Aufhebung der Leibeigenschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien vom 1. November 1781

Aus:

Walter Kiendel, Urkund dessen ... Dokumente zur Geschichte Österreichs 996 bis 1955, Wien 1984, S. 189-191

 

Wir Joseph der Zweyte, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König in Germanien, Hungarn und Böheim ect., Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund und Lotharingen etc. etc. Entbieten Unseren gesammten treugehorsamsten Ständen, grundobrigkeitlichen Beamten, Ortsrichtern, Geschworenen und übrigen Unterthanen in Böhmen, Mähren und Schlesien Unsere landesfürstliche Gnade und geben euch hiemit gnädigst zu vernehmen:

Da Wir in Erwägung gezogen, daß die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Einführung einer gemäßigten, nach dem Beyspiel Unserer Österreichischen Erblande eingerichteten Unterthänigkeit auf die Verbesserung der Landeskultur und Industrie, den nützlichsten Einfluß habe und daß Vernunft und Menschenliebe für diese Änderung das Wort sprechen, so haben Wir Uns veranlaßt gefunden, von nun an die Leibeigenschaft gänzlich aufzuheben, statt derselben eine gemäßigte Unterthänigkeit einzuführen und hierunter den Grundobrigkeiten und ihren Beamten, dann den Unterthanen Folgendes zur genauesten Nachachtung gesetzmäßig vorzuschreiben:

Erstens: Ist jeder Unterthan blos gegen vorherige Anzeige und unentgeltliche Meldezettel sich zu vereheligen berechtigt; sowie

Zweytens: Jedem Unterthan frey steht, unter Beobachtung desse, was das Werbbezirks-System vorschreibt, auch von der Herrschaft hinwegzuziehen und inner Landes anderswosich niederzulassen oder Dienste zu suchen. Nur haben jene Unterthanen, die von ihren Herrschaften hinwegziehen und sich anderswo häuslich oder inwohnungsweise niederlassen wollen, ebenfalls den unentgeltlichen Entlaßschein, den sie auch der neuen Grundobrigkeit aufzuweisen, und anmit, daß sie von der vorigen grundobrigkeitlichen Pflicht entlassen seyen, zu bewähren hätten, anzubegehren.

Drittens: Können die Unterthanen nach Willkuhr Handwerke und Künste etc. erlernen und ohne Losbrief, welche ohnehin schon gänzlich aufhören, ihrem Nahrungs-Verdienste, da wo sie ihn finden, nachgehen.

Viertens: Sind die Unterthanen künftig einige Hofdienste zu verrichten nicht mehr schuldig: nur haben

Fünftens: Jene, die beyder Eltern verwaiset sind, wegen der von der Obrigkeit unentgeltlich besorgenden Obervormundschaft die üblichen Waisen Jahre, welche jedoch nirgends drey Jahre zu übersteigen haben, und nur jener Orten, wo sie Herkommens sind, auf dem Hof abzudienen. Und da endlich

Sechstens: Alle übrige auf den unterthänigen Gründen haftende Roboten, natural- und Geld-Praestationen, zu welchen die Unterthanen auch nach aufgehobener Leibeigenschaft verbunden bleiben, in Unseren böhmischen Erblanden duch die Urbarial-Patenten ohnehin bestimmet sind; so kann außer diesen den Unterthanen ein Mehreres nirgends auferlegt, am wenigsten aber, da sie anjetzo als nicht mehr leibeigene Menschen anzusehen sind, unter der Rubrik der vorigen Leibeigenschaft von ihnen mehr etwas abgefordert werden. Übrigens verstehet sich von selbst, daß die Unterthanen ihren Obrigkeiten auch nach aufgehobener Leibeigenschaft vermög der diesfalls ohnehin bestehenden Gesetze mit Gehorsam verpflichtet bleiben. Wornach sich also in Hinkunft zu achten, Unsere vorgesetzte Kreisämter und Stellen aber in vorkommenden Fällen dieses Gesetz zur unabweichlichen Richtschnur zu nehmen, auch auf dessen Befolgung genaueste Obsicht zu tragen haben werden.

Denn geschiehet hieran Unser höchster auch ernstlicher Wille und Befehl. Gegeben in Unserer Residenzstadt Wien, den ersten Tag des Monats November in siebenzehnhundert ein und achtzigsten, Unserer Reiche der römischen im achtzehenden und der erbländischen im ersten Jahre.


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