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Die besten in die Bildung

19. September 2007

Daniel BarenboimAuf seinem Symposium „Musik Bildet” stellte Daniel Barenboims Musikkindergarten neue Konzepte zur frühkindlichen Erziehung vor - und wurde von Experten bestätigt.

Daniel Barenboim glaubt an mimetische Prozesse, an das Lernen durch Nachahmung. Sie ist die erste Fähigkeit, die Kleinkinder entwickeln und eine zentrale Säule im „Musikkindergarten Berlin”, der auf Initiative des Dirigenten gegründet wurde. Ein Modellversuch, der sich die Grundsätze des Pianisten und Referenten für Musik im preußischen Ministerium für Wissenschaft und Volksbildung, Leo Kestenberg, zu Eigen macht. In seinem Buch „Musikerziehung und Musikpflege” hat Kestenberg bereits 1921 die Bedeutung der Musik für die frühkindliche Erziehung, die Notwendigkeit ausreichend musikalisch gebildeter Erzieher und die Wichtigkeit musikalischer Spiele und Reigen methodisch dargelegt.

Barenboim und Kestenberg haben sich oft getroffen, und der Pädagoge sicherte die intuitive Erfahrung des Dirigenten theoretisch ab, dass Musik nicht allein Kunstgebilde, sondern Lebensnotwendigkeit sei, dass Musik alle Lernpotenziale der frühkindlichen Bildung abdecke: Sprachentwicklung, Emotionalität, soziale Fähigkeiten, Kommunikation, Rhythmusgefühl, Zählen, Farblehre, und natürlich die Musik selbst. Im Musikkindergarten, betonte Barenboim, ginge es nicht darum, Wunderkinder zu produzieren, sondern die Musik als Angebot zur natürlichen individuellen Entfaltung des Menschen zu nutzen, als integralen Bestandteil der Erziehung.

Ein Konzept, das im „Musikkindergarten Berlin” angewendet und von handverlesenen Experten begleitet wird. Als die Einrichtung nun zu einer Tagung unter dem Motto „Musik bildet” in die Staatsoper rief, war zu sehen, auf welch großen gesellschaftlichen Fundament dieses Pionierprojekt steht. Neben dem Dirigenten Gustavo Dudamel und dem Geiger Daniel Hope sprach der Gehirnforscher Wolf Singer. Er betonte in die Notwendigkeit der frühkindlichen Bildung. Zwar sei die Architektur des Gehirns und seine Funktionsfähigkeit bereits genetisch und damit von Geburt an vorgegeben, aber besonders in der frühkindlichen Phase würden sich Fenster öffnen, um Vernetzungen für verschiedene Bildungsbereiche zu erstellen, die sich nie wieder so öffnen würden wie bei Kleinkindern. Um Angebote für diese Fenster müsse es in jedem frühkindlich, pädagogischen Konzept gehen.

Niemand behauptete an diesen zwei Tagen, dass Musik klug mache, dass Noten und Klänge der einzig richtige Weg für die frühkindliche Bildung sein, aber mit jedem Beitrag wurde deutlich, dass gerade die Musik der frühen Entwicklung helfen kann, auf offene Kindergehirne trifft und ein spielerisches, begeistertes Lernen fördert. Um so zorniger war Daniel Barenboim, dass das schlichte Singen in vielen anderen Einrichtungen inzwischen zu einem Ritual im Morgenkreis verkomme.

Andreas Doerne vom Musikpädagogischen Seminar der Hochschule in Bremen begleitet den Musikkindergarten wissenschaftlich und berichtete, dass besonders Kinder, die mit einer relativ geringen Bildungsaktivität in die Einrichtung kamen, schon nach einem halben Jahr nachweisbare Erfolge aufwiesen. Wilfried Gruhn, Professor der Freiburger Musikhochschule, verdeutlichte die Relevanz der musikalischen Bildung für das für implizites Wissen, also ein Wissen, über dessen Erwerb man sich nicht bewusst ist. Er stellte die Musik als Möglichkeit des Beiläufigen und subversiven Wissenserwerbs vor.

