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Interview mit Chefredakteurin Annette Zwahr
Mit dem Brockhaus ins 21. Jahrhundert
1805 gründete Friedrich Arnold Brockhaus seinen Verlag. Schon sein erstes Lexikon setzte Maßstäbe. Ab 2005 erscheint nun schon die 21. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie, in 30 Bänden und auf CD. Für dieses groß angelegte Unternehmen wurde die Leipziger Lexikon-Redaktion deutlich aufgestockt. Chefredakteurin und Geschäftsführerin Dr. Annette Zwahr im Gespräch.
Das Papier, auf dem die Brockhaus-Lexika gedruckt werden, soll 400 Jahre lang halten - wie lange dauert es, bis das Lexikon-Wissen veraltet?
Je mehr Bände ein Lexikon hat, desto höher ist erfahrungsgemäß der Anteil des klassischen Wortgutes. Nehmen Sie als Beispiel einen Artikel zu Goethe, Ob der Text nun vor 20 Jahren im Lexikon erschien oder in der neuesten Ausgabe steht, die grundlegenden Fakten, die Werke, alles stimmt. In einem großen Lexikon sind es vielleicht drei oder vier Prozent der Artikel, die von der Zeit überholt sind. Je kleiner das Werk, desto mehr aktuelles Wortgut ist prozentual darin enthalten.

Aber da wir das einbändige Lexikon zu sehr günstigen Preisen anbieten, kann sich jeder Kunde, der ein mehrbändiges hat, von Zeit zu Zeit einen Einbänder dazu kaufen und so dafür sorgen, dass sein großes mehrbändiges Werk praktisch aktuell bleibt. Bezahlen muss er dafür nicht mehr als für eine Opern- oder Konzertkarte. Wer mehr investieren möchte, vielleicht eine Enzyklopädie hat, die schon älter ist, der leistet sich einen Dreibänder oder Fünfbänder. Dann hat er das Neue, was er braucht.
 
Das erste Konversationslexikon von Friedrich Arnold Brockhaus Anfang des 19. Jahrhunderts war auf gebildete Bürger zugeschnitten, die in den literarische Salons gehobene Konversation betrieben. Wer sind Anfang des 21. Jahrhunderts die Brockhaus-Kunden?
Umfragen zeigen, dass unsere Kunden fast gleichmäßig über alle Generationen verteilt sind. Die unter 20-Jährigen waren bei den Einbändern sogar die stärkste Käufergruppe. Auch bei den Berufen ist alles vertreten, vom Azubi bis zum Akademiker. In überraschend großer Zahl gehören Schülerinnen und Schüler zu den Käufern.
 
Und wer leistet sich die 24-bändige Enzyklopädie?
Auch beim 24-Bänder kommen die Käufer aus allen Berufsgruppen. Darunter sind auch Menschen mit sehr kleinem Budget. Nach 1990 haben wir im Osten wegen des großen Nachholebedarfs prozentual mehr verkauft als in den alten Bundesländern. Aufgrund der finanziellen Situation sind in den letzten Jahren die Verkaufszahlen für Lexika im Osten etwas geringer als im Westen.
 
Gibt es für die großen und kleinen Lexika jeweils eigene Redaktionen?
Nein, bei uns betreut ein Fachredakteur von der Enzyklopädie bis zum Einbänder alle Texte. Das hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch fachliche Gründe. Wenn er zum Beispiel Experte auf dem Gebiet der russischen Geschichte ist, erarbeitet er sämtliche Artikel zum Thema für die Ausgaben in allen Größen. So kommt sein Fachwissen, das er ständig weiterentwickelt, überall zum Tragen.
 
Werden die Lexikon-Artikel von Fachredakteuren verfasst? Oder arbeiten Sie mit externen Autoren?
Außer bei den Ein- und Zweibänder, den die Redakteure allein betreuen, sind an jedem Werk Autoren beteiligt. Über Jahre hinweg haben wir einen Stamm von 300 bis 400 Experten aufgebaut, mit dem wir ständig zusammenarbeiten. Auch bei der neuen Enzyklopädie wird das so sein. Ich rechne mit etwa 1000 Autoren und Gutachtern. Ein Teil der Beiträge wird jedoch ausschließlich von den hoch qualifizierten Redakteuren im Haus abgefasst.
 
Wie haben Sie auf ein Ereignis wie den 11. September 2001 reagiert?
Hier waren mehrere Fachredakteure gefragt, denn es ging um Artikel wie "Vereinigte Staaten von Amerika", "New York", "Washington". Da die Redaktion elektronisch arbeitet, ist sie in der Lage, die Texte sehr schnell aufzurufen und zu prüfen, wo Zusammenhänge mit dem Ereignis bestehen.
 
