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Vor 40 Jahren flog der erste Mensch ins All

"Pojechali" -Los geht's!

Von Christian Pinter

Am 12. April 1961 wurde in der Sowjetunion das erste bemannte Raumschiff der Welt, Wostok, auf eine Umlaufbahn um die Erde gebracht. Pilot des Raumschiffes Wostok ist der Bürger der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Flieger Major Juri Alexejewitsch Gagarin. Diese historische Meldung der Nachrichtenagentur TASS ging vor genau 40 Jahren über die Fernschreiber. Sie läutete das Zeitalter der bemannten Weltraumfahrt ein.

Juri Gagarin, geboren am 9. März 1934, wächst in Kluschino auf. Als deutsche Soldaten das Haus beschlagnahmen, muss die hungernde Bauernfamilie in einer Erdhütte wohnen. 1945 zieht man ins stark zerstörte Gschatsk um. Juri wird zum Gießer ausgebildet. Während er das Industrietechnikum in Saratow an der Wolga besucht, packt ihn die Liebe zur Fliegerei. 1954 tritt er dem örtlichen Fliegerklub bei. Ein Jahr später steuert er die einmotorige Jak-18 schon selbstständig. Er wird in die Armee einberufen.

Sein Heimatland arbeitet entschieden an der Weiterentwicklung von Raketen. Das Genie im Hintergrund, zu Lebzeiten anonym, heißt Sergej Koroljow. Der ehemalige Leiter der zentralen Forschungsorganisation für Raketen- und Raumfahrttechnik wird 1938 Opfer stalinistischen Terrors und zur Zwangsarbeit verdammt. Paradoxerweise rettet ihm der Krieg das Leben: Andrej Tupolew fordert ihn an, um Triebwerke für Kampfflugzeuge zu entwerfen. 1944 fallen den Russen deutsche V2-Raketen in die Hände. Man baut sie nach. Koroljow, obwohl nicht rehabilitiert, wird wieder führend mit der Konstruktion von Raketen betraut. 1947 informiert er Stalin persönlich über ihren militärischen Nutzen.

Kalter Krieg

Während US-Bomber von nahen Stützpunkten aus die Sowjetunion erreichen könnten, gelangen Gagarins Fliegerkollegen mit ihren Maschinen nicht in den US-Luftraum. Daher setzt die UdSSR früh auf Raketen. Ihre Atombomben sind außerdem schwerer als die amerikanischen. Die Träger müssen daher besonders stark sein. Bald liegt Moskau in der Raketentechnologie weit vorn.

Am 4. Oktober 1957 schießt eine solche Atomrakete vom Typ R7 den allerersten Satelliten ins All. Der 84 kg schwere Sputnik (russ. Begleiter) gerät zur Sensation. Er macht nun auch das propagandistische Potential der Raumfahrt deutlich. Juri sitzt vor dem Radio der Militärfliegerschule Orenburg. Mit seinen Kameraden träumt er vom Mondflug, zeichnet Raumschiffmodelle. Auf einem Tanzabend lernt er Walentina Gorjatschewa kennen. Eine Woche nach ihrer Heirat trägt Sputnik 2 die Hündin Laika ins All. Gagarin wird zu einem Fliegerregiment der Nordmeerflotte versetzt.

Das Militär fordert eine Rakete, die 5 t nuklearer Last in die USA tragen kann. Koroljow weiß: Damit ließe sich auch seine alte Vision realisieren, einen Menschen in die Erdumlaufbahn zu hieven. Ende 1958 stimmt Moskau der Idee zu. Der erste bemannte Raumflug wird aber nur über eine einzige Erdumkreisung gehen. Niemand weiß, wie der menschliche Organismus die Schwerelosigkeit verträgt. Hunde, Meerschweinchen, Mäuse und Fliegen sind die Vorhut. Doch viele Tests scheitern.

