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Vor 125 Jahren wurden zwei Marsmonde entdeckt

Die Söhne des Kriegsgottes

Von Christian Pinter

Geboren am 15. Oktober 1829 in Goshen, Connecticut, beginnt der Uhrmachersohn Asaph Hall zunächst eine Zimmermannlehre. 1856 wendet er sich der Astronomie zu, obwohl man ihm weissagt, er werde dabei verhungern. Er nimmt eine schlecht bezahlte Stelle am Observatorium in Harvard, Massachusetts, an. 1862 kommt er nach Washington. Dort hat die Marine 1830 zunächst ein Depot zum Eichen und Pflegen von Schiffs-Chronometern eingerichtet, zumal acht von zehn Schiffen ohne korrekte Navigationsinstrumente auslaufen. Die präzise Uhrzeit wird aus Himmelsbeobachtungen ermittelt. 1843 zieht man einen zweigeschossigen Ziegelbau westlich des Weißen Hauses hoch. Später wird darauf eine mächtige Kuppel für das beim Optiker Alvan Clark bestellte Riesenfernrohr gesetzt. Mit 66 cm Öffnung ist es ab 1873 das mächtigste Linsenteleskop der Welt. Sieben Jahre später wird Wien mit dem Großen Refraktor diesen Rang übernehmen.

Die Versuchung ist groß, das Rekordinstrument des Naval-Observatoriums sofort für neue Entdeckungen im Sonnensystem zu nützen. Direktor Simon Newcomb und Astronom Edward Holden versuchen das zwei Jahre lang. Dann endlich darf Asaph mit dem Gerät arbeiten. 1876 mustert er den Ringplaneten Saturn. Ein helles Gebilde ist in seiner Atmosphäre erschienen. Hall verfolgt es fast einen Monat lang, errechnet so die exakte Dauer der Saturnrotation. Das Ergebnis weicht um mehrere Minuten vom publizierten Wert ab. Hall beginnt, die in Büchern abgedruckten Daten kritisch zu hinterfragen; er zweifelt bald auch an der Behauptung, der Planet Mars besäße keinen Mond.

Damals kennt man 18 Planetenmonde: Je einen bei der Erde und Neptun, je vier bei Jupiter und Uranus. Um Saturn sieht man acht. Merkur, Venus und offenbar auch Mars sind ohne Begleiter. Die letzten Mondentdeckungen liegen 26 Jahre zurück: 1851 hat William Lassell die Uranussatelliten Ariel und Umbriel aufgestöbert. Seine Versuche, auch Marsmonde zu finden, sind gescheitert. Genauso wie die Bemühungen von William Herschel 1783, Johann Heinrich Mädler oder Heinrich d'Arrest 1864. Mädler zog 1867 Bilanz über Mars: "Ihm selbst fehlt ein Mond, oder dieser müsste von einer Kleinheit sein wie kein anderer Weltkörper. Hätte ein Marsmond auch nur 3 Meilen Durchmesser, er könnte uns in günstigen Oppositionen nicht verborgen bleiben". Die drei genannten deutschen Meilen entsprechen 22 km.

Lichtpunkte

1877, drei Jahre nach Mädlers Tod, steht eine besonders günstige Mars-opposition ins Haus. Nur 56 Mio. km werden den Nachbarplaneten von der Erde trennen. Hall weiß: Wenn es einen Mond gibt, muss dieser ganz eng um Mars kreisen. Ansonsten hätten ihn die anderen, renommierten Astronomen längst entdeckt. Obwohl die Chancen auf Erfolg denkbar schlecht stehen, ermutigt Angeline Hall ihren Gatten zur Suche. Dieser richtet nun das mächtige Teleskop bei 400-facher Vergrößerung auf Mars, der hell im Sternbild Wassermann glänzt; Saturn leistet ihm dort Gesellschaft.

In Mailand stellt Giovanni Schiaparelli das kleine Marsscheibchen exakt in die Mitte des teleskopischen Bildfelds, um die Marsoberfläche zu kartieren. Er wird dabei die vermeintlichen "Kanäle" entdecken, die später wilde Spekulationen über intelligente Lebewesen auf der fremden Welt auslösen. Anders Hall. Er muss Mars "loswerden", weil dieser Hunderttausende Mal kräftiger leuchtet als ein etwaiger Mond. Der gesuchte Trabant würde in seiner Lichtfülle glatt "ertrinken". So rückt Hall den Planeten aus dem Blickfeld, hält ihn haarscharf außerhalb. Dann sucht er den entsprechenden Bildrand nach einem extrem schwachen Lichtpunkt ab.

Der 47-Jährige will die Kuppel dabei ganz für sich allein. Er ist sicher, dass Newcomb und Holden bereits nach Marsmonden gefahndet haben. "Gerade noch rechtzeitig", stellt er zufrieden fest, ist Holden nach New York eingeladen worden. Am 10. August 1877 findet Asaph nichts. In der nächsten Nacht erahnt er um 2.30 Uhr ein Lichtpünktchen knapp beim Planeten. Ist es nur einer der vielen Fixsterne - oder doch mehr ?

"Ein schwacher Stern nahe Mars", trägt Hall in das Beobachtungsbuch ein. Dann vereitelt aufsteigender Nebel jede weitere Beobachtung. Erst am 16. sieht er das Objekt wieder. Am 17. stößt er, noch knapper bei Mars, auf ein zweites. Asaph ist aufgeregt. Er kann nicht anders, als die Neuigkeiten Newcomb mitzuteilen. In den nächsten Nächten macht man genaue Positionsmessungen. Das bringt Klarheit. Hall hat tatsächlich zwei Marsmonde entdeckt.

Kampfgetümmel

Newcomb relativiert in einem Artikel der "New York Tribune" die Rolle Halls beim Fund der beiden Monde. Holden meldet sich aus New York mit einem 3. Marsmond, dem er später noch einen 4. nachreicht. Doch das sind bloß Fixsterne, vor denen Mars gerade vorbei gezogen ist.

Halls Monde geraten zur Sensation. Der "Scientific American" wertet sie als wahren "Triumph" für Hall und den Instrumentenbauer Alvan Clark. Das britische Journal "Nature" spricht von einer "außergewöhnlichen Entdeckung", die der amerikanischen Wissenschaft zur "höchsten Ehre" gereiche. Neptun-Entdecker Le Verrier rühmt sie in Paris gar als "eine der wichtigsten" der modernen Astronomie.

Der Engländer Henry Madan schlägt zwei passende Namen für die Funde vor. Mars ist die römische Entsprechung des griechischen Kriegsgottes Ares. Dessen Söhne und Begleiter heißen in der Mythologie Phobos - "Furcht" - und Deimos - "Schrecken". Sie spornen die eigenen Kämpfer an, während sie die Reihen der Feinde aufbrechen. Hätte Holden tatsächlich einen dritten Mond entdeckt, wäre dieser vielleicht Enyo getauft worden. Diese Ares-Gefährtin galt den Griechen als Personifikation des Kampfgetümmels.

Deimos und Phobos geben Rätsel auf. Kepler, Swift und Voltaire haben in ihren Werken schon lange vor Hall zwei Marsmonde beschrieben. Wie konnten sie deren Existenz ahnen?, fragt man neugierig. Nun, Johannes Kepler hörte 1610 in Prag von den ersten Fernrohrbeobachtungen Galileis. Dabei war der Italiener auf vier Jupitermonde gestoßen. Kepler dachte stets in Proportionen: Wenn die Erde einen, Jupiter vier Monde hatte, sollte der dazwischen kreisende Mars eben zwei besitzen.

Später schickte Galilei Kepler noch ein Buchstabenrätsel, in dem er eine ihm unverständliche Beobachtung verpackte - zur Prioritätssicherung. Dabei ging es um Saturn, der Galilei vermeintlich "dreifach" erschienen war. Wie sich später heraus stellte, war es der Saturnring, der für den verwirrenden Eindruck gesorgt hatte. Doch Kepler war von der Existenz der Marsmonde so sehr überzeugt, dass er die Buchstaben völlig falsch zusammen setzte. Er glaubte, Galilei hätte damit bereits die geglückte Entdeckung der beiden Marssatelliten gemeldet.

Keplers Gedanken fanden in die Satire "Gullivers Reisen" Eingang, die Jonathan Swift 1726 veröffentlichte. Darin erzählt der anglo-irische Schriftsteller von den Astronomen der Insel Laputa, die mit überlegenen Teleskopen zwei Monde des Mars studiert hätten. Von Swift beeinflusst, schrieb Voltaire 1752 seine Erzählung "Micromégas" - und schenkte Mars nun ebenfalls zwei Trabanten.

Aus der Bewegung von Phobos und Deimos ermittelt Hall die Masse des Mars mit bisher ungeahnter Genauigkeit. Sie beträgt nur ein Neuntel von jener der Erde. Über die Begleiter selbst kann er wenig sagen - sie bleiben auch bei höchster Vergrößerung nur Pünktchen. Lichtschwach wie sie sind, kann es sich nur um extrem kleine Himmelskörper handeln. Als Hall, mittlerweile mehrfach ausgezeichnet, 1907 stirbt, schreibt man ihnen Durchmesser unter 9 km zu. Zum Vergleich: Der Erdmond ist 3.476 km groß. Die bescheidene Dimension lässt rasch an eingefangene Kleinplaneten denken. Diese bevölkern den weiten Raum zwischen Mars und Jupiter in hoher Zahl. Der Kleinplanetengürtel gilt auch heute noch als wahrscheinlichster Geburtsort der Marsmonde. Allerdings tut sich die Einfangtheorie schwer, die kreisförmigen Umlaufbahnen der beiden Begleiter zu erklären.

