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Zarathustras Erben

Die Parsen von Bombay bleiben ihrer altpersischen Religion treu
Von Eleonore Chowdhury-Haberl

Vor mehr als 40 Jahren saß im Zug von Wien nach Salzburg ein junges, westlich gekleidetes indisches Ehepaar. Im selben Coupé befand sich auch ein Herr - augenscheinlich ein Einheimischer - in Soutane. Das indische Ehepaar unterhielt sich in Gujarati, der Sprache, die in der Provinz Gujarat nördlich von Bombay gesprochen wird. Ihre Überraschung war groß, als der Herr in Soutane sich an die beiden wandte, sie in Gujarati ansprach und fragte, ob sie etwa Parsen aus Bombay seien, also Anhänger des altpersischen Propheten Zarathustra. Bei dem jungen Ehepaar handelte es sich tatsächlich um Parsen aus Bombay, und zwar um Sir Hirji und Lady Jeenoo Jehangir; der Herr in Soutane war niemand geringerer als der Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König. Ein anregendes Gespräch über die Parsen folgte und es stellte sich heraus, dass der Kardinal ein profunder Kenner dieser altpersischen Religion war. Adressen wurden ausgetauscht, der Kontakt wurde aufrecht erhalten und im Jahre 1965 reiste Kardinal König nach Indien, um in Bombay am Eucharistischen Weltkongress teilzunehmen, der in jenem Jahr dort stattfand. Kardinal König wurde von Sir Hirji und Lady Jeenoo Jehangir eingeladen, in ihrem alten Palais an der Nepean Sea Road ihr Gast zu sein.

Wer sind die Parsen von Bombay? Kenner klassischer Musik werden vielleicht wissen, dass der große indische Dirigent Zubin Mehta ein Parse aus Bombay ist, aber über die Geschichte dieser bemerkenswerten Volksgruppe altpersischen Ursprungs weiß auch der gebildete Weltbürger wenig.

Von Persien nach Indien

Im 8. Jahrhundert in mehreren Schiffen von Persien nach Indien geflüchtet, um nicht zum Islam konvertieren zu müssen, erhielten sie bei ihrer Landung an der Westküste Indiens nördlich von Bombay vom einheimischen Fürsten die Erlaubnis, sich niederzulassen und ihre Religion zu praktizieren, jedoch unter der Bedingung, die Sitten und Gebräuche des Adoptivlandes zu respektieren. Dies wurde versprochen und auch gehalten.

Die Parsen hatten ihr heiliges Feuer aus Persien wohlbehalten bis Indien gebracht und errichteten sofort einen kleinen Tempel zur Aufbewahrung des Feuers. Seit jener Zeit also lebten die Parsen in Gujarat, viele zogen im 18. Jahrhundert nach Bombay. Sie heirateten nur unter einander, vermehrten sich und bewahrten ihre Religion. Die Parsen brachten es im Laufe der Jahrhunderte zu Ansehen und Wohlstand. Sie trieben Handel, waren für die Maharajas tätig, ihre große Zeit aber kam, als Indien Teil des Britischen Empire wurde. Die Anhänger des altpersischen Propheten Zarathustra, der 1500 v. Chr. gelebt haben soll, waren weltoffener als die einheimischen Hindus, kannten kein Kastensystem und keine Speisevorschriften, die den gesellschaftlichen Verkehr mit den Briten erschwert hätten. Sie waren Monotheisten, glaubten an einen allmächtigen Gott.

Die Parsen wurden ideale Mittelsmänner für die englischen Kolonialherren. Vor allem standen die Parsen im Ruf, sehr tüchtige, ehrliche und reelle Kaufleute mit großem Unternehmungsgeist zu sein. Es war ein Parsi-Unternehmer, der bereits 1736 die ersten Werften im Bombayer Hafen baute. Bald segelten die indischen Handelsschiffe in die ganze Welt und brachten ihren Eignern Reichtum. Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Parsen zur einflussreichsten Bevölkerungsgruppe Bombays geworden.

