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Der Weg alles Irdischen

Einige Geschichten vom Sterben und Begrabenwerden
Von Beppo Beyerl

In Wien gibt man den Löffel ab, oder man reißt ein Bankl, oder man beißt ins Gras, oder man springt dem Tod von der Schaufel, oder man streckt die Patschn, oder man macht den letzten Schnaufer, oder man schaut sich die Erdäpfel von unten an, oder man reißt eine Brezn. Wobei die Brezn von der alten Wiener Lagerung des zu Bestattenden kommt: Der Verblichene wurde mit verschränkten Händen, also in Brezn- oder Brezelform, in den Sarg gelegt.

Dieser "man", das war früher eben der Verblichene, oder der Dahingegangene, oder der von der dieser Welt Scheidende, die anderen gelten bis heute als die Hinterbliebenen, die das einschneidende Ereignis noch vor sich haben. Heute gilt bei der Wiener Bestattung folgende Sprachregelung: Der, der im Sarg liegt, ist "der Verstorbene", oder bestenfalls der "liebe Verstorbene". Und zum Abschied sagt man zu der werten Trauergemeinde nicht ein verheißendes "Auf Wiedersehen", sondern höchstens ein lakonisches "guten Tag".

Die Partezettel

Nicht immer wirken die Sprachregelungen auf den Partezetteln, die eigentlich aus dem Französischem kommen und in Deutschland "Todesanzeigen" heißen. Zwar können rein rechtlich die wohlmeinenden Erben auf die von ihnen erwünschte Formulierung des Textes bestehen, was jedoch zur Konstruktion von nicht immer geglückten Bilder führt: "XY brach sich im Jagdgalopp das Genick und reitete direkt in den Himmel hinein". Zu Grenzfällen werden Formulierungen, die unter Umständen eine Klage nach ziehen können und die deshalb von den Druckereiunternehmungen in der Regel abgelehnt wurden: "Mein geliebter Mann verstarb durch die Behandlung des Doktors XY" oder "Meine geliebte Frau wurde für immer beseitigt durch den Fahrer des PKWs mit der Nummer YZ."

Kaum beeinflussen die Sprachregelungen die Inschriften auf den Grabsteinen. Bekannt und jedem zugänglich sind die Auflistungen der kakanischen Würdigungen auf den alten Grabsteinen am Wiener Zentralfriedhof. Schon ein Jammer, dass das beschränkte Ausmaß des Grabsteines es erforderlich machte, dass der werte Verblichene nicht pleno titulo, sondern in verstümmelten Abkürzungen auf die Nachwelt wirken musste: So ruht am Zentralfriedhof ein "Besitzer des Mil.Verd.Kr.III Kl. Mit KD und Schwert, Bes. d. Sign.Laud.Gr.silb. Tapferkeitsmedaille".

Weniger bekannt sind die skurrilen Inschriften, die auf irgendwelchen kleinen Friedhöfen in irgendeiner österreichischen Gemeinde zu finden sind. Herr Julius Müller, pensionierter Mitarbeiter des Wiener Bestattungsmuseums, sammelt solche Texte: "Hier ruhet Konrad Reich als Leich; - Ein schlechter Tenorist, jedoch ein guter Christ, im Leben hat er nie so leicht wie jetzt die Höh erreicht!" Oder: "Hier ruht in Gott Mathias Kirchlechner. 26 Jahre lebte er als Mensch und 37 Jahre als Ehemann." Oder: "Hier ruht mein lieber Arzt XY. Und alle die er heilte neben ihm!" Oder: "Hier ruht die ehrsame Jungfrau Anna Frilmoser. Auch ruht da ihr unschuldiges Kind Josef." Oder vom Grabstein des am Hernalser Friedhof bestatteten Schriftstellers Ferdinand Sauter, der das Wissen um die eigene Vergänglichkeit noch mit grimmigem Sarkasmus paarte: "Deshalb Wandrer, zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter!"

Kompliziert ist also der Weg alles Irdischen, der übrigens von der Erde herrührt und eigentlich ein erdischer sein müsste. Dieser Weg endet freilich nicht in besagter Erde, sondern entweder im Verschluss des Sarges oder im Verschluss der Urne. Da auch das Entstehen oder das Zustandekommen des Irdischen nichts mit der Erde zu tun, sondern eher mit einem komplizierten Vorgang, der sich durch verwickelte Hormone und fehlende Indikationen auszeichnet, der sogenannten Zeugung, sind wir nie im Leben Irdische, sondern höchstens früh oder später Sterbende.

Sind wir dann Verstorbene, werden wir in Sarg oder Urne ruhend bis in die Ewigkeit - oder solang die Friedhofsgebühren reichen - aufgehoben. Wobei mir die dreifache Bedeutung des lateinischen Aufhebens - tollo, tollis, tollere, sustuli, sublatum - trotz seiner grammatikalischen Irregularität sehr gut gefällt: Ich hebe ein Papierl auf, ich hebe ein Sparbüchl auf, ich hebe einen Widerspruch auf. Und letzten Endes kann man "tollo" auch mit der extremsten Art des Aufhebens, mit "Ich töte", übersetzen.

