Warum Kampf gegen Rechtsextremismus wirkungsvoll war Sich gemeinsam erfolgreich gewehrt
SCHLEUSINGEN
- Man könnte es eine Erfolgsgeschichte nennen. Schleusingen ist ausgezeichnet,
der Name steht für den gewonnen Kampf gegen die Gefahr von Rechts. Sich ob
des gelobten Widerstands genussvoll und zufrieden den Bauch zu reiben, sich zurückzulehnen
und auszuruhen, obliegt den Widerständlern allerdings nicht.
Bürgermeister
Klaus Brodführer (CDU) hebt gleich die Hände. "Erfolgsgeschichte",
"beispielgebend" - alles Einschätzungen, die er nicht so gerne
hört. "Man soll's nicht verschreien" - Brodführer sieht's
wie der Volksmund. "Ich bin da ein bisschen abergläubisch", sagt
er. Seit Schleusingens "Bündnis gegen Rechts" im vergangenen Jahr
den Preis des "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus
und Gewalt" bekommen hat, steht die 6000-Seelen-Stadt als Beispiel im Kampf
gegen Rechtsextreme.
Daran wagte vor zwei Jahren noch keiner zu denken. "Die
Leute haben sich abends nicht mehr auf den Markt getraut", weiß auch
das Stadtoberhaupt. Ein Punk wurde zusammengeschlagen, Fensterscheiben zertrümmert,
Kampfansagen gemacht. "Die kamen zu mir und sagten, sie nehmen Schleusingen
ein und lösen mich als Bürgermeister ab", erinnert sich Brodführer.
Sie, die Rechtsextremen, oft NPD-Anhänger, bestimmten, wohin man wann in
Schleusingen gehen konnte. Pöbelten, grölten, drohten. Der Höhepunkt
waren die ersten Monate 2005. Die NPD erklärte Schleusingen zur "Frontstadt".
Aufmärsche mit Fackeln und Stiefeln, Machtdemonstrationen gegenüber
Bürgern und Stadtverwaltung.
Aktion statt Reaktion
Das ist jetzt
vorbei. Der Bürgermeister tourt durch die Lande um zu informieren - sich
selbst und um andere an den eigenen Erfahrungen teilnehmen zu lassen. Wie zuletzt
in Potsdam, wo er bei einer kommunalpolitischen Tagung war: "Praxisorientierter
Umgang mit rechtsextremistischen Aktivität". Trotz des Erfolgs, der
Ruhe, die nun wieder herrsche, stehen die zwei Säulen des Schleusinger Widerstands
noch massiv: Das bürgerliche Bündnis gegen Rechts und der Präventionsrat.
Den hat der Bürgermeister noch lange nicht aufgelöst. "Der ist
jederzeit wieder aktivierbar, wir tagen auch gelegentlich." Demnächst
treffen sich die Vertreter von Landeskriminalamt, Stadt- und Landräte, von
Kirchen, Schulen, Vereinen und Polizei wieder, um von der Tagung zu hören.
Bis in Schleusingen der Rechtsextremismus aber zum Thema wurde, war schon
einiges passiert. "Am sensibelsten hat die Kirche reagiert", gesteht
der Bürgermeister. "Als wir es noch gar nicht wahrhaben wollten, hat
die Kirche mehrere Veranstaltungen der Gegner des Neonazismus organisiert."
Wir, das schließt ihn ein, denn die Erkenntnis hat Zeit gebraucht. Das Forum
in der evangelischen Gemeinde war der Beginn des Widerstands. Es hatte sich etwas
grundlegend gewandelt. Pfarrerin Dorothea Söllig bringt es auf einen Punkt:
"Wir sind von der Reaktion zur Aktion übergegangen." Gern missbrauchte
Daten wurden von der bürgerlichen Gegenbewegung besetzt: Der 29. Januar als
Vorabend von Hitlers Machtergreifung, der 8. Mai als Ende der Zweiten Weltkriegs,
der 9. November als Pogrom- und als Wendenacht. Statt brauner Aufmärsche
sollte es in Schleusingen Friedensfeste, Friedensgebete, Aktionen für die
bunte Vielfalt geben.
Unter dem Dach der Kirche haben sich alle vereint im
"Bündnis gegen Rechts". Von der PDS bis zur CDU. Gemeinsam gegen
Rechts - auch wenn's manchem wehgetan hat. CDU-Mann Brodführer gesteht: "Es
war für mich auch nicht einfach, bei Veranstaltungen neben Vertretern der
PDS in der Kirche zu sitzen zum Friedensgebet." Und dennoch: "Man muss
sich klar sein, dass man ein Ein-Themen-Bündnis ist", sagt Reinhard
Hotop, der sich als Kirchgemeindevorsitzender aktiv für das Bündnis
einsetzt. Keine Diskussionen über Hartz IV, über die Rente oder sonstige
Streitthemen. Aus nur einem Grund träfen sich die Menschen in dem Bündnis:
um gegen die Rechtsextremen, um gegen die Feinde der Demokratie zu kämpfen.
