Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Flammen, Sonnen, Fackelzüge

Das Feuer als Element der politischen Inszenierungen in der Zwischenkriegszeit
Der Brandstifter als Angstbild– christlichsoziales Wahlplakat, das Rudolf Ledl für die Nationalratswahlen im Jahr 1930 entworfen hat.   Bild: Wiener Stadt- und Landesbibliothek,Plakatsammlung

Der Brandstifter als Angstbild– christlichsoziales Wahlplakat, das Rudolf Ledl für die Nationalratswahlen im Jahr 1930 entworfen hat. Bild: Wiener Stadt- und Landesbibliothek,Plakatsammlung

Von Christian Mertens

Feuer ist eines der ältesten Natursymbole, das den Menschen von Anfang an in Form von Vulkanen, Buschbränden oder einschlagenden Blitzen begegnete. Als die Menschen entdeckten, dass sie selbst Feuer entzünden und seine Kraft nutzen konnten, machten sie es sich dienstbar, etwa um Essen zuzubereiten oder Wärme und Licht ins Haus zu bringen, aber auch um zu zerstören. Die Ambivalenz des Feuers spiegelt sich auch in sprachlichen Metaphern wider: der zündende Funke als plötzliche Idee zur Problemlösung; das Feuer menschlicher Leidenschaft, das auch verzehrend wirken kann; lodernder Zorn, glühender Hass oder brennender Eifer für eine Sache, für die Menschen Feuer und Flamme sind. So wie das Feuer in ständiger Veränderung ist – lodernd, flackernd, glimmend, erlöschend –, so schillernd können die Gefühle sein, die von diesen Metaphern beschrieben werden.

Für Elias Canetti war das Feuer das Abbild der Masse schlechthin: Es greift um sich, ist ansteckend und unersättlich. Feuer kann überall und plötzlich entstehen; es kann Wälder, Steppen und Städte erfassen; es ist zerstörend, kann aber bekämpft und gezähmt werden. Es wirkt, als ob es lebe, und wird genauso behandelt. - " Alle diese Eigenschaften sind die der Masse, eine genauere Zusammenfassung ließe sich schwer geben" , resümiert der Autor in seinem Buch "Masse und Macht". Zu diesem Bild wurde Canetti vom Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 angeregt, den er in seiner Autobiographie sehr anschaulich und bewegt beschrieb.

Spontan tauchen vor unserem geistigen Auge Bilder aus Österreichs Zwischenkriegszeit auf: Aufmärsche, Uniformen, Symbole, wie sie für die Massenparteien damals typisch waren. Jede politische Gruppe entwickelte ihre eigenen Riten, ihre spezifische "politische Liturgie", ihre Kollektivsymbole, zu denen an vorderster Stelle auch das Element Feuer zählte. Durch deren emotionale Botschaften entstand ein Wir-Gefühl, das dazu diente, die Massen emotional an die jeweilige Partei zu binden.

Flammen des Schreckens

Die politische Kultur der Christlichsozialen Partei war – insbesondere in den ländlichen Gebieten mit fast geschlossenem katholischen Milieu – auf das Engste mit der katholischen Kirche verknüpft. Religiöse Feste waren daher oft zugleich auch politische Demonstrationen. So versammelte sich zu Fronleichnam die christlichsoziale Prominenz hinter Baldachin und Monstranz und dokumentierte so die Präsenz des katholischen Österreich. Der Kirchenraum ersetzte das Parteilokal, die Kanzel die Rednertribünen des städtischen Raums. Die katholischen Arbeitervereine – die besonders unter sozialdemokratischen Attacken und Verunglimpfungen zu leiden hatten – veranstalteten Männerwallfahrten nach Klosterneuburg, die als Machtdemonstration gegen das nahe gelegene "rote Wien" dienten.

Das Feuer als Bestandteil der kirchlichen Liturgie gehörte auch zum Repertoire christlichsozialer Auftritte. Das Entzünden von Höhenfeuern in der Nacht des Herz-Jesu-Sonntags geriet beispielsweise zu einer Demonstration politischer Identität. Die Flamme konnte aber auch – negativ konnotiert – für die Zerstörungsabsichten des politischen Gegners stehen: Berühmt geworden ist ein Wahlplakat der Christlichsozialen aus dem Jahr 1919 von Fritz Schönpflug, das einen Rotgardisten zeigt, der gerade zum Bombenwurf auf Wien ansetzt. In der Hand hält er eine brennende Fackel, offenbar bereit, die Stadt in Brand zu setzen.

