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Die Berliner Charité

Bild: Hauptgebäude der Humboldt - Universität zu Berlin


Vom Pesthaus zur Charité


Eine verheerende Pestepidemie grassierte in den Jahren 1709/1710 in Nordosteuropa, hatte bereits Ostpreußen und Pommern erreicht und bedrohte nun auch die königlich-preußische Residenz Berlin.
Ein 1709 erlassenes "Pestreglement" schrieb bei zunehmender Seuchengefahr die Errichtung eines Pesthauses außerhalb der Stadt vor. So kam es, daß 1710 - die Seuche hatte bereits Prenzlau erfaßt - in kürzester Zeit vor dem "Spandauischen Thor" ein solches Gebäude als Quarantäne- und Lazaretthaus erbaut wurde. Berlin blieb von der Pest verschont, und so wurde dieses "Pesthaus", ein schlichter zweigeschossiger Fachwerkbau, zunächst als "Hospital für arme, kranke und gebrechliche Personen, und zugleich als Arbeitshaus für gesunde arbeitsfähige Bettler" genutzt.
Mit der im Jahre 1700 gegründeten " Societät der Wissenschaften" erhielt die preußische Hauptstadt 1713 ein theatrum anatomicum: zur vorzugsweisen Unterrichtung der Wundärzte des Militärs, aber auch ziviler Ärzte, Hebammen und anderer Medizinalberufe. Dem Brauch der Zeit folgend, durften aber auch ebenso "Leute von Distinction" an den anatomischen Zergliederungen teilnehmen. In diesem im Societätsgebäude in der damaligen Dorotheenstraße gelegenem Sezier- Saal demonstrierte ein Professor der Anatomie an menschlichen Leichen Bau und Lage der inneren Organe.
Die anatomischen Vorlesungen wurden bald auf andere medizinische Lehrgegenstände wie Pathologie, Physiologie, Arzneimittellehre und Botanik ausgedehnt. Damit avancierte das Anatomische Theater im Laufe der Jahre zu einer medizinischen Weiterbildungsstätte, die sich an den Belangen der Praxis orientierte.

Mit der Gründung des Berliner Collegium medico-chirurgicum im Jahre 1724 wurde der medizinische Unterricht in geordnete Bahnen gelenkt. Das Collegium bot ausgezeichnete Ausbildungsmöglichkeiten für Wundärzte und Militärchirurgen. Was jedoch nach wie vor fehlte, war eine Institution für den klinischen Unterricht der Studierenden.

Im Herbst 1726 verfügte Friedrich Wilhelm I., das ehemalige Pesthaus in ein Garnisonslazarett umzuwandeln. Der Berliner Stadtchirurg Christian Gottfried Habermass hatte sich bereits im September 1726 mit dem Vorschlag an ihn gewandt, das geplante Lazarett auch für unbemittelte Zivilpersonen zu öffnen.
Da der königliche Leibarzt Eller und der Generalchirurg Holtzendorf diesen Vorschlag unterstützten, stimmte der König mit einer Kabinettsorder vom 18.11.1726 dem Plan zu. Das Haus wurde aufgestockt, die ärztliche Leitung übernahmen ein promovierter Medicus und ein Chirurg. Die Verwaltung oblag einem Oberinspektor, für den bald im Innenhof des ehemaligen Pesthauses ein Wohngebäude errichtet wurde. Erster Oberinspektor wurde Habermass. Es folgte der Bau weiterer "Oeconomie"-Gebäude wie z.B. Küche, Speisesaal, Brauhaus und Stallungen. Der Staat stattete das Haus mit dem respektablen Fonds von 100 000 Talern aus. Lazarett und Hospital verfügten zusammen über etwa 400 Betten, von denen allein 300 durch Hospitaliten (Pflegebedürftige) belegt waren. Auf dem Rand eines Bittschreibens der Verwaltung, in dem es um den steuerfreien Bezug von Roggen für die Patientenkost aus dem Berliner aus dem Berliner Stadt-Magazin ging, vermerkte der König am 14. Januar 1727

"es soll das Haus die Charité heißen".

