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Harry Glücks hängende Gärten

Der Wohnpark Alt-Erlaa - eine Stadt in der Stadt
Von Reinhard Seiß

Hier wird ein missverstandener Amerikanismus importiert, der schlicht und einfach familienfeindlich ist. Die knapp hundert Meter hohen Wohnblöcke sind - noch dazu in dieser extrem windigen Lage - zu zwei Drittel kaum unter normalen Bedingungen zu bewohnen. Wie oft im Jahr kann man hier einen Wohnraum öffnen oder eine Loggia benützen? So klagte der Architekturkritiker der "Presse" bereits in der Entwurfsphase von Alt-Erlaa. Wie die meisten seiner Kollegen Anfang der 70er Jahre hielt er das Großprojekt für eine "maßlose Übersteigerung städtebaulicher Wohn-Monokulturen, deren Nachteile hinlänglich bekannt sind", und sah darin ein Ghetto der Zukunft: "Die Gefahr für Kinder beginnt schon bei der Wohnungstür, mit Kindern ins Freie zu gehen wird für eine Mutter zum Unternehmen, und über die Gang- und Liftkriminalität gibt es wirklich schon genügend Literatur."

Im Jahr 2000 präsentierte die Wiener Stadtplanung eine Studie über die Wohnzufriedenheit sowie das Freizeit- und Mobilitätsverhalten ihrer Bürger im geförderten Wohnbau. Aus dem Vergleich repräsentativer Wohnanlagen älteren und jüngeren Datums gingen als Testsieger drei Projekte von Architekt Harry Glück hervor - an erster Stelle der "Wohnpark Alt-Erlaa". Hinsichtlich Lebensqualität, Sicherheit, Ausstattung mit Gemeinschaftseinrichtungen, Gestaltung der Höfe und Freiflächen oder der architektonischen Erscheinung setzten sich Glücks vergleichsweise nüchterne Bauten gegen so manches Wiener Prestigeprojekt der 80er und 90er Jahre klar durch.

Gründe für den Erfolg

Die Untersuchung ergab ebenfalls, dass die Bewohner von Alt-Erlaa überdurchschnittlich viel Freizeit im unmittelbaren Wohnumfeld verbringen. Das heißt, sie steigen signifikant weniger oft ins Auto, um aus der Stadt zu flüchten. Und das bedeutet, sie tragen tendenziell weniger zur Zersiedlung des Stadtumlands durch Zweitwohnsitze bei. Auch wenn der Wohnpark zum Großteil aus den "prä-ökologischen" 70ern stammt, ist er umweltverträglicher als viele der gut gedämmten so genannten Ökobauten. Zudem sind die drei Wohnblöcke "durch ihre Kompaktheit im Energieverbrauch sehr günstig", wie Harry Glück betont. "Und die versiegelte Bodenfläche ist auf das unvermeidliche Minimum reduziert."

Ausschlaggebend für den Erfolg von Alt-Erlaa sind mehrere Gründe. Einerseits das Bestreben, möglichst vielen Großstädtern Ersatz für einen eigenen Garten zu bieten: Übereinander angeordnete Terrassen, zwecks optimaler Besonnung etagenweise zurückversetzt, reichen bis in den 13. Stock - was den drei parallelen, sich nach oben parabolisch verjüngenden Wohnscheiben die Bezeichnung "gestapelte Einfamilienhäuser" eintrug.

Andererseits ist die Attraktivität dieser kleinen Stadt in der Stadt mit ihrer hervorragenden Infrastruktur verknüpft: Für die knapp 10.000 Bewohner des - vom Oberflächenverkehr freigehaltenen - Wohnparks stehen 3.400 Tiefgaragenplätze sowie seit knapp zehn Jahren auch ein direkter U-BahnAnschluss zur Verfügung, weiters zwei Ärztezentren mit 17 Ordinationen, drei Schulen, zwei Jugendclubs, zwei Kindergärten und ein Kindertagesheim, eine Kirche, ein Verwaltungsgebäude und schließlich - als Verbindung der Blöcke A und B - ein Kaufpark mit insgesamt 45 Händlern, Dienstleistern und Gastronomen; alles kindergerecht bzw. alten- und behindertentauglich gestaltet.

