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- Im Jahr 3000 vor Christus ( links) fand man ihn noch im Drachen, heute weilt der nördliche Himmelspol beim Kleinen Bären.  Foto: Pinter

Im Jahr 3000 vor Christus ( links) fand man ihn noch im Drachen, heute weilt der nördliche Himmelspol beim Kleinen Bären. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Aufzählung Unsere Nachfahren werden den scheinbar unverrückbaren Polarstern irgendwann einmal vergebens suchen.

Doch bin ich standhaft wie des Nordens Stern, des unverrückte, ewig stete Art nicht ihres gleichen hat am Firmament. Der Himmel prangt mit Funken, ohne Zahl und Feuer sind sie all, und jeder leuchtet, doch einer nur behauptet seinen Stand." Diese Worte legt William Shakespeare seinem "Julius Cäsar" in den Mund – nur wenige Herzschläge vor dessen Ermordung. Doch Shakespeares "Nordstern" gab es 44 v. Chr. noch gar nicht.

Wir sehen den Polarstern so, wie er vor 430 Jahren glänzte. So lange ist sein Licht zur Erde unterwegs. Damals drückte William Shakespeare gerade die Schulbank. Stellen wir uns einen gewaltigen Sturm vor, der uns auf ein fernes, unbekanntes Eiland wirbelt. Zunächst wissen wir nicht, wo die Insel liegt. Der fachkundige Blick zum Sternenhimmel gäbe jedoch rasch ihre geografische Breite preis. Sie entspricht der Höhe des Himmelspols über dem Nordhorizont. Und diesen Punkt markiert, mit recht geringem Fehler, der Polarstern. In Stratford on Avon, Shakespeares Geburtsort, steht der Pol 52 Grad hoch. In Wien sind es 48, in Rom 42. Je näher wir den Tropen kämen, desto tiefer würde er hinab sinken. Südlich des Äquators suchten wir Himmelsnordpol und Polarstern vergeblich.

Schon 1533 riet der deutsche Astronom Peter Apian seinen Lesern, die beiden hinteren Kastensterne des Großen Wagens zum Auffinden des Himmelspols einzusetzen. Das berühmte Himmelsgefährt ist allerdings kein richtiges Sternbild – sondern bloß Schwanz, Kreuzbein und Lende des Großen Bären. In dieser Figur wiederum erblickten die alten Griechen die Königstochter Kallisto. Zuerst wurde sie von Zeus getäuscht und geschwängert, dann von der eifersüchtigen Hera in ein zotteliges Wesen verwandelt. Zeus schleuderte das Tier schließlich ans Firmament.

Lichtschwache Sterne

Seither ziert der Große Bär unseren Himmel – mit "Sternenaugen" und "Sternenkrallen" , wie Ingeborg Bachmann anmerkte. Er genießt die Gesellschaft des Kleinen Bären, lateinisch "Ursa minor" genannt: Der ist viel schmächtiger und jünger als sein großes Vorbild. Seine meist lichtschwachen Sterne waren bis 600 v. Chr. bloß Teil des ausladenden Sternbilds Drache. Der Drache bewachte die goldenen Äpfel der Hesperiden, bevor er vom Helden Herakles erschlagen wurde.

Thales von Milet ergriff die Gelegenheit, um aus den Flügeln des getöteten Monsters den Kleinen Bären zu formen. Vermutlich nahm er dabei Anleihe bei den Phöniziern. Denn noch lange sollte man auch von der "phönizischen Bärin" sprechen. An der Schwanzspitze des Kleinen Bären glänzt der prominente, für die Orientierung so wichtige Nordstern. Trotzdem sahen die alten Griechen in diesem Bären bloß Kallistos Kind oder ihre Zofe – und nicht etwa eine verwandelte, hohe Gottheit. Warum wählten sie keinen bedeutenderen Mythos?

