BFG BegehungCPAGPE - international conference

Kerstin Göller

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Arbeitstitel: Jihad, Waffenstillstand oder Frieden mit Israel?
Das Potential von Religionen zur De-/ Eskalation des Nahostkonfliktes
unter besonderer Berücksichtigung des Islam

Angesichts zunehmender Medienwirksamkeit vor allem des islamischen Fundamentalismus rückt die Frage nach dem Einfluss der Religion auf bestehende Konflikte und ihrem Potential, Konflikte zu verschärfen immer mehr ins öffentliche Interesse. Manchmal mag es scheinen, als habe Samuel Huntington mit seiner These des Clash of Civilizations Recht behalten. Das würde aber bedeuten, dass die Religionen oder Kulturen Ursache der Konflikte sind, dass sie also erstens Konflikte verursachen und zweitens Konflikte verursachen.

Ich gehe jedoch von einen anderen Ansatz aus: dem moderaten Konstruktivismus. Dieser betrachtet die Religion zwar als einen eigenständigen Faktor, aber nicht als eine unabhängige Variable, die gewaltsame Konflikte zwischen Gesellschaftsgruppen oder Nationen erklärt. Konflikte sind grundsätzlich Konflikte über Macht und Wohlstand. Für moderate Konstruktivisten ist die Religion eine intervenierende Variable, die als kausaler Faktor zwischen Konflikt und Konfliktverhalten tritt. Religiöse Tradition ist zwar nicht kausal für den Konflikt an sich, aber kausal für das Konfliktverhalten, also für die Frage, wie die Konfliktparteien mit einem bestehenden Konflikt umgehen, der zunächst einmal nicht um die Religion geführt wird.
Das bedeutet aber auch, dass Religion auf einen Konflikt nicht nur eskalierende, sondern auch deeskalierende Auswirkungen haben kann. Wenn Religion die Wahl des Konfliktverhaltens mitbestimmt, so heißt das nicht automatisch, dass ein gewaltsamer Konfliktaustrag gewählt werden muss. Heilige Texte können auch so ausgelegt werden, dass sie die Anwendung von Gewalt in einer gegebenen Situation delegitimieren.

Das Problem der Überlagerung von Konflikten durch Religion betrachte ich anhand des Fallbeispiels des Konflikts um Israel / Palästina. Dabei gehe ich davon aus, dass hier ein Territorialkonflikt vorliegt, der an und für sich verregelbar wäre. Er hat sich jedoch inzwischen auch zu einem Konflikt über religiöse und kulturelle Werte entwickelt. Konflikte über Werte sind weit schwieriger zu lösen, da sich in Bezug auf Überzeugung und Glauben nur schwer Kompromisse finden lassen, insbesondere dann, wenn zwischen den Konfliktparteien nicht wenigstens ein Minimum an Vertrauen vorhanden ist.
Soll der Nahostkonflikt friedlich geregelt werden, muss er auf das zurückgeführt werden, was er ursprünglich war: ein Territorialkonflikt. Kompromisse über Territorium sind möglich, über „Heiliges Land“ kaum.

Die Arbeit ist als Vergleich angelegt. Die Entwicklungen auf der israelischen Seite werden denen auf palästinensischer Seite gegenübergestellt. Beide Seiten können nicht getrennt voneinander betrachtet werden, da sie einander auch bedingen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den religiösen Akteuren auf beiden Seiten. Zunächst wird der eskalierende Einfluss der Religion untersucht, als Hauptvertreter der National-Religiösen auf israelischer Seite die Siedlerbewegung Gush Emunim und auf palästinensischer Seite die radikal-islamische Hamas.
Ausgehend von den fundamentalistischen Gruppierungen suche ich nach religiösen Gruppierungen, die einen gewaltfreien Konfliktaustrag oder eine friedliche Koexistenz aus religiösen Gründen befürworten und sich im Idealfall auch dafür einsetzen. Inwieweit kann Religion genutzt werden, um den Nahostkonflikt zu deeskalieren? Gibt es Lösungsansätze, die eine friedliche Koexistenz und einen gewaltfreien Konfliktaustrag religiös begründen?

In Israel gibt es einige kleine religiöse Gruppierungen, auch unter Siedlern, die sich für einen Kompromiss mit den Palästinensern aussprechen. Zwei Organisationen im orthodoxen Lager Oz VeShalom (Kraft und Frieden) und Netivot Shalom (Wege zum Frieden) sind als ideologische Antwort auf die Hegemonie von Gush Emunim in der Siedlerbewegung zu sehen. Eines ihrer Hauptargumente basiert auf dem Vorrang von Pikuach Nefesh (Rettung von Leben), einem zentrales Element im jüdischen Gesetz, und dem Glauben, dass Frieden mit den Palästinensern möglich ist, wenn die jüdische Seite bereit ist, territoriale Kompromisse einzugehen. Ist man dazu nicht bereit, opfert man Menschenleben für einen geringeren Wert: die Heiligkeit von Land.

Gibt es ähnliche Gruppierungen auch im religiösen Lager der Palästinenser? Oder gibt es innerhalb der Hamas Stimmen, die sich für die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz einsetzen – entgegen aller Propaganda?

Schon die frühe realistische islamische Jurisprudenz sah ein, dass die Machtverhältnisse nicht immer zugunsten der Muslime ausfallen, so dass friedliche Beziehungen gerechtfertigt werden können. Zumindest als Notbehelf und unter der Voraussetzung der begrenzten Dauer. Der Islam lässt also einen Waffenstillstand mit Nichtmuslimen zu, aber keinen Friedensvertrag. Allerdings kann man den Waffenstillstand verlängern, wenn dies notwendig ist.

Auch die Hamas hatte schon einen Waffenstillstand (Hudna) mit Israel ausgerufen. Milton-Edwards und Crook, zwei ausgezeichnete Kenner des Konfliktes, sehen in der Konzeption des Waffenstillstandes den einzigen Weg, die Hamas zu einer Akzeptanz der politischen Realität Israels zu bewegen, die Gewalt zu reduzieren und Verhandlungen zu beginnen. Die Hamas wäre dann in der Lage, die politische Realität Israels anzuerkennen, während sie weiterhin die moralische oder historische Rechtfertigung leugnen könnte. Eine absolute Anerkennung Israels, welches die Aufgabe von Territorium mit einschließen würde, das als Waqf (islamisches Stiftungsland) betrachtet wird, wäre für eine islamistische Gruppe schlechterdings unmöglich. „...but the importance here should have been the possibility of a significant step toward ending the conflict implicit in recognition of Israel’s political reality.”
Das Konzept eines langfristigen Waffenstillstandes ist tief in einem islamischen Ansatz zur Konfliktlösung verankert. Dieses Konzept schließt eine „Interims-Option“ mit ein, die der Hamas einen Ausweg aus ihrer formalen Position bietet, die Befreiung des gesamten historischen Palästinas zu fordern. Eine solche Option wurde bereits in den 1990ern skizziert und seither von verschiedenen Sprechern wiederholt: eine Interims-Option würde eine langfristige Waffenruhe ermöglichen, die bis zu 50 Jahre dauern könnte, falls sich Israel aus den Gebieten zurückzieht, die es 1967 besetzt hat.

Eine solche Aussage bringt nun natürlich nicht die Friedensverhandlungen in Fahrt, doch sollte man im Umgang mit religiösen Gruppen in diesem Konflikt darauf achten, zwischen Rhetorik und Pragmatismus zu unterscheiden, um die Kräfte der Religion nutzen zu können, mäßigend auf den Konflikt einzuwirken.

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