Im 1. Weltkrieg auf Fort Brinkamahof
von H. Janßen
Aus den Erinnerungen eines alten Bremerhaveners
Zu Beginn des 1. Weltkrieges bestand die Besatzung des Forts Binkamahof II vor
Weddewarden zu einem großen Teil aus Freiwilligen, die fast alle aus den
Unterweserstädten oder der näheren Umgebung stammten, so z.B. Geschäftsleute
und Abiturienten von den drei höheren Schulen Lehe, Bremerhaven und
Geestemünde sowie vom Bederkesaer Lehrerseminar.- Heinrich Janssen vermittelt
im folgenden ein anschauliches Bild aus seinem Soldatenleben in der Heimat vor
fast 64 Jahren.
Schon lange vor dem ersten Weltkrieg lagen die Forts in der Weser: zwei auf
Oldenburger Seite und zwei auf der Land-Wurster-Seite. Sie sollten die engere
Heimat vor Feindeinwirkung von See schützen.
Die Besatzung bestand auch schon lange aus Soldaten der dritten
Matrosen-Artillerie-Abteilung, deren Stab sich in der Kaserne
Kaiser-Wilhelm-Straße (heute Hinrich-Schmalfeldt-Straße) befand. Das
Marine-Lazarett war in der Oststraße (heute Suhrfeldstr.). Wer einen
Weserdeichspaziergang unternimmt, wird kurz vor Schloß Morgenstern (Weddewarden)
noch die Umrisse der Ruine und den Schlengenweg zum Deich sehen können. Es ist
das frühere Fort Brinkamahof 2, von dessen Einrichtung, Menschen und
Gewohnheiten ich zur Erinnerung berichten möchte.
Der erste Weltkrieg war ausgebrochen und schnellstens wurde die Wesereinfahrt
noch mehr gesichert. Außer den Forts mit ihren 28-cm-Geschützen in
Panzertürmen gab es an der Wurster Küste Uferbatterien, Haubitzbatterien,
Torpedobatterien, Netz- und Minensperren; Landwehrregimenter waren an den
Deichen bis Cuxhaven in Baracken untergebracht, bestückt mit Nahkampfwaffen,
Maschinengewehren, Handgranaten und Gewehren.
Der Kriegsausbruch kam für alle sehr überraschend- und hätte nicht kommen
dürfen. Das damals so harmonische Leben in Bremerhaven und Umgebung war in
helle Aufruhr geraten. Straßen, Plätze und Bahnhöfe glichen
Ameisenhaufen. Alles lief durcheinander, jeder wollte etwas Neues erhaschen.
Helle Begeisterung und Aufregung bei jung und alt.
Heute kann niemand mehr diese Begeisterung verstehen! Parolen kamen auf- und
verbreiteten sich schnell: In Bremerhaven befinden sich Spione! Vorwiegend
Russen! Mancher Ausländer begab sich freiwillig in Schutzhaft, um nicht von der
aufgeregten Menge belästigt oder sogar verprügelt zu werden. Auf den Dächern
der Post, von der Sielstraße aus zu sehen, sollten Spione verfolgt worden
sein- das war am Abend, es war schon dunkel! Wenn einer lief, liefen alle!
Die Polizei hatte alle Mühe, die Schuldigen von den Unschuldigen zu trennen.
Auch auf unserem Brinkamahof 2 in der Wesermündung wurde alles getan, damit
vermeintliche Spione nicht eindringen konnten. Der umgebende Stacheldraht wurde
verdoppelt, spanische Reiter und Tausende von Sandsäcken rings um das Fort
gelegt. Die Wachen wurden verdoppelt und Parolen, die täglich geändert wurden,
ausgegeben.
Heimat- und Landurlaub wurde fast eingestellt.
Mit Proviant waren wir so versorgt worden, daß wir eine längere Belagerung
durchstehen konnten. Sogar Hühner-, Enten- und Schweineställe wurden angelegt.
Die Weser lieferte uns dazu noch den Fischbedarf.
Die schweren 28er- Geschütze waren stets kampfbereit und Tag und Nacht
besetzbar. In den Schießscharten stehend, sah man sich die Augen wund- und wehe
dem Posten, der nicht jede Kleinigkeit sofort meldete. Es herrschten
Kriegsgesetze und daher hohe Strafen für Wachvergehen.
Trotz aller Hektik gingen wir daran, unser bevorstehendes Weihnachtsfest 1914
würdig zu gestalten. Die sonst so trist wirkenden, burgverließähnlichen
Räume bekamen Tannengrün und bunte Bänder. Auf dem weißgescheuerten Tisch
lag eine große Papierdecke, und dann gings los. Offiziere, Feldwebel,
Obermaate, Maate und Mannschaften- alle feierten für sich in eigenen Räumen.
Erst gab`s einen schönen Braten, dann alles das, was jeder mochte. Mit Musik,
Gesang und Seemannsgarn ging`s bis in die Nacht hinein. Pünktlich um 3 Uhr
morgens war Schluß.
Weihnachtsmorgen, ein herrlicher Frosttag, wurde sanft geweckt. Erst blies der
Spielmops das übliche Wecksignal (leiser als sonst), dann erst ganz leise der
Spielmannszug: "Freut euch des Lebens!" Ganz wunderbar war es für
uns, so freundlich aus dem Schlaf geweckt zu werden...
Dann kam der Kommandant! Die Ansprache erfolgte, er ermahnte uns stets unsere
Pflicht zu tun für Kaiser und Vaterland! Dann ein Hoch auf den Kaiser! Er
wünschte uns noch gute Weihnachten und räumte das Feld.
Zum Mittag gab`s eine Flasche Freibier. Der Hauptfeldwebel tat so, als
gäbe es nichts zu beanstanden- und wir konnten faulenzen oder schlafen.
Ausgenommen waren natürlich die zum Wachdienst eingeteilten Leute!
Am zweiten Feiertag kam die gesamte Musikkapelle, 65 Mann stark, um uns eine Stunde lang flotte Märsche
vorzuschmettern! Unser berühmter, in Bremerhaven und Umgebung sehr
beliebter Musikkapellmeister Flick (von uns "Vadder Zackig" genannt)
verstand sein Geschäft!
Alles an dem Geschütz wurde mit der Hand bedient. Das schwere Geschoß wurde
von 4 Mann auf einer Tragschale an das Geschütz herangetragen und mit dem
Ansetzer, der unter der Decke in Haken hing, angesetzt. Die Kartuschen, 21 kg
schwer, wurden von Mann zu Mann gefangen und auch angesetzt. Der Verschluß mit
seinen Liederungsringen mußte mit Talg verschmiert und mit der Handkurbel
festgedreht werden. Die Friktionszündschraube wurde eingeschraubt, daran kam
dann die Abzugsleine, und auf das Kommando: "Fest! Fertig! Feuern! ging das
Geschoss aus dem Rohr. Bei längerer Kanonade ist es auch vorgekommen, daß ein
Feuerstrahl aus dem Verschluß die Soldaten gefährdete, da half man sich mit
nassen Säcken. Rekord war alle 3 Minuten ein Schuß! Zur Übung war im Rohr
eine Vorrichtung angebracht, die ein Infanteriegewehr aufnehmen konnte, das
genauso abgefeuert werden konnte. Ziel war eine Blechscheibe (von uns
Pengscheibe genannt), die in 80m Entfernung an einem Drahtseil gezogen wurde.
Das machte uns allen großen Spaß, besonders, wenn mit lautem "Peng"
die Scheibe getroffen war.
Um 9.45 Uhr abends blies der Hornist den ersten Zapfenstreich so laut, daß fast
ganz Bremerhaven mithörte: "Zu Bett, ihr Lumpenhund, es schlägt die
letzte Viertelstund" Zu Bett" Zu Bett!! "Um 22 Uhr kam dann das
letzte Signal: "Soldaten müssen zu Bette gehn und nicht mehr bei den
Mädchen stehn!"
Lange vorher mußten wir unser Versetzboot erreichen, es fuhr pünktlich ab, um
22 Uhr mußten alle Urlauber auf dem Fort sein. War das Boot weg, blieb uns nur
noch der lange Weg über die Wurster Straße und Weddewarden und über die
Schlenge.
Auf unserem Fort befand sich ein großer 12-Mann-Kutter, er war fast neu. Er war
in einem Schuppen untergebracht. Bei Gebrauch wurde das Ungetüm mit einer Winde
zu Wasser gelassen. Jeder mußte sich mal Schwielen von den schweren
Eichenholzriemen holen. Es dauerte einige Übungsstunden, bis man die Dinger
richtig handhaben konnte...
Niederdeutsches Heimatblatt Juni 1978, in: Julius Schreckensberg, Festungsinseln
an der Wesermündung und Konzentrationslager Langlütjen II-Ochtumsand,
Selbstverlag 1989 Brake 2. Auflage, S. 60ff