Home
Willkommen
Presse
Konferenzen
2006
Reden
Programm
Teilnehmer
Fotos
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
Organisation
Chronologie
 
Switch to English!
 
Öffnet ein neues Fenster, von dem aus Sie leicht drucken können.


Redner:
    Merkel, Dr. Angela
Funktion:
    MdB, Vorsitzende der CDU Deutschlands, Deutscher Bundestag, Berlin
Land/Organisation:
    Deutschland

International Terrorism- The European Impact
02.02.2002

Anrede,

in Deutschland war es in den vergangenen Jahren schon zu einem Ritual geworden, jede Rede zur Sicherheitspolitik mit einem Hinweis auf die veränderte weltpolitische Lage nach dem Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung Deutschlands zu beginnen. Dieses Paradigma trägt heute nicht mehr.

Die terroristischen Anschläge vom 11. September haben die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Konstellationen erneut grundlegend verändert. Es ist spätestens mit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon offenbar geworden, dass der internationale Terrorismus eine der großen Herausforderungen der Zukunft ist. Natürlich gibt es heute auch Stimmen, die sagen, die Gefahr durch den Terrorismus sei auch vor dem 11. September vorhanden gewesen. Dies stimmt. Doch müssen wir einräumen, dass wir diese Gefahr in ihrer Dimension nicht erkannt haben, dass die Tragweite des Terrors, wie er sich in New York und Washington gezeigt hat, für die meisten von uns in dieser Form nicht vorstellbar gewesen ist.

Der 11. September 2001 markiert eine historische Zäsur. Auch wenn wir uns nun vor hektischem Aktionismus hüten müssen, kommen wir nicht umhin, unsere sicherheitspolitischen Dispositionen einer grundlegenden Prüfung zu unterziehen. Wir müssen feststellen, dass wir auf die Herausforderung des internationalen Terrorismus nur unzureichend vorbereitet sind. Welche Schlussfolgerungen müssen wir also ziehen? Lassen Sie mich hierzu 5 Thesen aufstellen:

1. These: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist eine Aufgabe, der sich niemand entziehen darf!

Die Anschläge vom 11. September trafen zwar das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington - doch letztlich zielten sie auf die Werte, für die die westlichen Gesellschaften stehen: Die Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz. Die Staaten der Europäischen Union können sich nicht zurücklehnen und die Bekämpfung des Terrors den USA überlassen. Dieses Vorgehen ist für uns keine Alternative - aus Gründen der Solidarität mit den Vereinigten Staaten, aber nicht zuletzt auch aus ureigenem Interesse daran, dem Terror auch in unseren Ländern keine Chance zu geben.

Die Tatsache, dass terroristische Schläfer auch von Deutschland aus die Anschläge geplant haben, macht nur allzu deutlich, dass unsere Gesellschaft, aber auch andere europäische Staaten vom internationalen Terrorismus bedroht sind. Unsere offenen, liberalen Gesellschaften haben sich für Terroristen als nützliche Rückzugsräume erwiesen. Die Attentäter nutzten die ihnen gebotenen bürgerlichen Freiheiten aus, ohne aber die mit dieser Gesellschaftsordnung verbundenen Werte auch nur in Ansätzen zu verinnerlichen. Es ist erschreckend, dass scheinbar mit Hamburg eine deutsche Stadt zu einem Knotenpunkt im Netzwerk von AI Qaida hat werden können. Die Möglichkeit, dass noch immer Schläfer in Deutschland, aber auch in anderen Ländern nur auf eine Gelegenheit warten könnten, zeigt, dass die terroristische Gefahr nach dem militärischen Sieg in Afghanistan keineswegs gebannt ist. Nötig ist deshalb, ein neues Gleichgewicht zwischen liberalen, bürgerlichen Rechten einerseits und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit der Bürger andererseits zu finden.

