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13. Oktober 2007
 

heute-Nachrichten

 
Dieter Kunzelmann, Antje Krüger, Rainer Langhans und Fritz Teufel (v.l.). Quelle: dpa
Kommune I: Dieter Kunzelmann, Antje Krüger, Rainer Langhans und Fritz Teufel in Berlin 1968

Nackte Hintern und Puddingbombe

Kommune I vor 40 Jahren
in Berlin gegründet

Sie streckten der Kamera den nackten Hintern entgegen und bekamen körbeweise Post von Schulklassen aus Westdeutschland. Gruppensex, freie Liebe und Aktionen wie das geplante "Puddingattentat" auf den US-Vizepräsidenten: Das sind die Anekdoten und Mythen, die sich um die Kommune I in Berlin ranken und die jetzt Stoff für einen Kinofilm sind. Vor 40 Jahren zogen Kommunarden wie Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann in eine Altbauwohnung am Stuttgarter Platz in Charlottenburg.

 
 
 
 

Dort entstand 1967 das berühmte Nackt-Foto für den "Stern", das den Bewohnern Fanpost einbrachte wie heute den Stars aus den Casting-Shows. Die Kommune I, die sich zwei Jahre lang an wechselnden Orten ausprobierte, gilt in Deutschland als Vorläufer aller WGs und als Meilenstein der Studentenbewegung - vergleichbar mit dem "Sommer der Liebe" und den Vietnamkriegs-Protesten der amerikanischen Hippies.

Rainer Langhans. Quelle: dpa
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Rainer Langhans (2001)

Putzpläne und Beziehungsdiskussionen

Wenn heute noch Putzpläne in den Wohngemeinschaften hängen, nächtliche Beziehungsdiskussionen geführt werden und Kinder in die "Kita" kommen, geht das nicht zuletzt auf die Studenten aus der Kaiser-Friedrich-Straße zurück. Sie wollten den Mief der prüden und kapitalistischen Nachkriegsjahre vertreiben.

Teufel und Rainer Langhans gehörten zu den Medienstars der 68er Generation, später kam Langhans' damalige Freundin Uschi Obermaier dazu. Obermaiers Geschichte erzählt der Film "Das wilde Leben", der am 1. Februar in die Kinos kommt. Das ehemalige Top-Model (60) lebt mittlerweile als Schmuckdesignerin in Kalifornien.

Uschi Obermaier. Quelle: dpa
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Uschi Obermaier (2006)

Lockenkopf ergraut

Zeitgleich zum Film hat Obermaier gemeinsam mit Olaf Kraemer ihre Autobiografie verfasst, die unter dem Titel "High Times - Mein wildes Leben" zum Filmstart im Heyne Verlag erscheint. Langhans, dessen berühmter Lockenkopf leicht ergraut ist, lebt heute in einem "Harem" in München, wie das "Munzinger"-Personenarchiv notiert.

Die Post an die Kommune I lagert im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialwissenschaft. Darin boten Mädchen an, für die "KI" den Abwasch zu übernehmen - wenn sie dafür nur einmal einen Blick auf die Lebensgemeinschaft werfen durften, wie der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar berichtet. Er nennt die Kommunarden einen "medialen Fixpunkt". "Die wurden ganz schnell zu Popstars des Protests."

 

"Erfinder der Spaßgesellschaft"

"KI"-Mitgründer Ulrich Enzensberger schreibt in seinem Buch "Die Jahre der Kommune I" nicht ohne Selbstironie: "Wir sind die Erfinder der Spaßgesellschaft", zugleich spricht er auch vom "Schlangenei, aus dem die Rote Arme Fraktion gekrochen ist". Chef-Provokateur war damals Kunzelmann. "Was geht mich der Vietnamkrieg an, wenn ich Orgasmusschwierigkeiten habe", lautet sein viel zitierter Ausspruch, der den Studenten den Ruf einbrachte, sich mehr für die freie Liebe als für den Weltfrieden und den Klassenkampf zu interessieren.

 

Ihr erstes Quartier fanden die Studenten im Januar 1967 in der Atelierwohnung des Schriftstellers Uwe Johnson in Berlin-Friedenau. Der musste in New York in der Zeitung lesen, dass in seiner Wohnung Studenten einen Bombenanschlag auf den amerikanischen Vize- Präsidenten Hubert H. Humphrey geplant hätten.

 

Bombe aus Puddingpulver

Wie die Polizei feststellte, bestanden die Zutaten für die "Bombe" zwar aus Puddingpulver, Mehl und Yoghurt, der Ärger war aber groß. Nach dem "Puddingattentat" mussten die Studenten ausziehen, sie lebten dann einige Zeit in Charlottenburg, bevor sie nach Moabit gingen und sich nach zwei Jahren in alle Winde zerstreuten.

 

Die Kommune I war ein Produkt ihrer Zeit. Damals galt noch der "Kuppelparagraf", der Studenten als Untermieter keinen Damenbesuch erlaubte; Oswalt Kolle faszinierte die Massen mit seiner Sexualaufklärung. Täglich lasen die Kommunarden die Springer-Presse, um zu sehen, wie ihre oft per Flugblatt gestarteten Aktionen ankamen.

 

Gegenentwurf zur Familie

Welche Wellen die Kommune als "soziokulturelles Experiment als Gegenentwurf zur Familie" schlug und wie sich eine solche kleine Gruppe in den Medien vermittelte, sei historisch einmalig, meint der Politikwissenschaftler Kraushaar. "Das ist ein ganz außerordentliches Phänomen."

 

Uschi Obermaier, die als Ikone der 68er nun zur Leinwandfigur wird, hat heute keine Lust mehr auf soziale Experimente. Auf die Frage, ob sie sich noch vorstellen könne, in einer Kommune zu leben, sagte sie unlängst in einem Interview: "Nein, um Gottes Willen. Ich will meinen Kühlschrank allein."