SAINT-QUENTIN, 05.07.06 (dpa) -
Auch der Etappensieg von Matthias Kessler
verschaffte dem Team kaum Luft - T-Mobile entkommt dem Thema Doping
nicht mehr. Kurz nach dem Erfolg von Valkenburg informierten die
Bonner, die mit der Suspendierung der Doping verdächtigten Jan
Ullrich und Oscar Sevilla mit dem größten, anzunehmenden Fehlstart
die Tour eröffneten, über den nächsten Fall: Jörg Ludewig, der nicht
im Tour-Team steht, hat sich vor acht Jahren aktiv um Dopingmittel
bemüht.
Das geht aus einem Fax hervor, das den Bonnern vorliegt, über
dessen Herkunft aber bisher nichts verlautete. Die ARD zitierte am
Mittwoch aus dem Hand geschriebenen Schriftstück und zeigte es. «Ich
bin zu allen Schandtaten bereit», schrieb darin Ludewig, der ein Jahr
nach seiner Kaufanfrage, 1999, für eine Saison ins Team Gerolsteiner
wechselte. Danach fuhr der Wasserträger aus Westfalen lange in
Italien an der Seite Gilberto Simonis und kam im Vorjahr von Domina
Vacanze zu T-Mobile.
Ludewig reagierte am Mittwoch auf die Vorwürfe (s.a. Auszüge aus der Erklärung) und räumte ein,
dass das Schreiben «zum Teil von mir» stammt, und er sich über
«medizinische Präparate zur Leistungssteigerung» erkundigt hatte. Der
30-Jährige schrieb weiter: «Die Randnotiz zum Thema EPO ist nicht von
mir.» Nachdem ihm sein damaliges Team Gerolsteiner und ein Apotheker
die gesundheitlichen Gefahren und andere Konsequenzen des Dopings
aufgezeigt hätten, habe er seine «ethische und moralische Einstellung
zu Doping nachhaltig geändert». Für sein Fehlverhalten «in jungen
Jahren» bat er um Verzeihung.
«Jetzt müssen wir uns auch um Vorfälle kümmern, die aktuell mit
unserem Team nichts zu tun haben», klagte am Abend Teamsprecher
Stefan Wagner im belgischen Mannschafts-Hotel «Hove Malpertus», das
der Frau des sportlichen Leiters von T-Mobile, Valerio Piva, gehört.
Die Liste der Fahrer, um die sich die Teamleitung wegen aktueller
Ereignisse in besonderer Weise kümmern muss, wird tatsächlich immer
länger.
Nach der Suspendierung von Ullrich und Sevilla bestätigten die
Bonner Kontakte der Tourstarter Patrik Sinkewitz (Fulda), Michael
Rogers (Australien), Eddy Mazzoleni (Italien) und des hoch gelobten
Supertalents Linus Gerdemann (Münster) mit den übel beleumundeten
italienischen Medizinern und Trainings-Analytikern Michele Ferrari
und Luigi Cecchini. Darüber berichtete zuerst die «Süddeutsche
Zeitung», die durch den bekannten Radsport-Kritiker und Molekular-
Biologen Werner Franke informiert worden sein soll.
Franke legte am Mittwoch noch nach. In der «Sport-Bild» behauptete
er: «Von den Fahrern, die jetzt in Frankreich fahren, sind mit
Sicherheit mindestens die Hälfte gedopt. In Spanien gibt es weitere
kriminelle Netzwerke. In San Francisco, North Carolina und Texas
existieren Doping-Labore». Der spanische Profi Francisco Mancebo fuhr
der Tour nach seiner Suspendierung wegen seiner Verwicklung in die
spanische Doping-Affäre zum Zwangsabschied böse in die Seite. Er
behauptete: Würden effiziente Doping-Kontrollen angewandt, wäre nur
noch Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc in Frankreich dabei.
Das gesamte Betreuungssystem bei T-Mobile steht jetzt auf dem
Prüfstand. Bei der angestrebten Neuordnung deuten sich
Meinungsunterschiede zwischen Sponsor-Interessen und sportlicher
Leitung an. Dem kann Team-Manager Olaf Ludwig nicht zustimmen. Die
Entscheidung der Suspendierung sei «ein deutliches Zeichen, dass wir
gut zusammen arbeiten», sagte er, betonte aber, die kommenden
Neuregelungen müssten in der Praxis auch «umsetzbar» sein. Ludwig:
«Wenn ich sage, alle gehen nur noch zu einem Arzt, dann werde ich den
einen oder anderen Fahrer nicht bekommen.»
Sicherheitshalber schloss auch Etappensieger Kessler den T-Mobile-
Vorstandsitzenden mit ein, als er seinen beeindruckenden Erfolg von
Valkenburg seinem Freund Ullrich und René Obermann widmete. So
stellte der Nürnberger Profi geschickt eine Verbindung zwischen
rauhem Asphalt und Führungs-Etage her.
Wie im Fall Ullrich stehen jetzt auch bei Ludewig die Anwälte auf
dem Plan. «Wir überlegen uns Konsequenzen», sagte Wagner. Gut
möglich, dass Ludewig demnächst die Kündigung ins Haus flattert. So
weit ist es beim einstigen deutschen Sportstar im freien Fall,
Ullrich, noch nicht. Als vorläufig Freigestelltem stehen ihm weiter
seine Bezüge - geschätzte 2,5 Millionen Euro pro Saison - zu. «Ich
habe noch ein bisschen Zeit bis zur nächsten fälligen Zahlung», sagte
Ludwig.
Mit Ullrichs persönlichem Manager Wolfgang Strohband scheint es
jedenfalls auch wegen der weiteren, finanziellen Vorgehensweise im
Fall Ullrich Unstimmigkeiten zu geben. «Strohband hat mich seit der
Suspendierung noch nicht ein Mal angerufen. Wenn man was will - er
hat meine Handynummer», sagte Ludwig.
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