Es zeigte sich ziemlich schnell, dass Barenboims Musikkindergarten eine Ausnahme ist, ein pädagogischer Modellversuch, der gerade durch den Namen seines Erfinders Möglichkeiten hat, die anderen öffentlichen Einrichtungen zu fehlen scheinen. Barenboim schafft es, sein Projekt auf hohem, wissenschaftlichem Niveau begleiten zu lassen und nutzt seine eigene Person, um Lerninhalte einzubringen, die an Regeleinrichtungen eher selten sind. Seine Vision ist es, den Kindergarten nach der Sanierung der Staatsoper direkt in das Gebäude zu holen - als Zeichen, dass eine Musikanstalt auch eine Anstalt des Lebens ist.

Schon jetzt geht der Musikkindergarten zum Beispiel in seiner Einstellung von Erziehern eigene Wege und beschäftigt ausschließlich akademisch gebildeten Pädagogen. Eine Grundkonstante, auf die sich die nationale Bildungspolitik noch nicht einigen konnte. Barenboims Grundsatz „die besten müssen lehren” wird Realität, nicht weil seine Erzieher besser bezahlt werden, sondern weil sie hier einen direkten Effekt ihrer Arbeit sehen und Begeisterung als wesentlichen Teil des Lohnes akzeptieren.

Der Dirigent verpflichtet Musiker der Staatskpelle, einmal in der Woche in den Kindergarten zu gehen, um ihre Leidenschaft vorzustellen, und bei einem Sing-Projekt kommen die Kinder kurzerhand in die Oper und schauen sich die Sänger vor Ort an. Besser als durch begeisterte Vorbilder lassen sich mimetische Bildungsprozesse nicht initialisieren.

Das Projekt „Musikkindergarten” erfüllt an sich eine Vorbildfunktion, allerdings scheitert es derzeit noch an den strukturellen mimetischen Prozessen. Dass die flächendeckende Nachahmung dieses Erfolgsmodells schwierig ist, wurde bereits klar, als Michael Thielen, Staatssekretär von Bildungsministerin Anette Schavan, zur Einführung des Kongresses das bürgerschaftliche Engagement Barenboims und seiner Mitarbeiter lobte, ganz so, als hätte die Regierung die Erziehung längst outgesorced und privatisiert. Tatsächlich fehlt es landesweit an politischen Rahmenbedingungen, um ein Pionierprojekt wie den Musikkindergarten ohne Identifikationsfiguren wie Barenboim großflächig zu installieren. Die Etat- und Richtlinienstreitigkeiten im Bildungssektor zwischen Bund, Ländern und Kommunen blockieren pädagogische Initiativen, und die anhaltende Debatte um die Qualifizierung von Erziehern hat noch immer keinen Beschluss für eine höheres Bildungsniveau der Lehrenden geschaffen. Musik wird in der weiterführenden Bildung, in den Schulen, nach wie vor nicht Ernst genommen. Trotz der öffentlichen Akzeptanz der Musik als Teil der Bildung fällt in Deutschland kein Fach oft aus wie der Musikunterricht.

Was vom Kongress „Musik bildet” bleibt, ist eine idealistische Anregung für die zahlreichen Pädagogen, die freiwillig gekommen waren, die Sensibilisierung der Begeisterung als Motor der Pädagogik, dafür, dass selbst in unzureichenden gesetzlichen Rahmen Phantasie und Kreativität, die Integration leidenschaftlicher Vorbilder in die Erziehung und die wissenschaftlich pädagogische Begleitung der Bildung schon jetzt möglich sind. Zur Mimesis und als Vorbild für einen flächendeckenden Wandel der frühkindlichen Bildungspolitik eignet sich der „Musikkindergarten Berlin” allemal.

AXEL BRÜGGEMANN

In diesem Video sehen Sie Barenboim als Musikpädagogen für Lang Lang.


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