Wer entscheidet, welche Stichwörter neu aufgenommen werden, etwa im Falle der im Frühjahr 2003 neu aufgetretenen Infektionskrankheit SARS?
Die Redaktion entscheidet autonom. Themen, bei denen anhaltender Nachschlagebedarf zu erwarten ist, haben Priorität. Die Entscheidung, ob ein Stichwort aufgenommen wird, wird entweder in der Arbeitsbesprechung der Redaktion, durch den einzelnen Fachredakteur oder nach Konsultation von Autoren getroffen. Es gibt aber Stichwortgut, wo das nicht erforderlich ist. Zum Beispiel Nobelpreisträger, Repräsentanten höchster politischer Ämter werden grundsätzlich berücksichtigt.

Von den Medien favorisierte Begriffe werden genau geprüft, ob sie die Aufnahme wert sind. Die Redaktion bedient zwei verschiedene Medien, die Printwerke ebenso wie die elektronischen Produkte, die Brockhaus in jeder Größenordnung präsent hält.
Bei elektronischen Produkten wird monatlich aktualisiert, bei den Druckwerken in der nächsten Auflage. Der Brockhaus in fünf Bänden der im Herbst 2003 erschienen ist, enthält bereits das Stichwort SARS.
 
Vor 1990 gab es sowohl den Brockhaus Verlag als auch das Bibliografische Institut zweimal in Deutschland - einmal in Leipzig (DDR) und einmal in Mannheim bzw. Wiesbaden (BRD). Dann wurden die beiden ostdeutschen Verlage an die westdeutschen rückübertragen. Wie funktionierte die Zusammenarbeit?
Schon in den 80er Jahren unterhielt der damalige Verlagsleiter vom Leipziger Bibliographischen Institut und dem Verlag Enzyklopädie gute Kontakte zum Bibliographischen Institut in Mannheim, ebenso zu Langenscheidt und Brockhaus. Bei den Verkaufsverhandlungen mit der Treuhand, an denen er teilgenommen hat, ist es fair zugegangen, eben weil man sich kannte. Gesprächsrunden, die nach 1990 die redaktionelle Zusammenarbeit organisierten, verliefen ebenfalls sehr fair und korrekt. Die Mannheimer Kollegen kamen hierher, wir fuhren hin. Es war eine unbelastete, auf die Arbeitsprozesse orientierte Atmosphäre.
 
Also überhaupt keine Probleme?
Doch, der Verlag ist geschrumpft, weil bestimmte Bereiche nicht weitergeführt werden konnten. Aber, was einen Verlag ausmacht, ist die redaktionelle Kapazität, und ich finde es bemerkenswert, dass es gelungen ist, diese nicht nur zu erhalten, sondern für das laufende Lexikon-Programm sogar auszubauen. Gleich 1990 haben wir hier in Leipzig von der Mutterfirma das 24-bändige Taschenlexikon, danach den Brockhaus in fünf Bänden, 1995 die 20. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie als eigenständige Projekte übertragen bekommen und anschließend das gesamte allgemeine Lexikon-Programm. Das waren immer spannende und für uns und die Mannheimer Mutter wichtige Projekte.
 
Schon die 20. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie reagiert auf den unterschiedlichen Nachschlagebedarf in beiden Teilen Deutschlands. Das schafft vermutlich nur ein gemischtes Ost-West-Team.
Wir sind inzwischen eine Mannschaft von Redakteuren, die teils im Osten geboren sind, hier studiert und Verlagserfahrung erworben haben, teils im Westen. Bis vor einem Jahr - da begann ja die personelle Erweiterung bedingt durch die neue Enzyklopädie - kamen die meisten aus dem östlichen Erfahrungsbereich. Jetzt haben wir mehr als 20 Mitarbeiter neu eingestellt, darunter sind mehr aus den alten Bundesländern. Entscheidend war allein die Fachkompetenz für ganz bestimmte Gebiete, die wir ausbauen wollten. Erfreulicherweise ist das Arbeitsklima hervorragend.
 
Gab es nie Streit über politische Einschätzungen in den Artikeln?
Sehr wenig. Das ist das Erstaunliche. Wir hatten natürlich auch schon vor 1990 im Leipziger Verlag die Werke aus Mannheim und Wiesbaden als Arbeitsexemplare, sowohl die Enzyklopädie von Meyer als auch die von Brockhaus. Umgekehrt haben die Kollegen dort die in der DDR erschienenen Lexika benutzt. Man kannte also die Arbeit der anderen recht gut. Aufgrund gegenseitiger Kenntnisnahme gab es relativ wenig Strittiges. Außerdem orientiert sich ein Lexikon-Text stark an den Fakten. Bei den Bewertungen halten wir uns an die Vorleistungen der Wissenschaft, und dort, wo es unterschiedliche Lehrmeinungen gibt, wie etwa zur Entstehung der Menschheit oder zur Frage des Urknalls, sagen wir das auch.
 
