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Hüter von Tradition und Büchern

Ein Besuch bei den Wiener Mechitharisten
Von Birgit Schwaner

Lange Zeit glaubte man, das Paradies orten zu können. Bei Euphrat und Tigris gelegen, im Norden - so lauten die biblischen Angaben. Vage genug, um den Traum von Eden lebendig zu halten, und doch so bestimmt, dass im Mittelalter im gesamten christlichen Orient ein Land als dasjenige galt, in dem Adam und Eva unbewusstes Glück, "Sündenfall" und Vertreibung erfuhren: Armenien.

Und jetzt ein Sprung nach Wien, in die Gegenwart: Blaue Weintrauben, Birnen, Datteln, Bananen, Äpfel, Zitronen und Ananas, Zimt, Vanille, Orangenblüten, Schafgarbe, Calmus, Jamaicarum und armenischer Cognac. Das sind einige Zutaten für "Mechitarine", den mehrfach ausgezeichneten Likör der Mechitharisten. Wir sitzen im Empfangsraum ihres Klosters im 7. Wiener Bezirk, als der Herr Portier eintritt und jedem ein Stamperl der klaren, rötlichbraunen Flüssigkeit serviert. Sie schmeckt süß, wärmt angenehm und soll, wie wir erfahren, gesund sein.

"Früher war der Klosterlikör vor allem Medizin", sagt Pater Vahan, "die Kräuter müssen lange im Alkohol liegen, damit sie wirken. Wir produzieren 3.000 Liter im Jahr - natürlich, kein Vergleich zu Coca Cola." Allerdings - und das ist wirklich der einzige vergleichbare Aspekt - ist wie bei der populären Brause das Rezept geheim. Die Patres haben es 1680 in einer armenischen Handschrift entdeckt und seitdem erfolgreich praktiziert. So ist noch jetzt, im 21. Jahrhundert, der Mechitarine eine, wenn auch schmale, Einkommensquelle.

Mechithar von Sebaste

Pater Vahan, schwarz gewandet und mit feinem Humor, kümmert sich um die säkular orientierten Besucher des Klosters: Er führt im Schnitt zwei Gruppen pro Woche durch Kirche, Museum und Bibliothek, zeigt einige Stücke der manche Rarität umfassenden Sammlung. Man kann ihn auch fragen, wie es dazu kam, dass es in Österreich ein armenisches Kloster gibt. Die besonders Interessierten wird er dann aber auf ein Buch verweisen, oder auf eine der hier zu kaufenden Schriften; denn es ist eine lange Geschichte. Hier eine sehr knappe Fassung: Seit 1810 leben Mönche des Mechitharistenordens im 7. Wiener Bezirk, unweit der Neustiftgasse. Dort haben sie neben ihrem religiösen Tagesablauf ein reales wie mentales Archiv armenischer Geschichte, Kultur und Tradition etabliert. Mechithar von Sebaste (Sivas), ihr Ordensgründer, mag es 1701 so vorgesehen und vorgelebt haben.

Geboren in Armenien, das heißt: Zu Hause sein in einem Land, das im Lauf seiner Geschichte zu oft von mächtigeren Nachbarn erobert und aufgeteilt wurde, dessen Bewohner vertrieben, dessen Städte und Dörfer immer wieder zerstört wurden. Vor dem Hintergrund seiner Herkunft verstand Mechithar seinen religiösen Auftrag als kulturelle Aufgabe - im Sinne der zumindest intellektuellen Bewahrung eines Territoriums, das nur imaginär vorhanden sein durfte.

Schon zu Lebzeiten Mechithars (1676 bis 1749) musste der Orden, dessen Angehörige die Regeln der Benediktiner übernahmen, mehrmals den Aufenthaltsort wechseln. Von Konstantinopel aus, wo man die Mönche als romtreue Christen verfolgte, flohen die ersten 16 Mechitharisten über Smyrna (Izmir) nach Modon (Methoni) auf dem Peloponnes. Der Ausbruch des

türkisch-venezianischen Krieges und die Zerstörung ihres Klosters zwangen sie 1717, auf die Halbinsel San Lazzaro bei Venedig zu ziehen, in ein ehemaliges Hospiz für Orientreisende, wo sich heute das Zentrum der Congregation befindet.

Mission, Erziehung und Wissenschaft lauten die drei Stichwörter für die Tätigkeiten des Ordens. Patres reisten in alle Himmelsrichtungen, in denen Armenier wohnten. 12- bis 15-jährige Söhne verarmter armenischer Familien wurden als Zöglinge aufgenommen und bis zur Berufs- oder Universitätsreife ausgebildet. Man forschte und schrieb außer in der Theologie besonders im Bereich Linguistik und Literatur. Mechithar gab eine vorbildliche armenische Bibel heraus, verfasste unter anderem mehrere neuarmenische Grammatiken, sowie ein Wörterbuch, an dem er 22 Jahre arbeitete. Versuche, das klassische Altarmenisch des 5. Jahrhunderts zu rekonstruieren (das später Lord Byron in San Lazzaro lernte) und als Schrift- bzw. Literatursprache zu etablieren, kamen hinzu, auch Marienlyrik.

