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Blutige Spuren
Vor 60 Jahren hausten deutsche Soldaten in Griechenland
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Heiner Lichtenstein im Gespräch mit Doris Wille |
"Das möchte ich Ihnen unbedingt noch zeigen," sagte Doris Wille, nachdem wir
an einem der Häfen der Insel zu Mittag gegessen hatten. "Wir" das waren
drei Frauen des italienisch-griechischen Vereins "Mediterraneo", außerdem
Klaus Lindenberg und ich. Wir waren für "Gegen Vergessen Für Demokratie"
auf die griechische Insel Kefalonia gefahren, um der etwa 5.000 von der
Wehrmacht ermordeten italienischen Soldaten zu gedenken. Sie waren Opfer
des Hasses deutscher Gebirgsjäger geworden, nachdem Italien im Herbst 1943
die Waffen niedergelegt und Frieden mit den Westalliierten geschlossen
hatte. Weil nicht alle Angehörigen der ehemaligen Verbündeten ihre Waffen
abgeben wollten, richteten Angehörige der Wehrmacht Ende September 1943
Blutbäder an nicht nur auf dieser Insel, aber dort besonders viele und
besonders grausame. Kefalonia heißt die Insel. Sie liegt im Ionischen Meer
und war damals von strategischer Bedeutung. Wir haben an dem italienischen
Mahnmal, das im September 1978 errichtet worden ist, Blumen niedergelegt
auch für weitere etwa 3.000 italienische Soldaten, die ertrunken sind, als
die drei deutschen Schiffe mit ihnen an Bord vor der Küste Kefalonias
angeblich auf Minen gelaufen sind. Diese Version muss man aber nicht
glauben. Wahrscheinlicher ist, dass die deutschen Besatzungen, die sich
hatten retten können, die Schiffe absichtlich versenkt haben. Auch ihrer
galt und gilt es zu gedenken. Die Mitglieder von "Mediterraneo" tun dies
jedenfalls und wir haben uns selbstverständlich angeschlossen.
Doris Wille, eine Deutsche, die in der Inselhauptstadt Argostoli wohnt und
als Übersetzerin arbeitet, drängte. Es war also wichtig, was sie uns vor dem
Rückflug noch zeigen wollte. Wir fuhren mit ihrem Auto hinauf in das Dorf
Trojanata. Plötzlich hielt sie an, stieg aus. Wir folgten ihr über eine
Treppe auf ein kleines Plateau mit einem unscheinbaren Gebäude. "Das ist
die alte Schule," sagte sie. "hierhin haben deutsche Soldaten damals etwa
600 italienische Soldaten geführt. Diese waren offenbar richtig euphorisch.
Es gibt einen Zeugen, der damals 16 Jahre jung war. Er heißt Spiros
Vangelatos und lebte mit seinen Eltern in einem Haus unterhalb der Schule.
Er hat gehört, wie die Soldaten sangen. Sie freuten sich, bald nach Hause zu
kommen. Sie vertrauten ihren ehemaligen Verbündeten offenbar blindlings. Am
nächsten Morgen sind sie dann auf ein Feld unterhalb des Hauses geführt
worden. Es war eine lange Kolonne 600 junge Männer. Auf dem Feld mussten
sie ihre Rucksäcke ablegen und sich dann einem Deutschen zuwenden, der eine
Ansprache halten wollte. Hinter ihnen waren während der Rede heimlich
zwei Maschinengewehre aufgestellt worden. Die ahnungslosen Soldaten wurden
einfach niedergemäht. Das hat nicht länger als drei, vier Minuten
gedauert."
Doris Wille geht ein paar Schritte weiter, beugt sich hin und wieder suchend
zu Boden und erzählt weiter: Die Deutschen hätten die Leichen einfach liegen
gelassen. Im September ist es hier noch sehr warm. Verwesungsgeruch breitete
sich schnell aus. Die Bevölkerung musste sich selbst helfen. "Auf Karren,
Leitern und Decken schafften Leute aus dem Dorf die Leichen zu zwei
versiegten Brunnen und warfen sie hinein", beschreibt sie später in einer
Reportage jene Septembertage 1943.
Zuvor hatten drei Mitglieder von "Mediterraneo" uns in Argostoli in eine
kleine Ausstellung geführt, wo Helme, Kochgeschirre und andere
Hinterlassenschatten der Ermordeten sowie Dokumente und Fotos von Opfern zu
sehen sind. Alles ist sehr bescheiden, aber vielleicht der Anfang für ein
kleines Museum. Wie es dort allerdings weitergehen soll, das steht in den
Sternen. Der Verein muss den Raum bald räumen. Er gehört der Kirche, und die
braucht ihn angeblich. Die Frauen sind ratlos, aber nicht hoffnungslos. Sie
haben gute Verbindungen zur deutschen Botschaft in Athen und Botschafter Dr.
Albert Spiegel engagiert sich persönlich für die Zukunft des Museums und die
Arbeit von "Mediterraneo". Vor unserer Reise hatte sein Pressereferent
Thomas Mützelburg uns geschrieben: "Wir begrüßen Ihr Engagement hinsichtlich
das Gedenkens des Wehrmachtsverbrechens auf Kefalonia ausdrücklich. Die
Erinnerung an das schändliche Verbrechen auf Kefalonia als eines der
schlimmsten in Griechenland überhaupt ist auch Botschafter Spiegel ein
wichtiges Anliegen." Es gibt Anzeichen dafür, dass die deutsche Botschaft
bei der Suche nach einer neuen Bleibe helfen will. Ob sich allerdings die
deutsche Justiz ebenso engagiert, scheint derzeit eher zweifelhaft. Die
zuständige Staatsanwaltschaft in Dortmund hat zwar angekündigt, Überlebende
der Mordeinheiten anzuklagen. Vor Ort freilich wartet man seit längerem auf
konkrete Schritte.
Heiner Lichtenstein
Heiner Lichtenstein ist Journalist, war u.a. WDR-Korrespondent in Polen,
gehört zu den Mitgründern von "Wider das Vergessen" und ist heute Mitglied
der Redaktion "TRIBÜNE Zeitschrift zum Verständnis des Judentums" und im
Vorstand von Gegen Vergessen Für Demokratie.
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