Noch bedeutsamer scheint allerdings die Ausstattung mit Freizeit- und Gemeinschaftseinrichtungen. Durch ihren terrassierten Aufbau weisen die Wohnscheiben in den untersten Geschossen eine Trakttiefe von rund 60 Meter auf. Im Gebäudeinneren war somit Platz für über 20 Klub- und Hobbyräume, sieben Schlechtwetter-Kinderspielräume, ebenso viele Schwimmbäder, 21 Saunaanlagen und sechs Solarien. In angrenzenden Bauten finden sich auf dem 21 Hektar großen Areal darüber hinaus zwei Tennishallen und eine Rundturnhalle - und im Freien noch mehrere Sport- und Kinderspielplätze.

Am spektakulärsten sind aber zweifellos die sieben Dachschwimmbäder in 70 Meter Höhe. "Glück baut um öffentliches Geld Swimming Pools für die Proleten", lautete eine der bösartigen Kritiken an der geförderten Wohnanlage. Dabei kommt den Bädern die entscheidende "bandstiftende Funktion" zu, wie der Architekt es nennt - "so wie im Dorf die Kirche, das Wirtshaus oder der Kaufmann". Die Pools werden von über 90 Prozent aller Mieter in Anspruch genommen, von 70 Prozent sogar regelmäßig. Damit initiieren sie Kommunikation unter den Bewohnern und stimulieren das rege Vereinsleben in Alt-Erlaa. Bei jenen seiner Wohnbauprojekte, in die Harry Glück kein Schwimmbad integrieren konnte, "lagern in den Gemeinschaftsräumen die Winterreifen des Hausmeisters".

Erinnerung ans Rote Wien

"Wohnen wie die Reichen - und zwar für alle", lautet Glücks Motto, mit dem er sich bewusst auf die Arbeiterpaläste des Roten Wien der 20er und frühen 30er Jahre bezieht. "Die Geschichte zeigt deutlich: Wer so leben konnte, wie er leben wollte, schuf sich stets eine Wohnung mit freier Aussicht und Bezug zur Natur, mit Wasser im Umfeld sowie Möglichkeiten zur Geselligkeit und zu spielerischer Entfaltung."

Der Natur im Wohnpark Alt-Erlaa wurde zum einen zwischen den drei Wohnblöcken Platz gegeben: jeweils 180 Meter beträgt der Abstand zwischen den Blöcken A, B und C - parkartig gestaltet und mit reichem Baumbestand. Zum anderen verfügen die Terrassen über 6 Meter lange und 1 Meter breite Pflanzentröge, die - üppig begrünt - den Landschaftsraum bis in 40 Meter Höhe hinaufziehen.

Vom 15. bis zum 27. Stockwerk besitzt jede Wohnung eine geräumige Loggia, die in teilweiser Schrägstellung aus der Fassade herausragt und trotz der Ost-West-Orientierung der Gebäude auch freie Aussicht nach Norden und Süden ermöglicht. Man blickt somit nicht auf die gegenüberliegende Wohnscheibe, sondern an den Bauten vorbei ins Grüne - bei schönem Wetter sogar bis zu den Alpen. Mangelnde Fernsicht macht die untersten Etagen keineswegs unattraktiv, weisen die Wohnungen hier doch die großzügigsten Terrassen mit bis zu 40 Quadratmeter Fläche auf. Und in den obersten Etagen dürfte der Wind wohl nicht wirklich störend sein. Der beste Beweis dafür ist, dass von den insgesamt 3.200 Wohnungen des Wohnparks selten mehr als fünf oder sechs leer stehen.

Die Gestalt der größten nicht-kommunalen Wohnanlage Österreichs ist vielfältiger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Im Inneren gleicht kaum eine Wohnung der andern - insgesamt 35 verschiedene Typen hat Harry Glück mit seinen Projektpartnern Hlaweniczka, Requat und Reinthaller für Alt-Erlaa entworfen: 1- bis 5-Zimmer-Apartments, Maisonetten, so genannte Saalwohnungen und andere mehr. "Auf zwei Etagen bezogen wir die künftigen Mieter partizipativ in die Planungen mit ein", erinnert sich der Architekt. "Schließlich entschieden sich jedoch fast alle für einen der Regelgrundrisse."

Auch die äußere Erscheinung der im Windkanal modellierten Bauten ist durchaus differenziert. Die drei rund 400 Meter langen Scheiben - bestehend aus je acht aneinandergereihten weißen Wohntürmen, die in ihrer Höhe variieren - werden von Flachbauten unterbrochen und durch schmale Erschließungstürme unterschiedlich gegliedert. Ebenso verschiedenartig angeordnet sind die begrünten Terrassen der einzelnen Wohnungen. Und die Eingangshallen wurden von führenden zeitgenössischen bildenden Künstlern wie Georg Eisler, Adolf Frohner, Alfred Hrdlicka und Fritz Martinz individuell ausgestaltet.