Unmittelbar auf die Ereignisse des Juli 1927 bezieht sich ein Wahlplakat, das Rudolf Ledl anlässlich der Nationalratswahl 1930 für die christlichsoziale Partei entworfen hat. Es zeigt einen über dem brennenden Justizpalast stehenden grobschlächtigen Mann mit vom Hass verzerrten Gesicht, in der einen Hand ein Kännchen Petroleum, in der anderen eine lodernde Fackel. Das Gebäude in Flammen eignete sich hervorragend dazu, die Schrecken von Aufruhr, Brandstiftung und Mord zu illustrieren. Zusammen mit dem Linzer Parteiprogramm aus dem Jahr 1926, das die Diktatur des Proletariats als politische Möglichkeit nicht ausschloss, bildete der 15. Juli 1927 den Kern christlichsozialer Propaganda gegen die Sozialdemokratie.

"Zur Sonne, zur Freiheit"

Nutzte die christlichsoziale Partei die Feier- und Festkultur der Kirche, um politische Stärke zu zeigen, entwickelten die Sozialdemokraten eine eigene Festkultur, die über einen bloßen Freizeit- und Unterhaltungswert weit hinausging, die sich gleichsam als "Säkularreligion" präsentierte. Die Anleihe sozialdemokratischer Feiern bei Umzügen, Prozessionen, "Weihen" und anderen kirchlichen Elementen ist unübersehbar. Höchster Feiertag war der Tag der Arbeit am 1. Mai: das Aufmarschieren in Kolonnen, rote Fahnen und rote Nelken, sowie die geradezu liturgische Gestaltung und Durchführung der Feier festigten das Gemeinschaftsgefühl der Masse und banden die Mitglieder emotional noch fester an die Partei. Um die Arbeiter aus ihrer mitunter recht bürgerlichen Umgebung mit ihren kirchlich geprägten Traditionen und Festen herauzuslösen, bildete sich ein über das Jahr verteilter "proletarischer Festkalender" heraus.

Jeder Ritus braucht und benützt Symbole. Die Sozialdemokratie griff sehr gerne auf Feuerbzw. Lichtmetaphern zurück: Der "Licht und Wärme spendende Sozialismus" wurde als Weg aus Finsternis und Erstarrung, aus dem Schatten der Gegenwart in eine helle Zukunft des gesellschaftlichen Fortschritts und des persönlichen Glücks gesehen. Das Bild der aufgehenden Sonne will den "Anbruch eines neuen Tages" , durchaus heilsgeschichtlich verbrämt, suggerieren. Diese Symbolik drückt auch das Arbeiterlied "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" aus. Aus dem "Licht der Freiheit" lassen sich die Fackel, aber auch die rote Nelke (ein stilisiertes Sonnensymbol) als typische sozialistische Symbole ableiten. Auf Maipostkarten tauchen immer wieder die Sonne, ihre Strahlen oder die Fackel als Symbole für Freiheit, Wahlrecht oder Kampfesbereitschaft auf.

Fackelzüge im Rahmen der Maifeiern wurden ab 1926 als fixe Massenkundgebung der Arbeiterjugend am Vorabend des Feiertags durchgeführt. Auch die sozialistischen Massenfestspiele wurden mit Fackelzügen abgeschlossen. Auf sozialdemokratischen Plakaten erscheint das Feuer bzw. die Flamme als Symbol des Aufbruchs.

Das "reinigende" Feuer

Die Verwendung der Flamme im deutschen Nationalismus reicht bis 1814 zurück: Am ersten Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig standen bei den Feiern in zahlreichen deutschen Städten und Orten Flammensäulen im Mittelpunkt des Geschehens. Die brennende Flamme symbolisierte den Sieg des Lichts über das Dunkel (wenn auch anders gedeutet als im Sozialismus), den Triumph der wärmenden Sonne über die Kälte der Nacht. Auf diesem Fundament aufbauend entwickelte der Nationalsozialismus zur Untermauerung seines totalitären Anspruchs eine umfassende politische Ästhetik mit massenpsychologisch wirksamen Ritualen und Symbolen. Das Feuer bzw. die Flamme rückten in den Mittelpunkt der Liturgie der "politischen Religion" (Erich Voegelin) namens Nationalsozialismus.

Fahnen und Standarten gehörten zum festen Bestandteil nationalsozialistischer Liturgie ebenso wie Fackelzüge, die in der Dunkelheit marschierten. Schon am "Tag der Machtergreifung" (30. Jänner 1933) demonstrierte die Masse in einem fünfstündigen Fackelzug ihre "Richtung". In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass es wiederum ein symbolträchtiges gelegtes Feuer – nämlich der Reichstagsbrand – war, das als Sinnbild für die Beseitigung des verhassten Parlamentarismus stand. Umzüge bei Fackelschein, das Entfachen von Sonnwendfeuern, aber auch das feierliche Verlöschen von Flammen gehörten zur Gedenk- und Festkultur der Nationalsozialisten.

Flammenschalen sind ein charakteristisches Element nationalsozialistischer Festarchitektur. Ergänzt wurde die Feuersymbolik schließlich von der Lichtarchitektur, konzipiert und inszeniert von Albert Speer. Er setze beim Nürnberger Parteitag 150 Riesenscheinwerfer ein, deren Strahlen Kilometer weit in den Himmelragten und einen gigantischen "Lichtdom" ergaben.

Den intendierten Charakter einer "Reinigung" können wir bei den organisierten Bücherverbrennungen im Deutschen Reich (ab Mai 1933) erkennen, bei denen unter Feuersprüchen die Werke namhafter Schriftsteller und Wissenschafter den Flammen übergeben wurden. Außer Hitler-Jugend und Parteiformationen beteiligten sich auch Hochschullehrer, Künstler und Schriftsteller an diesem Akt der Barbarei. Das Regime begriff das Autodafé durchaus als "Flammen der Läuterung"; die "geläuterte lichte Flamme" sollte "Sinnbild sein des geläuterten, reinen, deutschen Geistes" (Zitate nach Thomas Lischeid, Symbolische Politik, Heidelberg 2001.). Wie beim Brand des Wiener Justizpalastes ging von diesen Feuern ein massendynamischer Effekt aus.

Und heute?

Ernüchtert durch seine persönlichen Erfahrungen, ging Manès Sperber in seiner Autobiographie auf das Phänomen der Masse und deren Austauschbarkeit ein. Er, der in seinem Leben viele Aufmärsche demonstrierender Massen gesehen hatte und – in der Hoffnung auf Freiheit und Gleichheit der Menschen – in deren Reihen mitmarschiert war, resümierte bitter: "Und ich habe den Aufmarsch der Massen gesehen, die Hitler zujubelten und Mussolini und Petain. Zu 60, wenn nicht 80 Prozent und noch mehr waren es die gleichen, nur die Farbe wechselte: rot, schwarz, braun." ("All das Vergangene…", Wien-München-Zürich 1983). Tatsächlich dürften alle Symbole und Rituale der Massenparteien zwar einigen Einfluss ausgeübt haben, aber eben nur temporär. Gab es – sinnbildlich gesprochen – an einer anderer Stelle ein größeres, faszinierenderes "Feuer", zog dieses die Massen in seinen Bann!

Vertretern meiner Generation sind derartige Massenphänomene ziemlich unbekannt. Wenn überhaupt, dann sind sie vor allem durch ein "politisches Feuer" geprägt: das Lichtermeer am 23. Jänner 1993, das rund 300.000 Menschen im Protest gegen das Ausländer-Volksbegehren der FPÖ in der Wiener Innenstadt vereinte. Mit Kerzen und Fackeln solidarisierten sich Menschen verschiedenster Weltanschauungen in dieser größten Demonstration nach 1945 hierzulande gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit.

Heute, bald 13 Jahre später, frage ich mit Sperberscher Skepsis: Bei wie vielen von ihnen ist das damalige "Brennen" für das Anliegen, für das sie Feuer und Flamme waren, schon wieder verloschen? Für wie viele war es einfach ein Spektakel? Und wie viele nehmen Brandstifter vom Schlage eines H.C. Strache achselzuckend hin?

Christian Mertens, geboren am 1965, ist Historiker in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek und Mitbegründer der sozialliberalen "Initiative Christdemokratie".

Der Artikel ist die gekürzte Fassung seines Beitrags in: "Justizpalast in Flammen – ein brennender Dornbusch. Das Werk von Manès Sperber, Heimito von Doderer und Elias Canetti angesichts des 15. Juli 1927". Das Buch, das von Thomas Köhler und Christian Mertens herausgegeben wurde, ist dieser Tage im Verlag für Geschichte und Politik Wien und im Oldenbourg Verlag München erschienen.

Freitag, 09. Dezember 2005

Aktuell

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum