Servicezeit: Tiere suchen ein Zuhause - 13. November 2005: Das Bärenzentrum in Karacabey/Türkei
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Das Bärenzentrum in Karacabey
Braunbär; Rechte WDR (TV-Bild) Sendung vom 13. November 2005

Das Bärenzentrum in Karacabey/Türkei

Von Cornelia Baumsteiger

Die Bärin Pakize lebt hinter Gitterstäben. So kennt sie es seit 16 Jahren. Im April zog sie in das Bärenzentrum in der Nähe des türkischen Ortes Karacabey, nicht weit von der Zwei-Millionen-Stadt Bursa im Norden der Türkei. Nun hat sie endlich genügend Platz zum Herumlaufen, einen Raum, in dem sie sich verstecken kann und einen kleinen Pool zum Planschen und Abkühlen.

Die Braunbärin ist aggressiv und nicht sozialisiert. Daher kann sie nicht zu den anderen 50 Bären gelassen werden, die sich auf 100.000 Quadratmetern frei bewegen dürfen. Alle Tiere des Bärenzentrums sind aus tierquälerischen Haltungen befreit worden. Sie wurden zum Beispiel als Tanzbären an einem Nasenring herumgeführt, der so schmerzhaft war, dass er selbst solch starke Tiere gefügig machte. Das Tanzen war den Bären bereits in ihrer Kindheit beigebracht worden, in dem man sie auf heiße Eisenplatten setzte, auf denen sie herumhüpfen mussten, um nicht zu verbrennen. Diese tierquälerische Art der Unterhaltung ist heute in der Türkei verboten, und es gibt kaum noch Tanzbären. Wo Schausteller mit ihnen auftauchen, werden sie jetzt meistens von der Bevölkerung angezeigt. Die Tiere werden dann von der Polizei beschlagnahmt.

Bär in einem eingezäunten Gehege; Rechte WDR (TV-Bild)Andere Bären im Zentrum stammen aus ärmlichen Zoos, in denen sie in kleinen Käfigen dahinvegetierten. Auswildern kann man diese Tiere nicht mehr, denn sie haben viel zu lange in der Abhängigkeit von Menschen gelebt. Eine Überlebenschance hätten sie in der freien Wildbahn nicht. Tierschützer und Veterinärmediziner der örtlichen Universität versuchen den Tieren im Bärenzentrum ein annähernd artgerechtes Leben zu bieten. Ein Team ambitionierter, junger Wissenschaftler betreut die Bären medizinisch und erforscht ihr Verhalten. Ihr Ziel ist es, die Lebensbedingungen im Park ständig zu verbessern. Angeleitet werden sie dabei von ihrer Lehrerin, der tierschutzorientierten Professorin Nilüfer Aytug.

Der Kontakt zur Universität von Bursa ist für alle ein Gewinn: Der Tierschutzverein bekommt Hilfe von engagierten Wissenschaftlern, die sich ohne Bezahlung für das Wohl der Bären einsetzen. Die Studenten und angehenden Doktoren auf der anderen Seite erhalten die Möglichkeit, an einem Wildtierschutzprojekt vor der Haustür mitzuarbeiten und können so wertvolle Erfahrungen sammeln. So werden die Tiere fachkundig betreut, ohne dabei in erster Linie der Wissenschaft zu dienen. In Karacabey hat der Tierschutz immer Vorrang.

Die besondere Sorge der Tierschützer gilt der gefährlichen Pakize und ihrem Nachbarn, der wie sie noch in einem kleineren Gehege lebt. Er ist blind und fürchtet sich vor der Gesellschaft von Artgenossen. Pakize wird noch lange brauchen, bevor sie gemeinsam mit den anderen Bären leben kann, aber auch sie hat schon Fortschritte gemacht. Erst im April war sie von einem kleinen Zoo auf Zypern in den Bärenpark gebracht worden. Als der Zoobesitzer sie kaufte, war Pakize eine Tanzbärin, jedoch eine ungehorsame. Nach zehn Jahren der Folter hatte sie ihren Besitzer angegriffen. Als sie später im Zoo eine Besucherin durch das Gitter hindurch schwer verletzte, wollte der Zoobesitzer sie möglichst schnell loswerden. Da durften die Tierschützer sie abholen.

Professor Aytug und ihr Assistent Hüseyin Cihan fuhren nach Zypern, um Pakize abzuholen. Hüseyin Cihan machte nicht nur Fotos von ihrem Gefängnis, sondern auch von anderen Tieren wie einem Tiger, Affen und sogar Hunden, die dort in winzigen Käfigen ausgestellt wurden. Dann begleitete und betreute er das Tier während des gesamten, umständlichen Transports.

Als Pakize nach 40 Stunden in Karacabey ankam, war sie sehr verängstigt. Das im Vergleich zu ihrem früheren Gefängnis riesige Gehege betrat sie wochenlang nicht und verkroch sich im Innenbereich. Doch das ist nun Vergangenheit, und eines Tages wird auch ihr Leben hinter Gitterstäben vorbei sein, hofft Nilüfer Aytug.