Man fahndet nach geeigneten Kandidaten für die Raumflugpremiere. Angeblich bewerben sich "Tausende sowjetische Bürger verschiedener Berufe und Altersstufen". Tatsächlich sucht man gezielt nach Militärpiloten mit Erfahrung auf Düsenjets, aus dem europäischen Teil der UdSSR stammend und etwa 30 Jahre alt. Es ginge darum, eine "spezielle Maschine" zu fliegen, heißt es zunächst nur. Unter anderem fragt man Jagdfliegeroffizier Gagarin.

Von 2.000 Aspiranten bleiben Ende 1959 gerade 20 übrig. Sie haben außergewöhnlichen Patriotismus, Gesundheit, Kühnheit, Genauigkeit, Arbeitsliebe und Bescheidenheit bewiesen. Man interessiert sich aber auch für den "Lebenslauf, für die Familie, die Kameraden und die gesellschaftliche Tätigkeit", erzählt Juri, der mit den anderen Mitgliedern der Kosmonauten-Garde zur Ausbildung ins "Sternenstädtchen" übersiedelt. Es wird nahe Moskau aus dem Boden gestampft. Im Sommer 1960 stehen die Flieger erstmals vor ihrer Raumkapsel, der Wostok (russ. Osten). Juri zieht die Schuhe aus, zwängt sich als erster in die Kugel.

Koroljow und die Ausbildner suchen zwei Männer aus, zwischen denen eine staatliche Kommission am 8. April 1961 die letzte Entscheidung trifft. Vielleicht passt der Bauernsohn Gagarin besser zum Selbstverständnis des Arbeiter- und Bauernstaates als der Lehrerspross German Titow. Vielleicht will man Titow, weil eine Spur ausdauernder, auch lieber für den zweiten, wohl schon längeren Flug aufsparen. Jedenfalls wählt man Juri für die historische Premiere. Am Morgen des 12. April 1961 trägt ihn der Lift zur Spitze der 38 m hohen,

modifizierten R7 hoch. Sie ist die stärkste Rakete der Welt. Um

7.55 Uhr verschließt ein Techniker die Luke der Kapsel. Die Rampe wird geräumt.

Um 9.04 Uhr Moskauer Zeit steigt Juris Puls. Drei Minuten später erschüttert unvorstellbarer Lärm den Startkomplex von Tjura Tam in Kasachstan. "Abheben!" befiehlt Koroljow. In das Pfeifen, Grollen und Dröhnen von 20 Millionen PS hinein ruft Juri herzhaft und langgezogen "Pojechali", "Los geht's". Alles vibriert. Dann drückt ihn die Beschleunigung in den Sitz. "Welch eine Schönheit!", staunt der 27-Jährige, als er auf die bewaldeten Ufer eines sibirischen Flusses blickt. Die R7 stürmt den Himmel. Schon wirkt der Horizont gekrümmt. Um 9.21 Uhr ist Brennschluss. Alle Last fällt schlagartig von Juri ab, er ist schwerelos. Der Funkorter bestätigt: "Das bemannte Raumschiff befindet sich auf der Umlaufbahn."

Kennedy wird geweckt

Eine US-Radarstation erfasst die dahinrasende, 2,3 m kleine Wostok, als sie Amerika erreicht. Man weckt Präsident Kennedy; nur sechs Wochen später wird er die USA einschwören, vor Ende des Jahrzehnts einen Amerikaner auf den Mond zu bringen.

Erst jetzt sendet die sowjetische Nachrichtenagentur TASS die Startmeldung in 53 Länder. Immer wieder gibt Gagarin sein eigenes Befinden, die Temperatur und Feuchtigkeit in der Kapsel, sowie die Druckwerte in den Steuerungssystemen über Funk durch. Dazwischen blickt er aus 300 km Höhe auf die Erde, bewundert die satten, saftigen Farben. Es ist ein Anblick, wie ihn noch nie ein Mensch zuvor erlebt hat. Juri schießt mit 8 km pro Sekunde über den Atlantik, 30-mal schneller als ein Jagdflieger. Vollautomatisch, weil niemand weiß, ob er bei Bewusstsein bleiben wird. Nur im Notfall darf er die Handsteuerung aktivieren.

Um 10.25 Uhr zündet das Bremstriebwerk über Afrika. Die Flughöhe sinkt. Noch hat die Kapsel 8.000 km zurückzulegen. Um beim Wiedereintritt die korrekte Lage einzunehmen, muss sie die kragenförmig anliegende Gerätezelle los werden. Deren vier Spannbänder lösen sich, nicht jedoch die Verbindungskabel. Juri schleppt den gefährlichen Ballast minutenlang hinter sich her. Immer kräftiger bremst die Atmosphäre. Dann schmelzen die Kabel endlich durch.

Wieder presst es Juri in den Sitz. Er fühlt sich zehnmal so schwer wie gewohnt. Die Luft um sein Gefährt wird auf einige tausend Grad erhitzt. Roter Feuerschein dringt durch die Seeschlitze. Die Schutzverkleidung kracht, aber sie hält. Gagarin singt. In 7.000 m Höhe wird die Ausstiegsluke abgesprengt, Sekunden später der Kosmonaut ins Freie katapultiert. Fallschirme treten in Aktion. Die Kapsel sinkt schneller als Juri, der die Wolga und Saratow erkennt. Da, wo er einst fliegen lernte, geht jetzt sein größtes Abenteuer zu Ende. Es hat 108 Minuten gedauert. Über Felder marschiert er auf sein Raumschiff zu.

Der Fallschirm hat dessen Aufprall gelindert, doch für einen Insassen wäre er noch zu heftig gewesen. Der getrennte Niedergang von Gefährt und Pilot macht also Sinn. Um aber nicht den Eindruck einer Notlandung zu erwecken oder die Anrechnung als internationalen Flugrekord zu riskieren, wird das Manöver verschleiert.

Der Kosmonaut sei "mit dem Raumschiff" gelandet, heißt es. Außerdem verlegt man die Startkoordinaten militärischer Geheimhaltung wegen nach Nordosten. So leiht das gut 250 km entfernte Baikonur den Rampen von Tjura Tam fortan seinen Namen.

Walentina erfährt vom geglückten Flug ihres Mannes von einer Nachbarin, die Radio hört. Völlig überrascht ist Juris Mutter. "Was hat er bloß getan?", ruft sie "er hat doch zwei kleine Kinder!" Der Vater wird von einem Bootsführer angesprochen: ob er mit jenem Major Gagarin verwandt wäre, der gerade "auf den Mond geflogen" sei. Ungläubig verneint er.

Am übernächsten Tag erstattet Gagarin der Partei- und Staatsführung Meldung. Nikita Chruschtschow umarmt ihn lange. Nach den Schrecken der Stalin-Ära erhoffen sich viele Menschen von Chruschtschow Reformen, Wandel, Aufbruch. Gagarins Flug passt in dieses Bild. Juri wird zum Helden der Sowjetunion ernannt, erhält den Lenin-Orden.

Die Fahrt im offenen Wagen gerät zum Triumphzug. Moskau steht Spalier. Auch die Propaganda jubelt. Nur die Oktoberrevolution hätte es ermöglicht, einen Bauernsohn zum "ersten Bürger des Weltalls" zu machen. Es sei kein Zufall, dass gerade der UdSSR der Vorstoß ins All gelungen ist.

Zwei Wochen später startet Gagarin zur ersten von mehr als 30 Auslandsreisen. Sie bringen ihn auch nach Österreich. Jeder will ihn sprechen hören, viele drängen sich, ihm die Hand zu schütteln. Er wirkt freimütig, natürlich, optimistisch. Sein Lächeln bringt ihn seinen Zuhörern rasch näher. Das ausgelassene, fast kindliche Funkeln in den Augen macht ihn sympathisch. Und er weiß seine Worte zu setzen. "Ich möchte gern an einem Flug in einem Raumschiff teilnehmen, dessen Besatzung aus jungen Raumfahrern verschiedener Nationalitäten besteht", erzählt er "aus Russen, Indern, Amerikanern. Aber Sie verstehen, dass dies vorerst nur ein Traum ist."