Natürlich wurde in Wien dieser nicht rückführbare Vorgang des Dahin-Gehens, des Ver-Scheidens wie ein barockes Theaterstück inszeniert, dem umso begeisterte Zuseher folgten, je mehr Macht, und Ansehen der Dahin-Geher und Ver-Scheider auf sich vereinen konnte; schließlich markierten Geburt und Hochzeit und Tod die aufschließenden Stationen im Leben eines Sterblichen. Und wie der Held eines barocken Spektakels wusste der sich mit einem gigantischen Zeremoniell Verabschiedende: Auf die Wirkung kommt es an.

Der Klappsarg

Da musste Kaiser Joseph II. scheitern mit seinem Sparprogramm der öffentlichen Hand: Sah es doch die Einrichtung jenes Klappsarges vor, der heute noch im Wiener Bestattungsmuseum zu besichtigen ist. (Für weitere Informationen zu diesem Museum siehe auch S. 6.) Der werte Verblichene wurde nackt in einen Leinensack genäht und in einem einfachen Sarg deponiert. Dann wurde der Sarg auf das Grab gestellt, der Totengräber klappte den Boden des Sarges auf und der Leinensack plumpste ins Grab hinein. Nun folgte die Bestreuung mit ungelöschtem Kalk, dann wurde Erde nachgeschüttet.

Nach einem halben Jahr musste der Kaiser den Klappsarg oder Plumpssarg für immer schließen, die Trauergemeinschaft der im Schmerze wollüstig Leidenden und die Innung der Sargtischler hatten gesiegt über das unkatholische Sparprogramm des aufgeklärten Kaisers.

Der markanteste Punkt im linearen Ablauf des Lebens ist also der Tod. Da muss man aber schon genau sein, sonst begeht man unter Umständen einen irreparablen Fehler. Also band man eine Seilschlinge um den Arm der bereits versargten Leiche. Sollte das Leben auf geheimnisvollem Wege in den Körper zurückkehren oder sollte der Arzt mit seiner Diagnose doch ein bisschen geirrt haben, dann wackelte der vom Toten Auferstandene mit seinem Arm. Das Seil war auf der anderen Seite mit einem Wecker verbunden, dessen Geläut den Totengräber aus dem Schlafe rüttelte. Und der lebendig Versargte konnte entsargt und wieder ins traute Leben rückgeholt werden.

Doch nichts ist so sicher wie der hieb- und stichfeste Nachweis des unabänderlichen Todes. Im Wiener Bestattungsmuseum zeigt man ein Stilett, mit dem der Arzt den Herzstich verübte. Dies wurde von verzagten und ängstlichen Zeitgenossen oft testamentarisch verfügt und entspricht im Sicherheitsdenken jenem Selbstmörder, der beim Sprung von der Reichsbrücke ins kalte Wasser der Donau mit dem Revolver auf seine Schläfe schoss.

Ein gelungenes Beispiel für diese Unsicherheit ist das Testament von Johann Nestroy: "Das einzige, was ich beym Tode fürchte, liegt in der Idee der Möglichkeit des Lebensbegrabenwerdens. Die Todtenbeschau heißt so viel wie gar nichts, und die medizinische Wissenschaft ist leider noch in einem Stadium, daß die Doctoren - selbst wenn sie einen umgebracht haben - nicht einmal gewiß wissen, ob er todt ist."

Also verfügte Johann Nestroy testamentarisch über den Herzstich, nebst ihm etwa auch der Klavierfabrikant Bösendorfer sowie der Schriftsteller Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler arbeitete bekanntlicherweise ursprünglich als Arzt.

Nichts ist umsonst, schon gar nicht der Tod. So schafft man heute das Sterben nicht unter 50.000, aber da muss schon die Familiengruft vorhanden sein, sonst muss man sich noch um den Grabstein kümmern. Die Auswahl reicht vom maschinell erzeugten Einheitsstein bis zum vom Bildhauer maßgeschneiderten Gesamtkunstwerk. Die Eichentruhe geschnitzt kostet 13.500, aber auch hier sind der Preisgestaltung nach oben bei individueller Anfertigung kaum Grenzen gesetzt.

Die Freidenkermethode

Ab 1923 konnte man in Österreich die alte Freidenkermethode wählen und verfügen, dass die menschlichen Überreste dem Feuer anvertraut werden. Vor 1923 musste sich der Einzuäschernde - samt Sarg - auf seiner letzten Reise vom Wiener Franz-Josephs-Bahnhof über Prag und Dresden bis nach Gotha ins dortige Krematorium begeben, was die Kosten für die trauernden Hinterbliebenen nach oben schnellen ließ.

Endlich wurde am 17. Dezember 1922 in Wien-Simmering die erste Wiener Feuerhalle eröffnet. Ermöglicht wurde die Feuerbestattung durch eine Erfindung von Friedrich Siemens, die er 1873 auf der Wiener Weltausstellung präsentierte: Ein Verbrennungsofen zur Einäscherung von menschlichen Leichen.