Alte Riten und Gebräuche

Die Parsen-Gemeinde von Bombay hat ein Sozialnetz, das sich sehen lassen kann. Für minder bemittelte Parsen gibt es erschwingliche Sozialwohnungen in den so genannten "Baugs", gepflegte Wohnanlagen mit Gärten, wahre Oasen inmitten der dichtgedrängten Viertel von Bombay. Es gehört zu den religiösen Pflichten eines zu Vermögen gekommenen Parsen, einen Teil seines Reichtums für gute Zwecke zu spenden. Parsen-Industrielle haben Schulen, Kunstakademien, Waisenheime, Krankenhäuser, Tempel, Armenküchen und viele andere öffentliche Institutionen gestiftet, die nicht nur den Parsen, sondern auch den Angehörigen aller Religionen zugute kommen. Bombay hat diesen philanthropischen Parsen sehr viel zu verdanken, und man wird an diese Stifter auch im Stadtbild erinnert: Statuen wichtiger parsischer Persönlichkeiten und Wohltäter mit ihren unverwechselbaren hohen Kopfbedeckungen stehen an vielen

Stellen der Stadt.

Die Grundsätze der Zarathustrier lauten: gute Taten, gute Worte, gute Gedanken. Lügen sind absolut verpönt und Schuldenmachen ist verboten. Diese Prinzipien sind im "Zendavest", den alten Schriften der Zarathustrier, verankert und jedes Parsi-Kind muss die parsischen Grundsätze bei seinem Navjote, einer Initiationszeremonie, die im 7. Lebensjahr stattfindet, auswendig kennen. Nach dem Navjote dürfen die Kinder dann das erste Mal das Kennzeichen der Parsen, das Sadrah, ein dünnes, kurzärmeliges, handgenähtes Baumwollunterhemd anlegen, die Knaben auch die heilige Schnur, das so genannte Kasti. In vielen Bezirken Bombays stehen die Feuertempel der Parsen, meist in gepflegten Gärten. Dort finden im Freien die Navjotes der Parsi-Kinder statt. Sie sind immer ein gesellschaftliches Ereignis, zu dem viele Gäste eingeladen werden.

Die vier Elemente, Erde, Wasser, Feuer und Luft, sind den Parsen heilig und dürfen nicht verunreinigt werden. Deshalb werden ihre Toten nicht eingeäschert oder begraben, sondern in den "Türmen des Schweigens" - sieben dicht nebeneinander liegenden, kreisförmigen, von hohen Mauern umgebenen Bauten - den Geiern zum Fraß vorgesetzt. Die Leichenträger, deren Amt sich vom Vater auf den Sohn vererbt, tragen die Leichen zu den Türmen und sammeln später, wenn die Geier ihre Arbeit getan haben. die Knochen ein. Die Gebeine werden dann in die zentrale Grube des Turmes geworfen, die eine Schicht aus Sand und Holzkohle zur Filterung des Regenwassers enthält.

Der uns makaber erscheinende Brauch wird in letzter Zeit auch von den Bombayer Parsen selbst in Frage gestellt, gibt es doch in der 15-Millionen-Stadt Bombay neuerdings sehr viel weniger Geier als früher, sodass die "Entsorgung" der Parsen in den Türmen des Schweigens nicht mehr gewährleistet ist. Außerdem sind rund um die Türme, die sich auf einem idyllischen, bewaldeten Areal auf dem Malabar-Hill, einer teuren Wohngegend in Süd-Bombay, befinden, viele Hochhäuser entstanden, deren Bewohner sich des öfteren über die grausigen Brocken beklagen, die die Geier gelegentlich auf ihre Balkone hinabfallen lassen. Man denkt nun ernstlich daran, die Leichen einzuäschern.

Englischer Lebensstil

Noch bis in die Mitte der 60iger Jahre wohnten die wohlhabenden Parsi-Familien in weitläufigen Villen im viktorianischen Stil, meist als Großfamilie, nicht selten mit einer Dienerschaft von 20 Personen. Im Zuge der Grundspekulationen in den 60iger Jahren mussten viele alte Villen modernen Hochhäusern weichen. Diese Familien pflegten einen englischen Lebensstil, gaben große Diners, besuchten die Pferderennen, waren Mitglieder der großen Clubs, legten aber damals wie heute Wert darauf, dass alte Riten und Gebräuche strikt eingehalten werden. Eine Parsi-Nachbarin in unserem Wohnhaus in Bombay hängte an parsischen Festtagen Blumengirlanden über die Lifttür, schwenkte einen Weihrauchkessel durch das Stiegenhaus und stellte - das war ein unverzichtbarer Brauch - aufgeschlagene rohe Eier in den Schalen auf den Boden vor die Lifttüre. Eier sollten besonders glückbringend sein.