Dass Alt-Erlaa keine gewöhnliche Großwohnanlage ist, zeigt sich seit jeher auch an der sozialen Durchmischung der Bewohner. Stolz erzählt man von den vielen Prominenten, die hier gelebt haben oder noch immer Alt-Erlaaer sind: Goleador Hans Krankl etwa, der in Block A wohnte, bevor er nach Barcelona ging - oder sein Nationalteamkollege Willi Kreuz, der heute im Kaufpark eine Trafik betreibt. Und dass das Glück'sche Wohnmodell nach wie vor auch für jüngere Menschen attraktiv ist, beweist der Umstand, dass sich die mittlerweile erwachsene Kindergeneration aus Alt-Erlaa in auffallend großer Zahl wieder um Wohnungen in den drei Blöcken bemüht.

Als einer der Vorzüge der Anlage gegenüber innerstädtischen Wohnungen wird häufig genannt, dass die Kinder im autofreien Alt-Erlaa ohne Aufsicht im Freien spielen und allein in den Kindergarten und die Schule gehen können. "Das erspart mir zwei Stunden am Tag", erklärt eine mehrfache Mutter, die einst als Single begeisterte Innenstadtbewohnerin war. Nun sei auch ihre Schwiegermutter hierher gezogen, da sie ihre frühere Wohnung im 3. Stock eines Altbaus in Wien-Landstraße nach einem Unfall nicht mehr nutzen konnte. In Alt-Erlaa kommt sie ohne Stufen von der Wohnung zum Arzt, zum Kaufpark und selbst zum Schwimmbad. Ihre Familie habe erwogen, sich am Stadtrand ein Haus zu bauen - "allerdings wäre dort der Standard, den wir hier vorfinden, unerschwinglich".

Ein anderer Bewohner schätzt an Alt-Erlaa, "dass man hier nicht vereinsamen kann". Anfänglich kam es ihm komisch vor, dass sich in einem Hochhaus alle Leute im Lift grüßen - bald schon lernte er aber den Gemeinschaftsgeist schätzen. Vor allem in seinem Stockwerk, wo sechs Wohnungen zu einer Gruppe zusammengefasst sind, entstanden binnen kurzer Zeit freundschaftliche Beziehungen - von ungezwungenem Tratsch bis zu regelmäßigen Nachbarschaftsfesten.

Überhaupt sei ganz Alt-Erlaa - hinsichtlich der Einwohnerzahl so groß wie Eisenstadt - wie ein Dorf, in dem jeder jeden kennt: "Wenn ich mein Kind einkaufen schicke und es vergisst, was es mitbringen sollte, dann ruft der Verkäufer bei mir an und fragt nach."

Architekten-Ablehnung

Trotz seiner offenkundigen Qualität wird Alt-Erlaa bis heute von der Wiener Architektenszene - die mittlerweile selbst an Hochhäusern Gefallen gefunden hat - in seltener Einigkeit abgelehnt. Harry Glück erklärt sich diese Verachtung damit, daß viele Kollegen mehr für das Feuilleton bauen als für den Menschen - "was sich dann aber in der Nachfrage nach ihren Wohnungen niederschlägt". Sonderbar findet Glück jedenfalls, dass sein Bau in den Wiener Architekturführern keinerlei Erwähnung findet - im Gegensatz zu jenen Wohnquartieren des 23. Bezirks, die seit kurzem den Wohnpark umgeben. Dass die Bewohner der benachbarten Neubauten die Infrastruktur und - heimlich - auch die Dachschwimmbäder von Alt-Erlaa mitnutzen, zeigt, wie weit formale Architekturkritik und erlebte Wohnqualität auseinanderliegen können.

Größere Aufmerksamkeit fand Harry Glücks Arbeit jenseits der Landesgrenzen. 1985 kam ein Team des Bayerischen Fernsehens nach Wien, um das vermeintliche Hochhausghetto Alt-Erlaa den postmodernen Wohnhäusern der IBA Berlin gegenüberzustellen. Aus dem geplanten Verriss wurde jedoch eine Eloge, die bald auch Folgeaufträge aus dem Ausland nach sich zog. "Das war ein 9:0-Erfolg Österreichs über Deutschland", so Glück - "noch dazu in einem Auswärtsmatch!"

Freitag, 02. April 2004

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