Im Bärenzentrum leben heute 56 Tiere. Finanziert, organisiert und betreut wird das Tierschutzprojekt vom deutschen Tierschutzverein Pro Animale. Eine schwere Aufgabe, besonders, weil man anfangs keinerlei Erfahrungen mit der Haltung von Wildtieren hatte. 1996 hatte die Gründerin der Organisation, Johanna Wothke, in einer türkischen Stadt eine folgenschwere Begegnung: In einer Art Verlies angekettet, sah sie den Bären Pascha als Wächter des örtlichen Atatürk-Denkmals. Der verzweifelte Blick des Bären veranlasste die Tierschützerin, ihn freizukaufen. So kam Pascha in das Bärenzentrum, das seit 1991 von dem international tätigen, englischen Tierschutzverein „World Society for the Protection of Animals“ (WSPA) geleitet wurde. Doch WSPA gab das Projekt an den türkischen Staat zurück. Die Verantwortlichen in Ankara waren aber nicht bereit, die teure und aufwändige Anlage zu erhalten. Ein Auswilderungsprogramm sollte Abhilfe schaffen. Mit Hilfe von Experten konnte Pro Animale nachweisen, dass die in Gefangenschaft aufgewachsenen Bären in freier Wildbahn nicht überleben würden – und sah sich auf einmal unerwartet in der Verantwortung für das Bärenzentrum. Die Freude darüber hielt sich in Grenzen, denn Wildtiere lassen sich nicht so einfach wie Haus- oder Bauernhoftiere in einer Auffangstation halten. Doch keine andere Tierschutzorganisation erklärte sich bereit, das anspruchsvolle Bärenprojekt zu übernehmen.

Seit 2001 leben die Tiere nun in der Obhut von Pro Animale. Weitere Bären wurden freigekauft und das Gelände auf 100.000 Quadratmeter vergrößert. Denn es ist das Credo des Vereins, nur von Tierschutz zu sprechen, wenn die Tiere, egal welcher Art, lebenswert gehalten werden können.

Man zog Experten hinzu, um einen artgerechten Lebensraum für die vielen Bären zu schaffen. Diese gaben Hinweise zur Fütterung und Unterbringung. Auch eine umfassende Renovierung der Anlage wurde auf ihren Rat hin ins Auge gefasst. Zwei Pfleger wurden eingestellt, die sich seitdem um die Bären kümmern. Die türkischen Ansprechpartner zeigten sich zufrieden über diese Lösung und waren hilfreich bei der Beschaffung von preiswertem Baumaterial. Auch Waldarbeiter wurden von ihnen zur Verfügung gestellt, doch damit erschöpfte sich die Hilfe auch bereits. Die Tierschützer sind allerdings schon froh, dass sie keine Steine in den Weg gelegt bekommen.

Die monatlichen Kosten des Bärenzentrums sind enorm: Rund 3.000 Euro müssen allein für das Futter aufgewendet werden, 500 Euro kosten die Pfleger. Dazu kommen Kosten für Medikamente und tierärztliche Leistungen, für Neubaumaßnahmen und den Erhalt der riesigen Anlage. Zur finanziellen Unterstützung vergibt der Verein Patenschaften. Eine schöne Idee: Jeder Pate bekommt den Gipsabdruck einer Tatze „seines Bären“.

Obwohl Bären in der Türkei geschützt sind, werden sie immer wieder von Bauern und Jägern erschossen. Zum einen werden die wild lebenden Tiere als Bedrohung für Mensch und Tier angesehen, zum anderen sind sie als Jagdtrophäen hoch begehrt. Ihre Gallenblase wird als angeblich Potenz steigerndes Mittel teuer verkauft. Die Bärenkinder bleiben unversorgt zurück, wenn ihre Eltern den Wilderern zum Opfer gefallen sind. Sie werden wohl in Zukunft die ehemaligen Tanzbären im Bärenzentrum ablösen.

Jungbären; Rechte WDR (TV-Bild) Bereits jetzt leben fünf kleine Bären in Karacabey. Diese wurden zunächst von einem Hund versorgt, der sie schließlich in ein Dorf brachte, wo sie dann von Bauern aufgezogen wurden. Als die fünf zu groß wurden, kamen sie in das Bärenzentrum. Dort ist man der Meinung, dass auch diese Tiere in echter Freiheit nicht überleben würden. Doch die Experten streiten sich darüber, unter welchen Voraussetzungen sich Tiere erfolgreich auswildern lassen. Pro Animale vertraut den Fachleuten, die eine Auswilderung bei Tieren, die von Hand großgezogen wurden oder in der Abhängigkeit von Menschen lebten, ablehnen.

So putzig die Kleinen auch sind: Sobald sie sich im Park selbst versorgen können, sollen sie ohne direkten Kontakt zu Menschen als Bären unter Bären leben – so wie die anderen, erwachsenen Bären auch. Denn im Grunde haben alle Bären von den Menschen genug. Deshalb achten die Betreuer darauf, dass sie selbst beim Füttern Abstand halten. Das Essen für die Tiere werfen sie über den Zaun. Doch immer wieder gibt es Situationen, in denen die gewaltigen Tiere selbst Anschluss suchen. Nicht selten geht ein Bär innen im Gehege mit, wenn außen ein Mensch die Runde macht.

Das Bärenzentrum in Karacabey ist ein schöner, friedlicher Ort, aber keine heile Welt, kein Wildlife-Park. Johanna Wothke nennt es ein Mahnmahl gegen menschliche Grausamkeit gegenüber dem Tier.

Die befreiten Bären fühlen sich hier offensichtlich wohl, aber manche zeigen noch deutliche Spuren ihrer traumatischen Erfahrungen. Pakize ist noch lange nicht so weit, dass sie sich richtig wohl fühlt. Aber immerhin hat sie ein viel besseres Leben je zuvor. Und Menschen, die sie immer nur missachtet und gequält haben, beobachten und betreuen sie jetzt nur noch aus der Ferne. Vielleicht lernt die alte Bärin doch noch, den Rest ihres Lebens zu genießen. Und vielleicht wird die einsame und von Menschen gefährlich gemachte Bärin schließlich doch noch mit den anderen Bären durch das große Gehege streifen.


Link:

WWW www.pro-animale.de

Pro Animale



Dieser Text gibt den Inhalt des Beitrags der Servicezeit: Tiere suchen ein Zuhause vom 13. November 2005 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.

– Alle Angaben ohne Gewähr –

 

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