Dies gilt nicht zuletzt für Europa, wo effiziente Maßnahmen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus noch immer durch die Vorbehalte der Nationalstaaten, zugunsten der Union auf Souveränitätsrechte zu verzichten, verzögert oder verhindert werden. Zwar haben sich nach dem 11. September mehrere Europäische Räte intensiv mit der Frage der Terrorismusbekämpfung beschäftigt und hierzu auch Beschlüsse gefasst, die für die EU einen Zugewinn an Sicherheit bedeuten. Doch unter dem Strich mussten wir feststellen, dass es nach den Terroranschlägen von New York und Washington nicht mehr, sondern weniger Europa gegeben hat. Die einzelnen Länder gingen vielfach daran, in einer Art Schönheitswettbewerb ihre jeweils nationalen Beiträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus anzubieten und zu demonstrieren. Ministerpräsidenten, Kanzler und Außenminister waren vor allem bemüht, ihre engen bilateralen Beziehungen mit den USA zu demonstrieren. Die EU als ganzes blieb - vor allem im bilateralen Verhältnis zu den USA - weitgehend auf der Strecke.

Allerdings muss angesichts der Dimension der Krise und der daraus folgenden militärischen Aktionen die Frage erlaubt sein, ob es realistisch ist zu hoffen, dass die EU ausgerechnet in dieser Phase der Geschichte - bei der anstehenden Frage über Krieg und Frieden - alle nationalen Widerstände überwinden und effektive europäische Entscheidungs- und Handlungsstrukturen entwickeln kann. Ist es nicht nahe liegend, dass diejenigen aktiv werden, die in einer Situation über die Ressource verfügen, die dringend benötigt wird - nämlich die Nationalstaaten mit ihren jeweiligen Streitkräften? Wir sollten uns also davor hüten, die EU wegen ihrer außenpolitischen Schwäche im Moment der schwersten Krise an den Pranger zu stellen. Vielmehr sollten wir alle Anstrengungen darauf richten, der EU die Mechanismen und Instrumente an die Hand zu geben, die sie befähigen, zukünftig bei ähnlichen Krisen schnell und effektiv zu reagieren.

Es stellt sich also mehr denn je die Frage, wie die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und die Kohärenz ihrer Politik in den Feldern der inneren und äußeren Sicherheit gestärkt werden kann. Bei der Sondertagung des Europäischen Rates in Brüssel am 21. September des vergangenen Jahres wurde der EU zwar eine zentrale Rolle im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zugewiesen, doch ist noch unklar, inwiefern diese Bekenntnisse bei der Regierungskonferenz im Jahr 2004 Eingang in die Europäischen Verträge finden werden.

2. These: Die Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit sind in der EU bereits vorangekommen, müssen aber noch verbessert und ausgeweitet werden.

Innere und äußere Sicherheit lassen sich immer weniger voneinander trennen. Der internationale Terrorismus kann weder mit den Instrumenten der inneren noch der äußeren Sicherheit allein erfolgreich bekämpft werden. Deshalb müssen nicht nur in diesen beiden Politikbereichen Fortschritte gemacht, sondern darüber hinaus müssen sie auch eng miteinander verzahnt werden.

Das europäische Projekt, bis 2004 einen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu schaffen, muss erfolgreich umgesetzt werden. Wir benötigen aufeuropäischer Ebene solche Institutionen und Instrumente, die unsere Freiheit und die Sicherheit unserer Bürger effizient schützen können.

Einige Erfolge kann die EU bereits vorweisen:

• An erster Stelle steht der Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus, der insbesondere eine Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit vorsieht.

• Nach den Anschlägen vom 11. September konnte man sich auf einen europäischen Haftbefehl einigen. Die Entscheidung für einen solchen europäischen Haftbefehl war überfällig, denn die schwerfälligen Auslieferungsverfahren innerhalb der EU behinderten die Strafverfolgung und damit auch die Bekämpfung des Terrorismus.

Die neue Geldwäsche-Richtlinie sowie der Rahmenbeschluss zurBeschlagnahme des Vermögens terroristischer Organisationen sind ebenfalls effektive Instrumente der Terrorismusbekämpfung.