Die Schleusinger Bundestagsabgeordnete Iris Gleicke (SPD) sieht's so: "Es
ist keine Nebenstadtratssitzung!"
Guter Wille indes reicht nicht. "Wir
haben den Kampf zum Kampf der Bürger gemacht. Dafür braucht man aber
Informationen", weiß Brodführer. Mobit, Mobile Beratung in Thüringen
für mehr Demokratie - gegen Rechtsextremismus, wurde um Hilfe gebeten. "Was
Mobit geleistet hat, ist nicht zu unterschätzen", betont Gleicke. Mobit
hat viel Aufklärungsarbeit gemacht, den Blick von außen in die gebeutelte
6000-Seelen-Stadt gebracht, gehoflen, die Situation zu analysieren, immer wieder
Veranstaltungen initiiert: Informationsveranstaltungen, Workshops, Ausstellungen.
"Wir haben uns fortgebildet", erzählt Hotop. Über die CDU-nahe
Konrad-Adenauer-Stiftung genauso wie über die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.
Damit ist es jetzt aber noch nicht vorbei. Täglich verbringt Hotop etwa eine
Stunde damit, zu recherchieren, sich umzuhören, dranzubleiben. Auch Mobit
hat seine Aufgabe in Schleusingen noch nicht beendet: "Mobit ist nach wie
vor sehr wichtig für uns", meint Hotop.
Vernetzte Courage
Wolfgang
Nossen, Vorsitzender des Mobit-Trägervereins und der Jüdischen Landesgemeinde
Thüringens, fasst Aufklärung noch weiter und verlangt von den Schulen
mehr: "Die Schüler müssen die Vergangenheit kennen, um die Zukunft
gestalten zu können." Die Lehrer haben deshalb für Brodführer
eine ganz besonders wichtige Rolle inne. "Es war mir wichtig, die Lehrer
im Boot zu haben, die haben die Kontakte zu den Schülern, die sehen zuerst,
ob jemand irgendwelche Zeichen trägt."
Auch deshalb waren Vertreter
von Schulen und Vereinen im Präventionsrat. Für Brodführer ein
Schlüsselforum, das die Öffentlichkeit auch gezielt informiert hat.
"Dass wir zusammensitzen und arbeiten, das haben sie gescheut wie der Teufel
das Weihwasser. Das war eine Verunsicherungsstrategie. Und es hat dazu geführt,
dass sie es schwer hatten in Schleusingen", urteilt Brodführer im Nachhinein.
Die Vernetzung, der Austausch von Informationen und das gezielte Zusammenarbeiten
ist für Nossen kein Geheimrezept. "Man braucht sich nur deren Strategie
zunutze zu machen."
SPD-Frau Gleicke wie CDU-Mann Brodführer sehen
den Landkreis Hildburghausen nach diesen Erfahrungen auch besser gewappnet, um
auf Übergriffe und Provokationen von Rechts zu reagieren. "Das Bewusstsein
hat sich gewandelt", meint Gleicke. "An einigen Beispielen haben einige
bemerkt, dass es sich lohnt, etwas dagegen zu tun." Das Bündnis steht
auch im Kontakt mit dem Hildburghäusern. Seit der NPD-Kreisvorsitzende Tommy
Frenck das unbequem gewordene Pflaster in Schleusingen gegen das der Kreisstadt
Hildburghausen getauscht hat, kämpfen die Hildburghäuser gegen rechte
Demonstrationen verschiedenster Art.
Der Kampf der Schleusinger ist nicht
ohne weiteres übertragbar und auch keine reine Erfolgsgeschichte. Er ging
über mehrere Runden, nicht jede gewann das Bündnis. Ausharren und motivieren,
dabei Beschimpfungen, Drohungen und Niederlagen wegstecken. Der Bürgermeister
etwa musste einige Male vor Gericht ziehen, kassierte dabei auch Schlappen. "Ich
hab zu Mitteln gegriffen, von denen ich wusste, dass ich mir auch eine blutige
Nase holen könnte", erzählt er. Ohne persönliche Courage ginge
es nicht. Verzweiflungsmomente hatte auch Brodführer, etwa als Schleusingen
zur Frontstadt erklärt wurde und kaum mehr zur Ruhe kam. Oder als Frenck
in die Feuerwehr eintreten wollte.
Neben den Foren, Bündnis gegen Rechts
und Präventionsrat, neben Information und Vernetzung, spielt eben auch Persönliches
mit. Konservative und Linke müssen über ihren Schatten springen. In
Schleusingen führte das etwa dazu, dass das "Bündnis gegen Rechts"
in "Bündnis gegen Rechtsextremismus" umgetauft wurde. "Man
muss Geschlossenheit zeigen und darf nicht den Linken das Feld im Kampf gegen
Rechts überlassen", mahnt Nossen. Schließlich komme es auf die
Mitte, die Mehrheit an. Nossen setzt unverdrossen auf Aufklärung. Selbst
wenn es auf seiner Uhr schon fünf nach zwölf ist.