Neue Spektroskopische Methoden in der Abteilung Wieghardt
In der Abteilung Wieghardt wurden im vergangenen Jahr zwei spektroskopische Methoden etabliert, die es erlauben, vertieften Einblick in die elektronischen Strukturen von Metallkomplexen zu erhalten. Mithilfe des Magnetischen-Zirkulardichroismus (MCD)-Effektes erhält man Einblicke in die angeregten Zustände der Komplexe sowie die magnetischen Eigenschaften des Grundzustandes (der experimentelle Aufbau ist in Abbildung 1 gezeigt). Die angeregten d-d-Zustände geben Auskunft über Komplexgeometrien und Koordinationszahlen, während Ladungs-Transfer (CT)-Übergänge die Kovalenzen der Metall-Ligand-Bindung widerspiegeln und somit direkten Einblick in die Metall-Ligand-Bindung geben. Variation von Temperatur und Magnetfeld bei fester Wellenlänge ergeben so genannte VTVH-Kurven. Diese haben Ähnlichkeiten mit der magnetischen Suszeptibilität, sind aber wesentlich informativer, da sie neben Informationen über die Spin-Hamilton-Parameter des Grundzustandes auch Informationen über die Polarisation der beobachteten Übergänge enthalten. Zudem sind diese Kurven nicht sensitiv gegenüber paramagnetischen Verunreinigungen.
Abb. 1: MCD-Messplatz: ein kommerzielles CD-Spektrometer (JASCO J-715) ist mit einem Flüssig-He-Magnetokryostaten (Oxford Instruments, 0-11 T, 1,5-298 K) verbunden. Die Detektion erfolgt über einen Photomultiplier und ein Lock-in-System.
In einem laufenden Projekt ist die Anwendung der MCD-Technik auf schwach austauschgekoppelte Übergangsmetalldimere (Abb. 2) erweitert worden. Die Ergebnisse zeigen erstmals, dass es in der Tat möglich ist, mithilfe von MCD-Spektroskopie Einblicke in die Austauschkopplung zu gewinnen.
Abb. 2: Oben: Strukturen von heterodinuklearen Komplexen zum Studium von schwachen Austauschkopplungen. Die Verbindungen wurden erstmals am Institut in der Gruppe Chaudhuri synthetisiert und charakterisiert. Die Verbindungen haben einen Bindungsplatz für ein dreiwertiges Metallion (MIII) sowie für ein zweiwertiges Metallion (MII). Unten: MCD-Daten von heterodinuklearen Metallkomplexen. Links: MCD-Spektren einer Verbindung von Cr(III) (S=3/2) und Ni(II). (S=1) Mitte: VTVH-MCD-Daten einer Verbindung von Ga(III) (S=0) und Ni(II) (S=1). Rechts: MCD-Daten der Cr/Ni-Verbindung. Die Daten zeigen deutlich die Sensitivität der MCD-Spektroskopie auf die magnetische Wechselwirkung der Ni(II)- und Cr(III)-Ionen.
Bei der Resonanz-Raman (RR)-Spektroskopie werden elektronische Übergänge mithilfe von Laserstrahlung angeregt. Das Streulicht enthält dann neben der Anregungsfrequenz auch um den Betrag von Schwingungsquanten energetisch verschobene Photonen (der experimentelle Aufbau ist in Abbildung 3 gezeigt). Die RR-Spektroskopie verstärkt aber selektiv solche Schwingungen, die an die chromophore Gruppe gekoppelt sind. Damit erhält man hochspezifische Informationen über die Natur der elektronischen Übergänge und die chemische Konstitution der farbgebenden Gruppen. Somit können z.B. redoxaktive (engl. „noninnocent“) Liganden identifiziert werden, die bei der Bindung an Metallkomplexe gebildet werden. Mithilfe von spezifischen Isotopenmarkierungen werden die Schwingungen identifiziert und mithilfe der RR-Intensität in Abhängigkeit von der Laser-Anregungswellenlänge („Anregungsprofil“) erhält man detaillierte Informationen über die Geometrien der Moleküle in ihren elektronisch angeregten Zuständen.