An dem Namen "Charité" (Barmherzigkeit) hielt dieses Krankenhaus, das später das größte und bedeutendste Berlins werden sollte und heute als Universitätsklinikum Charité in der ganzen Welt bekannt ist , bis in die Gegenwart fest.
In den ersten acht Jahren war Johann Theodor Eller (1689 - 1760) leitender Arzt. Ihm zur Seite stand als Charité-Chirurg Gabriel Senff (gest. 1738). Beide waren zugleich auch Professoren am Collegium medico-chirurgicum.

Nach dem Medizinaledikt von 1725, das fast 100 Jahre lang die Grundlage des preußischen Medizinalwesens bilden sollte, mußten sich alle Wundärzte, die sich in Berlin oder in anderen größeren Städten niederlassen wollten, einer eingehenden anatomischen Prüfung und einem Examen beim Berliner Obermedizinalcollegium unterziehen.

So war das Interesse an derartigen Weiterbildungen groß. Für angehende Regimentsfeldscherer, die auch innere Krankheiten behandeln durften, war eine zusätzliche Prüfung über die Therapie innerer Erkrankungen durch das Collegium medico-chirurgicum vorgesehen. Die auf Universitäten ausgebildetenÄrzte wurden erst für die Praxis zugelassen, wenn sie einen praktischen Krankheitsfall schriftlich ausgearbeitet sowie eine anatomische Prüfung abgelegt und ein Examen vor der obersten Medizinalbehörde bestanden hatten. Auch nichtpreußische Wundärzte nutzten des öfteren die in Berlin gegebene Möglichkeit, ihr meist nur handwerkliches Können theoretisch zu fundieren und ihre praktischen Kenntnisse zu erweitern. Auswärtige Medizinstudenten und promovierte Ärzte hingegen suchten ihr vorwiegend theoretisches Universitätswissen durch praktische Übungen an Patienten zu ergänzen. Die Berliner Charité wurde somit zum Vorbild für eine praxisbezogene medizinische Ausbildung auch über die preußischen Grenzen hinaus.


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Die Jahre des Wachsens


Mit dem Steigen der Bevölkerungszahl Berlins (1680: 9 800; 1730: 70 000; 1800: 170 000 Einwohner, davon 13 000 Militärpersonen ) wuchs auch die Zahl der bedürftigen Patienten stetig, so daß bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Charité den räumlichen Anforderungen nicht mehr genügte.
Seit dem Jahre 1751 gab es an der Charité in Verbindung mit der geburtshilflichen Abteilung auch eine Hebammen-Lehranstalt. Zwischen 1785 und 1800 konnte endlich ein schon lange geplanter Neubau errichtet werden. Diesem ersten eigentlichen Krankenhausbau mußte das ursprüngliche Charitégebäude weichen. Zwar zeichnete sich dieser Neubau, bei dem auch die Erfahrungen von Krankenhausneubauten in Wien und Paris genutzt wurden, durch großzügige Räume und bessere Durchlüftung aus, aber der Einbau von Wasserleitungen und Bädern mußte aus Geldmangel noch immer unterbleiben. Die Zahl der Betten hatte sich mit dem Neubau auf 680 erhöht.
Der Chronist des Berliner Medizinalwesens Ludwig Formey schrieb im Jahre 1796 über die Charité:

"Das Charitéhaus, welches die größte Anstalt dieser Art bei uns ist, hat einen dreifachen Zweck. Es besteht nämlich aus 1.) einem Hospital, wo elende und abgelebte Menschen Verpflegung erhalten; 2.) aus einer Lehranstalt für die königl. Pensionairwundärzte und andere bei dem Collegio medico-chirurgico Studirende; und 3.) aus einem Krankenhause und einer Anstalt, worin arme Schwangere,verheirathete und unehelich Geschwängerte einigeZeit vor der Entbindung aufgenommen, verpflegt, entbunden und erst nach den Wochen entlassen werden."
Trotz aller mustergültigen ökonomisch-organsatorischen Regelungen und honorigen Ausbildungsaufgaben blieb die Charité auch noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein das, was sie ursprünglich war - ein Krankenhaus für die Armen, über deren Aufnahme lange Zeit allein das Armendirektorium entschied.
Der königlicher Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland, (1762-1836) Direktor der Charité seit 1801, leitete das Collegium medico-chirurgicum bis zu seiner Auflösung im Jahre 1809.


