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Sendung vom 18.06.2006 (WDR)

Indien
Das Sterben der Geier

Es ist nur ein Steinwurf von der Skyline Bombays bis zu einem der merkwürdigsten Gebäude der Riesenmetropole. Und nur von wenigen Punkten hat man Einblick in die schauerliche Szene im Inneren des Tower of Silence – dem Turm der Ruhe. Seine Toten auf solche Art der Vergänglichkeit zu überlassen, gibt es nur in einer Religionsgemeinschaft – bei den Parsen. Der Hohe Priester Dr. Homi Dhalla gehört zu den geheimnisumwitterten Anhängern des Propheten Zarathustras. Zu jenen Parsen, die vor über tausend Jahren nach dem Untergang ihres Großreiches von Persien nach Indien flüchteten. Hier am Indischen Ozean sind sie seitdem Teil der machtvollen Führungsschicht des Landes.

“Unsere Religion begründet sich in der tiefen Verbindung des Menschen zu den verschiedenen Formen der Natur. Wir sind nach unserer Überzeugung im täglichen Leben mit den Elementen verbunden, mit dem Wasser, der Erd, dem Feuer, den Felsen und natürlich der Luft. Schon Herodot sagte, dass die alten Perser großen Respekt vor dem Wasser hatten und es nicht zuließen, dass ein toter Körper mit diesen heiligen Elementen in Berührung kam.“

Über all die Jahrhunderte hatten die Parsen keinen Grund zur Sorge. Das heimliche Wappentier Indiens, der Geier, so Dr. Dhalla vor einem Modell des Turmes, verhalf zuverlässig zu einer diskreten und vor allem raschen Entsorgung der Toten.

„Als ich ein junger Bursche war, sah ich 79, 80, 90 sogar 100 Geier hier in der Anlage. Doch in den letzten Jahren sehen wir kaum noch welche – so gut wie gar keine.“

Die Totenträger der Parsen haben ihre ständigen Begleiter längst verloren und lange Zeit gab es keine Erklärung für das Verschwinden der Aasvögel.

Wir machen uns auf den Weg zu einem der größten Nationalparks in Indien – nach Bharatpur. Hier finden sich über 300 Vogelarten, die jeden Frühling aufs Neue in die spektakuläre Landschaft zur Brut zurückfinden. Bharatpur ist auch Heimat des ägyptischen Geiers, jenem Aasfresser an der Spitze der Nahrungskette, die einstmals zu Millionen das Land bevölkerten und nunmehr zu den am meisten bedrohten Arten des Landes gehört. Einer, der den Flug des Totenvogels von Berufs wegen verfolgt, ist Dr. Prakash. Der Ornithologe suchte jahrelang nach den Ursachen des Geiersterbens.

„Wir dachten zuerst, die Tiere leiden an einer Art Nackenschwäche. Sie lassen die Köpfe tief runterhängen, fast zwischen die Beine. Und wenn dieses Verhalten auftritt, dauert es ca. 30 bis 35 Tage – dann sterben sie.“

Fast täglich finden Prakashs Mitarbeiter die traurigen Überreste der einst großen Geierpopulation im Bharatpur Nationalpark. Die Bestände sind hier, wie überall in Indien, um 85 bis 90 Prozent gesunken.

Weil das so ist, hat Dr. Prakash vor sieben Jahren parallel zu seinen Forschungen eine Geieraufzuchtstation gegründet. Hier hat er die Tiere unter Beobachtung, kann eventuelle Unregelmäßigkeiten sofort erkennen. Für den Ornithologen war es ein Rennen gegen die Zeit. Alles was nur annähernd auf die Lebensweise der Geier Einfluss hatte, wurde untersucht. Mögliche Virusinfektionen, Bakterien, in der Landwirtschaft verwendete Unkrautmittel etc. Dass die Lösung nur wenige Kilometer von seinem Gehege entfernt zu finden war, wusste der lange Zeit nicht . Und die Verursacher der Krankheit wussten es auch nicht.

Dr. Parmeshvar Singh im nahe gelegenen Dorf Bandhavgarh gehört zu den Tierärzten, die ihren Beruf gerne ausüben. Für die Bauern hier schlägt er sich schon mal eine Nacht um die Ohren, wenn es gilt, einem Zicklein oder Büffelkalb den Weg ins Leben zu erleichtern. Und er ist stolz auf seine modernen Medikamente, mit denen sich soviel behandeln lässt. Deshalb war es für den Doktor ein Schock, als er von den jüngsten Forschungsergebnissen des Vogelkundlers Prakash erfuhr. Dass ausgerechnet eines seiner besten Mittel, das Diclofenac für den Tod der Geier verantwortlich sein soll. Diclofenac , das indienweit verwendete Allerheilgemisch für Nutztiere, galt lange Zeit als eine Art Superaspirin. Es ist billig, überall erhältlich und schnell wirksam.

„Diclofenac wird mehr als alle anderen Medikamente verwendet. Mehr sogar als Antibiotika. Es hilft gegen Vieles – Fieber, Gelenkschmerzen und alle Art von Entzündungen. Deshalb spritzen wir es sehr häufig.“

Weil aber Diclofenac sehr schnell zu Resistenzen führt, spritzen die Tierärzte immer höhere Dosen. Verendet ein Tier trotzdem , wird der diclofenacdurchsetzte Kadaver ein Fressen für die Aasvögel. Für die Nieren, vor allem aber die Leber der Geier, so fand Dr. Prakash heraus, ist der Pharmacocktail reines Gift. Innerhalb von vier Wochen ist das Ende des Vogels gewiss.

Kommen Sie, hat uns Dr. Prakash gesagt, ich zeige Ihnen, welche verheerenden Folgen das Aussterben des Geiers hat. Der Ornithologe führt uns zum Totenreich der in Indien als heilig verehrten Kühe. Da die Tier nicht geschlachtet, geschweige denn verspeist werden dürfen, landen sie hier im Machtbereich des Abdeckers. Heute werden Knochen abgeladen, ansonsten enden hier 20 bis 30 Kadaver täglich.

„Früher hatten wir Tausende von Geiern. Und sie hätten kein Rind gesehen, so wie hier, wo das Fleisch noch dran ist. Innerhalb von Minuten hätten die Vögel das erledigt.“
In Minuten?
„Ja, sicher. Eine Kuh wie diese wäre von den Geiern in 20 bis 25 Minuten abgenagt worden.“

Die wenigen verbliebenen Geier auf dem Kadavergrund, aber schaffen ihren Job längst nicht mehr. So liegen wilde Hunde wie Cerberus vor dem Totenreich – fett und voll gefressen im unerträglichen Gestank des Leichenfeldes. Ihre Konkurrenten – wenn man im Überfluss des Angebotes davon sprechen kann, tragen auch das schwarze Kleid des Todes. Krähen – die Massenplage moderner Zivilisationsgesellschaften. Doch weder Hund noch Krähe vermögen die Mengen zu vertilgen, die einst der Geier in seiner Gier verschlang.

Der aber war durch sein Immunsystem vor den tausendfachen Erregern im verwesenden Fleisch geschützt. Hunde und Krähen dagegen tragen sie in Dörfer und Städte. Ein simples Medikament hat es möglich gemacht und die Gesundheitspolizei Indiens fast ausgerottet.

Autor Armin P. Hampel






 
 
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