunächst eine personelle Reduzierung nötig. Um die übrigen Arbeitsplätze zu sichern, war dann eine Kooperation mit einem starken Partner einfach eine Notwendigkeit. Ebenso, um unsere strategischen Ziele zu verwirklichen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung der ökologischen Kriterien, der Kollektion einen modernen Stil zu geben oder neue Kundengruppen zu erschließen. Wie man hörte, wurde Ihnen von Seiten der Banken zuletzt auch Ihr soziales und kulturelles Engagement zum Vorwurf gemacht.

Hess: So lange es gut geht, werden solche Engagements natürlich begrüßt. Wenn nicht, ist man da schnell mit der Kritik bei der Hand. Ich finde nach wie vor, dass Unternehmen auch die Verpflichtung haben, solche Engagements einzugehen, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch außerhalb Kultur zu fördern. Auch die Art, wie wir unser Gebäude in Butzbach nach baubiologischen und ästhetischen Aspekten gestaltet haben, wird uns jetzt teilweise zum Vorwurf gemacht - ein multifunktionales Gebäude wäre billiger gewesen und ließe sich natürlich auch besser untervermieten. Wie wird die Zusammenarbeit mit Neckermann aussehen? Mehrheitliche Beteiligung bedeutet ja wirtschaftlich eine Übernahme Ihres Unternehmens.

Hess: Ich bin allerdings weiterhin Gesellschafter, aber ich werde sicher nicht mehr allein verantwortlicher Geschäftsführer sein. Dennoch arbeite ich auch weiterhin an einer entscheidenden Stelle, um die Werte, die Hess Natur ausmachen, zu bewahren und weiterzuentwickeln. Werden Sie dabei das, was bisher als besondere Firmenkultur entstanden ist, unter dem Schatten dieses Riesen - Neckermann macht immerhin rund 3 Milliarden Jahresumsatz - erhalten können?

Hess: Ich habe zuvor mit mehreren möglichen Partnern gesprochen. Ich bin der festen Überzeugung, dass bei Neckermann die Unternehmenskultur von Hess Natur erhalten werden kann, weil die Zusammenarbeit auch für Neckermann nur Sinn macht, wenn die ökologischen Werte und auch das kulturelle Profil unseres Unternehmens beibehalten werden. Es würde keinen Sinn machen, unser Angebot mit dem, was Neckermann im Bekleidungssektor macht, auf eine Ebene zu bringen. Wird sich die Zusammenarbeit mit Neckermann im nächsten Hess Natur-Katalog schon irgendwie bemerkbar machen, etwa in der Produktpalette?

Hess: Ganz bestimmt nicht negativ. Hätte man diese Entwicklung anders steuern können? Gibt es da einen Punkt wo Sie heute sagen, das hätte ich vielleicht anders machen sollen?

Hess: Ich hätte sicher früher bremsen sollen. Hess Natur war auf Expansion eingestellt. Wenn ein Unternehmen aber erst einmal eine gewisse Größe erreicht hat, ist es schwer, das Ruder herumzureißen. Zuerst hofft man auch noch, dass es wieder besser geht; dann ist es oft zwar nicht zu spät, aber doch sehr spät. Wie ist die Stimmung innerhalb des Unternehmens nach der Entscheidung?

Hess: Die Unsicherheit, ob es bei der Entlassung der 70 Mitarbeiter bleiben würde, ist vorbei; da ist bei den Mitarbeitern jetzt eher eine positive Stimmung zu spüren.

Die Fragen stellte Jens Heisterkamp