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1810 - Berlin wird Universitätsstadt


Collegium medico-chirurgicum, Charité und die 1795 gegründete Pépinière des Militärs hatten zweifellos hohe Verdienste um die Vermittlung praktisch-nützlichen Fachwissens. Aber zum Ende des 18. Jahrhunderts stießen diese Bildungsstätten an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Die Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt im Jahre 1806, kurz nachdem Kaiser Franz II. die Kaiserkrone niedergelegt und damit das Ende des "Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation" besiegelt hatte, setzte schließlich auch das Reformwerk von Stein und Hardenberg in Gang.

In dessen Ergebnis kam es 1810 zur Gründung der Berliner Universität. Einer ihrer "geistigen Stifter" wurde Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835 ), der seit 1809 als Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium wirkte. An der programmatischen Vorbereitung der neuen Universität waren auch die Ärzte Hufeland und Johann Christian Reil (1759 -1813) beteiligt. Als im Oktober 1810 diese Universität im ehemaligen Palais des Prinzen Heinrich, dem heutigen Uni-Hauptgebäude, ihre Pforten öffnete, ließen sich bereits 117 Medizinstudenten immatrikulieren. Das waren mehr als an den anderen vier damaligen preußischen Universitäten (Königsberg, Frankfurt/Oder, Halle und Duisburg) zusammen. Der Lehrkörper der Berliner Medizinischen Fakultät bestand zunächst aus sechs Ordinarien, einem Extraordinarius (J.Ch.Reich) und sieben Privatdozenten. Ordentliche Professoren waren die Internisten Hufeland, der erster Dekan wurde,und Reil, der Chirurg Carl Ferdinand von Graefe, der Anatom und Physiologe Karl Asmund Rudolphi, der Physiologe Johannes Horkel und der Anatom Christoph Knape.

Bereits im Gründungsjahr der Universität 1810 hatte Hufeland eine von ihm geleitete medizinische Poliklinik ins Leben gerufen. Sie war die erste Einrichtung dieser Art für die Armenbevölkerung Berlins und diente ebenfalls der ärztlichen Ausbildung.

Mit der Gründung der Universität gab es nun in Berlin eine akademische Ärzteausbildung, die, zunächst von der Charité streng getrennt, an eigens für die Medizinische Fakultät eingerichteten klinischen Anstalten für Chirurgie, Innere Medizin und Geburtshilfe erfolgte.
Die ersten bescheidenen Kliniken der Universität (je 12 Bettenf ür innerlich und chirurgische Kranke ) wurden in verschiedenen Miethäusern u. a. in der Friedrich- und Oranienburger Straße untergebracht. Im Jahre 1818 war es der Medizinischen Fakultät gelungen, ein geeignetes Gebäude in der Ziegelstraße 5-6 zu erwerben , das die medizinische und chirurgische Klinik aufnehmen konnte.
An gleicher Stelle wurde nach Zukauf weiterer Grundstücke 1878/80 die Gebäude der nun I. Chirurgischen Universitätsklinik sowie der Augen- und Ohrenklinik errichtet. In diesem bis zur Spree reichenden Geviert von Klinikgebäuden, die im wesentlichen noch heute erhalten sind, haben bis zu ihrer vorübergehenden Schließung im Jahre 1933 unter den Direktoraten von B. v.Langenbeck, E. v. Bergmann und A. Bier wesentliche Entwicklungen der Chirurgie stattgefunden.
Als drittes klinisches Institut, das unabhängig von der Charité entstand, bezog die Entbindungsanstalt im Jahre 1816 unter dem Direktorat von Adam Elias von Sieboldt (1775-1828) ein eigenes Haus in der Oranienburger Straße. Diese universitäre geburtshilfliche Klinik, die später in die Dorotheenstraße verlegt wurde, war der Vorläufer der im Jahre 1882 unter Carl Schröder (1838-1887) eröffneten I. Universitäts-Frauenklinik in Artilleriestraße (heute Tucholskystraße).