In Widerspiegelung der Erdrotation dreht sich der Kosmos scheinbar täglich um uns Menschen herum. Ovid sprach von einem "ständigen Wirbel" , der die Sterne mit sich zieht. Genau wie die Erde, besitzt auch die rotierende Himmelskugel einen Nord- und einen Südpol. Dorthin würde unsere Erdachse zeigen, könnten wir sie weit, sehr weit ins All hinaus verlängern. Um diese beiden Drehpunkte – der südliche bleibt für uns unsichtbar – ziehen alle Gestirne ihre Kreise.

Den Polarstern trennen nur eineinhalb Vollmond-Durchmesser vom Himmelspol. Er beschreibt einen extrem kleinen Zirkel. Wann immer wir zum Nachthimmel blicken, ruht er praktisch an der selben Stelle. Kein anderer der mit freiem Auge sichtbaren Sterne macht ihm dieses Kunststück nach. Als einziger scheint er weder Jahreszeit noch Stunde zu kennen. Stets weist er die Nordrichtung. 1603 taufte Johannes Bayer diesen Stern "Alpha Ursae minoris". Die meisten seiner vielen Namen unterstreichen seine Rolle als Richtungsweiser. Wir nennen ihn gern "Nordstern" oder "Polaris". Anderswo sprach man von "Lodestar" (englisch für "Leit-stern") oder "Navigatoria" (vgl. italienisch navigatore, Seefahrer). Die Lakota tauften ihn "Wicahpi Owanjila" – "Stern, der an einem Platz steht".

1780 richtete William Herschel sein Teleskop auf Polaris. Schon hatte er eine Liste mit 269 Doppelsternen vorgelegt. Nun trennte er auch dieses Gestirn in zwei Lichtpunkte. Ein kleineres Fernrohr reicht, die Entdeckung nachzuerleben. Der deutlich schwächere Begleiter umkreist den Hauptstern in sehr weitem Orbit und braucht Jahrtausende für einen Umlauf. Auf sehr viel engerer Bahn kreist ein dritter Kompagnon. Dessen intime Nähe vereitelte eine direkte Beobachtung. Erst unlängst gelang es dem Hubble-Weltraumteleskop, ihn abzulichten. Aus der Bewegung dieses Sternchens schloss man auf die Anziehungskraft des Hauptsterns - und damit auf seine Masse.

Polaris besitzt etwa das vierfache "Gewicht" der Sonne und einen fast 50 Mal größeren Durchmesser. Das schenkt ihm enorme Leuchtkraft. Um Polaris zu ersetzen, müsste man zumindest 2.500 Kopien unserer Sonne an seine Stelle rücken. 1884 vermaß Edward Pickering die Helligkeit von 4.000 Sternen, verglich sie ausgerechnet mit dem Glanz von Polaris. Doch selbst der vermeintliche "Standardstern", so erkannte Ejnar Hertzsprung 27 Jahre später, zeigt alle vier Tage kleine Lichtschwankungen. Man reihte ihn nun in die Gruppe der Cepheiden ein. Das sind pulsierende Riesensterne, benannt nach dem "Prototyp" Delta Cephei im Sternbild Cepheus. Der enormen Leuchtkraft wegen erkennt man diese Objekte sogar in fernen Galaxien. Sie helfen, Distanzen im Kosmos abzustecken. Für Polaris interessieren sich Astronomen besonders – ist er doch der hellste Cepheide am irdischen Himmel.

Energiestau im Inneren

Sterne sind gewaltige Kugeln aus Gas, in deren Zentren Masse in Energie verwandelt wird. In einem bestimmten Druck- und Temperaturbereich tritt ein merkwürdiges Phänomen auf. Die im Inneren erzeugte Strahlung kann die äußere Sternenhülle nur schwer passieren, es kommt zum Energiestau, die Hülle erhitzt sich und expandiert. Beim Aufblähen sinkt die Temperatur wieder. Die Strahlung entweicht jetzt leichter, der Stern schrumpft. Kaum ist der Ausgangszustand erreicht, beginnt das Spiel von Neuem. Deshalb variieren bei den Cepheiden regelmäßig Oberflächentemperatur, Farbe und Leuchtkraft. Beim Delta Cephei sind die Folgen bereits mit unbewaffnetem Auge zu erkennen: Im Takt von 129 Stunden verdoppelt und halbiert er seinen Glanz. Der Puls des Polaris schlägt ungleich schwächer. Ihn nachzuweisen erfordert Messgeräte. Dennoch könnten auch seine Pulsationen gewaltige Mengen Materie ins All stoßen. Wie man neulich herausfand, kleidet sich der Stern in eine gewaltige Umhüllung aus dünnem Gas, die doppelt so groß ist wie er selbst.

Wandernde Himmelspole

Die Erdachse steht "schief" im Raum. Außerirdische Kräfte wollen sie aufrichten: Mond und Sonne zerren am bescheidenen "Schwimmreifen" von Mutter Erde. Sie ist am Äquator nämlich 43 km dicker als an den Polen. Als guter Kreisel will die Erdkugel ihre Raumlage beibehalten. Die Achse verteidigt den Neigungswinkel tapfer, weicht aber rechtwinkelig aus.

Deshalb beschreiben die beiden Himmelspole selbst weite Kreise am Firmament, die sich nach 26.000 Jahren schließen. Der nördliche Pol bummelt gemächlichst durch die Sternbilder Cepheus, Schwan, Leier, Herkules, Bootes, Großer Bär, Drache, Kleiner Bär und Giraffe.

Als die Ägypter die ersten Pyramiden bauten, lag der Himmelspol unweit des Sterns Thuban im Drachen. Dann wanderte er langsam in jene Himmelsregion, aus der Thales den Kleinen Bären formte. Als die griechischen Sternsagen entstanden, fehlte ein herausragender Leitstern. Auch Polaris stand viel zu weit vom Pol ab. Wohl deshalb umgab man das junge, kleine Sternbild bloß mit unbedeutenden Geschichten.

An der Schulter des Kleinen Bären leuchtet der Stern Kochab. Er ist ähnlich hell wie Polaris, aber gelblich getönt. Zu Cäsars Tod stand der Himmelspol acht Winkelgrad von Kochab ab; von Polaris trennten ihn sogar zwölf. Für Cäsar konnte es also noch gar keinen "unverrückten" und "standfesten" Nordstern geben. Als die Westgoten 410 n. Chr. Rom einnahmen, war der himmlische Drehpunkt gleich weit von beiden Sternen entfernt. Die Distanz betrug jeweils neuneinhalb Grad.

Später hielt der Pol immer eindeutiger auf Polaris zu. Shakespeares "Julius Cäsar" wurde erstmals 1599 aufgeführt. Damals lagen nur noch sechs Vollmonddurchmesser zwischen Pol und Polaris. Dieser hatte sich nun endgültig zum "Nordstern" oder "Meerstern" gemausert. Koloniale Seefahrer besaßen, ganz im Gegensatz zu den alten Römern, ein brauchbares Leitgestirn.

Bis 2100 wird sich der Himmelspol noch enger an den Polarstern heranschmiegen. Später vergrößert sich der Abstand wieder. Der weitere Pfad des Pols ist arm an auffälligen "Himmelsfunken". Nimmt man Helligkeit und Nähe als Kriterien, wird kein Stern mehr an Polaris heranreichen. Bewohner südlicher Breiten müssen bereits jetzt ohne vernünftiges Leitgestirn auskommen. Sie erspähen ihren Südstern, "Polaris australis", nur mit Mühe.

Christian Pinter

geboren 1959, lebt als Journalist in Wien. Er behandelt im "extra" astronomische Themen – und dies seit nunmehr genau 15 Jahren.

Samstag, 15. Juli 2006

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