Kurz, durch den universal gebildeten Ordensgründer und seine oft ähnlich vielseitigen Nachfolger entstand in der Enklave armenischer Mönche auf der venezianischen Halbinsel (und später auch in Wien) eine geglückte Synthese aus europäisch-religiösem und orientalistischem Gelehrtentum.

Flucht nach Österreich

Wenige Jahre nach Mechithars Tod weigerten sich einige Patres, Reformen ihres neuen Abtes zu akzeptieren, übersiedelten nach Triest und gründeten einen selbstständigen Zweig der Congregation. Was für die Habsburger kein politischer Nachteil war: wie nebenher konnten Missionsstationen und Schulen dieser Padri Armeni im Orient der Österreichwerbung dienen. Die Flucht nach Wien folgte ein halbes Jahrhundert später: 1805 erhielt Napoleon im Pressburger Friedensvertrag Triest zugesprochen; der klein gewachsene Eroberer betrachtete die Triestiner Armenier als Österreicher und ließ sie vertreiben.

So kamen die Mechitharisten nach Verlust ihres Besitzes vor 185 Jahren in die österreichische Hauptstadt, wo ihnen Franz I. Asyl gewährte und die älteren Privilegien großteils bestätigte. Als Bleibe wies man ihnen ein aufgehobenes Kapuzinerkloster in der damaligen Vorstadt St. Ulrich zu, materielle Unterstützung erhielten sie von

armenischen Kaufleuten. Da es Freunden gelungen war, aus Triest einen Teil des Inventars der Mechitharisten-Druckerei, Maschinen und Lettern, zu retten und nach Wien zu bringen, konnte bereits wenig später deren Betrieb aufgenommen und eine erste Existenzgrundlage geschaffen werden. Wer heute die Mechitharisten besucht, wird jedoch weder ein ehemaliges Kapuzinerkloster noch eine aktive Druckerei vorfinden. Ersteres brannte 1835 ab - Joseph Kornhäusel, Erbauer des Schottenstifts, lieferte die Pläne zum noch erhaltenen Neubau. Und die Druckerei - früher mit 70 Arten Schriften die umfassendste der Welt - ist seit drei Jahren eingestellt. Die Anpassung an immer neue technische Verfahren wurde einfach zu teuer. Der jetzige Klosterkomplex umfasst (neben der stillen Druckerei) die Kirche "Maria Schutz", die Likörkellerei, das Museum, die bedeutende Bibliothek und die Räume, in denen derzeit sechs Patres wohnen.

Die Patres stammen meistens aus Syrien oder dem Libanon, wo es seit dem türkischen Genozid (1915/16 wurden bei Deportationen und Massakern rund 1,5 Millionen Armenier getötet; was die türkische Regierung offiziell noch immer nicht zugibt) zahlreiche armenische Gemeinden gibt und die Mechitharisten Schulen unterhalten. Pater Vahan etwa wurde in Syrien geboren: "Meine Eltern wollten eigentlich nach Armenien, mein Vater war sehr religiös und ein Patriot. Aber damals war Armenien kommunistisch . . . Schließlich sind wir mit der ganzen Familie in den Libanon übersiedelt." Dort besuchte er eine Schule der Mechitharisten und kam dann als 13-jähriger Seminarist nach Wien - wo bis vor zwei Jahren (als man sich wieder mit der Congregation in Venedig vereinigte und als Zentrum der beiden Klöster San Lazzaro bestimmte) auch Seminaristen unterrichtet wurden.

Von den Buben, die nicht nur viele Kilometer, sondern quasi Welten von ihrer Heimat entfernt lebten, wurde einiges erwartet: allein im ersten Jahr mussten die Wiener Seminaristen Armenisch, Deutsch und Englisch lernen, im zweiten noch Altarmenisch und Latein. "Die Matura zu schaffen", erzählt Pater Vahan, "war eine Hürde; wie bei der Millionenshow." Danach folgen Noviziat, Studium und für die Entschlossenen die Priesterweihe. Gemäß dem Missions- und Erziehungsauftrag gehört es für die Mechitharistenpatres zu ihrer Ausbildung, auch einige Jahre in einer der vielen Dependancen der Con-gregation zu arbeiten. "Wir haben Schulen in Armenien, Libanon, Syrien, in der Türkei, in Ungarn; Pfarren in Wien, in Rom, in Boston, in Argentinien, eine Schule in Kalifornien . . .", zählt der Pater auf und fügt an: "und alles mit nur 29 Patres" (aus Venedig und Wien).