Mit der Einrichtung einer sogenannten Pépinière, einer Schule, die die angehenden Militärchirurgen als Zöglinge unterbringen und in den Grundlagenfächern ausbilden sollte, war im Jahre 1795 neben dem Collegium medico- chirurgicum eine reine militärärztliche Bildungsanstalt entstanden. Ab 1818 trug sie den Namen Friedrich-Wilhelm-Institut, dessen klinische Ausbildungsstätte nach wie vor die Charité blieb. Da sich trotz der Auflösung des Collegium medico-chirurgicum im Jahre 1809 die Bestrebungen des Militärs nicht durchsetzen ließen, die militärärztliche Bildung mit der neu entstehenden Berliner Universität zu vereinigen, kam es 1811 zur Gründung einer Medizinischen-Chirurgischen Akademie für das Militär, an der die Absolventen der Pepinière den Anschluß an einen akademischen Bildungsgang fanden, ohne das Militär verlassen zu müssen. So blieb die Charité also auch weiterhin, was die Administration und den Ausbildungsauftrag anbetraf, durch das Militär beherrscht. 1895 erfolgte schließlich die Vereinigung von Friedrich-Wilhelm-Institut (Pepinière) und Medizinisch-Chirurgischer Akademie zur Kaiser-Wilhelm- Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. Virchow, von Helmholtz, von Behring und von Leyden gehörten zu den bedeutendsten Absolventen dieses staatlich geförderten Ausbildungsweges.
Als Militärärztliche Akademie, die seit 1910 in einem heute noch erhaltenen großzügigen Gebäudekomplex an der Invaliden- und Scharnhorststraße untergebracht war, bestand sie bis 1945.


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Helfen, Lehren, Forschen


Eine Kabinettsorder hatte dafür gesorgt, daß auch die Charité 1816 für die ärztliche Ausbildung eine Klinik für Chirurgie und Augenheilkunde mit zwei Krankensälen zu je 12 Betten, einen Operationssaal und einen Krankenwärterraum erhielt. Obwohl sie in erster Linie für die Unterrichtung der angehenden Militärärzte bestimmt war, stand die Charité auch für Zivilstudenten offen.
So konnten allmählich Ausbildungsmöglichkeiten sowohl der Charité als auch der universitären Einrichtungen von den Zöglingen der medizinschen-chirurgischen Akademie für das Militär und den Studenten der Universität wechselseitig genutzt werden. Fakultät und militärärztliche Akademie waren aber auch durch die Personalunion mehrerer Lehrstühle eng miteinander verbunden.
1828 war als erste der Universitätskliniken die Medizinische Klinik von der Ziegelstraße in die Charité verlegt worden. Damit bot sich dem damaligen Direktor E.D.A. Bartels (1778 - 1838) die Möglichkeit, die Zahl der Klinikbetten zu erhöhen. Der Umzug lag übrigens ganz auf der Linie des nahezu allmächtigen Medizinalbeamten und Direktors der chirurgischen und ophthalmiatrischen Klinik der Charité, Johann Nepomuk Rust (1775- 1840), der außerdem Generalstabsarzt der Armee sowie Präsident des Kuratoriums für die Krankenhausangelegenheiten war. Rust hatte sich vergeblich um eine Lösung der Charité aus dem Einflußbereich des Kriegsministeriums und unter eine Unterstellung unter das Kultusministerium bemüht.
Schon seit längerem war er bemüht, Universitätseinrichtungen an die Charité zu binden.

Die medizinische Universitätsklinik teilte sich die Räume der in der zweiten Etage des Gebäudes der Alten Charité mit dem Klinischen Institut der Charité, dem Eduard Wolff (1794 -1878) vorstand. Bartels hielt seine Vorlesungen in Latein, während Wolff vor den angehenden Militärmedizinern deutsch sprach. So entstanden zeitweise die Bezeichnungen Deutsche bzw. Lateinische Klinik.

Besonders attraktiv war in der damaligen medizinischen Fakultät die Chirurgie. Sowohl C.F.v.Graefe in der Ziegelstraße als auch J.F. Dieffenbach (1794 - 1847) - seit 1829 Leiter der Chirurgischen Klinik der Charité - beherrschten ihr Fach, insbesondere die plastische Chirurgie meisterhaft. Gemeinsam mit dem praktischen Arzt Carl Emil Gedike (1797 - 1867) plante und leitete Dieffenbach auch die 1832 gegründete Berliner Krankenwärterschule und gab eine "Anleitung zur Krankenwartung" heraus.

Die zweigleisige Ausbildung - an der Charité für Medizinalpersonal des Militärs und an der Universität für Zivilärzte - wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich abgebaut. Endgültig konnte sie erst mit der Verlegung der Kliniken aus dem Bereich Ziegelstraße in die Charité überwunden werden.

Zwischen 1831 und 1835 war nördlich der "Alten Charité" ein Ergänzungsbau eingerichtet worden, der dem erneut rasch eingetretenen Raummangel im Hauptgebäude abhelfen sollte und der im Unterschied zu diesem "Neue Charité" genannt wurde.
Dort wurden die Geisteskranken und Syphilitiker sowie die Gefangenenstation untergebracht. Unweit dieses neuen Klinikgebäudes entstand 1836 ein als Isolierstation errichtetes Pockenhaus.
1856 wurde darin die Geburtshilfliche Abteilung mit der Hebammenschule untergebracht. Als ältestes erhaltengebliebenes Charitégebäude beherbergt es heute das Institut für experimentelle Endokrinologie. 1856 baute man zwischen "Alter" und "Neuer Charié" für Rudolf Virchow (1821-1902) das erste Pathologische Institut an der Charité.

Die Stadtgrenzen Berlins erstreckten sich nun durch den raschen Ausbau der sogenannten Friedrich-Wilhelm-Stadt schon bis zum Charitégelände.


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Große Ärzte und Gelehrte


Bis zu dieser Zeit bewegte sich die medizinische Klinik (innere Medizin) noch weitgehend in den ausgefahrenen Gleisen der Heilkunde des 18. Jahrhunderts, wenn auch der früh verstorbene J.Ch. Reil z.B. mit der Einführung von Laboruntersuchungen am Krankenbett bereits einen hoffnungsvollen Anfang einer modernen Klinik gemacht hatte. Neue Impulse gingen in den 1840er Jahren von Johann Jakob Schoenlein (1793-1864) aus. Im Jahre 1839 von Zürich nach Berlin berufen, verkörperte Schoenlein den Typ des modernen Klinikers, für den Stethoskop, Mikroskop und Reagenzglas selbstverständliche Voraussetzungen für eine effiziente klinische Diagnostik waren.
Schoenlein hatte bei der Charité-Direktion das Zugeständnis erkämpft, auch zivile Klinikassistenten einstellen zu dürfen. Als erster derartiger Mitarbeiter Schoenleins, der zudem noch jüdischer Herkunft war, konnte Ludwig Traube seine Tätigkeit an der Charité aufnehmen. Bereits ein Jahr nach seiner Habilitation richtete er 1849 eine Abteilung für Brustkranke ein, die vor allem dem Unterricht in Perkussion und Auskultation diente.
Im Jahre 1857 wurde diese Abteilung nach der Emeritierung von Wolff zur Propädeutischen Klinik aufgewertet und erweitert. Damit war der Grundstein zu der bis 1980 andauernden Zweiteilung der Medizinischen Klinik gelegt. Die Bezeichnung I. und II. Medizinische Klinik wurde allerdings erst 1885 eingeführt, als der Traube-Schüler und dessen Nachfolger Ernst von Leyden (1832-1910) den Ruf an die Propädeutische Klinik erhielt und nach dem Tode von Theodor Frerichs (1819-1885) die nunmehrige I. Medizinische Klinik übernahm. Den Lehrstuhl der Propädeutischen Klinik, die fortan II. Medizinische Klinik hieß, hatte von 1885 bis 1902 Carl Gerhardt (1833-1902) inne. Als dessen Nachfolger wirkte zweieinhalb Jahrzehnte Friedrich Kraus (1856-1936) an der Charité.