2005 erscheinen die ersten von insgesamt 30 Bänden der 21. Auflage der großen Enzyklopädie. Ist eine gedruckte Ausgabe im Zeitalter von CD-ROM, DVD und Internet nicht ein teurer Luxus?
Es hat sich gezeigt, dass viele Leute, die ein Lexikon haben wollen, die gedruckte Form vorziehen. Nehmen Sie das Beispiel der Encyclopedia Britannica. Von diesem traditionsreichen Lexikon ist mehrere Jahre keine Printfassung erschienen, man hat sich allein auf die Präsentation im Internet verlassen. Doch seit 2003 ist wieder eine gedruckte Ausgabe auf dem Markt. Auch in Frankreich oder Italien kamen in den letzten Jahren wieder mehrbändige gedruckte Lexika heraus. International zeigt der Trend entgegen anderslautenden Voraussagen demnach einen zunehmenden Bedarf an gedruckten Lexika.
 
Wie erklären Sie sich das?
Eine mögliche Erklärung ist, dass ein Buch, das man in die Hand nehmen und aufschlagen kann, einfach ein ästhetischer Genuss ist. Deshalb legen wir auch viel Wert auf die Gestaltung unserer 21. Auflage, der Leser bekommt dann ein wirklich schönes Buch in die Hand!

Noch etwas spricht für die gedruckte Ausgabe: Lesen Sie mal im Internet lange Texte! Das geht eigentlich nur portionsweise. Bei der gedruckten Ausgabe können Sie die Bände nebeneinander legen, parallel lesen und vergleichen, etwa beim Stichwort "Zweiter Weltkrieg“ drei Bände aufschlagen: einen mit dem Artikel "Deutschland", den zweiten mit dem Artikel "Russland", den dritten mit "Vereinigte Staaten von Amerika". Sie haben also einen ganz anderen Zugang. Sehr viele Leser empfinden das jedenfalls so.

Ich sehe das neutral, weil unsere Texte ja sowohl in der Printfassung wie in der elektronischen verwendet werden. 1999 sind die letzten drei Bände der 20. Auflage in der Print-Version erschienen. 2002 ist die CD-ROM bzw. DVD-ROM zu dieser Auflage herausgekommen. Diese enthält das Grundwerk - aktualisiert - und zusätzliche Texte.
 
Wo liegt Ihrer Meinung nach die Zukunft des Lexikons - jedenfalls für den, der schnell informiert sein will, dem es weniger ums Lesevergnügen geht - in der CD-ROM bzw. DVD oder aber im Internet?
Als Internet-Angebot betreibt Brockhaus das Wissensnetz "Xipolis.net". Kurztexte sind dort kostenfrei zu nutzen. Die Enzyklopädie ist mit einer Gebühr belegt. Dieses Wissensportal steht schon jetzt zur Verfügung, und wir werden es weiter entwickeln. Bei der Frage "CD oder Print-Ausgabe?" entscheidet sich bisher die Mehrzahl der Käufer für Print, obwohl die elektronische Version in der Regel deutlich preisgünstiger ist. Die Entscheidung trifft letztlich der Markt, und große Resonanz hat der Verlag bei beiden Medien.
 
Neu zur Leipziger Buchmesse 2004: der Dreibänder - mit CD-ROM; Rechte: Brockhaus Verlag
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Neu zur Leipziger Buchmesse 2004: der Dreibänder - mit CD-ROM
Damit sich der Kunde nicht entscheiden muss zwischen Druckausgabe und CD, machen Sie ihm ein kombiniertes Angebot?
Sie können diverse gedruckte Ausgaben kombiniert mit einer CD-ROM oder DVD-ROM, erwerben. Die CD nutzen Sie am Arbeitsplatz, das Printwerk zu Hause. Oder aber die Lexikonbände stehen bei den Eltern im Regal, die CD aber haben die jungen Leute in ihrem Zimmer. Beim Fünfbänder konnten die Kunden zum ersten Mal zwischen der Kombination von Print und CD und oder nur Print wählen. Was von beidem besser angenommen wird, lässt sich noch nicht sagen, weil der fünfte Band erst Ende November 2003 ausgeliefert wurde.
 
zuletzt aktualisiert: 21. Dezember 2004 | 17:06
 
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