Abb. 3: Resonanz-Raman Aufbau: Laserlicht wird durch drei Laser (Ar+-Pumplaser, Ti:Sa-Laser und Ar+/Kr+-Ionenlaser) geliefert. Das gestreute Licht wird mit Hilfe eines subtraktiven Triplemonochromators analysiert und mit Hilfe einer CCD-Kamera oder eines Photonenzählers analysiert.
Theoretische Methoden am MPI für Strahlenchemie
Als weiterer Schwerpunkt ist in der Abteilung Wieghardt in den letzten Jahren die theoretische Behandlung von Übergangsmetallkomplexen mithilfe von quantenchemischen Methoden in der Gruppe Dr. Neese intensiviert worden. Dabei werden eigene methodische Entwicklungen im Rahmen eines in Mülheim entwickelten Quantenchemie-Paketes (ORCA) vorangetrieben. Das Ziel dieser Entwicklungen ist es, universell anwendbare Methoden für die Vorhersage der Strukturen und Spektren der offenschaligen Metallkomplexe zu entwickeln. Dies ist eine besondere Herausforderung, da diese Moleküle zu den quantenchemisch am schwierigsten zugänglichen gehören. Im Rahmen der Dichtefunktionaltheorie wurden neue Methoden zur Vorhersage von EPR- (g-Tensoren, Hyperfeinkopplungen, Nullfeldaufspaltungen, Austauschkopplungen) und 57Fe-Mössbauer- (Isomerieverschiebung, Quadrupolaufspaltung) sowie Absorptions- und CD-Spektroskopie entwickelt und intensiv auf aktuelle Forschungsprobleme angewendet. Dabei zeigt sich, dass man gelegentlich an die Grenze der Leistungsfähigkeit der verfügbaren Dichtefunktionalmethoden stößt. Aus diesem Grunde wurden die methodischen Entwicklungen auf genuine Multireferenz-ab-initio-Methoden ausgedehnt. Diese Methoden sind universell anwendbar, erfordern jedoch einen sehr hohen Rechenaufwand, so dass die Entwicklung von physikalisch motivierten Näherungen im Vordergrund der Entwicklungen steht. Erste Anwendungen der vereinfachten Methoden auf aktuelle Forschungsprobleme sind sehr vielversprechend.
Um geeignete Rechenleistung zur Verfügung zu stellen wurden am Institut zwei Linux-Cluster-Systeme installiert. Der kleinere Cluster („LittleWing“) umfasst 18 1,4 GHz Athlon CPUs, die unter Redhat Linux laufen und jeweils 512 MB Hauptspeicher zur Verfügung stellen. Der größere Cluster („Galahad“) umfasst 80 Xeon 2,4 GHz CPUs mit je 2 GB Hauptspeicher. Beide Cluster sind mit effizienter Kommunikations-Soft- und Hardware ausgestattet, so dass parallele Berechnungen mit Hilfe des MPI-Standards möglich sind. Es ist so möglich, in akzeptablen Rechenzeiten auch größere Moleküle theoretisch zu behandeln (Abb. 4).
Abb. 4: Optimierte Struktur eines bioanorganischen Modellkomplexes mit 83 Atomen ([Fe2(TMTACN)2(μ-O2-)(μ-CH3COO-)2]2+). Unter Ausnützung von 4 CPUs kann die gesamte Rechnung an einem einzigen Tag durchgeführt werden.