Gemeinsam mit Felix von Baerensprung (1822-1864), der die Leitung der Abteilung für syphilitisch Kranke an der Charité innehatte, erwarb sich Traube auch große Verdienste um die Einführung der Fiebermessung als klinische Untersuchungsmethode.

Neben der Irrenabteilung, die seit 1789, nachdem die Irrenanstalt in der Berliner Krausenstraße abgebrannt war, an der Charité eingerichtet wurde, bestanden mit der 1825 eröffneten Abteilung für syphilitische Kranke und der 1830 geschaffenen, von Stephan Friedrich Barez (1790-1856) geleiteten Abteilung für Kinderkrankheiten, die zugleich das erste deutsche Kinderkrankenhaus war, weitere klinische Einrichtungen, die es für die medizinische Lehre nur an der Charité gab.

Die Abteilung für syphilitische Krankheiten sowie die Krätze- und die Pocken-Abteilung wurden schließlich als Hautklinik zusammengefaßt. Hier entstanden nach 1860 Baerensprungs bedeutsame Arbeiten zur Pathogenese des Herpes zoster.

Zur Gebäranstalt der Charité kam eine Gynäkologische Klinik hinzu. Die Nachfolge Schoenleins in der Medizinischen Klinik trat Friedrich Theodor Frerichs (1819-1885) an.
Unter seinem Direktoriat erhielt die Klinik ein kleines chemisches Laboratorium, in dem sein Assistent Paul Ehrlich (1854-1915) seine grundlegenden Studien zur Morphologie des Blutes durchführte.
Später arbeitete Ehrlich unter Robert Koch am Institut für Infektionskrankheiten und wurde schließlich als Direktor des Institutes für experimentelle Therapie in Frankfurt a.M. für seine Studien zur Immunologie 1909 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt. Mit seinem Syphilispräperat Salvarsan begann die Ära der Chemotherapie.

Die Medizinische Poliklinik, die 1850 in das Klinikum in der Ziegelstraße umgezogen war, stand bis 1856 unter der Leitung des Internisten und Neurologen Moritz Heinrich Romberg (1795-1873). Seine bedeutendsten Leistungen liegen auf dem Gebiet der Neuropathologie.
Ihm folgte der aus Zürich berufene Wilhelm Griesinger (1817-1868), der gleichzeitig die Psychiatrische Klinik übernahm. Er wurde zum Begründer einer somatisch-empirischen Richtung der Psychiatrie, die die Ursachen für psychische Leiden in krankhaften Gehirnveränderungen suchte. Sein Credo lautete: "Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten".