Bei religiösen Festen, wie etwa Navjotes oder Hochzeiten, sah man bis vor einigen Jahrzehnten noch die Parsi-Männer in ihrer traditionellen Kleidung, einem weißen Anzug aus feiner Baumwolle, mit Maschen geschlossen und den typischen hohen schwarzen Lackhelm. Heute herrscht unter den Parsen von Bombay westliche Kleidung vor.

Es gibt unter den Parsen nicht nur erfolgreiche Geschäftsleute. Die Parsi-Gemeinde hat Nuklearwissenschafter, berühmte Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler hervorgebracht. Ein Parse begründete im 19. Jahrhundert die indische Stahlindustrie, die Air-India wurde Anfang der 30iger Jahre von einem Parsen gegründet. Da die Parsen sich kulturell eher mit dem Westen, vor allem mit England identifizierten, war es auch diese Volksgruppe, die in Bombay zusammen mit den indischen Christen, westliche Musik pflegte. Ja, es gab in Bombay sogar ein Symphonie-Orchester, das "Bombay Symphony Orchestra", welches von Mehli Mehta, dem Vater Zubin Mehtas, gegründet worden war.

Dieser Hang, sich nicht mit Indien, sondern mit England zu identifizieren, hat die Parsen nach dem Abzug der Engländer im Jahre 1947 in eine Krise geführt. Viele wollten Indien verlassen, weil sie wussten, dass eine andere Zeit anbrechen würde. In der Tat sind viele Parsen ausgewandert, sodass ihre Zahl in Bombay sich nun auf 60.000 reduziert hat. Parsen haben eine niedrige Geburtenrate und ihre Neigung, nur untereinander zu heiraten, hat dazu geführt, dass ein ungewöhnlich hoher Anteil ihrer Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen zur Welt kommt. Die späten Eheschließungen der Parsis tragen ebenfalls zur Dezimierung dieser Volksgruppe bei. Konvertierungen gibt es nicht. Nur durch Geburt wird man Parse. Weltweit gibt es noch 200.000 Zarathustrier.

Es gehört zur Pflicht jedes Parsen, einmal im Jahr zum heiligen Schrein der Parsen in Udwada, einer kleinen Stadt am Arabischen Meer, nördlich von Bombay zu pilgern. Dort befand sich der Ort, an dem die Parsen im 7. Jahrhundert das erste Mal in Indien an Land gingen. In Udwada befindet sich der wichtigste Feuertempel der Parsen in Indien. Er wurde im 17. Jahrhundert neu erbaut. Nicht-Parsen dürfen nicht hinein. Udwada ist ein idyllischer Ort mit alten Häusern, die nun hauptsächlich von Parsi-Priestern und ihren Familien bewohnt werden, die für die Tempeldienste verantwortlich sind und sich um den Verkauf der für den Tempelbesuch nötigen Utensilien kümmern: Sandelholz, Räucherstäbchen usw.

Einmal im Leben ist auch eine Pilgerreise in die Urheimat Persien zu den alten religiösen Stätten der Zarathustrier vorgeschrieben.

Gefährdete Zukunft

Alle Parsen haben altpersische Namen und Vornamen und unterscheiden sich auch dadurch von ihren hinduistischen und moslemischen Mitbürgern. Sie sind schlank und großgewachsen und vor allem hellhäutiger als die einheimische Bevölkerung. Allerdings hat sich im Laufe von 1.300 Jahren wohl doch indisches Blut mit Parsen-Blut vermischt, denn hie und da sieht man auch dunklere Parsen.

Trotz ihrer enormen Verdienste für Bombay macht der neue hinduistische Nationalismus den Parsen zu schaffen. Indien war bis vor einigen Jahrzehnten ein sehr offenes, tolerantes Land; im Laufe der Jahrhunderte hatten Gläubige verschiedenster Religionen Aufnahme gefunden hatten und sich in die Gesellschaft integrieren können. Diese Zeiten sind wohl vorbei, denn immer wieder kommt es zu Diskriminierungen, manchmal auch zu Ausschreitungen gegen Nicht-Hindus, aber auch gegen Hindus seitens der moslemischen Bevölkerung. Bis jetzt wurden die Parsen noch verschont.

Wenn das Bevölkerungswachstum so rasant weiter geht, dann wird eine der ungewöhnlichsten Volksgruppen des alten Orient, die ihre Sitten und Gebräuche über mehr als drei Jahrtausende bewahren konnte, trotzdem aber dynamisch, weltoffen und kosmopolitisch ist, eher früher als später vom Aussterben bedroht sein.

Freitag, 07. November 2003

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