Der geplante Bau einer Feuerhalle in Simmering hatte in der kurz nach 1918 einsetzenden Debatte einen Skandal ausgelöst, wobei die Kontrahenten sich in etwa mit den beiden großen politischen Lagern deckten.

Am 16. Dezember 1922 verbot der christlichsoziale Minister Dr. Schmitz, der im Kabinett Seipel I für soziale Verwaltung zuständig war, die Inbetriebnahme der unchristlichen Feuerhalle. Einen Tag später, am 17. Dezember, eröffnete sie der sozialdemokratische Bürgermeister Jakob Reumann. Am 17. Jänner 1923 erfolgte die erste Ein-äscherung. Ein Augenzeugenbericht: ". . . senkte sich der mit Kränzen reich geschmückte Sarg langsam in die Tiefe. In ungefähr einem Meter Tiefe blieb die Versenkungsplatte mit dem Sarg stehen. Die Trauergäste konnten der Toten einen letzten Gruß nachsenden. Dann schlossen sich von unten herauf die beiden gewölbten, bronzenen Deckel der Versenkung. Der Sarg glitt weiter hinab in den Verbrennungsraum".

Das hätte er aber nicht tun sollen. Denn daraufhin klagte die Regierung den Wiener Bürgermeister nach § 142 B-VG "Anklage gegen oberste Bundes- Landesorgane", ein Anklageverfahren, das in der Geschichte der ersten und zweiten Republik nur in ganz wenigen Fäl-len zur Anwendung kam. Der Bürgermeister hatte offenbar findige Rechtsanwälte: Das Gemeindestatus, demzufolge der Bürgermeister (oder Landeshauptmann) die Weisung des Ministers infolge eines Beharrungsbeschlusses des Gemeinderates nochmals umgehen konnte, sei im Einvernehmen mit der Regierung geschaffen worden, und der Bürgermeister müsse sich selbstverständlich an den Beharrungsbeschluss des Gemeinderates halten.

Damit war der Streit um das Krematorium im Neugebäude ent-schieden. Und am 23. September 1924 konnte bereits gefeiert werden: Im Krematorium wurde die 1000. Einäscherung vollzogen.

Bis heute gleicht sich die Zeremonie: Nach der Ansprache des Nachrufredners schwindet das Licht und der Sarg versinkt in der Tiefe. Der Sarg ist übrigens ein nicht lackierter, höchstens mit Bienenwachs imprägnierter Kremationssarg: Man will verhindern, dass etwaige Giftstoffe durch den ungefilterten Rauchfang des Krematoriums dringen.

Im Ofen verbrennen bei etwa 1.000 Grad Celsius Sarg und Mensch, nur die Seele muss sich entscheiden, ob sie schon vorher die enge Bande des Körpers und den etwas weiteren Verschluss des Sarges sprengt und sich für immer verabschiedet - oder ob sie mitverbrennt. Die von der Konsistenz her unterschiedliche Holzasche wird abgesaugt, übrig bleibt das etwa zweieinhalb Kilogramm schwere biologische Endprodukt des menschlichen Lebens. Zu guter Letzt wird das Häuferl Asche in eine Überurne gefüllt, auch hier kann man zwischen mehreren Materialien wählen und sich für Porzellan oder Stein entscheiden. Im Bestattungsmuseum befindet sich eine Urne Copyright by Wiener Werkstätte.

Die billigste Variante

Am billigsten ist freilich jene Variante, die durch ihre Nüchternheit und durch ihr fehlendes Spektakel viele Sterbliche zu Lebzeiten abschreckt: Die Variante "Anatomie". Letztendlich ist die Vorbereitung für diese Variante ebenso wenig spektakulär wie das weitere Schicksal des Objektes der Wissenschaft: Nach einem Anruf im Institut erhält man einen Zettel zugesandt. Für den Fall der Fälle sollte man jenen ausgefüllten Zettel stets in seinem Geldbörsel mit sich tragen: "Ich, handschriftlicher Name - habe verfügt, dass mein Körper . . . dem Institut für Anatomie für Unterricht und wissenschaftliche Forschung zur Verfügung gestellt wird." Und man hat die Gewissheit, dass man zumindest nach Lebzeiten mit bestem Wissen und Gewissen zur weiteren Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auch eine Kleinigkeit beiträgt. Als Belohnung erhält man dafür ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Übrigens: Wer während einer Dienstreise zu sterben beabsichtigt, der sollte zu Lebzeiten vorsorgen und etwaige Vordatierungen des Sterbedatums in Erwägung ziehen. Gilt doch laut Bundesreisekostengesetz vom 13. November 1973. "Stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet. Die Kosten der Überführung der Leiche oder Urne vom Sterbeort an den Familienwohnsitz sind reisekostenrechtlich nicht erstattbar."

Freitag, 03. November 2000

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