• Bereits auf dem EU-Gipfel von Tampere im Oktober 1999 forderten die Staats­und Regierungschefs eine gemeinsame Definition des Begriffs Terrorismus. Diese Forderung wird nun in die Realität umgesetzt.

Dennoch bleiben zahlreiche, noch zu erledigende Aufgaben:

• Das Europäische Kriminalamt Europol muss im Bereich Terrorismus besser ausgestattet werden.

• Die enge und teilweise auch sehr gute Zusammenarbeit der einzelnen nationalen Sicherheitsbehörden reicht bei den heutigen Bedrohungsszenarien nicht mehr aus. Deshalb benötigen wir einen eigenen europäischen Geheimdienst.

Um eine rasche Handlungsfähigkeit der EU und eine wirksame demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament in der Innen- und Rechtspolitik der EU zu gewährleisten, muss auch in diesem Politikbereich die Vergemeinschaftung der Kompetenzen vorangetrieben werden.

• Schließlich sollten wir ein Abkommen zwischen Europol und dem FBI anstreben, das den Austausch von Daten und die Zusammenarbeit im Kampf gegen das internationale Verbrechen, Geldwäsche und den internationalen Terrorismus verbindlich regelt.

3. These: Eine überzeugende gemeinsame Außenpolitik setzt eine schlagkräftige Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik voraus.

Während der 11. September im Bereich der Innen- und Rechtspolitik durchaus einen integrationspolitischen Schub gegeben hat, ist davon in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wenig zu spüren. Doch auch in der GASP und in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - ESVP - brauchen wir spätestens 2004 entscheidende Schritte nach vorne. Die Bilanz der europäischen Sicherheitspolitik ist bislang traurig. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich immer wieder als ein disharmonischer Chor präsentieren, geben rund die Hälfte dessen aus, was die Vereinigten Staaten von Amerika für ihre Verteidigung aufwenden. Wirklich beschämend ist aber, dass die EU-Staaten damit lediglich etwa 10% der militärischen Schlagkraft der USA erzielen. Die Kleinstaaterei in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen kostet die EU-Staaten nicht nur viel Geld, sondern auch militärischen und vor allem politischen Einfluss.

Allerdings sollten wir unsere sicherheitspolitischen Anstrengungen nicht allein an den Verteidigungsausgaben messen. Der europäische Beitrag für die wirtschaftliche und politische Stabilisierung der jungen demokratischen Staaten in Mittel- und Osteuropa, die Bemühungen bei der Friedenssicherung und beim Wiederaufbau Südosteuropas sowie die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus dieser Region, der Finanztransfer nach Russland, z.B. im Zusammenhang mit dem Abzug der russischen Truppen aus Deutschland, die Anstrengungen der EU in Bezug auf die südlichen Mittelmeeranrainer und jetzt beim Wiederaufbau des seit Jahrzehnten von Bürgerkrieg und Chaos geschundenen Afghanistan - all dies muss in einer sicherheitspolitischen Gesamtbilanz beachtet werden.

Dennoch bleibt die These richtig, dass Europa im transatlantischen "Burden-Sharing" zu wenig leistet und dass dafür nicht nur die zu geringen Haushaltsansätze, sondern auch strukturelle Defizite verantwortlich sind.

Die EU muss endlich eine wirksamere Außenvertretung bekommen, damit Europa seinem politischen Willen, Frieden, Sicherheit und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten, auch glaubhaft Nachdruck verleihen kann. Mit den bisherigenInstrumenten gelingt dies nicht. Zurzeit stehen der halbjährlich wechselnde Ratsvorsitzende, der zuständige Kommissar und der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik für die gemeinsame Vertretung der Europäischen Union nach außen. Zudem versuchen sich die nationalen Außenminister, in allen wichtigen Fragen nach Kräften zu profilieren. Zwischen dem zuständigen Kommissar und dem Mr. GASP kommt es nur deshalb nicht ständig zu Kompetenzkonflikten, weil diese Ämter derzeit von zwei hervorragenden Persönlichkeiten besetzt sind. Doch letztlich werden mit dem derzeitigen Zuschnitt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dramatische Effizienzverluste in Kauf genommen. Die alte Forderung, der amerikanische Außenminister müsse wissen, wer sein Pendant in der Europäischen Union sei, ist noch immer nicht erfüllt. Deshalb sollten die beiden Ämter des Hohen Vertreters für die GASP und des EU-Außenkommissars zusammengelegt oder zukünftig in Personalunion vergeben werden. Ein solch gestärkter Außen-Vertreter der EU sollte auch den Vorsitz im Rat der Außenminister innehaben.