Eine kulturelle Institution

Wie diese Aufzählung künden auch Museum und Bibliothek des Klosters von der Diaspora der Armenier - und von der Bedeutung der Mechitharisten als kultureller Institution. Als Zentrum und Anlaufstelle derer, die über die Welt verstreut wurden. Und "aus aller Welt armenisch" sind dementsprechend die Objekte, die man hier beherbergt. Noch ein Blick in das Refektorium der Mönche - und schon betreten wir den Berg Ararat. Der höchste Berg Armeniens, auf dem der Bibel zufolge am Ende der Sintflut Noahs Arche gestrandet war, ist im Lift zu den Museumsräumen als Bodenmosaik eingelassen.

Die Führung beginnt bei den sakralen Gegenständen und Utensilien sowie den Mess- und Chorgewändern der Mechitharisten. Unter ihnen ein weißes, kunstvoll besticktes Ornat mit Stola aus Madras in Indien, aus dem Jahr 1780. Auch die gezeigten prunkvollen Priesterkronen, Zeichen des byzantinischen Einflusses auf die armenische Kirche, dürften im westlichen Abendland ein wenig exotisch gewirkt haben. So wurde auch, als die armenisch-katholischen Patres nach Wien übersiedelt waren, gefordert, dass sie ihre Mode den hiesigen Messgewändern anpassten. In einer Vitrine ist die Bibelübersetzung Mechithars zu sehen (1733 bis 1735 in Venedig gedruckt), in einer anderen das Privileg von Maria Theresia, aufgeschlagen beim ersten Blatt.

Das Museum gleicht einer etwas ungeordneten Wunderkammer des 20. Jahrhunderts. Volkskundliches, Trachten, Souvenirs finden sich ebenso wie antike Teppiche mit und ohne (typisches) Drachenmuster, Bildwerke armenischer Maler sämtlicher Epochen seit dem 19. Jahrhundert, unabhängig, scheint es, von ihrer Qualität. Aber wer würde auch meinen, dass die Nationalität den Künstler macht? Originale des bekannten Courbet-Zeitgenossen und Zarenfreundes, des Marinemalers Aiwasowski, finden sich neben gut gemeinten Epigonenwerken - das eine wie das andere stammt von Armeniern.

Die Patres archivieren. Oft waren die Exponate Geschenke, wie die ägyptische Tempelsängerinnen-Mumie, das mittelalterliche Kettenhemd, die kleinasiatischen Öllampen, Rollsiegel, das antike Mischgefäß, die römischen Statuetten, Schreibmaschinen, sogar eine Dollfußbüste steht in der untersten Reihe einer Vitrine, neben einer sportlichen Plastik. Jedes Objekt eine Spur zu einer Geschichte oder einer Person in der Diaspora.

Am wichtigsten aber sind die Bücher. Die Bibliothek des Mechitharistenklosters umfasst als einzigartigen Kernbestand 3.000 armenische Handschriften (die älteste aus dem 10. Jahrhundert), 170.000 weitere Bücher zur Armenistik, 12.000 Übersetzungen und eine 80.000 Exemplare umfassende Sammlung armenischer Zeitschriften. Pater Vahan öffnet ein kleines Buch aus dem Mittelalter. Die armenischen Buchmaler waren für ihre Kunst und Genauigkeit weithin berühmt. Ihre Handschriften sind es heute, u. a. durch die "Kolophone": Anmerkungen am Rand, von denen man die Geschichte des Buches oder Blattes ablesen kann. Jeder Besitzer trug sich ein, dazu, weshalb und unter welchen Umständen er die Schrift erstand. So gibt es etwa eine spätmittelalterliche armenische Handschrift, die 1923 einem Mechitharistenpater auf einem Markt im Iran in die Hand gedrückt wurde - als Obsttüte. Er schickte sie nach Wien; die Spuren der Traubenkerne sind noch sichtbar.

Vielleicht lässt sich anhand dieser kleinen Geschichte besser verstehen, dass für die Mechitharisten Sprachforschung und Sprachpflege engstens mit ihrer religiösen Mission verbunden sind. Wer ihre Kirche besucht, wird in Nähe des Altars u. a. auch den heiligen Mesrop Maschtoz sehen, der im Jahr 405 das armenische Alphabet festlegte, das 38 Buchstaben enthält. Auch hierüber wüssten Pater Vahan und seine Mitbrüder genug zu erzählen, als Hüter einer Tradition, in der die Bücher Ikonen und die Heiligen Sprachforscher wurden, damit es ein Überleben gab.

Am Karfreitag findet um 15 Uhr eine Auferstehungsprozession und ein Hochamt statt. Am Ostersonntag folgt auf die Heiligen Messen um 7 Uhr und 9 Uhr ein Pontifikalamt um 11 Uhr. Am Ostermontag um die gleichen Zeiten Messen. Führungen durch die Klosterkirche und das Museum in der Mechitaristengasse 4, 1070 Wien, kann man telefonisch mit Pater Vahan vereinbaren, Tel. Nr. 523 64 17. Den Mechitarine kann man in der Neustiftgasse 19 erwerben.

Freitag, 18. April 2003

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