Freie Presse  11.01.1997

 

Pankows Wiedervereinigung

Christine Wagner

Andrè Herzberg ist erneut dabei – „Am Rande vom Wahnsinn“ erscheint im April

Nach dem Ende der Gleichmacherei im Herbst `89 wollte sich so mancher endlich allein durchs Leben schlagen. Andrè Herzberg trennte sich vom „demokratischen Haufen“ Pankow. Er wollte „Songs schreiben, die mehr durch meine eigenen Individualität geprägt sind, die sich nicht nur in den Texten widerspiegelt“. Zwei Soloplatten bei K&P Music erschienen.

Die erste gehört zweifellos zu den wichtigsten Nachwendealben des Ostrock: Herzberg benannte nicht nur konsequent die eigenen widersprüchlichen Gefühle, sondern lebte sie in den Songs aus. Als die Rille jedoch 1990 – viel zu früh- heraus kam, beäugte das Publikum hierzulande die Weststars. Die zweite CD ließ jene Kraft der ersten vermissen. Pankows Nachwende-CD „Viererpack“ (1993/Buschfunk) in neuer Besetzung mit wechselnder Stimme am Mikrofon enthielt einige schöne, wenn auch melancholische Songs. Das zweite Produkt „Paparazzia“ (1996/Grauzone) aber war weder Fisch noch Fleisch. Etwas fehlte – natürlich: Herzberg.

Das der Frontmann mit dem Charme eines Berliner Rotzbengels 1989 die Band verließ, verstanden und akzeptierten wohl die wenigsten Fans. Schließlich waren die Jungs von Pankow so etwas wie die Rolling Stones der DDR. Schon der erste Auftritt am 13. Dezember 1981 mit dem Rockspektakel „Paule Panke“ machte die Kapelle dank respektloser Texte ohne Anbiederei und musikalischer Originalität mit geradlinigem Rock `n` Roll zum Geheimtipp.  Viel zu spät entschloss sich Amiga 1989, den „Paule“ auf einer LP zu verewigen. Dafür brachte der einstige VEB unter Popularitätsdruck zwei Jahre nach Gründung „Kille Kille Pankow“ heraus – mit

200 000 verkauften Exemplaren eines der erfolgreichsten Alben der DDR-Rockgeschichte. Das zweite Rockspektakel hieß „Hans im Glück“. Das 86er Album „Keine Stars“ enthielt Hits wie „Er will anders sein“, „Wetten, du willst“ und „Nebel“. Die LP „Aufruhr in den Augen“ (1988) setzte weitere Maßstäbe in puncto Authentizität. Ein Song wie „Langeweile“ fing präzise die Stimmung der Vorwendezeit ein.

Kurz vor dem 15. Geburtstag der Rebellenband war sie wieder da, die reibende Kraft, die Musiker wie den emotional-spontanen Andrè Herzberg und den introvertierten Jürgen Ehle zum Zusammenspiel treibt. Basser Hans-Jürgen Reznicek und Drummer Stefan Dohanetz sagten spontan ja zu der Idee, Pankow in Originalbesetzung aufleben zu lassen. „Am Rande vom Wahnsinn“ heißt ihr vieldeutiges Wiedervereinigungsalbum, das im April bei dem kleinen Label Grauzone erscheinen wird. Vorab gibt`s den Titelsong auf Single. Die schnelle Wiedervereinigung von Alt-Pankow will verkraftet sein wie einst die Trennung.

Ehle sieht sie im Nachhinein nüchtern: „Wir haben oft miteinander gestritten – konstruktiv. Am Ende entstand immer was Kreatives. Wenn man sich aber jahrelang auf der Pelle hockt, passiert es, daß der Streit ins Unsachliche gleitet. Der eigentliche Grund aber war: Die Band stagnierte.“ Herzberg zieht Verbindung zur damaligen Zeit: „Der Wechsel des politischen Systems war ja ein viel größeres Ding als die Trennung von der Band. Ich wusste nicht, was mir bevorsteht.“ Und dann gesteht er: „Als wir jetzt die alten Nummern probten, spürte ich, daß da unheimlich viel Kraft dahinter steckt. Die habe ich seit `89 nicht mehr gehabt.“

Herzberg verlor viel von seiner Trotzigkeit, Ehle ist offener geworden. Toleranz mehr denn je gefragt, denn die Gauck-Behörde enttarnte Jürgen Ehle als IM “Peters“. Der ist froh, daß er endlich gezwungen wurde, sich Herzberg zu offenbaren, und daß dieser ihn nicht abwies. „Ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst. Der wäre vor der Wende gewesen“, sagt er heute. Das gesellschaftliche Klima hat ihn abgeschreckt, von selbst den Schritt zu wagen. Dann gab es Phasen, wo ihm der innere Halt fehlte. „Ich habe meinen eigenen Psychologen gespielt – wie mein Vorbild Michael Sostschenko auf einer anderen Ebene.“ Herzberg: „Entweder bist du bereit, dich mit dem, was war, auseinanderzusetzen – oder du verdrängst es und wirst krank – oder du gehst ins Ausland, weil du denkst, hier kannst du nicht mehr leben.“ Für beide kam nur der erste Weg in Frage. Herzberg und Ehle nehmen sich ernst. Die neu – alte Ehe Pankow ist für weitere Überraschungen gut.