Großes Ansehen genoß die Chirurgische Universitätsklinik in der Ziegelstraße. Hier wirkte seit 1848 Bernhard von Langenbeck (1810-1887), ein berühmter Militärchirurg, der Ärzte und Studenten durch neue Operationsmethoden in seinen Bann zog. Auch seine Nachfolger Ernst von Bergmann (1836-1907) und August Bier (1861-1949) stellten ihre Kollegen aus der Charité-Chirugie weit in den Schatten. Ernst von Bergmann hat sich besondere Verdienste um die Aseptik erworben.
Zur Chirurgischen Klinik der Charité gehörte von 1828 bis 1868 auch die Augenklinik. Leider hatte es die Fakultät verabsäumt, sich rechtzeitig und energisch für die Berufung Albrecht von Graefes (1828-1870) einzusetzen; denn durch ihn war Berlin schon längst zum Brennpunkt der damaligen Ophthalmologie geworden. Da dies nicht geschah, blieb A.v. Graefe 18 Jahre lang auf seine Privatklinik angewiesen. Erst 1868 erhielt er ein Ordinariat für Augenheilkunde, das er jedoch nur knapp zwei Jahre wahrnehmen konnte. Ihm wurde 1882 das wohl schönste Denkmal im Charitégelände errichtet, das heute noch an der Luisenstraße Ecke Schumannstraße zu bewundern ist.

Die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts vollziehende expansive Entwicklung der Medizin mit ihrer zunehmenden Profilierung und dem Ausbau von Spezialkliniken hatte sowohl das Universitätsklinikum als auch die Charité an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gebracht. 1878 begann deshalb der große Umbau der Universitätskliniken in der Ziegelstraße um eine neue Chirurgische- und eine Augenklinik zu schaffen.
Gleichzeitig entstand in der benachbarten Artilleriestraße eine moderne I. Universitätsfrauenklinik. Die Entbindungsabteilung mit Hebammenschule und Gynäkologischer Abteilung der Charité wurden zur II. Universitätsfrauenklinik vereinigt, die bis 1952 bestand.

Die Anatomie und Physiologie hatte seit Gründung der Universität Karl Asmund Rudolphi (1771-1832) vertreten. Nach dessen Tod übernahm Johannes Müller (1801-1858) den Lehrstuhl für Anatomie und Physiologie. Er war sowohl ein bedeutender Anatom und Zoologe als auch Pathologe und Physiologe und gilt als Mitbegründer der vergleichenden Anatomie. Das Institut war von 1827 an in einem düsteren Gebäude der Innenstadt gelegen. Es besaß ein umfangreiches anatomisch-zoologisches Museum, das im Westfügel der Universität untergebracht war. Müller trug entscheidend dazu bei, daß sich die Medizin von den naturphilosophischen Spekulationen endgültig befreien konnte.
Die von ihm und seinen Schülern erzielten Forschungsergebnisse auf den Gebieten der normalen, der vergleichenden und der pathologischen Anatomie beeinflußten die gesamte Medizin jener Zeit maßgeblich. Das zwischen 1834 und 1840 herausgegebene Handbuch der Physiologie Müllers übte großen Einfluß auf diesen Prozeß der Verwissenschaftlichung der Heilkunde aus.
Zu Müllers Schülern gehörten die Pioniere der Zellforschung und der naturwissenschaftlich orientierten Physiologie Jakob Henle (1809-1885) und Theodor Schwann (1810-1882), Rudolf Virchow (1821-1902), Emil Du Bois-Reymond (1818-1896), Hermann Helmholtz (1821-1894), Ernst Wilhelm Brücke (1819-1892) und Carl Bogislaus Reichert (1810-1883).
1858 starb Müller, und Schoenlein trat von seinem Amt zurück. Sie hinterließen eine Fakultät, die im Verlauf einer Generation aus dem Schatten einer noch recht provinziellen Bedeutung zur Weltgeltung aufgestiegen war. Der sich ständig mehrende Erkenntniszuwachs machte eine immer weitergehende Spezialisierung der Medizin erforderlich. Damit waren auch räumliche und institutionelle Neuerungen verbunden.
Aus dem von J. Müller noch gemeinsam vertretenen Lehrgebieten gingen drei Professuren hervor, die von seinen Schülern R. Virchow (Pathologie), C.B- Reichert (Anatomie) und E, Du Bois-Reymond (Physiologie) besetzt wurden.


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Letzte Änderung:07.01.1997 13:30:13

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