In der Heimat folgen ausgelassene Feste. Bei einem Erholungsaufenthalt auf der Krim wähnt Walentina ihren Gatten in einem fremden Hotelzimmer. Als sie an dessen Türe klopft, springt Juri vom Balkon, zertrümmert sich das Stirnbein oberhalb des linken Auges. Offiziell ist er gestürzt, als er seine kleine Tochter Galja im Arm hielt.

Der Nationalheld soll keinem Risiko mehr ausgesetzt werden. Die Raumfahrt hat ihn berühmt gemacht, doch sie ist ein gefährliches Geschäft. Der Kommandeur der Kosmonautengruppe darf selbst nicht mehr ins All - in den USA verfährt man mit Weltraumlegende John Glenn ähnlich.

Man lässt Juri weder Flugzeuge steuern, noch Fallschirmspringen. Dafür wird er Deputierter des Obersten Sowjets. Aus allen Teilen der UdSSR erhält er Bittbriefe. Mittlerweile kennt er die Widersprüche des Systems, den Mangel im Land, die Großzügigkeit an der Staatsspitze. Trotz seiner Popularität sind ihm die Hände gebunden. Chruschtschow wird überdies 1964 gestürzt. Fotos, die beide Männer zeigen, verschwinden.

Rückschläge

Sergeij Koroljow stirbt am 14. Jänner 1966 während einer Krebsoperation. Am diesem Tag verliert die sowjetische Raumfahrt ihren Mentor und möglicherweise auch den Wettlauf zum Mond. Die alles entscheidende Raumschiffgeneration geht ins Rennen: Apollo in der USA, Sojus in der UdSSR.

Beim Bodentest für die erste bemannte Apollo-Mission verbrennen am 28. Jänner 1967 drei US-Astronauten. Und auch Sojus steht unter keinem guten Stern. Wladimir Komarow trainiert für den Jungfernflug. Juri hält sich ebenfalls bereit: Vielleicht hat gerade der Verlust der Leitfigur Koroljow die Verantwortlichen bewogen, das Idol Gagarin wenigstens als Ersatzmann zu nominieren.

Die Sojus 1 startet mit Jagdflieger Komarow am 23. April 1967. Doch kaum im Orbit, fällt die Bordspannung ab. Das Schiff dreht sich, ist kaum zu kontrollieren. Während des vorzeitig eingeleiteten Abstiegs versagt der Fallschirm. Beim Aufprall nahe Orenburg zerbricht das Schiff in rauchende Trümmer. Juri weint an der Unglücksstelle.

Nach Komarows Absturz scheint ein neuerlicher Weltraumeinsatz Gagarins völlig undenkbar. Er droht, die stellvertretende Leitung des Kosmonauten-Ausbildungszentrums zurückzulegen. Wenn schon keine Sojus, will er wenigstens wieder einen Jet steuern. Fliegen sei sein Leben. Das Verteidigungsministerium willigt Ende 1967 ein. Gagarin hat über 300 Stunden Pilotenerfahrung. Doch die jahrelange Absenz vom Steuerknüppel macht jetzt neuerliche Übungsflüge nötig.

Den letzten soll der 34-Jährige am 27. März 1968 mit Geschwaderkommandeur Oberst Wladimir Serjogin absolvieren. Möglicherweise sieht sich Gagarin zu einem jähen Ausweichmanöver veranlasst; im nicht lückenlos überwachten Luftraum operieren auch andere Maschinen. Es bleibt jedenfalls keine Zeit, die Schleudersitze zu betätigen. Der Jet stürzt ab.

In Juris Brieftasche findet man ein Foto Sergej Koroljows. Zwei Tage später wird er an der Kremlmauer beigesetzt. Noch einmal erweisen ihm Hunderttausende die Ehre; wie sieben Jahre zuvor, als er als erster Mensch aus dem All heimgekehrt ist.

Freitag, 06. April 2001

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