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Biographisches Lexikon für Ostfriesland
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WACHTER, Franz

geb. 21.3.1853 Ludwigslust
gest. 30.3.1923 Aurich
luth
Archivar; Dr. phil

Als es 1897 galt, den Posten des Staatsarchivars in Aurich neu zu besetzen, geschah innerhalb der Preußischen Archivverwaltung etwas Unerhörtes: Der Ausgewählte wurde gefragt, ob er die Stelle annehmen würde, und nicht kurzerhand versetzt. Die Anfrage war freilich mit der Bedingung verknüpft, daß der Betreffende in Aurich zu bleiben habe. Franz Wachter hat sie erfüllt: Er ist der erste und letzte preußische Archivar, der in Aurich begraben worden ist.Der Mecklenburger Wachter hatte in Halle Geographie und Geschichte studiert und war ob seiner Schwerhörigkeit nach der Promotion zum Dr. phil. 1879 in den preußischen Archivdienst eingetreten, der ihn zuerst nach Breslau führte. In Schlesien hat er geheiratet und sich wohl gefühlt; eine Versetzung nach Düsseldorf ließ ihn im rheinischen Milieu nicht warm werden, so daß er nach Breslau zurückkehrte. Von dort ging er freiwillig nach Aurich, um Erster im kleinen statt Zweiter im großen Archiv zu sein.Von 1897 bis 1921 hat Franz Wachter das Staatsarchiv in Aurich geleitet. Er fand ein neues Gebäude vor, das bei seinem Abgang überfüllt war. Das Personal im Archiv beschränkte sich auf drei Stellen; gelegentlich kam ein junger Archivar auf einige Monate zur Aushilfe, von welchen Kochendörffer das Staatsarchiv wiedersehen sollte. Wachter war mehr ein Organisator als ein im Gehäuse verharrender Archivar. Als erster übernahm er neben staatlichen Archivbeständen Archivalien nichtstaatlicher Herkunft als Deposita, von denen hier nur das Archiv der Ostfriesischen Landschaft und das der Familie zu Inn- und Knyphausen erwähnt seien.Franz Wachter eröffnete mit dem Verlag Friemann in Aurich die Reihe der "Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands", die heute von der Ostfriesischen Landschaft weitergeführt wird. Es war die erste Serie von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur ostfriesischen Geschichte. Damit traf der Landfremde aber sofort auf die ostfriesische Eifersucht, verkörpert in der Person Friedrich Ritters, der die Wissenschaft von der heimischen Geschichte in der altehrwürdigen Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden allein aufgehoben wissen wollte. Folgerichtig wurde die neue Reihe im Jahrbuch der Gesellschaft ignoriert.Der empfindliche Wachter hat darauf mit vorsichtiger Zurückhaltung reagiert und beispielsweise nichts zu der in Emden verehrten Person des Königs Friedrich II. von Preußen gesagt, deren Schattenseiten ihm aus Schlesien vertraut waren. Jahre später mußte er erleben, daß man in Emden immer noch ein Monopol auf die ostfriesische Geschichtsforschung zu haben meinte. Mit Heinrich Reimers war er nämlich der Ansicht, es müsse ein ostfriesischer Geschichtsverein gegründet werden, wie es ihn allenthalben in Deutschland gab. Sie fanden dabei auch die Unterstützung der Ostfriesischen Landschaft, und Wachter hielt 1914 einen programmatischen Vortrag, aber in Leer und nicht in Emden. Der erste Weltkrieg zerstörte dann alle diese Pläne.1909 erhielt Wachter den Titel eines Geheimen Archivrats; 1903 hatte ihm die Ostfriesische Landschaft schon das Indigenat gegeben. 1910 gehörte er zu den Gründern der Historischen Kommission für die Provinz Hannover. In seiner Dienstzeit wurden die ersten Dissertationen aus Materialien des Auricher Staatsarchivs verfaßt, die ohne seinen Rat nicht zustande gekommen wären. Daß das Staatsarchiv in Aurich in seinen beengten Verhältnissen blieb, ist ihm nicht anzulasten, eher dem Krieg von 1914. Franz Wachter blieb zeitlebens im Hintergrund der öffentlichen Bühne, ohne sich dort dem süßen Nichtstun hingegeben zu haben.WerkeDer Einfluß der nationalen und klerikalen Stellung Gisleberts von Mons auf seine Geschichtsschreibung, Diss. phil. Halle 1879; Geschichtsschreiber Schlesiens des XV. Jahrhunderts, Breslau 1883 (Scriptores Rerum Silesicarum, 12); [mit C. G r ü n h a g e n], Akten des Kriegsgerichts von 1758 wegen der Kapitulation von Breslau am 24. November 1757, Breslau 1895 (Scriptores Rerum Silesicarum, 15); Aktenstücke betr. den Minister Grafen von Hoym, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 30, 1896, S. 254-272; Akten des Kriegsgerichts von 1763 wegen der Eroberung von Glatz 1760 und Schweidnitz 1761, Breslau 1897 (Scriptores Rerum Silesicarum, 16); Das Staatsarchiv zu Aurich, in: Ostfriesisches Schulblatt 39, 1899, S. 264-268, 40, 1900, S. 212-217; Ostfriesland unter dem Einfluß der Nachbarländer, Aurich 1904 (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, 2); Nachträge und Berichtigungen zum Ostfriesischen Urkundenbuche. A) Zur Geschichte des Vorwerkes Münkewarf in der ehemaligen Herrlichkeit Dornum im 15. Jahrhundert. B) Urkunden des Cisterziensernonnenklosters Lilienthal im Kreise Osterholz bei Bremen betreffend den St. Peterszehnten in Norden, in: Jahrbuch der Ges. für bildende Kunst und vaterländ. Altertümer zu Emden 15, 1905, S. 379-388; Ein Versuch, die Rechtsgültigkeit der Brandenburgischen Anwartschaft auf das Fürstentum Ostfriesland anzufechten, in: ebd., S. 420-425; Bericht des Kanzlers Homfeld wegen der Behandlung der ostfriesischen Affaire auf dem Kongresse zu Soissons, in: ebd., S. 425-427; Erlaß des königlichen Kabinetts-Ministeriums zu Hannover an den Regierungsrat von Gruben zu Aurich betreffend das Verhalten der Beamten in Ostfriesland den Eingeborenen gegenüber, in: ebd., S. 427-428; Bericht über die Ausgrabung des Rabbelsberges bei Süddunum im August 1904, in: ebd., S. 493-501; [Hrsg. mit H. B r u g m a n s], Briefwechsel des Ubbo Emmius, Band 1 und 2, Aurich 1911 und 's-Gravenhage 1923; Zur Frage der Totschlagsühne und Begnadigung von Mördern, in: Upstalsboomblätter für ostfriesische Geschichte und Heimatkunde 2, 1913, S. 38-41; Aufgaben und Ziel der ostfriesischen Geschichtsforschung, Vortrag...in Leer 1914, Aurich 1914; Zur Erinnerung an den 10. Mai 1916. Als Ms. gedruckt, Aurich 1916; Mitteilungen zur Geschichte der Familie v. Frese. Das Testament des Klaus Frese, Häuptlings zu Hinte und Uttum, vom 1. Mai 1582. Als Handschrift gedruckt, Aurich 1917; Emdens Erhebung zur Stadt, in: Ostfriesische Zeitung Nr. 501 vom 25.10.1917; Das Erbe der Cirksena. Ein Stück ostfriesische Geschichte und des Kampfes um die Vorherrschaft in Norddeutschland, Aurich 1921.QuellenStAA, Rep. 100, Nr. 184 und 1224.LiteraturDBA N.F.; Heinrich R e i m e r s, Nachruf auf Franz Wachter, in: Ostfriesische Zeitung vom 14.4.1923; Günther M ö h l m a n n, Geschichte des Staatsarchivs, in: Günther Möhlmann und Joseph König, Geschichte und Bestände des Niedersächsischen Staatsarchivs in Aurich (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung, 5), Göttingen 1955, S. 96-99; d e r s., Franz Wachter, in: Niedersächsische Lebensbilder (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen, 22), Band 3, Hildesheim 1957, S. 328-340 (Portr.); Wolfgang L e e s c h, Die deutschen Archivare 1500-1945, Band 2, München 1992, S. 641.PorträtPhotographie, StAA.

 
Walter Deeters