Solange die Außen- und Sicherheitspolitik der EU noch so starken Veränderungen unterliegt wie derzeit, ist die Nutzung und Weiterentwicklung der Instrumente der "verstärkten Zusammenarbeit", der konstruktiven Enthaltung und der Nichtbeteiligung - des "Opting out" - erforderlich, um die Ausweitung der gemeinschaftlichen Institutionen, Mechanismen und Instrumente zu ermöglichen. Längerfristig sollte die GASP aber vergemeinschaftet werden, auch wenn vielen der Abschied gerade von diesem Bereich der nationalen Souveränität schwer fällt.

Nötig ist zudem der Ausbau von "OCCAR" (Organisation Conjointe de Coopération en Matière d'Armement) zu einer Rüstungsagentur der Union, um für die EU-Staaten eine gemeinsame Beschaffungspolitik zu entwickeln, die zu großen Synergieeffekten und damit auch zu geringeren Systempreisen führen kann. Die EU-Staaten können es sich nicht länger leisten, parallel weitgehend identische Waffensysteme zu entwickeln und zu beschaffen. Auch gemeinsame Rüstungspolitik ist ein wichtiger Teil der europäischen Sicherheitskooperation.

Im Sinne einer ausgewogeneren Lasten- und Verantwortungsteilung zwischen Europa und Nordamerika müssen wir auch die Europäische Sicherheits- undVerteidigungspolitik ausbauen. Die Entscheidung, eine europäische Eingreiftruppe ins Leben zu rufen, ist vollkommen richtig. Diese Eingreiftruppe darf jedoch nicht zum Papiertiger werden. Auf dem Gipfel in Laeken erklärten die Staats- und Regierungschefs der EU, die Union sei "nunmehr in der Lage, einige Operationen zur Krisenbewältigung durchzuführen." Bis 2003 soll die volle Einsatzbereitschaft der Eingreiftruppe erreicht sein. Tatsächlich ist die EU aber noch weit davon entfernt, über 60.000 einsatzfähige Soldaten verfügen zu können. Damit ist auch die im EU-Vertrag geforderte Fähigkeit, "humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen"[1] durchführen zu können, noch nicht im ausreichenden Maß vorhanden.

Eine Nagelprobe für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wird sein, ob es gelingt, in den nächsten 10 Jahren den Balkan nachhaltig zu stabilisieren und damit die Voraussetzungen für eine schrittweise Reduzierung unserer dortigen Truppenpräsenz zu schaffen. Der Anspruch, auf der Weltbühne eine herausgehobene Rolle zu spielen, verliert an Glaubwürdigkeit, wenn es den Europäern nicht gelingt, vor ihrer eigenen Haustür Sicherheit, Frieden und Ordnung zu schaffen.

4. These: Die Bundeswehr muss wieder voll bündnis- und einsatzfähig gemacht werden.

Auf absehbare Zeit werden die Soldaten der europäischen Eingreiftruppe werden von den Mitgliedstaaten gestellt, es wird also in naher Zukunft keine wirklich eigenen europäischen Streitkräfte geben. Dies bedeutet zugleich auch, dass die Europäische Eingreiftruppe nur so gut und schlagkräftig sein kann, wie die von den Nationalstaaten zur Verfügung gestellten Komponenten.

