STRASSBURG, 30.06.06 (rsn) -
Der Belgier Rudy Pevenage hat Jan Ullrich
seit dessen Profidebüt 1995 bei Telekom
unter seine Fittiche genommen. Er wurde
schnell so etwas wie
der Mentor des jungen Profis und
sicher auch eine Vaterfigur
für Ullrich, dessen eigener Vater
die Familie verlassen hat,
als er ein Kind war.
Pevenage war an Ullrichs Seite bei seinem jähen Aufstieg,
als er 1996 bei der Tour de France sensationell und
fast schon mühelos Zweiter
wurde hinter
seinem Teamkollegen Bjarne Riis
und als er dann ein Jahr darauf die Große
Schleife mit 23 Jahren gewann.
Für Pevenage wurde Jan Ullrich
und sein ewiger Kampf
um den zweiten Tourtriumph
eine Lebensaufgabe.
Der 51-Jährige
begleitete den deutschen Radstar
elf Jahre lang und über
Krisen und Skandale hinweg
bis zum jetzigen großen Knall.
Dabei hatte Pevenage
nun wohl genauso großen
Anteil an Ullrichs Absturz
wie an seinem Aufstieg.
Bei Telekom war Pevenage,
der als Profi 1980
zehn Tage das Gelbe Trikot
der Tour de France trug,
zunächst die rechte Hand
seines belgischen Landsmanns
Walter Godefroot,
der den deutschen Toprennstall
Anfang der Neunziger mehr oder weniger usurpiert hatte.
Godefroot bewahrte
immer eine Distanz gegenüber
seinen Fahrern und
scheute sich nicht,
Kritik offen auszusprechen
wenn Ullrich mal wieder zu sehr
über die Stränge schlug.
Pevenage dagegen stand zu seinem Schützling,
egal was war.
Im Winter 2001/2002 laboriert Ullrich
an einer Knieverletzung und
über den ganzen Frust
stürzt der Radstar, der
Monate zuvor zum nunmehr vierten Mal
Zweiter bei der Tour war, völlig
ab. Betrunken rammt
er auf dem Heimweg
von einem feuchtfröhlichen Abend
am 1.Mai einen Fahrradständer (!)
und begeht Fahrerflucht.
Fünf Wochen später
kommt es noch viel dicker:
Während eines Reha-Klinikaufenthalts
feiert er in
der Disko mit Ecstasy - und
ist natürlich prompt positiv
auf Amphetamin in einer
Trainingskontrolle.
T-Mobile und Godefroot
suspendieren Ullrich.
Der wechselt daraufhin im
September zum neuen Coast-Team
vom windigen Unternehmer
Günther Dahms, von dem niemand
weiß, wie er Ullrich eigentlich bezahlen
will. Egal, Pevenage
verlässt ohne ein Wort
zuvor an Godefroot ebenfalls
T-Mobile und geht mit
Ullrich mit.
Die Episode bei Coast
nimmt bald das von vielen
prophezeite schnelle Ende.
Pevenage und Ullrich versuchen
ein eigenes Team zu basteln,
mit dem kurzfristig zum Hauptsponsor
avancierten Ausrüster Bianchi geht Ullrich
zur Tour 2003,
bei der ihm ein umjubeltes Comeback gelingt.
Wenige Wochen danach
kehrt Ullrich reumütig
zu T-Mobile zurück -
natürlich mit Pevenage im Schlepptau.
Doch Goodefroot
sagt (noch heute übrigens): "Der Mann ist
für mich gestorben."
Ullrich bezahlt Pevenage aus eigener Tasche.
Ein unwürdiges Theater
gibt es darum, wann und ob Pevenage
ins Teamhotel darf (nur als Gast)
oder ins Teamfahrzeug (gar nicht).
Erst nachdem
Godefroot
sich Ende 2005 zurückzieht
und die Mannschaft an seinen Nachfolger Olaf Ludwig
übergibt, wird Pevenage
wieder offizieller Sportdirektor
von Ullrich.
Audrücklich bekomt Pevenage
die Verantwortung
für die Vorbereitung
des Tour de France-Teams.
Viel Wirbel wird
darum gemacht,
dass es Pevenage anders macht,
dass er etwa schon
im Winter den Kern der Mannschaft fest nominierte.
Pevenage, der oft verantwortlich
gemacht wurde
für die unzureichende Vorbereitung
Ullrichs, entgeht in
diesem Jahr der Kritik.
Zwar lässt Ullrich wie immer
lange auf seinen ersten Wettkampfeinsatz warten,
doch bei seinen ersten Rennen
zeigt er gute Form.
Beim Giro gewinnt
er das Zeitfahren vor
dem ebenfalls dopingverdächtigen
Basso.
Ullrich gewinnt die Tour de Suisse
und scheint bestens
vorbereitet auf die Tour
de France. Als während
des Giro erstmals Berichte
auftauchen, dass Ullrich in
die spanische Dopingaffäre
verwickelt ist,
streiten Ullrich ("Frechheit!) und
Pevenage - gegenüber
der Öffentlichkeit wie gegenüber
dem Team -
alles ab.
Wenige Tage vor der Tour de France
werden die Berichte
konkreter, schließlich
offiziell bestätigt.
Die Betreiber
des Dopingnetzwerks
gaben Ullrich
zuletzt den Codenamen
"Hijo Rudicio" (der Sohn
vom Rudi).
Sehr passend.
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