DAX, 11.07.06 (dpa) -
Der Radsport in Deutschland hat in den vergangenen
zehn Jahre vor allem von Jan Ullrich gelebt. Trotz Erik Zabel, trotz
Jens Voigt und der erfolgreichen Gerolsteiner-Garde. Ullrich war
Zuschauer- und Sponsoren-Magnet, Identifikations-Figur und
Arbeitsplatz-Beschaffer. Die Doping-Affäre hat das Imperium nun zum
Einsturz gebracht. An allen Ecken wird fieberhaft für die «Zeit
danach» gearbeitet - doch viele wollen die Krise nicht wahrhaben.
«Neue Helden müssen geschaffen werden - das ist das Beste, was uns
passieren könnte», sagte Kai Rapp, der Chef der Deutschland-Tour,
deren Fortbestand akut gefährdet scheint. Die Verantwortlichen des
Fernsehens beraten über die für die nationale Rundfahrt
lebensnotwendige Fortsetzung der bisher üblichen Sendezeiten im
August.
«Für 2006 und 2007 ist alles unter Dach und Fach. Ich rechne
diesmal mit einer leichten Reduzierung der Übertragung im Vergleich
zum Vorjahr, in dem 31 Stunden gesendet wurden», meinte Rapp, der
weiter an «seine» Rundfahrt glaubt. Verbands-Chef Rudolf Scharping,
der die «große Tour» in den Alpen besuchen wird, pflichtet ihm bei:
«Ich sehe keine Gefahr für die Deutschland-Tour.»
Scharping sieht «das drohende Loch» für die Zeit nach Ullrich,
aber eine vergleichbare Lücke wie im Tennis nach dem Karriereende von
Boris Becker und Steffi Graf fürchtet der ehemalige
Verteidigungsminister und Hobby-Radler nicht: «Wir haben viel
versprechende Talente wie Fabian Wegmann, Markus Fothen oder Patrik
Sinkewitz.» Als erste Lehre aus dem Doping-Schock kündigte er einen
«Ehren-Kodex» an, den Sponsoren, Teamchefs und Veranstalter unter
Verbands-Aufsicht erarbeiten werden.
Außerdem machte sich Scharping erneut für ein Anti-Doping-Gesetz
stark, wie es in Italien, Frankreich, Belgien und jetzt auch in
Spanien existiert. «Wir brauchen die Hilfe der Justiz - das haben die
Ereignisse zuletzt gezeigt. Ich glaube, Innenminister Schäuble ist
jetzt dafür offen», meinte der Präsident des Bundes Deutscher
Radfahrer (BDR).
Unmittelbare Auswirkungen auf das T-Mobile-Radsport-Gefüge, dem 70
Angestellte der Olaf Ludwig GmbH zugerechnet werden, hatte die
Ullrich-Affäre noch nicht, abgesehen von der fristlosen Kündigung des
Teamchefs Rudy Pevenage. Ullrichs Bruder Stefan, Mechaniker im Team
seit 2004, und die persönliche Physiotherapeutin Birgit Krohme
wurden nach Hause geschickt. Beide behalten aber ihre Jobs. «Sie
haben sich ja nichts zu Schulden kommen lassen», sagte Team-Manager
Ludwig. Auch der Sponsor in Bonn hat mehrmals signalisiert, dass das
bis 2008 festgelegte Engagement fortgesetzt wird.
Ullrich als Auslöser der Affäre und sein Manager Wolfgang
Strohband, ein früherer Gebrauchtwagen-Händler, verfolgen noch immer
die Vogel-Strauß-Politik. «Das ist Hilflosigkeit. Ich hoffe, Jan legt
jetzt mal bald die Karten auf den Tisch und löst sich von der
Opfer-Theorie», sagte Rapp, der vorausblickend oder zufällig den
aufstrebenden Tour-Debütanten Markus Fothen in den Mittelpunkt des
Plakates für die diesjährige Deutschland-Tour gestellt hatte.
Egal, wie das Gezerre ausgeht - finanziell dürfte das Tandem
Ullrich/Strohband in Zukunft nichts auszustehen haben. Anwälte
arbeiten mit Hochdruck an der Sicherung der Restzahlungen von
T-Mobile und den persönlichen Ullrich-Sponsoren. Die nächste
Zahlungsrate für den Monat Juli ist laut Ludwig in einer Woche
fällig: «Ich sehe im Moment keinen Anlass, sein Gehalt
zurückzuhalten».
«Der deutsche Radsport hängt schon seit einiger Zeit nicht nur an
einer Person. Entscheidend wird sein, wie sich das Medium Fernsehen
jetzt verhält», erklärte Team-Manager Hans-Michael Holczer, der
Vorgesetzte der Hoffnungsträger Wegman und Fothen, der das Weiße
Trikot des besten Nachwuchsfahrers bei der Tour trägt. «Die
Faszination dieses Sports darf nicht sterben», sagte Fothen.
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