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„Was, das soll ein Kommunist sein?"

Erinnerungen an Ernst Fischer
Von Barbara Coudenhove-Kalergi

I ch habe Ernst Fischer in den sechziger Jahren kennengelernt, zu einer Zeit, als er bei den Kommunisten schon und bei den Vertretern des offiziellen
Österreich noch persona non grata war. Mein Mann Franz Marek, damals führender KP-Funktionär, hatte mich eines Tages zu den Fischers in deren damaliges Domizil mitgenommen, eine etwas verfallene
Villa in der Rustenschacherallee am Rande des Praters. Mein erster Eindruck vom Hausherrn, dessen Frau Lou · wie immer in lila gekleidet · uns mit Tee und Kuchen bewirtete, war ungläubige
Überraschung: was, das soll ein Kommunist sein? Das passt doch nicht zusammen. Ernst Fischer war damals immerhin noch Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ. Es passte tatsächlich nicht zusammen. Ernst
hat später oft · mündlich und auch schriftlich · darüber reflektiert, ob es nicht ein Fehler war, in die Politik zu gehen, ob er nicht besser getan hätte, beim Schreiben über Kunst und Literatur zu
bleiben. Es gibt eine Notiz, an seinem letzten Lebenstag im Garten seines steirischen Urlaubsorts hingekritzelt, in der es heißt „Wenn ich mich nun als Intellektuellen in Betracht ziehe und meine
Schwäche, meine Vorzüge, meine Möglichkeiten, war es nicht nur falsch, dass ich Kommunist, sondern überhaupt Politiker wurde, in eine mir fremde gesellschaftliche Charaktermaske hineinwuchs?"
Ernst Fischer sah nicht aus wie ein KP-Funktionär. Hochgewachsen und mager, vom altmodischer Liebenswürdigkeit, sehr österreichisch, charmant zu Frauen, auch in schäbiger Jacke nicht ohne Eleganz,
wirkte er wie ein altgewordener Jüngling aus gutem Haus. Auf mich machte er den Eindruck eines gentleman-Intellektuellen, zugleich Bürger und Bohemien. Franz Marek, der sein Freund war, nannte ihn
einen „Enthusiasten". Die anderen Funktionäre aus dem KP-Apparat konnte Ernst Fischer ebenso wenig leiden wie diese ihn, nicht allein aus politischen Gründen. Er war als Typ ihr genaues Gegenteil.
Aber auch unter den · meist jüdischen ·Intellektuellen, über die die Partei damals noch verfügte und die später entweder ausgeschlossen wurden oder die KP verließen, war Fischer trotz politischer
Übereinstimmung ein Außenseiter. Ihre Welt war nicht die seine. Die Villa in der Rustenschacherallee hatten die Fischers kurz nach dem Krieg bezogen, als die Kommunisten noch in der Regierung waren
und sich bemühten, ihre Anhänger möglichst in den sowjetisch besetzten Bezirken zu konzentrieren. Die nahegelegene Böcklinstraße war besonders beliebt. Lou Fischers Stiefsohn, der Maler Georg Eisler,
nannte sie spöttisch, „die Straße des Grundmandats". Das Haus, in dem die Fischers wohnten, war einst großbürgerlich-gediegen gewesen, jetzt war es einigermaßen vergammelt. Lou hatte Drucke von
Picasso und Léger aufgehängt, das Ganze sah zugleich emigrantenhaft und gemütlich aus. Auch Ernst Fischer wirkte darin ein wenig wie ein Emigrant. Später, als das Haus abgerissen werden sollte,
übersiedelten die Fischers in eine Gemeindewohnung nach Döbling. Der Kontrast war empfindlich. Lou schimpfte, Ernst nahm es gelassen. Er war damals schon ziemlich krank und fühlte sich oft nicht
wohl, aber ich habe ihn nie anders gesehen als strahlend und angeregt. Dass die Wohnung kümmerlich war, dass er wenig Menschen sah und im geistigen Leben der Stadt weitgehend isoliert war, schien ihm
nichts auszumachen. Zugleich egozentrisch und bescheiden, lebte er seinen politischen und literarischen Interessen und hielt Kontakt zu den wenigen Emigrantenfreunden, die ihm auch während des Kalten
Krieges geblieben waren. Viele Freunde hatten die Fischers in Wien nicht. Die Parteileute begegneten ihnen mit Misstrauen und für das Wiener Bildungsbürgertum waren Kommunisten und ehemalige
Emigranten weithin unbekannte und dazu auch noch eher anrüchige Wesen. Es war ein ziemlich kleiner Kreis, der sich um Ernst und Lou sammelte, meist an Sonntagen und meist zum Mittagessen im
Stammlokal der Fischers, der „Schönen Aussicht" auf dem Heiligenstädter Platz. Hilde Spiel, die in der Nähe wohnte, war oft dabei, Hans Flesch-Brunningen, Robert Jungk und seine Frau, Paul und
Ala Löw-Beer, mein Mann Franz Marek und ich. Manchmal kamen Besucher aus dem Ausland dazu, John Berger und seine damalige Frau Anja und einmal Elias Canetti, der zu einer Lesung in Wien war. Für
mich, eine Generation jünger, waren diese Mittagessen wie ein Zurücktauchen in das geistige Wien der dreißiger Jahre, wie ein Blick in eine versunkene Welt, die ich zuvor nur aus der Literatur
gekannt hatte.

Das waren die Jahre, als auch die breitere Öffentlichkeit Ernst Fischer wieder zu entdecken begann. Nach der langen Durststrecke des Kalten Krieges war so etwas wie eine linke Renaissance
angebrochen. Die Studentenbewegung faszinierte viele Menschen, die Opposition gegen den Vietnamkrieg, die eurokommunistischen Bestrebungen in Westeuropa und die Demokratisierungsversuche in
Osteuropa, vor allem in der Tschechoslowakei. Linke und Kommunisten, die sich gegen die sowjetische Diktatur stellten und über eine mögliche Verbindung von Sozialismus und Demokratie nachdachten,
waren plötzlich interessant geworden. In Österreich war das vor allem Ernst Fischer. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war er als kommunistischer Paradeintellektueller kurz en vogue gewesen, seine
Bücher wurden von DDR-Verlagen in großer Auflage verlegt. Damit war es bald aus, als Fischer auf Distanz zum sozialistischen Realismus zu gehen begann. Es war still um ihn geworden. Aber jetzt auf
einmal kamen Journalisten, Fritz Molden druckte Fischers Bücher und interessierte sich für dessen Autobiographie, Ernst wurde zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen. Sein Diskussionsbeitrag bei der
Prager Kafka-Konferenz mit der Forderung, Franz Kafka solle „ein Dauervisum" in seine tschechoslowakische Heimat bekommen, wurde weithin beachtet und viel zitiert. Und als die Russen in Prag
einmarschierten und der einstige kommunistische Unterrichtsminister Ernst Fischer im Fernsehen den „Panzerkommunismus" leidenschaftlich verurteilte, wurde auch diese Formulierung berühmt und immer
wieder abgedruckt.

Ernst Fischer genoss das alles in vollen Zügen. Es war wie ein Wiederauftauchen aus langen Jahren der Einsamkeit und Verborgenheit ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Fischer hatte Isolierung
und Boykott ertragen, ohne zu klagen, aber er war im Grunde ein Mann der Öffentlichkeit. Gehört werden, Anerkennung erfahren, von jungen Leuten um Rat gefragt werden · das war sein Element. Nichts
freute ihn so, wie das Interesse der Jungen, denen seit jeher seine besondere Liebe gehört hatte.

Diese letzten Jahre dürften wohl alles in allem glückliche Jahre gewesen sein. Der Zusammenbruch der kommunistischen Partei, der er so lange angehört hatte und der vielen seiner Genossen das Herz
brach, schien Ernst Fischer nicht sonderlich zu beeindrucken. Er war nie durch und durch Parteimann gewesen. Seinen inneren Abschied von Parteiloyalität und Parteidenken hatte er schon früher
genommen. Der Triumph der „Panzerkommunisten" überraschte ihn nicht. Er konnte in seinen letzten Jahren das sein, was er im Grunde wohl immer gewesen war, ein schöngeistiger linker Intellektueller.

Was bleibt denen, die ihn kannten, von Ernst Fischer in Erinnerung? Ich sehe ihn am Tisch sitzen, lebhaft diskutierend, noch als Siebzigjähriger bereit zum Enthusiasmus für alles mögliche: Bücher,
Ideen, Menschen, vor allem Frauen. In seine Frau Lou war er noch immer verliebt. Ich höre seine Sprache, altmodisch-kultiviert, mit leichtem österreichischem Akzent. Ich erinnere mich an die Aura des
Außenseiters, die ihn stets umgab, die Aura eines Literaten unter Politikern, eines Politikers unter Literaten. Ganz zuhause war er wohl nirgends.

Freitag, 28. Jänner 2000

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