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Ganymed -der größte Mond des Planetensystems

Gefangen in ewiger Eiszeit

Von Christian Pinter

Zöge er um die Sonne, würden wir ihn "Planet" nennen. Mit einem Durchmesser von 5.260 km ist Ganymed größer als Pluto (2.250 km) oder Merkur (4.880 km). Doch weil er selbst um einen Planeten kreist, gilt er bloß als Mond. Er ist der mächtigste im ganzen Sonnensystem.

Touristen

Vielleicht werden irgendwann auch Menschen auf Ganymed landen. Sie bewegten sich auf dem Jupitermond ähnlich leichtfüßig, wie einst die Apollo-Astronauten auf dem irdischen Begleiter. Wer normalerweise 70 kg wiegt, bringt dort nur 10 kg auf die Waage. Möglicherweise würden Ganymed-Besucher zuerst gar nicht auf den braunen Boden zu ihren Füßen schauen - sondern am pechschwarzen, sternenübersäten Himmel Ausschau nach der fernen Heimat halten. Von Ganymed aus betrachtet, erscheint die Erde nur mehr als Lichtpunkt: manchmal so hell wie die prominentesten Sterne, dann wiederum zu schwach, um überhaupt erspäht zu werden.

Jupiter, der gewaltigste Planet des Sonnensystems, blickt dafür wie ein neugieriges Auge auf die Raumfahrer herab. Er ist nun 15-mal so groß wie der irdische Mond am Himmel über der Erde, und gleich drei Dutzend Mal heller. Während Ganymed den Jupiter in sieben Tagen umkreist, ändert sich die Perspektive. Hinter dem Planeten ziehen sämtliche Tierkreissternbilder vorbei. Jupiter selbst zeigt ein Spiel von Lichtphasen wie Frau Luna, hängt dabei aber wie angenagelt an Ganymeds Himmel. Denn längst hat der Riesenplanet die Rotationen seiner Trabanten gebunden. Sie weisen ihm stets die gleiche Hemisphäre zu. Nur wer auf der richtigen Seite Ganymeds weilt, sieht Jupiter. Wer auf der falschen steht, bekommt ihn nie zu Gesicht.

Ganymed hält noch weitere Sehenswürdigkeiten für Touristen bereit: etwa den Ausblick auf die anderen Monde. Dabei fasziniert vor allem die schwefelbedeckte Io. Bliebe man lange genug auf Ganymed, könnte man von dort aus mit freiem Auge mitverfolgen, wie vulkanisches Auswurfmaterial Ios Antlitz langsam verändert.

Eiskrater

Entdeckt wurden die vier größten Jupitermonde im Jänner 1610, als Galileo Galilei das neu erfundene Fernrohr auf Jupiter richtete. Der Deutsche Simon Marius sah sie fast gleichzeitig. Er schlug Namen aus der griechischen Mythologie vor - Liebschaften des Zeus, den die Römer mit ihrem Gott Jupiter gleichsetzten: Die Nymphe Io, die Königstochter Europa und Kallisto, eine Begleiterin der Mondgöttin Artemis.

Für den hellsten Trabanten wählte Marius "Ganymed". Tros, König der Troer, hatte drei Söhne. Einen davon raubte Zeus, indem er sich entweder eines Adlers bediente oder in dessen Federkleid schlüpfte. Im Olymp wurde Ganymed göttlicher Mundschenk. Homer, Vergil und Ovid erzählen die Legende. Autoren des Altertums verknüpften auch Sternbilder damit: den Adler und mitunter den Wassermann. Der Astronom Gottfried Kirch nannte letzteren noch im 17. Jahrhundert "Ganymed".

Der gleichnamige Jupitermond ist eine Welt in ewiger Eiszeit. Die Sonne schenkt ihm keine 4 Prozent jener Strahlung, mit der sie die Erde verwöhnt. Der Boden wird auf bestenfalls minus 120 Grad Celsius erwärmt. Gefrorenes Wasser bildet die gesamte Landschaft. Bergriesen sucht man vergeblich. Das Eis würde sie nicht tragen, ließe sie kollabieren. Das Relief bleibt somit flach. Höhenunterschiede übersteigen selten 1.500 Meter.

Auch die vielen kreisrunden Krater, einst beim Einschlag von Asteroiden und Kometen entstanden, sind aus Eis geformt. Oft wirken sie ungewöhnlich "sanft", anders als die in Fels gehauenen Einschlagswunden auf dem Erdmond. Man hat Ganymeds Krater meist nach Gottheiten aus dem Großraum des "fruchtbaren Halbmonds" benannt. Beim geistigen Wandern über die Oberfläche wird an sumerische, assyrische, babylonische, phönizische und ägyptische Mythen erinnert. Man trifft auf Osiris, Isis, Nabu, Ea, Enlil oder Gula. Rund 50 Krater sind mehr als 100 km weit.

Manchmal reiht sich ein ganzes Dutzend kleinerer Narben wie an einer Perlenschnur auf. Enki Catena (catena, lat. Kette) ist dafür ein Beispiel. Hier muss einst ein Komet Jupiter zu nahe gekommen und zerrissen worden sein. Die Kometenteile zogen dann in engem Abstand zueinander weiter. In dieser Flugformation trafen sie auf Ganymed und hinterließen so eine Kraterkette von 150 km Länge.

Furchen

Ganymeds Eis ist verschmutzt, silikatisches Material darin enthalten. Im Lauf der Jahrmilliarden haben Kometen zudem dunklen, kohlenstoffhaltigen Staub darauf gestreut. Wenn das Eis im Sonnenlicht langsam verdampft, bleiben die dunklen, weniger flüchtigen Substanzen zurück. Der Boden ist deshalb braungrau wie alte Milchschokolade. Heller erscheint die Umgebung mancher Einschlagskrater, z. B. jene des 94 km weiten Tros. Bei seiner Entstehung wurde offenbar frisches, reineres Eis exponiert. Wahrscheinlich handelt es sich bei solchen Gebilden um vergleichsweise junge Strukturen. Andere lassen sich nur schemenhaft ausmachen. Solche "Geisterkrater" muten an, als wären sie im Eis versunken.

Auf Ganymeds Oberfläche fände Asien, der größte Erdteil, zweimal Platz. Vier Zehntel werden von dunklen Ebenen bedeckt, für die sich der Fachbegriff "Regio" (lat., Gegend, Landstrich) eingebürgert hat. Die einzelnen Regionen taufte man nach Astronomen, die Jupitermonde entdeckt haben - darunter Marius und Galilei. Galileo Regio besitzt mit mehr als 3.000 km Durchmesser gleichsam "kontinentale Ausmaße". Die große Zahl von Einschlagskratern lässt ein Alter von gut 4.1 Milliarden Jahren vermuten.

Den Großteil der Oberfläche prägen deutlich hellere Gebiete. Sie dürften einige hundert Millionen Jahre jünger sein, denn Krater sind dort etwas weniger häufig. Oft findet man hier ein typisches Streifenmuster. Es besteht aus Rillen, die in enger paralleler Anordnung Hunderte Kilometer lang dahin ziehen. Es ist, als hätte ein gewaltiger Pflug Ganymeds Eisboden zur Aussaat vorbereitet. Fachbezeichnung für diesen Geländetyp: "Sulcus" (lat. Furche).

Alle massereichen Himmelskörper erhitzten sich nach ihrer Entstehung vor 4.5 Milliarden Jahren durch den Zerfall radioaktiver Elemente. Eigentlich sollte eine Welt von Ganymeds Format relativ rasch ausgekühlt sein. Doch im Jupitersystem gibt es eine "Zusatzheizung".

Io, Europa und Ganymed bewegen sich in Resonanz um Jupiter. Ihre Umlaufzeiten verhalten sich zueinander wie die Zahlen 1, 2 und 4. Deshalb weichen ihre Orbits noch immer etwas von der Kreisform ab. Während eines Umlaufs um den Riesenplaneten entstehen somit enorme Gezeiten in den Mondkörpern. Eis und Fels geraten in Bewegung, erhitzen sich durch Reibung.

Die Trabanten werden dabei gleichsam "durchgeknetet". Die eng um Jupiter kreisende Io ist am ärgsten betroffen. Die Gezeitenkräfte verwandeln sie zum vulkanisch aktivsten Himmelskörper überhaupt. Einschlagskrater überdauern dort nicht lange, sie werden wieder ausradiert. Beim Nachbarmond Europa reicht die innere Hitze wahrscheinlich noch, um ein flüssiges Meer zuzulassen - wenngleich 10 bis 40 km unter dem Eispanzer. Nicht ausgeschlossen, dass darin sogar Mikroorganismen existieren.

Der nächstfolgende Mond, Ganymed, hält bereits gut 1 Million Kilometer Respektabstand zu Jupiter. Er ist weit ab vom Schuss, wirkt deshalb wie erstarrt, geologisch tot. Doch in seiner Frühzeit, nachdem die Kruste bereits abgekühlt war, muss es zu Episoden neuerlicher Erwärmung gekommen sein. Vielleicht waren Veränderungen der Umlaufbahn dafür verantwortlich, setzten ihn den Gezeitenkräften dramatischer aus als heute.

Die daraus resultierende Wärme provozierte Veränderungen im eisigen Inneren des Mondes. Sein Durchmesser wuchs und damit auch die Oberfläche. Die Kruste zerbrach an Schwachstellen. Spalten taten sich auf, in die ganze Geländeblöcke kippten. So soll das helle, zerfurchte Terrain entstanden sein. Regional hat sich zudem Wasser an die Oberfläche erbrochen, wo es gefror. All das ist aber seit Jahrmilliarden Geschichte.

Kallisto komplettiert das Mondquartett. Sie ist nicht allzu viel kleiner als Ganymed, jedoch fast doppelt so weit von Jupiter entfernt. Gezeitenkräfte scheinen in ihrer Entwicklung die geringste Rolle gespielt zu haben. Die uralte, kraterzernarbte Kruste dürfte seit mehr als 4 Milliarden Jahren nicht mehr verändert worden sein - sieht man vom gelegentlichen Einschlag kleinerer Himmelskörper einmal ab.

Magnetfeld

Aus Masse und Volumen eines Himmelskörpers errechnet sich seine mittlere Dichte. Ein Kubikzentimeter von Ganymeds Materie würde auf Erden durchschnittlich fast

2 Gramm wiegen. Das ist doppelt so viel wie Wasser. Der Mond kann also nicht zur Gänze aus Eis bestehen. Einige hundert Kilometer unter der Eiskruste müssen wir auf Silikatgestein treffen. Dieser Steinmantel umspannt wohl noch einen kleinen Kern aus Eisen. Denn Ganymed zeigt ein schwaches Magnetfeld. Ließen wir einen Stabmagneten an einer dünnen Schnur baumeln, drehte sich dieser auch auf dem Jupitermond langsam in Nord-Süd-Richtung.

Um dieses Magnetfeld anzutreiben, sind Strömungen im Eisenkern nötig - wie im Inneren der Erde auch. Ganymeds Zentrum wäre demnach noch teilweise flüssig. Das wiederum setzt überraschend hohe Temperaturen voraus. Einige Forscher suchen die Ursache des Magnetfelds daher lieber in einer salzhältigen, elektrisch leitenden Flüssigkeit, die rund 170 km unterhalb der Mondoberfläche existieren könnte; dort sollten Druck und Temperatur ausreichen, um Eis zu schmelzen. Womöglich besitzt der Trabant beides: einen flüssigen Eisenkern und einen versteckten Ozean aus Wasser.

In jedem Fall rast Ganymed ständig durch Jupiters Magnetosphäre. Das ist kein gemütlicher Ort. Geladene Teilchen regnen auf die Landschaft herab, speziell in Polnähe. Sie dringen ins Oberflächeneis ein, zerstören Wassermoleküle. Der Wasserstoff entweicht ins All. Sauerstoff und Ozon bleiben zurück. Sie bilden eine extrem dünne "Lufthülle" um den Himmelskörper.

Über den Polgebieten kollidieren die geladenen Partikel mit atmosphärischen Sauerstoffatomen und zaubern Nord- und Südlichter an Ganymeds Himmel. Diese leuchten für uns unsichtbar ultraviolett. Über dem Äquator sorgt ein zweiter, bisher nicht ganz geklärter Prozess für ein weiteres Lichtspiel. Dort werden Sauerstoffatome zu rotem Leuchten angeregt. Ihr Glimmen ist wohl kräftig genug, um künftige Ganymed-Besucher in Erstaunen zu versetzen.

Fernglas

Zurück zur Erde. Astronomen haben mittlerweile 39 Jupitermonde entdeckt. Allerdings sind die meisten bloß Winzlinge und entsprechend lichtschwach. Nur die vier größten reflektieren genug Sonnenlicht, um sogar mit unbewaffnetem Auge erblickt zu werden - so jedenfalls die Theorie. In der Praxis überstrahlt der gleißende Jupiter seine Trabanten. Freisichtige Beobachtungen sind deshalb nur wenigen Menschen gelungen.

Kein Kunststück ist die Betrachtung von Io, Europa, Ganymed und Kallisto durchs Fernglas, wenn man es verwacklungsfrei auf einem Stativ montiert. Mit Umlaufszeiten von 1.8, 3.6, 7.2 und 16.7 Tagen präsentieren sich die Mitglieder des Mondquartetts jede Nacht in neuer Anordnung. Aus unserer Perspektive bedecken sie einander sogar manchmal. Im Winter 2002/03 geschieht dies Dutzende Male. Jeweils zwei Lichtpunkte verschmelzen dann minutenlang zu einem einzigen.

Selbst das stärkste Teleskop zeigt die Jupitermonde bestenfalls als winzige Scheibchen. Grund ist die enorme Erddistanz von über 600 Millionen Kilometer. Wirklich aufschlussreiche Porträts gelangen daher erst Raumsonden. Die beiden Voyagers schossen 1979 am Jupitersystem vorbei. 1995 schwenkte der NASA-Roboter Galileo sogar in einen Orbit um Jupiter ein. In Folge passierte Galileo auch Ganymed mehrmals in geringer Distanz, funkte hochauflösende Nahaufnahmen zur Erde. Diese werden Forscher noch mehrere Jahre beschäftigen - in der Hoffnung, daraus mehr über die Geschichte des größten aller Trabanten zu erfahren.

Freitag, 13. Dezember 2002

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