Elektronenstruktur von Eisen-Nitrosylkomplexen: Modelle für die aktiven Zentren von Hämproteinen
Die Koordination von Stickstoffmonoxid an Übergangsmetalle ist komplexchemisch gesehen ein recht altes Forschungsgebiet. Es hat in den vergangenen Jahren dennoch enorm an Attraktivität und Aktualität gewonnen, da dieser Koordinationstyp von fundamentaler biochemischer Bedeutung ist. So findet sich NO als Botenstoff mit einer Vielzahl von physiologischen Wirkungen. Insbesondere die Interaktion von NO mit Eisen in einer Reihe von Hämproteinen wie Guanylatzyklase oder NO-Synthase ist von herausragender Bedeutung. Des Weiteren sind diese Wechselwirkungen von hoher Relevanz im geochemischen Stickstoffkreislauf. Sowohl in den Vorgängen der Denitrifikation (Umsetzung von Nitrat zu Distickstoff durch Bakterien) sowie der Ammonifikation (Umsetzung von Nitrat in Ammoniak, DNRA) findet sich NO als obligates Intermediat und wechselwirkt mit diversen Metallproteinen, die Eisen und Kupfer enthalten. Die koordinationschemische Herausforderung ist seit langem, eine korrekte Beschreibung der Bindungsverhältnisse in Nitrosylkomplexen zu finden, da in der Regel eine Zuordnung einer Oxidationsstufe zum Metall und dem NO-Fragment sich als außerordentlich schwierig erweist. Für Eisenkomplexe ist daher die Notation {FeNO}n vorgeschlagen worden, wobei n die Anzahl der Eisen-d-Elektronen und NO-π*-Valenzelektronen beinhaltet. Biochemisch relevant sind die Komplexe in den Zuständen {FeNO}6, {FeNO}7 und {FeNO}8. Zum Beispiel haben wir kürzlich einen Reaktionsmechanismus für das Schlüsselenzym der DNRA vorgeschlagen (Cytochrom c Nitritreduktase, ein Hämprotein), bei dem alle drei Oxidationsstufen intermediär auftreten. Die Komplexität wird noch zusätzlich dadurch erhöht, dass die paramagnetischen {FeNO}7-Komplexe sowohl mit einem Gesamtspin von S=1/2 wie einem Gesamtspin von S=3/2 auftreten. Für den Zustand {FeNO}7S=3/2 haben Solomon und Mitarbeiter gezeigt, dass es sich im Wesentlichen um eine Koordination der Form Fe(III) (S=5/2) antiferromagnetisch gekoppelt an NO- (S=1) handelt. Die Beschreibung der Bindungsverhältnisse in den anderen Formen war jedoch unklar.
Es ist daher besonders erfreulich, dass es erstmals gelungen ist Modellkomplexe der Reihe {FeNO}6, {FeNO}7 (S=1/2) und {FeNO}8 zu synthetisieren und physikalisch zu charakterisieren. Basierend auf dem Liganden Cyclam-Acetat konnten die Eisenkomplexe {FeNO}6, {FeNO}7 (S=1/2) dargestellt, kristallisiert, sowie röntgenographisch und spektroskopisch untersucht werden (Abb. 5).
Abb. 5: Struktur der untersuchten Modellkomplexe. Die Strukturen von [Fe(Cyclam-Acetat)(NO)]2+({FeNO}6) und [Fe(Cyclam-Acetat)(NO)]+ ({FeNO}7) sind experimentelle Strukturen, während die Struktur von [Fe(Cyclam-Acetat)(NO)] ({FeNO}8) aus einer DFT-Geometrieoptimierung stammt.
Die {FeNO}8-Form zeigte eine hohe Tendenz zur Oxidation und konnte daher nur mithilfe der Coulometrie dargestellt und spektroskopisch untersucht werden. Die Versuchsergebnisse zeigten zunächst scheinbar widersprüchliche Ergebnisse. Die NO-Streckschwingung fand sich in den drei Oxidationsstufen bei 1903 cm-1 ({FeNO}6), 1611 cm-1 ({FeNO}7) und 1273 cm-1 ({FeNO}8). Diese starke Abnahme der Schwingungsfrequenz ist ein Hinweis auf eine Schwächung der N-O-Bindung bei Reduktion und konsistent mit der Formulierung der Oxidationsstufen als NO+, NO∙ und NO- in der Serie.
Hingegen zeigte die Mössbauspektroskopie Isomerieverschiebungen von –0,02 mm/s ({FeNO}6), 0,25 mm/s ({FeNO}7) und 0,41 mm/s ({FeNO}8) (siehe Abb. 6). Diese starke Abhängigkeit ist ein Hinweis auf eine Beteiligung des Eisens an der Redoxchemie und konsistent mit der Formulierung des Eisens als Fe(IV), Fe(III) und Fe(II).
Abb. 6: Mössbauerspektren der untersuchten Verbindungen.