Gerade hier gibt es enorme Defizite - wie bedauerlicherweise ausgerechnet das Beispiel Deutschland zeigt. Es stellt sich die Frage, ob Deutschland überhaupt noch in der Lage ist, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Seit 1998 wurden der Bundeswehr in einem Maße neue Aufgaben übertragen, wie es noch vorwenigen Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre. Zugleich entzieht die Bundesregierung dem Verteidigungsetat im Vergleich zur letzten mittelfristigen Finanzplanung der CDU-geführten Bundesregierung innerhalb von vier Jahren etwa 10 Milliarden Euro. Diese dramatischen Haushaltskürzungen seit 1998 haben bei den Streitkräften deutliche Spuren hinterlassen. Deutschland ist inzwischen bei den Verteidigungsanstrengungen zu einem Schlusslicht der NATO geworden. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September sollte jedoch jedem klar sein, dass der Abwärtstrend des Verteidigungsetats nicht nur gestoppt, sondern umgekehrt werden muss. Dies gilt auch für andere europäische Länder - aber vor allem für Deutschland. Eine Trendwende bei der Finanzierung der Bundeswehr wäre auch das richtige Signal an unsere Partner.

Notwendig sind aber umfangreiche Investitionen, um das bestehende Material erhalten und modernisieren sowie neue Projekte realisieren zu können. Hierfür hat die derzeitige Bundesregierung keine finanzielle Vorsorge getroffen. Besonders deutlich wurde diese Tatsache an der jüngsten Diskussion über die Beschaffung von 73 militärischen Lufttransportflugzeugen vom Typ Airbus A-400M. Es ist unumstritten, dass die veralteten Transall-Maschinen der Bundeswehr den zunehmenden Aufgaben nicht mehr gerecht werden und neue Lufttransportkapazitäten beschafft werden müssen. Der gerade angelaufene Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr hat diese Notwendigkeit noch einmal unterstrichen. Zugleich hat die Beschaffung des A-400M - ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer EU- Staaten - eine hohe europapolitische Bedeutung, denn die gemeinsame Beschaffung kann als eine Nagelprobe für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesehen werden. Um so wichtiger ist es, dass die in den kommenden Jahren aufzubringenden Mittel von den beteiligten Regierungen bereits heute rechtsverbindlich zugesagt werden, damit sich alle Partner sowie die Industrie auf eine berechenbare Grundlage stützen können.

Deutschland hat sich mit seiner Unterschrift unter die 'Defence Capabilities Initiative' und die "European Headline Goals" ausdrücklich dazu verpflichtet, weitere Ausrüstungsdefizite zu beheben: Es besteht dringender Bedarf in den Bereichen Führungsfähigkeit und Kommunikation, Aufklärung, Minenschutz oder beimpersönlichen ABC-Schutz der Soldaten. Leider ließe sich diese Liste beliebig verlängern[2].

Letztlich kommen wir nicht umhin, die Bundeswehr materiell, personell und finanziell angemessen auszustatten. Denn wenn einige Mitgliedstaaten der EU ihre verteidigungspolitischen Anstrengungen vernachlässigen, kann auch die europäische Eingreiftruppe kein Erfolg werden.

In diesem Zusammenhang steht Deutschland vor einem besonderen, aus seiner Historie erwachsenen Problem. Aus gutem Grund verfügt der Deutsche Bundestag bei der Entscheidung über den Auslandseinsatz deutscher Soldaten über den so genannten Parlamentsvorbehalt. Doch die sehr weitgehenden Restriktionen, denen die Bundesregierung bei der Planung und Durchführung von Auslandseinsätzen unterliegt, können sich insbesondere dann, wenn es um multilaterale Missionen geht, zu einem Hindernis für reibungslose und schnelle Reaktionen auf sicherheitspolitische Herausforderungen entwickeln. Dies gilt auch für die europäische Eingreiftruppe, für die die Bundeswehr 18.000 Soldaten bereitstellen soll. Deshalb sollte der Deutsche Bundestag prüfen, ob in der nächsten Legislaturperiode das Verfahren für die Entsendung deutscher Truppen in Auslandseinsätze neu geregelt werden muss. Ein "Parlamentsbeteiligungsgesetz" über die Beschlussfassung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr sollte zum Ziel haben, der Regierung mehr Flexibilität sowie schnellere Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, ohne dabei die Rechte des Parlaments entscheidend einzuschränken.