Mini-Welten

Die wahren Abmessungen der Monde zeigten erst Raumsonden. Mariner 7 und 9, Viking 1 und 2 sowie Phobos 2 porträtierten die unregelmäßig geformten Mini-Welten zwischen 1969 und 1989 mit zunehmend besserer Auflösung. Ihre Oberflächen erwiesen sich dabei als überraschend dunkel und von vielen Einschlagskratern gezeichnet. Erinnern wir uns: Mädler hatte 1867 den maximal möglichen Durchmesser der damals noch unentdeckten Marsmonde mit grob 22 km abgesteckt. Er lag damit gut. Deimos, der äußere Mond, würde in eine Box von 15, 12 und 10 km Seitenlänge passen. Phobos ist mit 27, 22 und 18 km knapp doppelt so groß. Die beiden sind also gleichsam von städtischem Format. Könnte man sie sachte auf die Erde legen, würde Deimos Graz, Phobos bequem Wien "zudecken".

Auf Deimos hat man den Autoren Swift und Voltaire Denkmäler gesetzt, indem man Krater nach ihnen benannte. Diese Einschlagswunden zeigen merkwürdig sanfte Konturen. Sie sind einige Zeit nach ihrer Entstehung offenbar weitgehend zugeschüttet worden. Überhaupt mutet die Oberfläche an, als wäre sie unter einer Dutzende Meter dicken Staub- und Schuttschicht begraben. Vermutlich wurde zertrümmertes Mondmaterial bei zahllosen Meteoriteneinschlägen ins All geschleudert - und von Deimos später wieder "aufgekehrt". Details auf Phobos sind klarer zu erkennen. Dort heißen Krater z. B. "D'Arrest" oder "Hall". Mit 10 km Durchmesser dominiert aber Stickney, benannt nach dem Mädchennamen von Halls Gattin Angeline, diese Welt ganz eindeutig. Als der Riesenkrater entstand, muss Phobos fast zerbrochen sein. Tiefe Gräben ziehen von Stickney weg. Sie muten fast wie "Sprünge" im steinernen Himmelskörper an.

Phobos als "Vollmond"

Beide Monde wären wunderbare Aussichtsplattformen, um die Landschaften des roten Planeten zu studieren. Deimos zieht in bloß 19.800, Phobos gar nur in 5.900 km Distanz über die Marsoberfläche dahin. Für eine komplette Umkreisung braucht Deimos 30 Stunden. Phobos schafft es in weniger als 8. Ein zukünftiger Marssiedler würde alle Gestirne im Osten auf- und im Westen untergehen sehen, genau wie auf der Erde. Nur Phobos läuft in entgegengesetzter Richtung über den Marshimmel.

Von Mars aus betrachtet erschiene Phobos als Scheibchen, wenngleich als kleines. Darauf ließe sich ein regelmäßiges Spiel von Lichtphasen mitverfolgen. Als "Vollmond" verschwindet Phobos jedoch eine knappe Stunde lang vom Firmament. Er taucht nämlich bei jeder Umkreisung einmal in den Planetenschatten ein. Anders als auf Erden gehören Mondfinsternisse auf dem Mars zum Alltag. Bei "Neumond" jagt hingegen Phobos' grauer Schatten über Teile des Marsbodens. Er sorgt dort für kurze, nur wenige Sekunden dauernde Sonnenfinsternisse. Sie bleiben partiell. Um die Sonnenscheibe völlig zu bedecken, reicht der Durchmesser des Marsmondes bei weitem nicht aus.

Absturz

Der flinke Phobos zieht in extrem enger Bahn um Mars. Die Gezeitenkräfte holen ihn deshalb aus dem Orbit. Jedes Jahrhundert verliert er 2 Meter Flughöhe. Bereits jetzt kreist der dem Mars näher gelegene Teil des Trabanten eigentlich auf einer engeren und damit schnelleren Umlaufbahn als der marsferne. Das führt zu Spannung im Mondkörper. Noch überwiegt der innere Zusammenhalt. Doch der Stress wächst, während Phobos tiefer sinkt. Womöglich zerreißt es ihn noch. Seine Reste bilden dann einen Ring um Mars.

Vielleicht passiert Phobos die kritische Distanz, "Rochesche Grenze" genannt, unbeschadet. Dann kracht er letztlich in einem Stück auf die Oberfläche des Mars. Der Rekordeinschlag löst dort wohl eine globale Katastrophe aus. Bis dahin bleiben 50 Millionen Jahre Zeit, Phobos weiter zu studieren.

Ende August 2003 kommt es wieder zu einer äußerst günstigen Mars-Opposition. Abertausende Sternfreunde richten dann ihre Fernrohre zum roten Planeten, um helle und dunkle Regionen auf dem kleinen Scheibchen zu mustern. Besser ausgerüstete Amateure werden zudem versuchen, die beiden Monde zu erspähen. Das soll gelegentlich schon mit ausgezeichneten Instrumenten von nur 20 cm Öffnung gelungen sein. Halls Riesenteleskop braucht man dazu nicht.

Freitag, 09. August 2002

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