Die Probleme bei der Interpretation der spektroskopischen Daten konnten überzeugend mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie gelöst werden. Durch unsere methodischen Entwicklungen war es möglich, sowohl die Strukturen und Schwingungsspektren als auch die Mössbauerspektren aller drei Verbindungen zu berechnen. Die Übereinstimmung von allen gemessenen mit den berechneten Größen war durchweg exzellent – ein starker Hinweis darauf, dass die Rechnungen die Bindungsverhältnisse durch die gesamte Serie richtig wiedergeben.
Eine detaillierte Betrachtung der berechneten Molekülorbitale war dann für die korrekte Interpretation der Daten ausschlaggebend. Im {FeNO}6-Komplex finden sich drei doppelt besetzte Molekülorbitale (MOs), die hauptsächlich Eisencharakter aufweisen, wohingegen die ersten zwei unbesetzten MOs hauptsächlich den NO-π*-Orbitalen entsprechen (Abb. 7). Man hat also die {FeNO}6-Form als low-spin (t2g6) Fe(II) gebunden an einen NO+-Liganden anzusprechen – und nicht als Fe(IV) gebunden an einen NO--Liganden. Eine genaue Betrachtung der MOs zeigt aber, dass die besetzten Fe-π-Orbitale dxz und dyz einen starken (~30%) NO-π*-Charakter aufweisen und bindend sind zwischen dem Eisen und der NO-Einheit. Diese Wechselwirkung bezeichnet man in der Koordinationschemie als π-Rückbindung. Im betrachteten Fall ist diese Rückbindung extrem stark, was auch durch die sehr kurze Fe-N-Bindung von 1,66 Angström bestätigt wird.
Abb. 7: Grenzorbitale der {FeNO}6-Verbindung. Die Berechnungen zeigen den low-spin(t2g6)-Charakter der Verbindung sowie die starke Rückbindung zwischen Fe(II) und NO+.
Bei der Reduktion zur {FeNO}7-Form wird das zusätzliche Elektron in ein NO-π*-Orbital (das LUMO) eingefüllt, welches allerdings doppelt bahnentartet ist. Dadurch kommt es zu einer Jahn-Teller-Verzerrung, welche zu dem experimentell auch beobachteten Abknicken des NO zu einem Bindungswinkel von 145° führt. Da die Reduktion hauptsächlich ligandenzentriert ist, ist die korrekte Beschreibung der {FeNO}7 (S=1/2)-Form also low-spin Fe(II) (t2g6) gebunden an NO∙ (Abb. 8).
Abb. 8: Das einfach besetzte Molekülorbital der {FeNO}7-Verbindung. Der π*-Charakter am N-O-Ligand ist deutlich erkennbar und weist auf eine Zuordnung des Liganden als NO·-Radikal hin.
Die zweite Reduktion erfolgt somit durch Einfüllen eines weiteren Elektrons in das einfach besetzte Molekülorbital der {FeNO}7-Form. Diese Reduktion ist ebenfalls ligandenzentriert, wodurch die korrekte Beschreibung low-spin Fe(II) (t2g6) gebunden an NO- lauten muss. Im Prozess der Reduktion wird der NO-Ligand also immer elektronenreicher und verliert dabei Elektronenaffinität. Seine Fähigkeit zur π-Rückbindung wird demnach erheblich beeinträchtigt. Somit können die experimentellen Daten befriedigend erklärt werden: die Reduktionen sind im Wesentlichen ligandenzentriert, und da die Elektronen aufnehmenden Orbitale antibindend zwischen N und O sind, kommt es dabei zu einer Schwächung der NO-Bindung und folglich zur beobachteten Reduktion der Frequenz der N-O-Streckschwingung. Andererseits verringert sich die π-Rückbindung zwischen Ligand und Metall, wodurch das Metall bei der Reduktion ebenfalls elektronenreicher wird. Da wir kürzlich zeigen konnten, dass die Mössbauer-Isomerieverschiebung direkt mit der Fähigkeit zur π-Rückbindung korreliert, können somit auch die Mössbauer-Resultate befriedigend erklärt werden.
Die gewonnen Erkenntnisse sind von erheblicher Bedeutung für die Interpretation der Vorgänge, die zur Anlagerung, Abspaltung sowie zur Reduktion oder Oxidation von NO in den aktiven Zentren von Hämproteinen führen und tragen somit zum Verständnis einer ganzen Reihe von biochemischen Vorgängen bei.
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