5. These: Die europäische Integration ersetzt nicht die transatlantische Kooperation. Diese muss vielmehr ausgebaut und gestärkt werden.

Die Ereignisse des 11. September haben deutlich gemacht, dass weder die Nationalstaaten noch die EU als ganzes imstande sind, unsere Freiheit und Sicherheit zu schützen. Der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus werden wir nur mit einer funktionierenden internationalen Zusammenarbeit begegnen können, wobei die transatlantische Partnerschaft von überragender Bedeutung ist.

Für die CDU ist die europäische Einigung die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die transatlantische Partnerschaft. Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass die transatlantische Partnerschaft keine Einbahnstraße ist. Es zeigte sich, dass auch die Vereinigten Staaten von Amerika als einzig verbliebene
Supermacht nicht unverwundbar sind. Beide Partner - die EU und die USA - sind
aufeinander angewiesen.

Deshalb darf und wird die ESVP die transatlantische Partnerschaft nicht schwächen, sondern sie muss zu einer gerechteren Lastenteilung und damit auch zu einer gewichtigeren Rolle der EU in der Welt führen. Die EU sollte mit ihrer Eingreiftruppe nur dann tätig werden, wenn die NATO als Ganzes nicht aktiv werden will, wie es das "Strategische Konzept" der NATO vom April 1999 vorsieht. Ebenso wenig darf der Aufbau europäischer Verteidigungsstrukturen zu unnötigen Duplizierungen führen. Dazu muss die EU auf NATO-Planungskapazitäten und Kommandostrukturen zurückgreifen können. Beim Aufbau der ESVP muss immer der Grundsatz gelten, ein geeintes, handlungsfähiges und demokratisches Europa als starken Partner, nicht als Konkurrent der Vereinigten Staaten zu schaffen.

Denn es sind die gemeinsamen Ziele, die Europa und die USA verbinden: Menschenrechte, Toleranz, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der russische Präsident, Wladimir Putin, hat am 25. September des vergangenen Jahres im Bundestag eine bemerkenswerte Rede gehalten, in der er - im Hinblick auf die Anschläge von New York und Washington und die sich daran anschließende Kooperation zwischen Russland und dem Westen - feststellte: "Heute müssen wir mit Bestimmtheit und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei." Damit hat Präsident Putin zweifelsfrei Recht. Doch lassen Sie mich hinzufügen: Der Kalte Krieg ist deshalb vorbei, weil sich in der ideologischen Auseinandersetzung Werte wie Freiheit, Toleranz, Pluralismus und Rechtssicherheit gegenüber Unterjochung, Willkür und staatlicher Bevormundung als die überlegenen herausgestellt haben. Diese Werte werden wir - nun gemeinsam mit unserem Partner Russland - auch zukünftig vertreten, nicht überheblich, aber selbstbewusst. Wir werden dies im Dialog, in der Diskussion tun - doch falls nötig müssen Deutschland, die EU und die NATO auch bereit sein, Sicherheit und Werte auch militärisch zu verteidigen.


________________________________
[1] Art. 17. Abs. 2 EU-Vertrag. Der Wortlaut wurde im Vertrag von Nizza beibehalten.

[2] z.B. Anschaffung des minensicheren Fahrzeugs Dingo. Für weitere Bereiche mit Handlungsbedarf s. das Papier "Sicherheit 2l"der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 8.10.2001, S. 9f.


Es gilt das gesprochene Wort!



Siehe auch:
     
  • Merkel, Dr. Angela - Rede auf der XXXIX.. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (08.02.2003)
  • Merkel, Dr. Angela - Rede auf der XL. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (07.02.2004)
  • Merkel, Dr. Angela - Rede auf der XLI. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (12.02.2005)
  • Merkel, Dr. Angela - Rede auf der 42. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (04.02.2006)


© 1999 - 2006   Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik