Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Buenos Aires: Die Herrin der 100 Flüsse

Ein Lokalaugenschein
Von Wolfgang Hein und Robert Schediwy

Manche Städte verdanken ihre zentrale Funktion vorwiegend politischen Gravitationskräften · bei anderen scheint es, daß schon die Natur ihnen eine dominierende Rolle
zugewiesen habe. Über Buenos Aires schrieb Domingo Faustino Sarmiento, Lehrer, Schriftsteller und ab 1868 Präsident Argentiniens, schon im Jahr 1845: Diese Stadt sei „dazu bestimmt, die
gigantischeste Metropole beider Amerika zu werden", denn sie sei „Herrin über die Schifffahrt auf 100 Flüssen" und „das Ausfallstor von 13 Provinzen."

Eine so außerordentliche Rolle konnte die große Hafenstadt allerdings nur zeitweilig spielen: Etwa 200 Jahre lang blieb das La-Plata-Gebiet nämlich zunächst den politischen und ökonomischen
Interessen des fernen Lima untergeordnet, und die Epoche der glänzenden Zukunftshoffnungen, im wesentlichen das halbe Jahrhundert von 1880 bis 1930, in dem Argentinien bis zur zeitweilig
siebentreichsten Nation der Welt aufstieg, hat nicht auf Dauer ihre Versprechungen gehalten.

Die sinkenden Agrarpreise in der Weltwirtschaftskrise und nach dem zweiten Weltkrieg, eine hinter protektionistischen Mauern müde gewordene Industrie und überalterte Transport- und Infrastrukturen,
dazu jahrzehntelange politische Unruhen und Militärputschs vor dem Hintergrund eines langfristigen Gegensatzes zwischen konservativer Agrar- und Militär-Oligarchie und dem schillernd populistischen
Peronismus haben Argentinien nicht allzu gut getan.

Heute erscheint auch Buenos Aires, wie Argentinien insgesamt, als Ort, der in gewissem Sinn eine glänzende Zukunft hinter sich hat. Zugleich wird aber deutlich, daß die „rechtsperonistische"
Präsidentschaft Menem sowie die anderen zivilen Regierungen nach der Katastrophe des Falkland-Kriegs ernsthaft bemüht ist, mit neuen Rezepten der „Öffnung zur Welt" an die Dynamik vergangener Zeiten
anzuschließen.

1910, zur Jahrhundertfeier der Vertreibung des spanischen Vizekönigs am 25. Mai 1810, war Buenos Aires, wie es Sarmiento erträumt hatte, tatsächlich die bevölkerungsreichste Stadt Lateinamerikas.
Argentinien verfügte über eine stabile Währung, über das ausgedehnteste Eisenbahnnetz Südamerikas und über ein exemplarisches Erziehungswesen. Die Bevölkerung (40 Prozent der Bewohner waren und sind
italienischer Herkunft) war nicht durch Rassenschranken zerklüftet. Letzteres allerdings beruhte nicht zuletzt auf dem erfolgreichen Abschluß mehrerer Vernichtungskriege gegen die Pampa-Indianer, die
geradezu Genozidcharakter hatten · deren Generäle aber heute noch durch stattliche Denkmäler in der Hauptstadt geehrt werden . . . Die landwirtschaftlichen Exportgüter (vor allem Getreide und
Fleisch) brachten über viele Jahrzehnte (und bis heute) enormen, allerdings sehr ungleich verteilten Reichtum ins Land.

Buenos Aires konnte so danach trachten, „das Paris Südamerikas" zu sein · und es kam diesem Ideal um die Jahrhundertwende durchaus nahe. Georges Clemenceau nannte 1911 Buenos Aires eine „große
europäische Stadt" und schwärmte über das 1895 bis 1898 errichtete Gebäude der Zeitung „La Prensa" (heute Kulturhaus der Stadt Buenos Aires), es sei das „prächtigste der Stadt".

Auch wer heute Buenos Aires besucht, empfindet die Stadt als weitgehend europäisch geprägt. Sicher, in der City mehrt sich die Zahl der (seit 1928 im Prinzip zugelassenen) Hochhäuser, und es gibt
durchaus so etwas wie eine Art „Skyline". Dennoch verleugnen die Prachtavenuen, vor allem die repräsentative „Avenida de Mayo" und die nach 1910 durch graduelle Eliminierung einer ganzen
Häuserblockzeile geschaffene überbreite „Avenida 9 de Julio" nicht das Vorbild des Paris' Haussmanns.

Eine europäische Stadt

Auch die heute zum Teil frisch restaurierten Beispiele üppigen Gründerzeitprunks machen deutlich, daß die urbanistischen Vorbilder der Metropole am Rio de la Plata über lange Zeit in Europa lagen.
„Buenos Aires · Obras Monumentales" heißt eine Festesgabe, die bei der im November 1998 tagenden Weltklimakonferenz überreicht wurde. Die Autoren des Prachtbandes, Ramon Gutierrez und Ignacio
Gutierrez Zaldivar, präsentieren darin etliche der Gebäude aus der „goldenen Epoche" von Buenos Aires zwischen 1880 und 1940. Das Buch verdeutlicht den außergewöhnlichen Einfluß, den europäische
Architekten, Künstler und Raumgestalter auf die Architektur der Hauptstadt Argentiniens ausübten.

Der Regierungspalast „Casa de Gobierno" steht auf der auch als Demonstrationsort berühmten Plaza de Mayo und ist das Werk eines nach Argentinien eingewanderten und dort äußerst erfolgreichen
italienischen Architekten namens Francisco Tamburini. Er war auch der Architekt des berühmten Teatro Colon, wiewohl er die Grundsteinlegung im Jahre 1890 nicht allzu lange überlebte. Das 1908
(natürlich am 25. Mai) eröffnete große Opernhaus ist auch heute der kulturelle Stolz der Stadt am Rio de la Plata.

Selbst technische Einrichtungen versuchte man damals übrigens nach zeitgenössischem europäischen Vorbild hinter einer „künstlerisch gestalteten Fassade" zu verbergen. Eines der eindrucksvollsten
internationalen Beispiele für diese Tendenz ist der „Palacio de las Aguas Corrientes", wörtlich der „Palast der laufenden Wasser". 1883 wurde dieses Bauwerk von Olaf Boye, einem norwegischen
Architekten, für die englische Wassergesellschaft, der Stadt entworfen. Hinter der bunten Keramikfassade in der Avenida Cordoba finden sich in Wahrheit drei Stock Eisentanks eines großen
Wasserreservoirs (das aber nur bis 1915 in Vollbetrieb war und heute nur mehr musealen Zwecken dient).

Die europäischeste Straße von Buenos Aires ist vielleicht die erwähnte „Avenida de Mayo". 1888 wurde mit ihrer Realisierung begonnen, 1894 wurde sie eröffnet. Diese relativ kurze Prachtstraße, die
das amerikanisch beeinflußte Parlamentsgebäude mit der „Casa de Gobierno" verbindet, war und ist der „große Salon der Stadt", der Ort des Sehens und Gesehen-Werdens. Hier entstanden das
Warenhaus „Bon marché" und die wichtigsten Cafés, etwa das noch heute geschätzte Tortoni. Hier siedelte sich aber auch die Zeitung „La Prensa" an. Ihr 1895 bis '98 errichtetes Gebäude, das wie
erwähnt, selbst Georges Clemenceau beeindruckte, ist eine Art „Zeitungspalast", gekrönt von der Statue „La Farola". Diese zeigt die Presse im Vollgefühl ihrer „volkserzieherischen" Rolle als
„Lichtträgerin", wurde vom französischen Bildhauer Maurice Bouval gestaltet und an Eugene Delacroix' berühmtem Gemälde von der „Freiheit, die das Volk anführt", orientiert. Sehr passend zu diesem
Bildungsoptimismus erscheint es, daß im goldenen Saal des prächtigen Gebäudes jahrzehntelang populäre Gratisvorträge und auch Konzerte stattfanden.

Der Prunk dieses Zeitungspalastes macht allerdings auch deutlich, daß es hier nicht nur um die Funktionalität eines Unternehmensgebäudes ging, sondern um seine symbolisch überhöhte Selbstdarstellung.
„La Prensa" war eben auch Sprachrohr jener zwar export- und modernisierungsorientierten, zugleich aber auch spätfeudalen Schicht der Großgrundbesitzer, der es im Laufe des 19. Jahrhunderts
immer mehr gelungen war, ihre oligarchischen Interessen mit denen des Landes zu identifizieren. Der Gründer von „La Prensa", der Jurist José C. Paz, später auch Botschafter Argentiniens in
Paris, ließ sich übrigens auch ein großartiges Privatpalais erbauen, das heute Sitz des „Circulo Militar" ist. Der französische Architekt Louis Marie Henri Sortais, von dem Paz den Projektentwurf
seines Palastes anläßlich der Weltausstellung in Paris 1889 erworben hatte, fuhr allerdings nie nach Buenos Aires, um sein Werk zu besichtigen. Eine ähnliche „Fernwirkung" hatte der gleichfalls
französische Architekt René Sergent, ein Klassizist, dessen argentinisches Hauptwerk, der „Palacio Errazuriz" 1937 von der Regierung erworben und heute zu einem schönen „Nationalmuseum für
dekoratische Kunst" umgestaltet ist.

Vergangener Glanz

Wer heute als zeitlich gestreßter Geschäftsreisender versucht, die Riesenmetropole am Rio de la Plata zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mittels · angenehm geruchloser · Erdgastaxis zu
erforschen, begegnet immer wieder diesen Dokumenten vergangenen Glanzes. Man wird dabei zumeist an Südeuropa, zuweilen aber auch ein wenig an Wien oder an Budapest erinnert (in der „Pampahauptstadt
Mitteleuropas", die ebenfalls um die Jahrhundertwende als Metropole des Großagrariertums aufblühte, haben, recht passenderweise, übrigens die Dreharbeiten des „Evita"-Films stattgefunden).

Der kurzfristige Stadtwanderer erlebt in Buenos Aires aber auch eine etwas verunsichernde Mischung von ökononischem Niedergang und neuen Aufbruchstendenzen: Das lange Zeit überdimensionierte
Bahnsystem existiert nach einer extremen Privatisierung nur mehr rudimentär, und die meisten Schnellbahnzüge im Großraum von Buenos Aires hängen an vorsintflutlich anmutenden Überland-Dieselloks, die
deutlich machen, daß hier Investitionen ins rollende Material eher kleingeschrieben werden.

Etliche spekulative Neubauprojekte sehen so aus, als seien sie aus Finanzierungsschwierigkeiten „steckengeblieben". Und auch die „Privatisierung" der Gehsteigerrichtung an die jeweiligen
Hauseigentümer fordert dem Fußgänger einiges an Konzentration ab (es gibt hier sehr unterschiedliche Sorgfaltsgrade).

Unmittelbar neben dem zur Touristenattraktion gewordenen Museumsgäßchen „Caminito" mit seinen in Schiffsfarben bunt bemalten Häusern im alten Hafenviertel La Boca findet sich ein trist
verkommenes Hafenbecken mit „Schiffsleichen", über deren Beseitigung sich Stadt und Provinz Buenos Aires seit Jahrzehnten nicht einigen können. Anderseits wurden die alten Hafenbecken und Lagerhäuser
von Puerto Madero vorbildlich saniert und Ort der elegantesten Luxusrestaurants.

Die Straßenbahnen wurden wegen „Behinderung des Autoverkehrs" längst durch Tausende Dieselbusse ersetzt, das U-Bahn-Netz der 11-Millionen-Metropole ist nur etwa so groß wie das von Wien, der
Eisenbahn-Nahverkehr pfeift aus dem letzten Loch, und die „Lösung der Verkehrsprobleme" wird, so scheint es, nur durch die Vermehrung der Fahrstreifen auf den Avenidas und durch neue Stadtautobahnen
angestrebt.

Die Regierung Menem hat auch wenig Umweltbewußtsein dokumentiert, als sie ein von allen Parteien beschlossenes Gesetz zur Förderung der in Argentinien reichlich vorhandenen Windenergie zugunsten des
weiteren Ausbaus fossiler Brennstoffe beeinspruchte.

Da hilft dann auch das Zugeständnis in Richtung USA wenig, sich als erstes Nichtindustrieland eine Beschränkung der Emissionen von Treibhausgasen setzen zu wollen, wie dies Präsident Menem bei der
Weltklimakonferenz angekündigt hat.

Aufgaben der Zukunft

Doch zurück zur Stadt am Mündungstrichter des Rio de la Plata. Eine große urbanistische Aufgabe könnte auf die bisher nicht sehr „wasserbezogene" Stadt am Fluß in den nächsten Jahrzehnten
zukommen. In Ufernähe und unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums, nahe dem Hochhausviertel um die Plaza San Martin, befindet sich ein großer Infrastrukturkomplex. Drei nebeneinanderliegende (aber
unverbundene) Bahnhöfe, daneben der heute bereits viel stärker benützte Bus-Terminal, eine Serie von Docks und, in etwas weiterer Entfernung vom Zentrum, sogar ein stark frequentierter Flughafen
könnten mittel- und langfristig einer urbanistischen Aufwertung dieses potentiell hochpreisigen und in der Nähe der exklusiven Grünzonen des Palermo-Viertels gelegenen Bereichs weichen müssen.
Derzeit bildet die monströse, teilweise 16spurige „Avenida del Libertador" (sie wird zu den Stoßzeiten als Einbahn stadteinwärts oder stadtauswärts geführt) hier aber eine Art „Stadtmauer"
gegenüber der „Waterfront". Aber das mag sich ändern.

Als Vorbote einer monumentaleren Gestaltung dieser Gegend findet sich hier übrigens eines der zweifelhafteren europäisch beeinflußten Bauwerke von Buenos Aires. Daß die Fassade der juridischen
Fakultät der Universität, mit minimalen Veränderungen, eine Kopie von Hitlers „neuer Reichskanzlei" in Berlin darstellt, wird von den Touristenführern gerne verschwiegen. Auch das Innere des Gebäudes
mit seinen großen Stiegenanlagen und seiner monumentalen Eingangshalle kokettiert mit jenem Faschismus, dem bestimmte Kreise in Argentinien vor und nach 1945 nie ganz abgeneigt waren.

Ein anderes Monument ähnlich zweifelhaften Charakters ist Buenos Aires dafür erspart geblieben: Nach dem Tod Evita Perons am 27. Juli 1952 wurde zu ihren Ehren ein grandioses Monument für die armen
Taglöhner, die „Descamisados", geplant, mit denen die elegante Präsidentengattin sich stets besonders solidarisch proklamierte (wobei allerdings ihre große Wohltätigkeitsstiftung angeblich keine sehr
genaue Buchhaltung führte). Der riesenhafte „Hemdlose" hätte sehr stark an stalinistische Proletariermonumente à la „Arbeiter und Kolchosbäuerin" erinnert. 1955, nach dem Sturz des Diktators Peron
durch das Militär, wurde das Denkmal aber sofort ad acta gelegt. Immerhin, von der Rechtsfakultät ist es nur ein Katzensprung bis zum historischen Friedhof von Recoleta, wo noch heute manche Pilger
ihre Blumen am Grab Evitas niederlegen und ihr, ungeachtet der als Liedtitel berühmt gewordenen Grabinschrift, vielleicht sogar ein Tränlein widmen . . .

Freitag, 29. Jänner 1999

Aktuell

"I bin der Monsieur Ank"
Helmut Fiala ist ein Afrikaner mit österreichischem Pass und Teint
Alle Mühsal dieser Welt
Die italienische Schauspielerin Giulietta Masina würde am 22. Februar 85 Jahre alt
Marschmusik und Feuerwerk
Immer öfter werden historische Schlachten von Geschichtsliebhabern nachgestellt

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum